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ADB:Lindenau, Bernhard von

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Artikel „Lindenau, Bernhard August von“ von Franz Eduard Pasch in: Allgemeine Deutsche Biographie, herausgegeben von der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Band 18 (1883), S. 681–686, Digitale Volltext-Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=ADB:Lindenau,_Bernhard_von&oldid=- (Version vom 24. Dezember 2024, 03:44 Uhr UTC)
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Lindenau: Bernhard August v. L., geb. den 11. Juni 1779, als Sohn des königl. sächsischen Appellationsraths Joh. Aug. v. L., auf dessen Rittersitz Pohlhof in (der Stadt) Altenburg. Schon als Fünfzehnjähriger bezog er, zugleich mit einem älteren Bruder, die Universität Leipzig, und studirte da jura und cameralia und, aus besonderer Liebhaberei, noch Astronomie. Nach drei Jahren kehrte er, als Dr. juris, nach Altenburg zurück. Hier wurde er zuerst Assessor, dann, wieder nach drei Jahren, erst 22jährig, Rath beim Kammercollegium. Bald aber wechselte er seinen Lebensberuf. Eine tiefe Schwermuth, die ihn in Folge eines schmerzlichen Todesfalles ergriffen hatte, veranlaßte ihn, sich in den Nebenstunden auf seine Lieblingswissenschaft zu werfen, die Astronomie. Darin aber brachte er es in Kurzem so weit, daß er ein Schriftchen verfassen konnte über „Die Dimensionen des Erdsphäroids“, welches die Aufmerksamkeit v. Zach’s auf ihn lenkte. Mit diesem schloß er Freundschaft auf Lebenszeit. Auf dessen Veranlassung nun siedelte er, mit einem längeren Urlaub in Altenburg, 1801 nach Gotha über. Er wollte da im Eifer des Studiums den Kummer vergessen; aber bald ward ihm die Besuchsstation zur Heimath, die Erholungsbeschäftigung zum Beruf. 1804 wurde ihm die Direction der Sternwarte auf dem Seeberge übertragen; zuerst nur vertretungsweise für Zach, der mit seiner Herzogin eine Reise in’s südliche Frankreich unternahm, von 1808 an aber, als dieser dauernd seinen Wohnsitz dahin verlegte, definitiv. Eine ganze Reihe astronomischer Schriften ist in der Folge aus seiner Feder geflossen oder wenigstens unter seiner Redaction entstanden. Von 1807–1814 leitete er (in 14 Bänden) die „Astronomische Correspondenz“, 1809 schrieb er die „Tables barométriques“, 1810 die „Tabulae Veneris“, 1811 die „Theoria Martis“, wofür er vom französischen Institut den Lalande’schen Preis erhielt, gleichfalls 1811 die „Geschichte der Astronomie im ersten Jahrzehnt des 19. Jahrhunderts“, 1813 die „Investigatio nova orbitae a Mercurio circa solem descriptae“; 1816 bis 1818 gab er mit Bohnenberger (Bd. III, S. 81) in 6 Bänden die „Zeitschrift für Astronomie und verwandte Wissenschaften“ heraus. Daneben vollführte er 1812 eine Reise nach Holland, Frankreich, Spanien und Italien und nahm 1814 Theil an den Freiheitskriegen. Er begleitete den Herzog Karl August von Weimar als dessen Generaladjutant, mit dem Range eines Oberstlieutenants, vor Paris. Hier wurde er in einem Pistolenduell lebensgefährlich verwundet und diesem Umstand haben wir’s zu verdanken, daß er dem Vaterlande erhalten blieb. Alexander von Rußland, der ihn während des Feldzugs kennen und schätzen gelernt, bot ihm zur Vornahme von Vermessungen im russischen Reiche die Stelle eines Generals in seinem Generalstabe an. In Folge jener Verwundung sah er sich genöthigt, abzulehnen. Nicht aber konnte er auch seiner Wissenschaft treu bleiben. Im Herzogthum Altenburg war um das J. 1816 eine Reihe wichtiger Reformen vorzunehmen. Das große Vertrauen, das der Herzog in ihn setzte, veranlaßte denselben, ihn damit zu betrauen. Als Vicepräsident des Kammercollegiums eingetreten, ward er 1818 zum Vicelandschaftsdirector ernannt. 