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ADB:Feuerbach, Anselm von (Jurist)

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Artikel „Feuerbach, Anselm v.“ von Heinrich Marquardsen in: Allgemeine Deutsche Biographie, herausgegeben von der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Band 6 (1877), S. 731–745, Digitale Volltext-Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=ADB:Feuerbach,_Anselm_von_(Jurist)&oldid=- (Version vom 24. Dezember 2024, 18:32 Uhr UTC)
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Band 6 (1877), S. 731–745 (Quelle).
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Feuerbach: Paul Johann Anselm v. F., der Begründer der neuen deutschen Strafrechtswissenschaft, gleich groß als Lehrer, Schriftsteller und Gesetzgeber, wurde am 14. November 1775 zu Hainichen bei Jena, der Heimath der Mutter, geboren; bald darauf siedelte jedoch der Vater Dr. jur. Anselm F. mit seiner Familie nach Frankfurt am Main über, wo er Advocat wurde und der junge Anselm seine Knabenzeit verlebte, die durch die harte Zucht des pedantischen, schrullenhaften Vaters – derselbe erscheint in manchen seiner Züge wie ein Zerrbild des Vaters Goethe – für den hochbegabten, wissensdurstigen, aber fast krankhaft reizbaren Sohn zu einem Martyrium wurde. Der ehrgeizige Jüngling ertrug das Joch nicht länger, und in förmlicher Flucht aus dem Vaterhause kam der kaum Sechzehnjährige abgerissen, verhungert, elend und krank bei den Verwandten seiner Mutter, einer Enkelin des in seiner Zeit berühmten Juristen Samuel Brunnquell, in Jena an (1792). Aber in Jena, wo F. mit kärglicher Unterstützung seiner Verwandten das Studium begann, war damals [732] das Recht nicht mehr die beherrschende Disciplin. Die Kant’sche Philosophie hatte dort ihren Thron aufgeschlagen und Reinhold war der Verkündiger der neuen Lehre. Als sich das Interesse des denkfähigen Theils der Nation an Rosenkreuzern und Goldmachern, an Mystikern, Geistersehern und Schwindlern verzettelte und weder die Religion der Väter, noch die Sitte der Zeitgenossen dem unwürdigen Treiben Zügel anlegten, trat rettend die Kant’sche Welt- und Lebensanschauung auf, und der ehrenfeste Bau seiner Rechts- und Sittenlehre führte Jünglinge und Männer auf den rechten Weg zurück. F. stürzte sich mit jugendlicher Begeisterung ganz in die neue Lehre, und an dem Lehrer Reinhold hing er mit inniger, fast kindiicher Verehrung, wie vielfache Aeußerungen aus damaliger und späterer Zeit beweisen. Und in der That auch an ihm, in seinem Denken sowol als Handeln, hat sich die Kant’sche Schulung bewährt. Weder die Hülflosigkeit der äußeren Lage, noch schwere Krankheit, die ihn heimsuchte, konnte seinen Feuereifer und Wissensdurst bändigen. Schon nach drei Jahren, während der er um des lieben Lebens willen verschiedene Male als Schriftsteller über philosophische Gegenstände aufgetreten war (in Meißner’s Zeitschrift Apollo), ward er zwanzigjährig zum Doctor der Philosophie promovirt. Leider konnte sein schöner Traum, als Docent der Philosophie und ihr ausschließlich gewidmet die Lehren Kant’s und Reinhold’s weiter zu führen, nicht in Erfüllung gehen. Der Vater, zu dem sich ein halbwegs erträgliches Verhältniß wiederhergestellt hatte, drang auf die Ergreifung der Jurisprudenz als praktischen Lebensberuf; er selbst hatte Ehrenpflichten, die eine im jugendlichen Leichtsinn geschlossene Verbindung ihm auferlegte, zu erfüllen. Mit entschlossenem Muthe, wenn auch nach schwerem Kampfe, ward der Doctor der Philosophie Student der Rechte – ein Gebiet, für das er nicht die geringste Neigung empfand. In einem 1820 an seinen ältesten Sohn Anselm geschriebenen Briefe finden sich über diesen Wendepunkt in Feuerbach’s Leben und für das ganze Wesen des Mannes so charakteristische Aeußerungen, daß dieselben auch in einer noch so zusammengedrängten Lebensskizze einen Platz verdienen. Es galt damals den, wie alle Kinder Feuerbach’s, genial angelegten Sohn von dem seinem Naturell gefährlichen, aber seiner damaligen krankhaften Neigung zum Mysticismus sich einschmeichelnden Studium der Theologie abzulenken und für die classische Philologie und Kunstgeschichte, ein Feld, wo der Autor des „Vaticanischen Apollo“ später so hervorragte, zu gewinnen. In diesem Briefe heißt es: „Wie der Gedanke an Pflicht und Nothwendigkeit selbst gegen innere Neigung zu begeistern vermag, wie man selbst in einem unserer Lust gar nicht zusagenden Fache ausgezeichnet werden kann, wenn man nur ernstlich will und es sich etwas Mühe kosten läßt, wenn man nicht blos den Gelüsten nachgeht, sondern vor allem auch durch die ernste Pflicht sich führen läßt, die bald freundlich uns lächelt und für unseren Schweiß uns lohnt – dafür kann ich Dir mein eigenes Beispiel nennen. Die Jurisprudenz war mir von meiner frühesten Jugend an in der Seele zuwider; und auch noch jetzt bin ich von ihr als Wissenschaft nicht angezogen. Auf Geschichte und besonders Philosophie war ausschließend meine Liebe gerichtet. Meine ganze erste Universitätszeit war allein diesen Lieblingen gewidmet. Ich dachte Nichts als sie, glaubte nicht leben zu können ohne sie. Ich hatte schon den philosophischen Doctorgrad genommen, um als Lehrer der Philosophie aufzutreten. Aber siehe – da wurde ich mit Deiner Mutter bekannt. Es galt ein Fach zu ergreifen, das schneller als die Philosophie Amt und Einnahmen bringe. Da wandte ich mich mit raschem, aber festem Entschluß von meiner geliebten Philosophie zur abstoßenden Jurisprudenz. Sie wurde mir bald minder unangenehm, weil ich wußte, daß ich sie liebgewinnen müsse; und so gelang es meiner Unverdrossenheit, meinem durch die bloße Pflicht begeisterten [733] Muth bei verhältnißmäßig beschränkten Talenten, – daß ich schon nach zwei Jahren den Lehrstuhl besteigen, meine Zwangs-, Noth- und Brotwissenschaft durch Schriften bereichern und so einen Standpunkt fassen konnte, von welchem ich rasch zu Ruhm und äußerem Glück mich emporgeschwungen und von der Mitwelt das laute Zeugniß gewonnen habe, daß mein Leben der Menschheit nützlich gewesen ist. Was wäre aus mir geworden, wenn ich blos der Lust und Laune nachgegangen wäre, wenn jedes Hinderniß mich erschreckt und muthlos gemacht, wenn ich dann die Hände in den Schoß gelegt und geweint und gewinselt und auf Gottes Hülfe von außen her gewartet hätte. Gottes Hülfe kommt von der eigenen Kraft und That, zu welcher er uns aufruft durch die innere Stimme, in welcher er stets gegenwärtig sich uns offenbart, durch die heilige Stimme des Gewissens und der Pflicht.