ADB:Scriver, Christian
Wallenstein’schen Truppen das Land plünderten, all ihr Vermögen. Der Vater starb ein halbes Jahr nach der Geburt dieses jüngsten Sohnes, das erste Opfer an der durch die Soldaten in die Stadt eingetragenen Pest und hinterließ seine Wittwe mit fünf Kindern, drei Söhnen und zwei Töchtern. Die Mutter heirathete darauf zwar den verwittweten Propst und Pastor Gerhard Kühlmann am Orte, aber auch dieser brave Stiefvater unseres S. starb schon nach 4½ Jahren, da S. also erst 5 Jahre alt war, und war die Mutter zum zweiten Male Wittwe. Da die Mittel zum Studium für diesen jüngsten Sohn fehlten, wandte man sich an einen wohlhabenden Verwandten, Bruder der Großmutter, Kaufmann Hebbers in Lübeck, der auch bereitwillig sogleich eine jährliche Unterstützung zusagte und nachher in seinem Testament diesen gut bedacht hat, so daß nun die Sorge fürs Fortkommen beseitigt war. S. genoß nun erst den Unterricht der vaterstädtischen Gelehrtenschule, unter Rector Hamerich bis 1645. Als damals aber Holstein wieder von Kriegsunruhen heimgesucht und dadurch auch der Unterricht gestört ward, siedelte er nach Lübeck über, wo er auf dem dortigen Gymnasium, unter Rector Sebastian Meyer, seine Vorbereitung zur Universität in zwei Jahren vollendete und nebenbei durch Privatunterricht etwas verdiente. Michaelis 1647 ging er nach Rostock, um Theologie zu studiren. Er ward hier Hausgenosse des Professors Kaspar Mauritius (s. A. D. B. XX, 710). Insbesondere wirkte aber auf ihn – und fürs Leben – hier ein der bekannte Professor Lütkemann (s. A. D. B. XIX, 696), dessen Wahlspruch lautete: Ich will lieber Eine Seele selig, als hundert gelehrt machen. 1649 disputirte S. hier „De coena Domini“ (als Diss. gedruckt). Zu Ostern 1650 verließ er die Universität und ward Hauslehrer in der Stadt Segeberg, wobei er seine Studien fleißig fortsetzte und von hier aus promovirte er in Rostock zum Magister, wie damals viel üblich. Es begab sich nun, daß seine Stiefschwester Lucie Kühlmann 1652 an den Conrector in Stendal, Christoph Trinceus, verheirathet ward und daß S., dessen Condition eben zu Ende [490] gegangen, dazu aufgefordert, das junge Paar dahin begleitete. Da der Schwager zum Archidiakonus an St. Jacob in Stendal designirt war, kam der Gedanke auf, dem jungen S. das Conrectorat zu übertragen. Da aber inzwischen Trinceus zum Pfarrer in Bezendorf vocirt ward, was er vorzog, ward S., der hier während seines Aufenthalts als Candidat mehrfach gepredigt hatte, zum Archidiakonus gewählt. Erst eben 24 Jahre alt, trat er denn nun ins geistliche Amt. 14 Jahre ist er in diesem Amte verblieben. Unterm 5. October 1667 folgte er dem Ruf als Pastor an St. Jacob in Magdeburg. Er ward hier nach und nach Assessor im geistlichen Gericht, Scholarch, Senior der Gemeinde, Kircheninspector für den Kreis (Superintendent) und gelangte also zu einer umfassenden Amtsthätigkeit, die er aber mit größtem Eifer und zur Freude und Bewunderung Vieler geführt hat. Nachdem er inzwischen verschiedene Berufungen abgelehnt, z. B. als Hofprediger nach Stockholm etc., nahm er, allerdings nach einigem Kampf, den Ruf der Herzogin von Sachsen, Anna Dorothea, an als Oberhofprediger in Quedlinburg. Die Magdeburger Gemeinde wollte ihn nicht fahren lassen und erforderte das Gutachten der Universität Helmstedt, ob das für ihn christlich erlaubt sein könne, seine Gemeinde zu verlassen? Die Antwort erfolgte doch darauf, daß es nach Gottes Rath und Vorsehung wohl sein möchte, daß ihm größere Wirksamkeit am neuen Orte zugewiesen werde. Er nahm also am 3. Januar 1690 den Ruf an und ging nun nach Quedlinburg. Hier war indeß seines Wirkens nicht lange. Bald stellten sich Schlaganfälle ein und sein thätiges Leben endete schon am 5. April 1693. Er ist in Magdeburg in der Jacobikirche begraben worden.