1820 kehrte er dann zwar nach Gotha zurück, aber nicht auch auf den Seeberg. Besondere Verhältnisse machten es nothwendig, daß er das Ministerium übernahm. Ja, als der letzte Herzog von Gotha-Altenburg, der schwache Friedrich IV., gestorben war (den 11. Febr. 1825), wurde ihm von dessen Agnaten, den Herzögen von Hildburghausen, Meiningen und Koburg, bis [682] zur erfolgten Erbtheilung, die fast selbständige Regierung des Landes übertragen. Eine verantwortungsvolle Aufgabe! Aber er hat sie gelöst und in ausgezeichneter Weise. So populär war er geworden und so angesehen, daß er im Volksmunde der Herzog Bernhard hieß. Ein sonst nicht wenig scharf kritisirender Zeitgenosse sagt von ihm: in dem Herzogthum Gotha-Altenburg sei wahrscheinlich nicht Einer, auch in der ärmsten Hütte nicht, der sein Andenken nicht segne; und an einer andern Stelle: seine Uneigennützigkeit sei der schönsten Tage des alten Roms würdig gewesen. Auch wurde ihm, als es dann zur Erbtheilung gekommen, im November 1826, in dem neugebildeten Herzogthum Koburg-Gotha das Ministerium angetragen. Er lehnte ab, weil schon früher von Sachsen, welches jene Erbtheilung geleitet und nur durch v. Lindenau’s Rathschläge sie zu Stande gebracht (auch hatte er schon vorher einmal durch ein vortreffliches Gutachten in einem Processe des königl. sächsischen Staatsfiscus das Sachsenland sich zu Dank verpflichtet), eine Einladung zum Eintritt in dortige Staatsdienste an ihn ergangen war. Letzterer folgte er im Februar 1827. In Sachsen bekleidete er während der ersten zwei Jahre die Stelle eines Gesandten beim Bundestag und, eine Zeit lang, zugleich die eines außerordentlichen Bevollmächtigten im Haag. Nach Dresden zurückgerufen – gegen Ende des Jahres 1829 – trat er in den Geheimrath, welcher eine Art von Ministerium, aber mit Collegialverwaltung, bildete (auch stand zwischen ihm und der Krone noch das Geheime Cabinet), wurde zugleich Director des Landesökonomiecollegiums und der Manufactur- und Commerciendeputation und erhielt die Oberaufsicht über die Kunst- und wissenschaftlichen Sammlungen. Namentlich was er in letzterer Stellung geleistet, ist des Dankes auch aller kommenden Zeiten würdig. Von ihm wurden die reichen Sammlungen zum ersten Male geordnet und die Kunstwerke nach Schulen, zum Theil nach Meistern, aufgestellt; die Rüstkammer wurde in eine Art von Nationalmuseum verwandelt; ein historisches Museum wurde gegründet; die Sonntagsschulen und Industrievereine blühten auf. Diese bedeutungsvolle Thätigkeit setzte er fort bis in den September 1830. Da vertauschte er sie mit der allerdings noch umfassenderen eines leitenden Staatsministers. Letztere hatte ein paar Jahrzehnte hindurch, von 1813 an, der mächtige Graf von Einsiedel inne gehabt. Dem aber grollte das ganze Land. Für die bedeutenden Rechte, welche die sächsischen Stände seit vielen Jahrhunderten geübt – das der Steuerbewilligung, das der Mitwirkung bei der Gesetzgebung, das des Schiedsgerichts zwischen den Gliedern des Fürstenhauses, das der eigenmächtigen Versammlung ohne Berufung durch die Regierung –, die ihnen aber namentlich im Laufe des achtzehnten verloren gegangen, hatten dieselben von 1813 an wenigstens einen den Zeitverhältnissen entsprechenden Ersatz zu erkämpfen gestrebt und das um so mehr, als um eben diese Zeit mehr als Ein deutscher Staat sogar in den Besitz einer constitutionellen Verfassung gelangt war. Allein alle Bemühungen waren vergeblich gewesen. Das einzige Zugeständniß, welches ihnen, resp. ihrem Verlangen nach einer Art von