“ Gleichviel ob diese Gesinnung angeborene Festigkeit des Charakters oder die Frucht seines philosophischen Standpunkts war – der gepreßte Jünger der Themis fand, wie er selbst hervorhebt, bald den goldenen Boden seines neuen Handwerks. Freilich hatte er auch, ehe seine Habilitation erfolgen konnte, Weib und Kind zu ernähren, aber als Studirender – lernend und lehrend zugleich, trotz seiner mit 50 Thalern unternommenen Heirath den frohen Muth des Schaffens nie verlierend, trat er sehr bald mit seinen juristischen Erstlingsschriften auf dieselbe hohe Stufe, welche auf seine ersten philosophischen die allgemeine Aufmerksamkeit gelenkt hatte. Unter den letzteren ragt namentlich die Abhandlung „Kritik des natürlichen Rechts als Propädeutik zu einer Wissenschaft des natürlichen Rechts“ (1796) durch Formvollendung und die scharfe grundsätzliche Scheidung zwischen Moral- und Rechtsgebiet hervor, wodurch allein schon ein Wendepunkt in der Wissenschaft von Recht und Staat bezeichnet wird, dessen Anzweifelung erst neuerdings in der sogenannten ethischen Volkswirthschaftslehre unglücklich genug versucht worden ist. Wenn die gedachte Schrift gleichsam seinen Uebergang von der Philosophie zur Rechtswissenschaft vorbereitete, behandelte er schon in seiner juristischen Inauguraldissertation „De causis mitigandi ex capite impeditae libertatis“ eine der schwierigsten und bis dahin vernachlässigten Einzellehren seiner neuen Wissenschaft. Zwei weitere Schriften: „Ueber die Grenzen der höchsten Gewalt“, eine Polemik gegen die Hobbes’sche Theorie, und seine „Philosophisch-juristische Untersuchung über das Verbrechen des Hochverraths“ bewiesen, daß es ihm, wie er seinem Vater in Aussicht gestellt, „ein Leichtes gewesen, bald in der Jurisprudenz das zu werden, was er in der Philosophie geworden“. Das J. 1799, in welchem F. sich habilitirte, ist gleichfalls der Zeitpunkt, wo sein Epoche machendes, wie man mit Recht gesagt hat, den Wendepunkt der ganzen deutschen Strafrechtswissenschaft begründendes Werk „Revision der Grundsätze und Grundbegriffe des positiven peinlichen Rechts“ erschien. Im ersten Jahre des Jahrhunderts folgte der zweite Theil desselben Werkes und 1801 das weltberühmte „Lehrbuch des peinlichen Rechts“, das ein halbes Jahrhundert hindurch die Theorie und Praxis beherrscht hat. Neben diesen eminenten schriftstellerischen Leistungen war auch seine akademische Thätigkeit ebenso energisch und von bunter Vielseitigkeit. Das heute vorwaltende Princip der Arbeitstheilung in der Wissenschaft war damals noch nicht maßgebend und F. hielt Vorlesungen über Theorie und Praxis, Civilrecht, Staatsrecht und Strafrecht. Rasche Anerkennung blieb nicht aus; die Ernennung zum außerordentlichen Professor, die Designation zur Professur des Lehnrechts – eine Sinecure ohne Arbeit, aber leider auch ohne Gehalt – war alles, was Jena zunächst bieten konnte, allein substantieller waren Anfragen und Anträge von Erlangen und Landshut. F. hatte erwartet, zum ordentlichen Professor der Institutionen in Jena ernannt zu werden, diese Stelle erhielt jedoch Thibaut, damals in Kiel, der dann F. als seinen Nachfolger an der schleswig-holsteinischen [734] Landesuniversität vorschlug. Da, wie F. seinem Vater schrieb und hier als die damalige ökonomische Lage deutscher Professoren bezeichnend erwähnenswerth ist, die „Nutritoren“ Jena’s ihm nur 150 Thaler Jahresgehalt geben konnten oder wollten, nahm er den Ruf nach Kiel als ordentlicher Professor der Rechte und Syndicus der Universität an und siedelte Ostern 1802 dahin über. Eine Schwäche des genialen Mannes, sich durch äußeren Eindruck rasch bestimmen und verstimmen zu lassen, tritt schon in dem raschen Wechsel der anfänglichen Lobeserhebungen und der späteren abfälligen Urtheile über Land und Leute des neuen Aufenthaltes hervor. Bereitwillig folgte er bei dieser Stimmung einem Ruf als kurpfalzbaierischer Hofrath und Professor nach Landshut, nachdem er, wie er selbst bekennt, während des zweijährigen Aufenthaltes in Kiel bei der Ausarbeitung neuer Vorlesungen über Institutionen, Pandekten und Hermeneutik des Rechts, Civilrecht eigentlich erst gelernt hatte. In Baiern hatte man einen besonderen Grund gehabt, auf F. aufmerksam zu werden, da er den Kleinschrod’schen Entwurf eines Strafgesetzbuchs für die „kurpfalzbaierischen Staaten“ – so voll nahm man damals den Mund – einer genialen und gründlichen Kritik unterzogen hatte, nicht ohne zugleich anzudeuten, wie man es besser mache und welches die richtigen Anforderungen an den Gesetzgeber seien. Noch heutzutage sind die darin aufgestellten Lehren der Gesetzgebungspolitik classisch zu nennen, und es war eine gerechte Anerkennung, daß F. schon gleich nach seiner Ankunft in Landshut den Regierungsauftrag zur Ausarbeitung eines selbständigen Entwurfs erhielt. In Landshut war freilich auch seines Bleibens nicht lange. Uebelgesinnte neidische Collegen, an ihrer Spitze der begabte, aber charakterlose Gönner, der Gegensatz von Katholik und Protestant in einem Landestheil, wo bis zum Regierungsantritt des späteren Königs Max I. wie in Tirol der Ruhm der Glaubenseinheit strahlte, und der sich mit dem weiteren von Einheimischen und Fremden, wie noch einmal in einer späteren baierischen Epoche, verband, verleideten einem Manne wie F., der bis zur Krankhaftigkeit ehrgeizig und reizbar war, jedes unfreundliche Begegnen alsbald als Symptom des schwärzesten Hasses ansah und für die kleinen Nadelstiche und Widerwärtigkeiten jeder öffentlichen Stellung eine Empfindlichkeit bis aufs Mark zeigte, die Landshuter Umgebung sehr rasch. Wer schon bald nach der Ankunft daselbst schreiben konnte: „Die Verhältnisse der Professoren hier sind Verhältnisse von Teufeln, beinahe im eigentlichen Verstande, bei denen Roheit, Sittenlosigkeit, höllische Bosheit, Abgefeimtheit, Niederträchtigkeit, Gemeinheit vorwalten“, war selbst schwerlich immer Herr seines Temperaments. Bald kam es zwischen F. und Gönner zu einem gesellschaftlichen Zweikampf, der dadurch zum akademischen Skandal wurde, daß Gönner durch einen seiner Schüler bei einer Disputation die Feuerbach’schen Grundlehren lächerlich zu machen suchte. F. war in seiner Ehre so tief gekränkt, daß er auf der Stelle fort wollte, gleichviel wohin, doch gelang es dem freundlichen Zuspruche Friedrich Heinrich Jacobi’s, eines wie er nach Baiern „Berufenen“, ihn diesem Lande zu erhalten. Schon bei dem Auftrage, einen Strafgesetzentwurf auszuarbeiten, war ihm eine Thätigkeit im Justizministerium in Aussicht gestellt worden, jetzt Ende 1805 sagte er dem Lehrstuhl dauernd Lebewohl, um als Geheimer Referendar in die praktische Thätigkeit des Gesetzgebers überzutreten. Für den jetzt bald „königlichen“ Justizministerialbeamten gab es Arbeit genug. Zu der Abfassung des neuen Criminalgesetzbuchs kamen die Vorarbeiten für eine Nachbildung des Code civil, welche das ganze Königreich umfassen und der Zersplitterung des Civilrechts, an der Baiern heute noch mehr wie ein anderes deutsches Land krankt, ein Ende machen sollte, die Uebergangsgesetze für die vielen neuerworbenen Landestheile, die Entwerfung einer „Reichsconstitution“ für das Königreich, und als Vorarbeit und Quelle [735] für seine später herausgegebenen „Merkwürdigen Criminalrechtsfälle“ der Vortrag in der Gnadeninstanz bei dem König. Bemerkenswerth ist, daß F. die Ehre zu Theil wurde, das Gesetz über die Aufhebung der Tortur in Baiern – freilich erst 1806! – auszuarbeiten. Der gute König Max Joseph I. glaubte