Scriver: Christian S., praktischer Geistlicher und Erbauungsschriftsteller, geboren am 2. Januar 1629 in der Stadt Rendsburg in Schleswig-Holstein. Die Eltern, der Vater, gleiches Namens, Kaufmann und die fromme Mutter Abigail geb. Gude, Tochter eines Rathsverwandten, wohlsituirt, verloren in der Kriegszeit, da dieS. war eine mehr als gewöhnlich begabte Persönlichkeit, von reicher Phantasie und offenem Blick fürs Naturleben. Mit Spener bekannt geworden und innig befreundet, schloß er sich den Pietisten an und hat ein reiches Innenleben geführt. Insbesondere ist er in seinem Predigtamt als Seelsorger thätig gewesen und es heißt von ihm: er wußte jedes Schäflein seiner Heerde mit Namen zu nennen. – Seine Tagesordnung lautete: 6 Stunden Nachtruhe, mehr nicht; 4 Stunden zum Gebet, zum Lesen der Heil. Schrift und anderer Erbauungsschriften, zum Stillesein und heiligem Nachdenken; 2 Stunden, mehr nicht, zu den Mahlzeiten, 2 Stunden zur Ergötzung, eingeschlossen das Lob Gottes in geistlicher Musik, in göttlichen Gesprächen und Werken der Liebe an den Nächsten; 9 Stunden zu den Berufsgeschäften; 1 Stunde, Morgens oder Abends, für gottselige Vorbereitung zum seligen Sterben. Diese Aufgabe ist die allerschwerste, daher ist es weise, täglich zu sterben, damit der Tod ein trauter Hausgenosse werde. – Er war geizig, doch nur mit der Zeit, jeder Augenblick, jede Secunde der flüchtigen Vorbereitung soll zum Wachsthum im Innern, zum Wohlthun und Segnen benutzt werden. – Als Prediger war er von besonders hervorragender Begabung. Auf ihn ist angewandt worden das Wort Sirach 48, 1: Sein Wort brannte wie eine Fackel. – Der Thisbiter von der Elbe ist er genannt worden. Er hat daher auch immer bei all seinen Predigten ein volles Auditorium gehabt bis an sein Ende. Auch als geistlicher Liederdichter hat er sich Verdienste erworben. Wenn auch seine Lieder nicht eben sehr zahlreich, mehrere derselben sind noch in die neuesten Gesangbücher übergegangen und ist damit ihre Bedeutung ja anerkannt. Wir nennen als solche z. B. „Jesu meiner Seele Leben“ etc.; „Auf Seel’ und danke deinem Herrn“ etc.; „Der lieben Sonne Licht und Pracht“ etc.; „Hier lieg’ ich nun mein Gott zu deinen Füßen“ etc.; „Lustig ihr Gäste, seid fröhlich in Ehren“ etc.; „Was sollte mich Jesu auf Erden noch binden“ etc. etc. Diese seine geistlichen Lieder sind nur vereinzelt zu Tage getreten, aber in Auswahl zusammengedruckt in: „Seelenschatzes Kraft und Saft oder geistreiche und bewegliche Seelen-Andachten aus des wohlseligen Herrn [491] Autors größerem Werk und mit dessen eigenen Worten, sonderlich Unvermögenden zum Besten zusammengetragen von M. Crispinus Weise“. Wittenberg 1704. Neue Aufl. Magdeburg 1745. Neben dieser umfassendsten Wirksamkeit in seinen geistlichen Aemtern hat er auch noch eine große Thätigkeit entwickelt als sehr fruchtbarer Schriftsteller. Wir nennen nur seine Hauptwerke, die noch immer gern und viel gelesen und daher auch fortgehend neu gedruckt werden. Wir stellen hier oben an, als originell und bedeutsam: „Gottholds zufällige Andachten.“ Sie erschienen zuerst 1671, die 19. Aufl. 1724. Neue Drucke Rostock 1828, Berlin 1867 u. f. Es sind 400 Betrachtungen, Gleichnisse. Der Verfasser sagt in der Vorrede: „Das Buch der Natur hat viel tausend Blätter, darauf der Finger Gottes seine Liebe beschrieben, die er durch mancherlei Betrachtungen herumwirft und uns seine hohe, tiefe, weite, breite Güte zu betrachten aufgiebt.