Oeffentlichkeit ihrer Versammlungen, gemacht worden, – und auch erst 1821 –, war dies, daß am Ende jeder Sitzungsperiode ein Auszug aus den Verhandlungen, und von der Regierung selber, veröffentlicht werden sollte. Das Drückende dieser Beschränkung empfand man namentlich seit dem am 5. Mai 1827 erfolgten Tode des Königs Friedrich August. Diesem hatte man immer noch sich gefügt, aus hoher Achtung vor seiner, des Vielgeliebten, Person. Eine gleiche Rücksicht konnte sein Bruder Anton nicht beanspruchen; und doch regierte dieser, und zwar grundsätzlich, ganz in der hergebrachten Weise weiter; namentlich aber beließ er den Grafen Einsiedel in seiner allmächtigen Stellung; ja dieser suchte dieselbe in unerhörter Weise zur Erlangung persönlicher Vortheile auszubeuten. Beanspruchte er doch für [683] seine sehr bedeutenden Eisenwerke ein außerordentliches Monopol auf zehn Jahre – ein Verlangen übrigens, dem selbst der Geheime Rath sich widersetzte und auch die Krone nicht willfahrdete. So kam es, daß der am 17. März 1830 zusammentretende Landtag neue Forderungen stellte. Besonders Zweierlei war es, was er beanspruchte: das Recht der Prüfung des Budgets und das der Bekanntmachung seiner Verhandlungen durch den Druck. Ja Einzelne aus der Ritterschaft traten opponirend in der Presse auf. Einer verlangte für die Volksrepräsentation das Recht des Einflusses auf die wichtigsten Geschäfte des Staates, Einer eine ständische Verfassung. Er antwortete mit einer Vertagung der Stände vom 8. Juli 1830 bis zum 6. Januar 1832. Da kam die Nachricht vom Ausbruch der französischen Julirevolution, – und mit einem Schlage änderte sich die ganze Lage der Dinge. An verschiedenen Stellen kam es zu Volkserhebungen: in Leipzig, in Dresden, in Chemnitz, in der Lausitz, im Erzgebirge. Um es nicht zum Aeußersten kommen zu lassen, mußte sich der König, auf Vorstellung des Geh. Raths in corpore, zu Zugeständnissen verstehen. Er erhob am Abend des 13. Septembers 1830 seinen Neffen Friedrich August zum Mitregenten und ernannte an Stelle Einsiedel’s, der schon am Morgen die Aufforderung erhalten hatte, um seine Entlassung nachzusuchen, v. L. zum Cabinetsminister. Das Volk kam dem neuen Leiter der Geschäfte mit wohlthuendem Vertrauen entgegen. Namentlich ihn betrachtete man als ein sicheres Unterpfand für Befreiung von den schweren Lasten des Einsiedel’schen Regimentes und für Beginn einer neuen zeitgemäßeren Entwickelung. Aber er hat demselben auch in den 13 Jahren, in welchen er an der Spitze der sächsischen Regierung gestanden, in vollstem Maße entsprochen. Es folgt für Sachsen ein Jahrzehnt der bedeutungsvollsten Entwickelung, und als Träger derselben ist vor Allen v. L. anzusehen, und das Erste, worauf derselbe sein Augenmerk richtete, war die Erhebung des Landes in die Reihe der constitutionellen Staaten. v. Carlowitz erhielt den Auftrag, nur möglichst schnell den Entwurf einer Verfassung auszuarbeiten. Aber auch schon die Zeit, bis dieser fertig gestellt wäre, benutzte v. L., um Sachsen – auf einem andern Gebiete – einen großen Schritt vorwärts zu führen. Noch war der mitteldeutsche Zollverein, dem auch dieses angehörte, von Preußen durch die lästigsten Schranken getrennt. Ein 1828 gemachter Versuch, dieselben niederzureißen, war mißglückt. Er selber war von Einsiedel damit beauftragt worden, aber, weil er in seinen Concessionen zu weit gegangen, in fast beleidigender Weise unverrichteter Sache zurückgerufen worden. Jetzt eilte er nach Berlin, um den abgerissenen Faden wieder anzuknüpfen. Und der Erfolg war ein außerordentlicher; allerdings vor der Hand nur der, daß Preußen sich überhaupt dazu verstand, die