damit dem Verbrechen Thür und Thor geöffnet, wenn er auch der besseren Ueberzeugung seines Geh. Referendars nachgab; dagegen mußte dieser darauf eingehen, daß das betreffende Edict vom 7. Juli 1806 nicht öffentlich bekannt gemacht, sondern nur den Gerichten unter der Hand zur Befolgung mitgetheilt wurde. Der wohlwollende Monarch ließ es seinerseits weder an Ehren noch an Belohnungen (F. wurde 1806 ordentliches Mitglied des Justizministeriums, 1808 Geheimer Rath, später 1825 Staatsrath) fehlen, aber auch hier verdarben die sonstige Umgebung und Feuerbach’s eigenes Temperament ihm die lautersten Früchte eines männlichen Strebens in einer friedlichen Häuslichkeit und einem treuen Freundeskreise. Der Kampf entgegengesetzter politischer und kirchlicher Richtungen, der schon in Landshut getobt, nahm in der Hauptstadt München einen noch schrofferen Charakter an. Es war die Zeit des Ministeriums Montgelas, der Anklagen und Denunciationen Aretin’s, und während F. im baierischen Staatsrathe als Demokrat angesehen wurde, weil er – wenn der Code civil im wesentlichen eingeführt werden sollte – auf Beibehaltung seiner Person und Eigenthum von den Fesseln des Feudalstaats freimachenden Grundprincipien bestand, mußte er sich mit den übrigen hervorragenden Protestanten in Baiern der politischen Conspiration mit Oesterreich und dem Erzherzog Karl zeihen lassen. Dazu kam der politische Druck der Napoleonischen Herrschaft, der in den Rheinbundsstaaten kaum weniger fühlbar war, als in den förmlich französischen Provinzen, und F. war nach der ersten Jugendbegeisterung ein überzeugter Gegner des neuen Weltherrschers geworden. Um das Maß des Uebels vollzumachen, ward noch Gönner, der alte Gegner Feuerbach’s, ins Ministerium gerufen und unter anderem mit der Begutachtung und Oberprüfung des Feuerbach’schen Strafgesetzentwurfs betraut. Trotzdem und wenn auch, wie er selbst einmal klagt, „seine schönsten Ideen im Geheimen Rathe zu Boden fielen“, – ist doch das 1813 publicirte „Strafgesetzbuch für das Königreich Baiern“, besonders in seinem ersten, das materielle Strafrecht behandelnden Theile, – Feuerbach’s eigenstes Werk. Ihn selbst, der dem Vaterland mit der ganzen Feuergluth seines Wesens anhing, ergriff damals mächtig das Weltschauspiel des deutschen Befreiungskampfes, wie er in den ersten Schlachten des J. 1813 begann. Aber Baiern war noch an den Imperator gekettet und selbst als sich das französische Bündniß zu lockern begann, waren am Hofe und in den Ministerien Einflüsse beherrschend, welche vom deutschen Freiheitssiege Alles befürchteten. In diese schwüle Stimmung, wo kaum der Vertrag von Ried geschlossen worden, kaum die Schlacht bei Leipzig, die man aber in Baiern nicht feiern durfte, geschlagen war, schmetterte F. seine herrliche Flugschrift „Ueber die Unterdrückung und Wiederbefreiung Europa’s“, die nur durch eine Ueberlistung der Censur das Licht der Welt erblickte, aber in um so weiteren Kreisen zündete. Wer diesen Feuerbach’schen Appell an unser Volk mit den übrigen litterarischen Erzeugnissen des Freiheitskampfes vergleicht, findet darin nichts von dem manchmal fast cynisch auftretenden Nationalhaß gegen das französische Volk, wie er aus langen Jahren unsäglichen Druckes und frevelhafter Herabwürdigung geboren war. Mit dem deutschen Patrioten, der über das befreite Vaterland jubelt, geht der ernste Denker Hand in Hand, der in nichts desto weniger hinreißender und begeisternder Sprache die Versündigung des Napoleonischen Regiments an der Menschennatur und dem Wohle aller Nationen brandmarkt. Niemals vergißt F. darauf hinzuweisen, wie diese Weltherrschaft vor allem durch die Mißstände und die [736] Verknöcherung des alten Systems ermöglicht wurde. Die mittelalterlichen Gefühlsphantastereien so mancher würdiger Vorkämpfer der Befreiungszeit fanden bei ihm keine Stätte, der seine Schrift mit den Worten schließt: „Die Gegenwart mit ihren Erscheinungen verkündigt nicht eine Rückkehr zur alten Zeit, sondern nur die Fortsetzung und Entwicklung einer schon lange begonnenen neuen Zeit.“ Feuerbach’s Auftreten wurde, wie die Dinge noch lagen, begreiflicher Weise höheren Ortes übel vermerkt und seine Entfernung von München war schon beschlossene Sache, als er nach der Einnahme von Paris eine zweite und dritte Flugschrift aussandte: „Die Weltherrschaft ein Grab der Menschheit“, – eine vortreffliche Erläuterung dieses Satzes – und etwas später „Ueber teutsche Freiheit und Vertretung teutscher Völker durch Landstände“, bestimmt auf den Wiener Congreß einzuwirken und besonders ausgezeichnet durch die glänzende Widerlegung jener falschen Souveränetätslehre, wie sie die Rheinbundsfürsten zum Theil gegen ihre Unterthanen praktisch gemacht, um in der eigenen Tyrannei die eigene Knechtschaft unter dem Fremdherrscher vergessen zu lassen. Bald darauf wurde F. als zweiter Präsident des Appellationsgerichts nach Bamberg – wie er selbst sagt, in ein glänzendes Exil versetzt. Auch hier gab es wieder unangenehme Händel, da seine Stellung nicht bis ins Einzelne geregelt war und der gekränkte Mann sich nicht in der Stimmung befand, auch nur anscheinendes oder geringfügiges Unrecht über sich ergehen zu lassen. 1816 fand er endlich als wirklicher Präsident des Appellationsgerichts zu Ansbach einen verhältnißmäßig friedlichen Hafen für seine Thätigkeit, und schon die Eröffnungsrede, womit er sich bei dem Gerichtshof einführte, ist in der Form ebenso musterhaft, als sie im Inhalt den höchsten Anforderungen entspricht und in ihrer Darlegung der hohen Pflichten des Richteramts für alle Zeiten mustergültig bleiben wird. Hier wirkte er in der Fülle seiner Geistesgaben, umgeben von seinen aufblühenden alle geistig hervorragenden Söhnen und mit regem Antheil an allem, was in Baiern und Deutschland vor sich ging, worunter freilich in der nächsten Zeit des Erfreulichen nicht viel war. In dem durch Savigny’s berühmte Schrift hervorgerufenen Streit über den Beruf unserer Zeit zur Gesetzgebung stand der Verfasser des baierischen Strafgesetzbuchs selbstverständlich nicht bei den Ungläubigen und Zweiflern. Seine darüber 1816 erschienene Schrift schlägt den Gegner mit dessen eigenen Waffen, indem sie nachweist, auf welchen Wegen und durch welche Kräfte das römische Recht zu seiner Vollendung gelangt ist. Es heißt da u. a.: „Auch in Rom waren es nicht Theoretiker, am wenigsten historische Rechtsgelehrte im Sinne einer deutschen Schule, sondern vom Geiste der Philosophie beseelte, mit scharfem Weltverstand gerüstete, an den Brüsten der Erfahrung genährte, in der Uebung des thätigen Lebens gewandte Staats- und Geschäftsmänner, welche den Bau ausgeführt, der, wiewol er nicht für uns entworfen, folglich für uns nicht durchaus bequem und wohnlich ist, doch stets ein Gegenstand höchster Achtung und Bewunderung bleiben wird.