“ S. weiß an jedem Blatt am Baum, in jedem Blümlein am Wege die Größe, die Herrlichkeit, die unendliche Liebe Gottes aufzudecken, in der ganzen Natur die Botin Gottes lehrend, tröstend, warnend vorzuführen, und alles so ungesucht, so kindlich, er ist ein rechter Hohepriester der Natur. Denn der Seelenschatz, aus überarbeiteten Wochenpredigten erwachsen, erschien zuerst 1675, der 5. Band 1688, die 6. Aufl. 1688, ist nachher häufig wieder gedruckt bis in die Gegenwart hinein und noch immer weit verbreitet, die neuen Auflagen meist in 3 Bänden Bonn 1848 von R. Stier herausgegeben Berlin 1852 u. f. Es enthält derselbe die Beschreibung von dem Wege einer Seele aus ihrem Elend bis in die Herrlichkeit des ewigen Lebens hinein und enthält in der That einen großen Gedankenreichthum. Man hat dies ein unsterbliches Werk genannt und wohl mit Recht davon gesagt: es hat manchen Sünder zu einem gottseligen Christen gemacht. – „Chrysologia catechetica: Goldpredigten über den lutherischen Katechismus“ 1658, 3. Aufl. 1709 und dann öfter bis in die neueste Zeit hinein Neuruppin 1859, Stuttgart 1861; „Gotthold’s Siech- und Siegesbett“ 1687, wieder Dresden 1814, Neuruppin 1859 u. s. w. Von Predigten hat er in den Druck gegeben: „Das blutrünstige Bild Jesu des Gekreuzigten“ 1653; „Die Herrlichkeit und Seligkeit der Kinder Gottes in Leben, Leiden und Sterben“ 1680, Neuruppin 1861, Stuttgart 1865 etc.; „Theognosia christiana oder lebendig thätige Erkenntniß Gottes, wie ein Christ Gott nach seinem Wesen, Willen und Wohlthun erkennen soll, daß er denselben von ganzem Herzen fürchten, lieben und ihm vertrauen lerne“. Evangelienpredigten von Havekern herausgegeben 1692; „Die neue Creatur oder das in Christo erneuete Herz“ 1685 bis 1735, 10 Aufl.; „Die heilige und gottwohlgefällige Haushaltung zur Besserung der im Hauswesen vorkommenden Mängel“ etc. 1686, 9. Aufl. 1727; „Erbauliches dreifaches Absehen eines Christen auf Gott, auf den Nächsten und auf die eigne Seele“, 1698 nach seinem Tode. Desgleichen „Reichgewordener Christ oder die Kunst reich zu werden“ 1745, und Dresden 1833. Seine Predigtart soll versucht haben zu beschreiben J. J. Wolf „Methodus concionandi ex colloquiis Scriveri scripta“, Magdeburg 1699. „Scriver’s Gesammelte Werke“, herausgegeben von Heinrich und Rudolf Stier. Barmen 1847–53, 8 Bde.
S. hat es auch erfahren müssen in seinem Leben, daß der Herr züchtiget, die er lieb hat. Er hat aber auch die Kraft gehabt, als Kreuzträger sich im Glauben zu bewähren. Ein Dr. Ramgo veröffentlichte einen Index von Irrthümern in den Schriften Scriver’s, der jedoch wenig Beachtung hat finden können. S. hat dies Unrecht geduldig ertragen. Er ist vier Mal verheirathet gewesen und mußte es doch noch erleben, daß auch die vierte Frau vor ihm in den Tod ging. Ebenso hat ers erleben müssen, daß von den 14 ihm geborenen Kindern nur zwei, ein Sohn und eine Tochter, ihn überlebten. Ueber ihn ist [492] geschrieben: Quod docuit, docuit, quod dixit, idem quoque vixit exemplar vivum dogmatis ipse sui.
- Weinschenk, Scriver’s Leben. Magdeb. 1729. – Moller, Cimbria litt. I, 614. – E. B. Krieg, Scriver’s Lebensbild. Dresden 5. Aufl. – Christmann Nürnberg 1828, Braun Bielefeld 1872 (Tholuck’s Sonntagsbibl. II). – Plath, Evang. Kirchenztg. 1864. – Palmer, Lebensbilder von Erbauungsschriftstellern der lutherischen Kirche 1870, I, 113. – Hagenbach, Evang. Protestantismus, 2. Aufl. 1854, II, 169. – Frank, Geschichte der protestantischen Theologie, München 1865, II, 163. – Piper, Evang. Kalender XVI, 182. – Herzog’s Realencyclopädie, 2. Aufl. XIV, 1. – Schenk, Geschichte der Kanzelberedsamkeit 1841, 92. – Schmidt, Geschichte der Predigt. Gotha 1872, 110. – Rothe, Geschichte der Predigt 1881, 372. – Koch, Geschichte des Kirchenliedes, 3. Aufl. IV, 78. – Klaiber, Evang. Volksbibl. III. – Kurz, Geschichte der deutschen Literatur II, 240. – Zeitschrift für schlesw.-holst. Geschichte XVI, 312.