Verhandlungen wieder aufzunehmen; diese aber führten 1833 zum Abschluß des deutschen Zollvereins, des ersten Grundsteins zum Aufbau auch der politischen Einigung Deutschlands in der Gegenwart. Unterdeß aber hatte auch Carlowitz seine Aufgabe gelöst. v. Lindenau’s eifrigstes Bestreben war nun, auf dieser Grundlage das Verfassungsswerk selber aufzuführen, – so schnell als möglich, damit nicht etwa unvorhergesehene politische Ereignisse störend dazwischen träten, und so dauerhaft als möglich, damit nicht das allen Gebotene, wie es in den süddeutschen Staaten bereits geschehen war, einseitig von der Krone wieder zurückgenommen werden könnte, also durch Vereinbarung zuerst des Landesfürsten mit der Regierung und dann dieser beiden Factoren mit den lediglich zu diesem Behufe noch einmal geladenen alten Feudalständen. Auch dies Ziel wurde erreicht. Die Einigung kam zu Stande, und bereits am 4. Septbr. 1831 konnte die Urkunde seiner constitutionellen Verfassung dem sächsischen Volke übergeben werden, – unter lautem Jubel desselben; es hatte aufgehört, ein Spielball der Willkühr zu sein und ruhte hinfort an der [684] sicheren Hand des von ihm selbst gehüteten Gesetzes. Daß es dafür vor Allen v. L. zu Dank verpflichtet sei, wußte es. Es war dies aber auch noch aus einem ganz besonderen Grunde der Fall. Neben dem Carlowitz’schen Entwurf hatte den Verhandlungen noch ein zweiter zu Grunde gelegen, der, ohne Nennung des Namens des Verfassers, ein paar Wochen nach jenem von der Krone dem Geh. Rath übergeben worden war. Der Schöpfer desselben war v. L. selber. Und überdies: die neue sächsische Verfassung gehörte auch noch zu den bevorzugteren unter ihren Schwestern. Ganz abgesehen davon, daß sie durch die Art ihrer Entstehung von der Gefahr einer einstmaligen einseitigen Zurückziehung Seitens der Krone gesichert war: sie gab sich gleich von vornherein selber nicht als ein vollendetes und darum für alle Zeiten unantastbares Kunstwerk, sondern als ein menschliches Machwerk, welches gleich angelegt wäre auf eine gesetzliche Weiterbildung und Fortentwickelung. Und in letzter Beziehung hat’s v. L. sogar sehr ernst genommen. Das zeigt die lange Reihe von Gesetzen und Verordnungen, die bereits im folgenden Jahrzehnt dem Sachsenland zu Theil geworden sind. So: eine Städteordnung (1832), ein Gesetz über Ablösung von Diensten und Servituten (1832), ein Freizügigkeitsgesetz (1834), ein Schulgesetz (1835), ein Gesetz über Trennung von Justiz und Verwaltung, wenigstens in den Oberinstanzen (1835), ein Brandversicherungsgesetz (1835), eine Landgemeindeordnung (1838), ein Kriminalgesetzbuch (1838), ein Gesetz über den Gewerbebetrieb auf dem Lande (1839), eine Armenordnung (1840). Ohne Zweifel eine stattliche Reihe! Und zudem ging’s bei deren Aufstellung zum Theil nicht einmal ab ohne die heftigsten Anfeindungen. Nicht zu gedenken daß im J. 1832 der Bundestag dem constitutionellen Fortschritt in Deutschland überhaupt Fesseln anzulegen suchte – Sachsen hat dagegen ausdrücklich Verwahrung eingelegt –, in diesem selbst erhob sich gleich zu Anfange der dreißiger Jahre ein ganzer Stand, und noch dazu der, welcher für Begründung der Verfassung am kräftigsten in die Schranken getreten war, der Adel, gegen eine Bestimmung derselben, das allerdings mit aller Entschiedenheit v. L. vertretene Prinzip der Gleichheit Aller vor dem Gesetz. Namentlich widerstrebte jener der Theilnahme auch des Bauernstandes an der Volksvertretung. Selbst die heftigsten persönlichen Invectiven blieben v. L. nicht erspart. Daß derselbe von diesen sich nicht hätte beirren lassen, könnte man nicht sagen. Wenigstens mit dadurch, wenn auch zunächst wol durch seinen Gesundheitszustand, wurde er, 1834, veranlaßt, das Mimsterium des Innern – in einzelne verantwortliche Ministerien war seit dem 1. Decbr. 