“ Mit Recht hebt ein neuerer Schriftsteller hervor, daß es fast wie Ironie klingt, wenn Savigny einer Zeit den Beruf zur Gesetzgebung absprach, „wo das größte legislatorische Talent, das Deutschland je besessen, mitten in kräftigster Wirksamkeit stand“. Feuerbach’s Briefe aus dieser Periode, besonders an Tiedge und Elise v. d. Recke, mit denen er in einem fast schwärmerisch zu nennenden Freundschaftsbunde stand, sowie verschiedene oft von der glücklichsten Satire und dem treffendsten Humor eingegebene, dann wieder mit der ganzen Wucht heiligen Ernstes wirkende Schriften und Aufsätze beweisen, wie sehr F. an den Kämpfen gegen das baierische Concordat und die beabsichtigte Verconsistorialisirung der protestantischen Kirchenverfassung in Baiern lebendigen Antheil nahm; so ist er z. B. Verfasser der „Darstellung der Religionsbeschwerden der Protestanten in Baiern im J. 1822“. [737] Durch die neuesten kirchlichen Wirren und das Vorgehen der Curie sind die Einzelheiten dieser Bewegung der Gegenwart wieder näher getreten, aber nirgendwo findet man schneidigere Waffen gegen die Anmaßungen des Priesterthums beider Bekenntnisse als in diesen Feuerbach’schen Schriften. Wie mächtig und gewandt er die Geißel der Satire zu schwingen verstand, beweist u. a. die „Unterthänige Bitte und Vorstellung der gefangenen Gerechtigkeit an eine hohe Ständeversammlung zu Y.“ aus dem J. 1819. Den darin vertretenen Forderungen der Oeffentlichkeit und Mündlichkeit widmete er 1821 die gleichnamige größere Schrift, das Beste, was zu Gunsten dieser beiden Grundpfeiler einer gesunden Rechtspflege je geschrieben worden ist, und eine im gleichen Jahr im Auftrag der Regierung unternommene Reise nach Frankreich hatte als Frucht das 1825 erschienene Werk „Ueber die Gerichtsverfassung und das praktische Verfahren Frankreichs“, nachdem er schon 1812 eine wichtige Einzelinstitution daraus, das Geschwornengericht, in der Schrift „Betrachtungen über das Geschwornengericht“ scharfsinnig gewürdigt hatte. An dem Fonk’schen Processe, welcher bald darauf ganz Deutschland in Spannung hielt, und an den sich das Schicksal des Geschworneninstituts im Rheinland knüpfen zu sollen schien, nahm auch F. das regste Interesse. Noch heute ist das Räthsel nicht gelöst und Jedem steht es frei, sich entweder für die übereinstimmenden zwei Verdicte der Geschwornen, welche den Kaufmann Fonk und seinen Küfer Hamacher des Meuchelmords schuldig fanden, oder für die königl. Cabinetsordre, welche beide freisprach, zu entscheiden. F., wenn er auch nicht in der zur Bibliothek sich thürmenden Litteratur des Processes Fonk erscheint, sprach sich lebhaft für die Unschuld des Verurtheilten aus; seitdem ist die entgegengesetzte Ueberzeugung die überwiegende geworden. Viel unmittelbarer an ihn herantretend und ein förmliches Ereigniß in seinem eigenen Leben war das Mysterium von Kaspar Hauser, welches in seiner ersten Scene in dem benachbarten Nürnberg ans Licht trat und in Ansbach selbst mit dem räthselhaften Tode des Fremdlings in Nacht zurücksank. In einer besonderen Schrift „Kaspar Hauser, Beispiel eines Verbrechens am Seelenleben“, 1832, suchte er dem Gegenstande eine eigenthümliche rechtliche Seite abzugewinnen, während er in einem Memoire für die Königin Karoline von Baiern die Theorie, welche er als Schlüssel zum thatsächlichen Räthsel aufgestellt hat, am vollständigsten entwickelt (das Memoire ist abgedruckt in „Feuerbach’s Leben und Wirken“, II. Bd. 319 ff.). Mit wie viel Scharfsinn auch darin der Nachweis versucht wird, daß Hauser der rechtmäßige Thronerbe Badens gewesen, so liegt doch glaubhafte Kunde dafür vor, daß F. selbst in dem Glauben an diesen Zusammenhang erschüttert worden war. Die jüngsten amtlichen rückhaltlosen Veröffentlichungen der badischen Regierung, hervorgerufen durch das von Zeit zu Zeit wiederkehrende Auftauchen der alten Sage, haben den vollen Ungrund und die thatsächliche Unmöglichkeit des von F. und Anderen angenommenen Zusammenhangs dargethan, aber wer Kaspar Hauser und woher er war, bleibt auch heute noch eine unbeantwortete Frage. Um so entschiedener muß man den geradezu frevelhaften Versuch zurückweisen, der leider in neuester Zeit gemacht worden ist, F. in dieser Frage als den wider besseres Wissen schreibenden gedungenen Schergen der baierischen Begehrlichkeit nach dem Lande Baden hinzustellen. Jede Ader, jeder Zug in Wesen und Charakter des Mannes widerspricht und widerlegt eine solche schmachvolle Verleumdung seines Andenkens. Es ist die Umkehr der anderen Beschuldigung, wonach F. wegen seiner Aufdeckung des von ihm geistreich und scharfsinnig, wie in all’ seinen Arbeiten, entwickelten Zusammenhangs durch Mörderhand gefallen sein sollte. Leider trat der Anlaß zu diesem Gerüchte nur allzubald ein. Der Körper Feuerbach’s hatte schon früh Anzeichen gegeben, daß [738] der Feuerstrom der Leidenschaft und des Schaffensdrangs in ihm das Bette zu sprengen drohte und die gewaltige Aufregung, in welche das Geschick Hauser’s F. versetzte und fortwährend erhielt, wirkte rasch verzehrend – und in diesem Sinne ist etwas Wahres an jenem Gerüchte – an seinen Lebenskräften. Vorher war es ihm jedoch noch vergönnt gewesen, in der fast völlig neuen Bearbeitung der „Merkwürdigen Criminalfälle“, die als actenmäßige Darstellung merkwürdiger Verbrechen (1828–29, 2 Bde.) erschienen, sein Lieblingswerk abzuschließen. Leider ging sein in den Schlußworten der Vorrede geäußerter Wunsch, „daß ihm bei hinreichender Muße die wohlthätigste der Gracien gewogen bleibe, welche dem Geiste gewährt, was ihr Name verheißt: Euphrosyne“, nicht ganz in Erfüllung. Körperleiden schwerer Art hinderten die Arbeitskraft, wenn sie auch den Arbeitsdrang nicht bändigten. Den allzufrühen Abend seines allem Guten und Großen gewidmeten Lebens erheiterte noch neben manchen schmerzlichen Familienerlebnissen die Wahrnehmung, daß alle seine Söhne (es waren fünf; außerdem drei Töchter) den Stempel der väterlichen Begabung trugen und zu hervorragenden Leistungen auf den verschiedenen Gebieten der Wissenschaft heranreiften. Er selbst schreibt im März 1833 an seine in Frankfurt wohnende Schwester: „Eigentliche Geistesarbeiten, wozu man die Feder braucht, kann ich gar nicht mehr verrichten, bin also, wie Du mich kennst, schon ein halb todter Mann!“ Schon früher wird in dem Briefwechsel, sogar mit seinen Kindern, die zierliche feste Handschrift des Vaters durch die geistlose Formrichtigkeit des Schreibers ersetzt, und eine krampfhaft hingezuckte Chiffre vertritt die Stelle des „von Feuerbach“, wie es stattlich und selbstbewußt in den früheren Briefen erscheint. Ein Besuch in seiner Vaterstadt Frankfurt schien noch einmal die alte Lebenskraft wachzurufen, aber es war der Sonnenglanz vor dem Untergehen. Am 29. Mai 1833 machte dort ein wiederholter Schlaganfall seiner irdischen Laufbahn ein Ende und dieser plötzliche Tod gab besonders den obenerwähnten Gerüchten Anlaß und Nahrung. Er selbst wußte, daß sein Ende nahe, wollte aber – so lautet die Familientradition – in einer eigenthümlichen Version des Ne ossa quidem „den Ansbachern nicht das Vergnügen einer Präsidentenleiche gönnen“. So schläft er denn in der Heimath seiner Kinderjahre den ewigen Schlaf.

Es erübrigt noch ein gedrängter Ueberblick auf die schriftstellerischen Hauptleistungen dieses früchtereichen Lebens, denn trotz seiner hohen Bedeutung als akademischer Lehrer, Staatsmann und Richter sind es doch vor allem die schriftstellerischen Werke Feuerbach’s (er schreibt selber einmal scherzend: „Das Büchermachen liegt einmal so sehr in meiner Natur, wie das Schnurren in der Natur einer Katzenseele!“), welche ihn den ersten Namen nicht blos seiner, sondern aller Zeiten zugesellen und ihm den Nachruhm bereiteten, nach dem schon der Jüngling dürstete, als er das Taciteische „Mors omnibus ex natura aequalis. oblivione apud posteros vel gloria distinguitur“ in sein Tagebuch schrieb. Ein Grundzug seiner Werke ist die Formvollendung, welche schon in den Erstlingsarbeiten auftritt und ihn in der That unter die besten Prosaisten unserer Muttersprache stellt; für die damalige Zeit, wo fachwissenschaftliche, namentlich juristische Schriften dann für besonders gelungen galten, wenn sie in dem verschlungenen lateinischen Periodenbau halb erstickten, ein erstaunenswerther Fortschritt. Von Feuerbach’s Werken ist in der That wahr, daß sie goldene Früchte in silbernen Schalen bieten. Um den Umschwung und die Fortschritte zu verstehen, welche Feuerbach’s bahnbrechenden, an der Scheide des vorigen und dieses Jahrhunderts erschienenen Schriften, die „Revision der Grundsätze und Grundbegriffe des positiven peinlichen Rechts“ und das „Lehrbuch des gemeinen in Deutschland geltenden peinlichen Rechts“ (letzteres seitdem bis zum J. 1847 in 14 Auflagen verbreitet), hervorriefen, müßte eigentlich ein volleres Bild von dem Zustand [739] des deutschen Strafrechts in Theorie und Praxis unmittelbar vor Feuerbach’s Auftreten gegeben werden, wenn es der Raum gestattete. Aus einer früheren Arbeit ist die nachfolgende gedrängte Darstellung entnommen.

Die Carolina, das ehemalige Reichsgesetz Karls V., hatte aufgehört respectirt zuwerden und konnte aus manchen Gründen auf fernere Beachtung keinen Anspruch machen. Was im J. 1532 gegenüber der Willkür und Gewaltthätigkeit des entarteten deutschen Verfahrens ein nicht hoch genug zu schätzendes Gut gewesen war, hatte sich im Laufe der Zeit und im Fortschritt der Jahrhunderte überlebt und war die Quelle ähnlicher Uebel geworden, wie man durch sie hatte abwehren wollen. Mit der Erlassung der peinlichen Gerichtsordnung Karls V. schien die Reichsgesetzgebung für das Strafrecht ihre Kraft erschöpft zu haben und überließ nun das Feld den Einzelgewohnheiten in den verschiedenen deutschen Territorien oder jener halbrömischen, halbitalienischen Doctrin, als deren vorzüglichster Vertreter in Deutschland Carpzov erscheint. Mochte auch der Genannte nicht ohne wissenschaftliches Streben sein, so bildete sich doch nach ihm eine Praxis, welche rein auf die Worte des Meisters schwur, der denn allerdings in seinen Werken fast für jeden Fall ein Recept, d. h. einen Präcedenzfall gebracht hatte. Wenig half es, daß im Anfang des 18. Jahrh. ein frischerer wissenschaftlicher Geist in die Behandlung des römischen Rechtes kam, das Strafrecht wurde davon fast gar nicht berührt, nur daß in der Auslegung der römischen Stellen nicht dieselben oft grotesken Mißgriffe der älteren Zeit gemacht wurden. Den Charakter der Rechtsprechung im 18. Jahrh. bilden hauptsächlich zwei Momente: die völlige Ungebundenheit des Richters dem Gesetz gegenüber und die völlige Vermischung des Richteramts und der Verwaltungsthätigkeit. Ihren letzten Grund hatten diese beiden Gegensätze einer gesunden Strafrechtspflege in der Rechtslosigkeit des Individuums im Staate. Hatte auch die beginnende Rechtsphilosophie von Hugo Grotius an gegen diese Hülflosigkeit des Einzelnen sich erhoben, so kam in Deutschland im Strafrecht und besonders im Kampf um die Folter erst durch Thomasius eine gewisse Wucht in den Angriff auf die schreiendsten Mißbräuche. Zur allgemeinen Anerkennung und sozusagen zur Modesache ward der Kampf gegen die Härte der Gesetze und der nach ihnen gebildeten Praxis erst, nachdem in Italien und Frankreich Beccaria und Voltaire dem alten Criminalproceß selbst den Proceß gemacht. Was das deutsche Strafrecht von den Verhältnissen in den obengenannten Ländern durchaus unterschied, war das seit Jahrhunderten beinahe bis zur Lahmlegung jeder anderen richterlichen Thätigkeit herkömmliche Rechtsprechen durch die Juristenfacultäten. Daß diese Einrichtung vielfach gute Seiten hatte, wird die Geschichte nie verkennen; sie bot bei den vielen kleinen Territorien Deutschlands ein verhältnißmäßiges Schutzmittel gegen Cabinetsjustiz und hielt, trotzdem daß die Meinungen manchmal auseinander gingen, doch gewisse gemeinschaftliche Grundanschauungen fest. Doch zerbröckelten diese wieder, wenn es auf die Strafbestimmung ankam, fast völlig, und selbst in den geschlossenen Territorien galten völlig verschiedenlautende Strafgesetze bunt durcheinander. F. selbst gibt davon in einem 1807 erstatteten amtlichen Vortrage folgendes Bild: „In einer einzigen Provinz Baierns, Schwaben, gilt außer neueren Gesetzen neben der Gerichtsordnung Karls V. aus dem 16. Jahrh., das baierische Gesetzbuch aus der zweiten Hälfte des 18. und zugleich das milde österreichische aus dem Anfang des 19. Jahrh. Da gibt es Gerichte, die oft in dem Fall sind, heute einen Verbrecher zum Tode verurtheilen zu müssen, während sie morgen einem andern wegen ganz derselben That ebenso gesetzmäßig das Zuchthaus auf einige Jahre zuerkennen. Mit den Meilenzeigern wechselt die Strafbarkeit der Handlungen. In Schwaben [740] allein entscheidet oft der Ortsunterschied von einer Viertelstunde, ob ein Verbrecher nach der Carolina enthauptet oder gerädert oder nach dem Gesetzbuch Franz II. auf einige Jahre mit dem Verlust der Freiheit bestraft werden soll.“ Dagegen wurden nun auch, als in der Mitte des Jahrhunderts die unmöglichen Verbrechen, die alten barbarischen Strafen und die Grausamkeiten des Strafprocesses vor das öffentliche Gericht gezogen wurden, die Gesetze nirgends so gründlich mißachtet und unter Umgehung der älteren gesetzlichen Strafen an ihre Stelle so viele Disciplinar- und Sicherheitsmittel gesetzt, und zwar alles im Namen der Humanität und von seiten des freien richterlichen Ermessens, als gerade in Deutschland, wo sich die Juristenfacultäten in einer großen Unabhängigkeit von den meisten Gebieten, für welche sie Recht sprachen, befanden und der Kappzaum einer letzten höchsten Instanz sie nicht beschränkte. Man berief sich bei der Nichtanwendung des alten Gesetzesrechts auf den „Geist der Zeit“, der freilich der Herren eigener und somit höchst verschiedener Geist war. Höchstens daß die platte Geistlosigkeit eines Werkes, wie das Quistorp’sche, der Praxis noch einen gewissen äußeren Halt gab. Männer von besserem wissenschaftlichem Streben, wie Klein und Kleinschrod, suchten vergeblich in die humane Anarchie des gemeinen Rechts Ordnung zu bringen und wandten sich deshalb den Bestrebungen zu, welche in den größeren Staaten Oesterreich, Preußen, Baiern für eine neue selbständige Strafgesetzgebung sich regten. Gegen diese Zerfahrenheit in Theorie und Praxis traten mit den Vollbewußtsein des eigenen Könnens, wie sie das Jugendalter hegt, Feuerbach und Grolman auf. Trennten sie sich auch in der Rechtsbegründung der Strafe weit von einander, so war ihnen doch der Drang nach einer solchen wissenschaftlichen Beantwortung der Frage, mit welchem Recht der Staat strafe, und was ihrer rechtlichen Natur nach die Strafe sei, und nicht minder die Ueberzeugung von der Verwerflichkeit des bisherigen Zustandes richterlicher Willkür und Gesetzlosigkeit gemeinsam. Die schon angeführte „Revision der Grundbegriffe“ war die Hauptwaffe des Feuerbach’schen Angriffs gegen das Hergebrachte; in seinem „Lehrbuch“ trat zuerst völlig abgeschlossen seine eigenthümliche Strafrechtstheorie zu Tage. Die größte Errungenschaft jenes ersten Kampfes ist die seitdem nicht mehr bestrittene Forderung, daß ein Strafgesetz der Strafanwendung vorausgehen müsse – nullum crimen, nulla poena sine lege. Damit ist der Beruf des Gesetzgebers von dem des Richters ein für allemal geschieden und Rechtssicherheit statt Willkür auf dem Gebiete des Strafrechts heimisch geworden.