1831 der Geh. Rath zerlegt, und er hatte, neben dem Vorsitz, das letztere sich vorbehalten – nieder zu legen und nur die ihm, dem Humanisten, besonders sympathische Oberaufsicht über die Straf- und Versorgungsanstalten und die über die Kunstakademieen in Leipzig und Dresden beizuhalten. Aber er ließ sich doch – und allerdings entschädigten ihn dafür die von anderer Seite, namentlich des ihn fast vergötternder Bauernstandes, dargebrachten großartigen Huldigungen – nicht, was man eine Zeitlang allgemein fürchtete, soweit von ihnen hinreißen, daß er überhaupt vom Ministerium zurückgetreten wäre. Er harrte auf seinem Posten aus, – und mit einer Kampfesfreudigkeit, die des Ruhmes aller folgenden Zeiten würdig ist. Indeß gegen das Ende der dreißiger Jahre drang die Opposition doch auch in die Reihen ein, in welchen er bisher seine hauptsächlichsten Mitstreiter gefunden hatte, die des dritten Standes. So sehr er auch festhielt und bis an sein Lebensende festgehalten hat an seinen auf echter Humanität basirten freisinnigen Ideen – noch 1844 trat er mit der Nennung seines Namens, in der „Deutschen Monatsschrift“, ein für ständisches Recht der Prüfung und Festsetzung von Specialbudgets –, er mochte doch, wol weil er fürchtete, durch zu hastiges Fortschreiten auch das bereits [685] Erkämpfte in Gefahr zu bringen, nicht mit der Volksvertretung die äußersten Consequenzen ziehen für deren Rechte; namentlich aber konnte er sich nicht finden in den Ton, der bei den Verhandlungen mehr und mehr überhand genommen, nicht, wie er wollte, des Vertrauens auf die Krone von Seiten der Abgeordneten, sondern der Forderungen, zum Theil der heftigsten, auf dem Boden des verfassungsmäßigen Rechts. So kam’s zu Zusammenstößen, – besonders seit 1839, wo die zweite Kammer für jeden einzelnen Staatsbürger das Petitionsrecht beanspruchte. Aufgeregt verließ er das eine Mal den Sitzungssaal und wollte nicht eher wieder erscheinen, als bis ihm Genugthuung zu Theil geworden wäre. Er erhielt dieselbe, denn nichts lag weniger in der Absicht der Volksvertretung, als eine Kränkung des hochverehrten Mannes. Aber bald mehrten sich doch die Gegenstände des Streits. Ja seit 1842 kamen Forderungen, denen er sich auf’s heftigste widersetzte: die der Freiheit der Presse – er wollte sie nur Schriften über zwanzig Druckbogen zugestehen – und die des Rechts der zweiten Kammer, für sich allein, ohne die erste, eine Adresse an die Krone zu richten. Schon seit 1836 war die letztere gestellt worden, jetzt wurde sie zur Conflictsfrage erhoben. Er lehnte sie ab; nicht darum, weil seine Gesinnung eine weniger freisinnige geworden wäre; er meinte vielmehr, sie führe zu Spaltungen in den Kammern, und durch diese könne die Verfassung selber in Gefahr gerathen. Um zu beschwichtigen – denn, wie’s schien, wurde er nach und nach doch selber nicht abgeneigt zu glauben, daß er in seinem Widerstand zu weit gegangen –, suchte er die erste Kammer zu bewegen, auch ihrerseits auf ein ihr allein zustehendes Recht zu verzichten, das, mündlich durch ihren Präsidenten die Thronrede beantworten zu lassen. Allein hier fand er einen noch viel größeren, fast einmüthigen, Widerstand. So glaubte er einer allgemeinen Opposition gegenüber zu stehen. Dazu kam, daß er, der Fortschreitende, schon seit längerer Zeit sich nicht mehr in vollem Vertrauen der Krone wußte. Hatte doch der König, seit 1836 Friedrich August II., ihm selber einmal unumwunden gesagt, „seine, die