Da in den Werken Feuerbach’s der ganze Mann sich abspiegelt, mag hier noch des innigen Freundschaftsverhältnisses, welches die beiden Rivalen F. und Grolman zeitlebens verband, gedacht werden, das F. so schön dadurch zum Ausdruck brachte, daß er neben v. Almendingen Grolman sein Lehrbuch mit dem Motto widmete: „Ἀγαθὴ ἔρις, quum invicem se mutuis exhortationibus amici ad amorem veritatis exacuunt“, und nach zwanzig Jahren in einer nochmaligen Widmung besiegelte: – „Darum achteten wir uns, während wir in Kampfeslust brennend, als gelte es Sieg oder Tod, mit Jünglingskräften wie mit Jünglingshoffnungen an einander versuchten; und schieden endlich, Freundschaft im Herzen, aus dem unentschiedenen Streit – jeder seine Straße ziehend, doch beide zu dem Einen Ziele, welches heißt: das Wahre, Rechte und Gute.“ Die Feuerbach’sche Strafrechtstheorie, d. h. seine Beantwortung der Frage nach dem Grund und Zweck der Strafe, welche Theorie, wenn sie jetzt auch nur als glänzender Irrthum gilt, längere Zeit die unseres Jahrhunderts ward, neben der alle anderen, auch die seines ebenbürtigen Nebenbuhlers Grolman, die sogen. Sicherungstheorie, als Sectenmeinungen erschienen, bis überhaupt den relativen Theorien, welche die Strafe durch einen außerhalb ihrer selbst liegenden Zweck rechtfertigen, in den neueren Phasen der absoluten Theorie eine geistesgewaltige [741] Gegnerschaft erwuchs, wird die Androhungstheorie genannt, weil in der That die Drohung des Strafgesetzes mit der Strafe nach ihm den Rechtsgrund des Strafens abgibt. F. führt aus, daß der Staat das friedliche Zusammenleben der Menschen gewährleisten soll. Rechtsverletzungen dürfen, als dem Staatszweck widersprechend, in ihm nicht vorkommen und Zwangsmittel zu ihrer Abwehr sind deshalb gerechtfertigt. Zunächst thut dies der physische Zwang, der ihnen zuvorkommt, oder bei ersetzlichen Gütern den Schuldigen zum Ersatz nöthigt. Aber dieser physische Zwang genügt nicht, da weder die Rechtsverletzungen stets vorher gewußt werden, noch der spätere Ersatz überall möglich ist. Hier tritt eine andere Art des Zwanges ein, welcher der Rechtsverletzung vorhergeht und in jedem einzelnen Falle wirksam ist, – der psychologische Zwang. Da alle Rechtsverletzungen ihren psychologischen Entstehungsgrund in der Vorstellung von der sinnlichen Lust, welche sie befriedigen sollen, haben, so kann dieser sinnliche Antrieb dadurch aufgehoben werden, daß Jeder weiß, an eine bestimmte Rechtsverletzung werde sich ein größeres Maß von sinnlicher Unlust, von sinnlichem Uebel knüpfen, als die Unlust ist, die aus dem unbefriedigten Antrieb zur Verbrechensthat entspringt. Ein solches nach den verschiedenen Verbrechensreizen demgemäß proportionirtes Uebel – die Strafe – droht der Staat in seinem Strafgesetzbuch an. Damit jedoch diese Drohung auch wirklich Eindruck mache, muß sich für die Fälle, daß die Verbrechenshandlung dennoch verübt wurde, die Vollstreckung der Strafe als die Verwirklichung der Drohung an diese knüpfen. Gestraft wird, weil gedroht worden; gedroht, damit abgeschreckt werde. – Diese Theorie steht zunächst in engem Zusammenhange mit der Feuerbach’schen Abneigung gegen die Gesetzlosigkeit und Richterwillkür seiner Zeit, in keiner anderen spielt das sich bestimmt und fest ausdrückende Strafgesetz eine so hervorragende Rolle. Allein wenn er soweit einer Neigung der damaligen Praxis entgegentrat, war seine Auseinandersetzung doch in der That nur eine Verfeinerung der hergebrachten und dem gewöhnlichen Menschen fast angeborenen Auffassung der Strafe als Abschreckungsmittel, nur daß die Abschreckung durch die Strafvollstreckung hier durch die Einschiebung des Gesetzes und seiner Drohung in den Hintergrund gedrängt wird. Aber so wenig haltbar die Feuerbach’sche Theorie an sich ist, indem schon ihr Ausgangspunkt, daß der angehende Verbrecher einen Calcül und Vergleich zwischen den beiden Arten der Unlust anstellt, durch die Wirklichkeit widerlegt wird, und die Höhe der Strafe im umgekehrten Verhältniß zur inneren Verschuldung stehen muß – die Strafen können nach Feuerbach’s Voraussetzungen nie zu hart sein – hat sie gerade durch ihre Forderung einer bestimmten voraufgegangenen Strafandrohung die heilsamste Reform im deutschen Strafrecht seit der Carolina herbeigeführt und den Beruf des Gesetzgebers und Richters ebenso scharf von einander geschieden, wie jene erwähnte philosophische Arbeit die Gebiete des Rechts und der Sittenlehre zu scheiden wußte. Das „Lehrbuch des peinlichen Rechts“, welches diese Theorie enthielt, wirkte außerdem durch die edle Einfachheit seiner Sprache, wie sie bis dahin noch nicht in Fachschriften gehört worden war (so beginnt der berühmte § 303 über die Gotteslästerung: „Daß die Gottheit inquirirt werde, ist unmöglich, daß sie wegen Ehrbeleidigung sich an Menschen räche, undenkbar, daß sie durch Strafe ihrer Beleidiger versöhnt werden müsse, Thorheit“), durch die logische Geschlossenheit und Klarheit der Deductionen, durch das Ausmerzen von Ballast und Irrthümern aller Art; es ist in der That als Lehrbuch formell betrachtet auch heute noch unübertroffen, wenn natürlich auch der Inhalt jetzt durch die neuere Gesetzgebung und ihre wissenschaftliche Verwerthung überholt worden ist. Insofern ist das Bedauern ganz gerechtfertigt, daß durch die Mittermaier’schen Zusätze der letzten Ausgaben, die als besonderes Werk viel verdienstvoller [742] gewesen wären, wir möchten fast sagen, der sinnliche Eindruck der schönen Form desselben verloren gegangen, oder wie ein anderes Urtheil lautet, „unter Wasser gesetzt“ worden ist.

Mußte sich der Verfasser des Lehrbuchs noch mit dem geltenden Rechte inhaltlich abfinden, für dessen Herrschaft er, so lange es einmal galt, gegen die Willkür durch seine Theorie entschieden eintrat, so war doch der Zustand des deutschen gemeinen Strafrechts, wo, abgesehen von den Capitalverbrechen, die bestimmt angedrohten Strafen fast überall fehlten, für die Verwirklichung der ersteren ein undankbares Feld. Eine neue Strafgesetzgebung war die logische Forderung der Theorie Feuerbach’s und glücklicher Weise wurde gerade er in den Stand gesetzt, in der Schöpfung des „baierischen Strafgesetzbuchs von 1813“, welches er im Entwurf schon 1807 vollendet hatte – die Jugendlichkeit des Verfassers und die Reife seiner Arbeiten bilden bei Feuerbach’s Hauptwerken einen bezeichnenden Gegensatz – die Forderungen seiner Lehre ins Leben zu führen. Allerdings handelte es sich zunächst nur um das Gesetzbuch eines Einzelstaats – man kann für die damalige Zeit kaum sagen, eines deutschen Einzelstaats –, aber der Verfasser vergaß über der Arbeit sein deutsches Vaterland nicht. Hatte er doch schon in der Vorrede seiner Kritik des Kleinschrod’schen Entwurfs die Hoffnung, die er selbst erfüllen sollte, geäußert: „Eine weise Criminalgesetzgebung eines einzelnen Staates, haltbar in ihren Gründen, bewährt in ihren Folgen, breitet sich vielleicht dereinst über Deutschland aus und gibt der längst entflohenen strafenden Gerechtigkeit von neuem ihre Herrschaft wieder.“

Bei der Würdigung des Feuerbach’schen Werkes muß zwischen dem ersten Theile, der das eigentliche Strafgesetzbuch enthält, und dem zweiten den Proceß behandelnden scharf geschieden werden. Im ersten liegt, wenn auch mit einigen Modificationen, die Feuerbach’sche Schöpfung als Ganzes vor, im zweiten sind eine Reihe von Einschiebungen und Inconsequenzen, welche der ersten Anlage und dem Plane des Gründers fehlten. Die späteren Schriften Feuerbach’s über den Proceß beweisen deutlich, daß der zweite Theil seines Gesetzbuchs seine wissenschaftliche Ueberzeugung in sehr wesentlichen Punkten nicht wiedergibt, daß er hier in einem gegebenen Stoffe und mit engumschriebenen Grenzen arbeitete. An seinem eigenen Werke, dem Strafgesetzbuch im engeren Sinne, bewundert man zunächst das Formtalent des Verfassers. In edler, einfacher Sprache, wie sie dem Gesetzgeber ziemt, der kein Lehrer sein, aber doch verstanden werden will, sehen wir hier die Lehren des Feuerbach’schen Systems wiederkehren. Scharf und präcis sind die Definitionen der Verbrechen gehalten, verjährte Irrthümer der gemeinrechtlichen Doctrin mit sicherer Hand beseitigt; allein wie das Lehrbuch ohne eingehende Kenntniß des Lebens, was seine Theorie betrifft, und in den Einzelmaterien mit mangelhafter Würdigung der historischen Erscheinungen geschrieben war, so muß auch dem Gesetzgeber F. der Vorwurf gemacht werden, daß er mit dem Volke, dem er Gesetze schrieb, nicht genug vertraut war und daß statt der zum großen Theil platten Fehler des hergebrachten Doctrinarismus die glänzenden Fehler seiner eigenen Theorie und ihrer Consequenzen den praktischen Werth seiner legislativen Schöpfung beeinträchtigen. Wir sahen schon oben, daß nach der Feuerbach’schen Theorie keine Strafgesetzdrohung zu hart sein kann, das Strafgesetzbuch lieferte durch die furchtbare Härte seiner Bestimmungen, namentlich in der Lehre vom Rückfall und der Concurrenz den praktischen Beleg dafür, daß er sich nur vor der Schwäche der Strafdrohung zu schützen suchte. Da das Gesetzbuch den Richter zu der stricten Anwendung von dem allgemeinen Gefühl als zu hart erscheinenden Strafen zwang und das richterliche Ermessen, vermittelst dessen früher eine Transaction zwischen Buchstaben und Geist des Gesetzes, allerdings verknüpft mit den früher geschilderten [743] anderweitigen Gefahren, ermöglicht wurde, ausschloß, so war der Widerstand und der Widerwille gegen diese neue Gesetzgebung besonders groß unter dem baierischen Richterstande, der außerdem sich durch Nichtbefragtwerden vor der Gesetzwerdung des Entwurfs mit Recht für vernachlässigt ansah. Man drang gleich in dem ersten Jahre auf mildernde Modificationen, die bei der bald eintretenden Ungnade des Verfassers um so leichter zu erlangen waren, übrigens nur einem rasch erkannten schreienden Uebel abhelfen sollten. Am eingreifendsten wirkte die sogenannte Diebstahlsnovelle vom 25. März 1816. Eine das Gesetzbuch begleitende Eigenthümlichkeit war der officielle Commentar in den sogenannten Anmerkungen, die zum Ausschluß jeder anderen, ausdrücklich verbotenen Commentirung das einzige zulässige Hülfsmittel der Richter sein sollten. Eine Denkschrift von F. beweist, daß er mit dieser Aufgabe, wie sie nicht ihm, sondern zwei anderen Mitgliedern des Justizministeriums, darunter sein alter Feind v. Gönner, gestellt wurde, nicht einverstanden war und in wesentlichen Punkten die Ausführungen der Commentatoren von den Intentionen und Gründen des Verfassers des Gesetzbuches abwichen. So wurde denn aus diesem angeblichen Hülfsmittel der Praxis eine förmliche Erschwerung derselben. Nichtsdestoweniger machte das Gesetzbuch selbst außerhalb Baierns einen überaus günstigen Eindruck. Man stand dem tagtäglichen Wirken desselben ferner, die praktischen Mängel traten vor der vollkommenen theoretischen Gesammterscheiuung zurück und nicht blos wurde das Werk Feuerbach’s in der nächsten Zeit, z. B. in Oldenburg, in Weimar, Hannover, Würtemberg, in verschiedenen Schweizer Cantonen, fast wörtlich als Landesgesetz publicirt oder als officieller Gesetzentwurf behandelt, sondern bis in unsere Tage gibt es kein deutsches und mit der deutschen Wissenschaft zusammenhängendes außerdeutsches Strafgesetzbuch, in welchem nicht die Spuren des baierischen Gesetzbuches von 1813 auf jeder Seite wahrzunehmen wären. Die harten Strafen sind gemildert worden, die falschen Grundsätze der Strafbemessung haben einer richtigeren Einsicht Platz machen müssen, die richterliche Würdigung, welche vor ihm zügellos und durch ihn gefesselt war, ist verständig frei geworden, aber was in technischer Vollendung die baierische Gesetzgebung aufzeigt, was in ihr F. für die richtige Begriffsbestimmung einer ganzen Reihe von Verbrechen durch das vortrefflich geordnete und abgestufte Strafensystem etc. geleistet hat, ist von keiner späteren außerbaierischen Codification wieder aufgegeben worden. In Baiern selbst verstimmte sich die Unzufriedenheit mit der neuen Schöpfung schon nach verhältnißmäßig kurzer Zeit bis zu der Forderung einer vollständigen Revision, die wesentlich durch Gönner vorgenommen und 1822 im Entwurf veröffentlicht wurde. F. nahm an dieser Ueberarbeitung, durch die er sich tief gekränkt fühlte, keinen Antheil, wol aber existirt eine eigene Revision von seiner Hand, zu der ihm seine Beschäftigung im wirklichen Leben in seiner Richterstellung manches neue Motiv und ein Regierungserlaß im J. 1824 den förmlichen Anlaß gab. Seine Briefe und sonstigen Aeußerungen beweisen, wie weit er, trotz seines feurigen Temperaments, das seinem Namen entsprach, von einseitiger Rechthaberei entfernt war, und obgleich diese Feuerbach’sche Revision nie veröffentlicht worden ist (nach den Mittheilungen der Familie ist sie noch vorhanden und wurde 1833 nach Feuerbach’s Tode dem Justizministerium auf dessen Verlangen in Abschrift gegeben), so wissen wir doch aus Mittermaier’s Mittheilungen darüber, der lange Jahre mit F. in vertrautem Verkehr stand, daß F. in sehr gewichtigen Fragen anderer, besserer Meinung geworden war.

Auf dem Gebiete des Strafprocesses sind Feuerbach’s Verdienste kaum weniger hervorragend als im materiellen Strafrecht, aber sie liegen nicht in einer umfassenden Hauptleistung, wie im Lehrbuch und im ersten Theil des baierischen Strafgesetzbuchs [744] vor. Im ersteren, dessen zweite Abtheilung allerdings den Strafproceß behandelt, wird nur eine kurze, übersichtliche Darstellung des gemeinrechtlichen Organisationsverfahrens gegeben. Wie sehr Feuerbach’s Bestrebungen, den baierischen Strafproceß auf besseren Grundlagen aufzubauen, durchkreuzt worden, ist schon angedeutet. Er klagt darüber selber: „Die schönsten, glänzendsten Ideen, wodurch mir die schwere Aufgabe, den finsteren Inquisitionsproceß zu humanisiren, die Vorzüge des öffentlichen Verfahrens mit den Vorzügen des alten Untersuchungsverfahrens zu combiniren, geglückt war, stürzten zuletzt im Geheimen Rath.“ Trotz alledem ist auch dieser zweite Theil des Strafgesetzbuchs eine in ihrer äußeren Gestalt vortreffliche Leistung und man hat mit Recht gesagt, daß der gemeinrechtliche Untersuchungsproceß sich nirgendwo in seinen guten Seiten, deren leider nicht zu viele waren, besser darstellt, als in dem Kleide und der Ordnung, welche F. ihm gegeben. Wo freilich in den gegebenen Grundlagen die radicalen Fehler vorhanden waren, konnte auch die Meisterschaft eines F. nur Relatives leisten. Sein Standpunkt zu den Reformgesetzen des Strafproceßrechts ist in den drei schon genannten größeren Schriften, den „Betrachtungen über das Geschwornengericht“ (1812), „Betrachtungen über die Oeffentlichkeit und Mündlichkeit der Gerechtigkeitspflege“ (1821) und der als zweiter Band dieses Werkes bezeichneten Schrift „Ueber die Gerichtsverfassung und das gerichtliche Verfahren Frankreichs in besonderer Beziehung auf die Oeffentlichkeit und Mündlichkeit der Gerechtigkeitspflege“ (1825) zum Ausdruck gelangt. F. gehörte zu den unbefangensten Beurtheilern des Geschwornengerichts und würde, wenn er von dem Wirken des Instituts in England eine vollständige Einzelkenntniß gehabt hätte, aus seiner vermittelnden Stellung – er verwahrte sich stets dagegen, ein Gegner des Schwurgerichts zu sein, wenn er auch in abstracto eine jede Betheiligung des Laienelements in der Rechtspflege verwarf – zu einer lebhafteren Anerkennung des Instituts weitergeführt worden sein. Manche seiner Bemerkungen sowol für als gegen die Einrichtung sind an Feinheit der Beobachtung und Schärfe der Anschauung bis auf den heutigen Tag classisch geblieben. Das glänzende Plaidoyer für die Oeffentlichkeit und Mündlichkeit des Gerichtsverfahrens, welches die darauf bezügliche Schrift enthielt, feiert erst jetzt, wo das ganze deutsche Gerichtsverfahren auf diesen Grundlagen ins Leben tritt, seinen abschließenden Triumph, wenn auch die in den meisten deutschen Einzelstaaten seit 1848 gemachten Erfahrungen die Zahl der Gegner jener ersten Forderungen einer tüchtigen Rechtspflege, welche im Bunde mit der politischen Reaction gegen Feuerbach’s Reformbestrebungen solange siegreich blieben, sehr vermindert haben. In seiner Darstellung der französischen Gerichtseinrichtungen weiß er den Kern von der Schale genau zu scheiden, und bedenkt man die kurze Zeit, welche F. in Frankreich verweilte, so ist die eingehende Detailkenntniß, welche seine Schilderung verräth, nicht weniger bewundernswerth als die Uebersichtlichkcit, in welcher der reiche, vielverschlungene Stoff uns entgegentritt.

Dem Gebiete des Strafrechts und Strafprocesses zugleich gehört dasjenige Werk Feuerbach’s an, das ihm selber am liebsten war und durch welches er weit über die Kreise der Juristen hinaus, unmittelbar auf die Nation und durch die Uebersetzungen auch auf andere Völker gewirkt hat, die „Actenmäßige Darstellung merkwürdiger Verbrechen“ (in dritter Auflage 1849 von Mittermaier herausgegeben). Keine andere Nation hat Aehnliches aufzuweisen und auch wir besitzen kein anderes Werk gleicher Tendenz, welches mit diesen meisterhaften Schilderungen des Seelenlebens zu vergleichen wäre, wo die fesselndste Darstellung mit echt juristischer Schärfe und die Sonde des Psychologen mit der Divinationsgabe des Dichters sich verbindet. Wir haben Ursache, dieses Lieblings- und Meisterwerk Feuerbach’s um so höher zu halten, als voraussichtlich diese Art [745] von Seelenstudien uns für immer verloren ist. Unser heutiges Strafverfahren, das auf die schlimmen Hülfsmittel des Inquisitionsprocesses verzichtet und den Verdächtigen nicht mehr als Untersuchungsmittel in jahrelanger Kerkerhaft den psychologischen Experimenten des Untersuchungsrichters preis gibt, hat damit jener feineren Geistesanatomie, wie sie F. übte, ihr Material entzogen. So ist der größte Criminalpsycholog Deutschlands eine einzige Erscheinung geblieben.

Von den anderen Rechtsgebieten angehörenden Arbeiten Feuerbach’s können wir absehen, obgleich z. B. seine „Civilistischen Versuche“ (1803) noch in Ansehen und Ehren stehen, aber die Thatsache ist für die Grundrichtung des ganzen Mannes bezeichnend, daß er, angeregt durch Montesquieu’s „De l’Esprit des Lois etc.“, lange Jahre an einer Weltgeschichte des Rechts dachte und schrieb. Wenn wir sehen, wie er, ausgehend von den engen Grenzen des Auditoriums und Einzelstudiums, zum Richter, Staatsmann und Gesetzgeber wird, nicht blos das gesammte Rechtsgebiet, sondern alles, was das individuelle und sociale Leben bewegt, in den Kreis seiner gewaltigen geistigen Persönlichkeit zieht, deren innerstes Wesen ein glühendes Streben nach Wahrheit und Recht ist, so wäre – vorausgesetzt, daß die mittlerweile sich tiefer erschließenden historischen Quellen zu ihrem vollen Recht gelangten – F. sicher der Mann gewesen, das Werk des im Geiste des Jahrhunderts denkenden Franzosen tiefer und großartiger in einer Deutschland und des 19. Jahrhunderts würdigen Weise zu ersetzen.

Außer den in der vorstehenden Darstellung genannten Schriften ist eine 1833 veranstaltete Sammlung kleiner Schriften von P. J. A. v. F. zu nennen. Andere kleinere Arbeiten finden sich in dem vortrefflichen Werke Ludwig Feuerbach’s „Anselm Ritter v. Feuerbach’s Leben und Wirken aus seinen ungedruckten Briefen und Tagebüchern, Vorträgen und Denkschriften veröffentlicht von seinem Sohne Ludwig F.“ (2 Bände, 1852). Ueber Feuerbach’s Bedeutung in der Strafrechtswissenschaft hat u. A. Abegg im Gerichtsaal (1856) geschrieben, während ausführlichere Lebensskizzen von Mittermaier (im Staatswörterbuch, 1856), von Glaser (zuerst in der Allgemeinen Oesterreichischen Gerichtszeitung, 1858) und vom Verfasser dieses Artikels im Rotteck und Welcker’schen Staatslexikon, 3. Auflage, veröffentlicht worden sind. Der in dem letzteren, theilweise hier mitbenutzten Versuche ausgesprochene Wunsch, daß sich zur Entwerfung einer eingehenden Werke und Schöpfer zu einem Gesammtbilde vereinigenden Biographie bald eine der großen dankbaren Aufgabe würdige Hand finden möge, ist noch nicht in Erfüllung gegangen, dagegen hat die hundertjährige Wiederkehr des 15. November, an dem F. geboren wurde, nicht blos zu verschiedenen würdigen akademischen Feiern, sondern auch zu einer Bereicherung der Litteratur über F. Veranlassung gegeben, von denen wir hier besonders die warm durchhauchte geistvolle Schilderung Karl Binding’s in der Beilage zur Allgemeinen Zeitung vom 15. November 1875, sowie in den Aufsätzen von Geyler und Heigel (Deutsche Rundschau, Jahrg. 1877, S. 465 ff., und Im neuen Reich, Jahrg. 1876) nennen. Um so dankbarer und inniger soll die Nation unter ihren geistes- und charaktergroßen Männern unseren F. in Ehren und Erinnerung halten, als leider von den begabten und hochstrebenden Söhnen auch nicht Einer die Jubelfeier des väterlichen Geburtstags erlebt hat, wenn auch auf dem Gebiete der Kunst ein Enkel dem altberühmten Namen neue Ehre macht.