Lindenau’schen, Ansichten höre er gern, weil idealisirter, nach den Zechau’schen handle er lieber, weil practischer“. Da nun überdies seit längerer Zeit seine Gesundheit geschwächt war, so entschloß er sich 1843, dem König seinen Rücktritt zu erklären. Am 4. Septbr., dem Jahrestage der Verkündigung der Verfassung, nahm er in der Leipziger Zeitung feierlich Abschied vom Lande. Er gehe, sagte er, weil er in den letzten Jahren gefühlt, daß er den Geschäften nicht mehr so, wie er möchte, genügen könne. Daß er damit seine wahre Meinung aussprach, steht außer Zweifel. Nicht ebenso aber dachte das Volk. Von allen Seiten, auch von denen der Opposition, denn so weit hatte selbst diese ihn nicht treiben wollen, brachte man ihm die lautesten Huldigungen. Die beiden Hauptstädte, Leipzig und Dresden, nahmen ihn auf unter die Zahl ihrer Ehrenbürger. – Abermals hatte er damit einen Abschnitt seines Lebens beendet. Er kehrte zurück nach Altenburg, in den Pohlhof, an die Stätte seiner Kindheit. Noch nicht ganz trat er damit überhaupt vom Schauplatz des öffentlichen Lebens zurück. Noch finden wir ihn daselbst bis 1848 als Präsidenten der Ständeversammlung, welche Stellung er auch während seines Ministeriums in Sachsen immer inne behalten hatte. Ja in diesem Jahre nahm er sogar auf eine kurze Zeit als Abgeordneter Theil an den Sitzungen des Frankfurter Parlaments. Allein bald legte er auch diese beiden Stellungen nieder; und von nun an gehörte sein Leben einzig dem Dienste der Wissenschaft und der Humanität. Was er in dieser Zeit in ersterer geleistet, wissen wir freilich leider nicht, da er testamentarisch angeordnet haben soll, daß sein ganzer litterarischer Nachlaß nach seinem Tode den Flammen übergeben werde. Mit um so größerer Genugthuung erfüllt es uns darum, wenigstens die Schritte verfolgen [686] zu können, die er gethan hat als einfacher Staatsbürger und als Mensch. Als solchen ihn zu beobachten, hat in der That etwas eigenthümlich Anmuthendes. Schon in seinem öffentlichen Leben hatte er an mehr als Einer Stelle Gelegenheit geboten, hinter dem Staatsmann den edlen Menschen, vor Allem den Menschenfreund, hervorschauen zu sehen. So wenig suchte er seine Person zur Geltung zu bringen, daß ein Mitglied der preußischen Gesandtschaft in Dresden ihn zwei Jahre lang gar nicht zu sehen bekommen. In Gotha hatte er sich nur das Gehalt eines untergeordneten Beamten aus der Staatskasse entnommen. In Dresden hatte er auf ein Fünftel seines Gehaltes zu Gunsten gemeinnütziger Zwecke verzichtet. Jetzt, als Pensionirter, entsagte er zu demselben Behufe jedem Jahresgehalt. Seine Enthaltsamkeit, sagt ein hochgestellter Zeitgenosse in Sachsen, sei der schönsten Tage des alten Rom’s würdig gewesen. Aber nun erst, nachdem er das Kleid des Staatsmannes abgelegt! Wie ging er da einher, der edle Menschenfreund, einfach und schlicht, aber überall Gelegenheit suchend, seinen Mitbürgern, vor Allem der Jugend und den Armen, helfend und fördernd zur Seite zu stehen. Wir sehen ihn noch, den ehrwürdigen Greis im Silberhaar, wie er in der von ihm mitbegründeten „Knabenarbeitsschule“ die armen Kinder durch freundliche Zusprache aufmuntert und durch Ermahnungen zu Fleiß, Ordnung und Sparsamkeit anhält. In den Schulen ließ er Prämien vertheilen. An Stelle der Wirthschaftsgebäude seines Pohlhofs, die er außerhalb der Stadt anlegte, errichtete er das „Lindenaumuseum“ – noch jetzt eine Zierde der Stadt Altenburg –, behufs der Aufstellung seiner reichen Bibliothek und seiner Kunstsammlungen zu öffentlichem Gebrauch, ja, um mittelst letzterer durch eigens besoldete Lehrer jungen Leuten unentgeltlich Unterricht ertheilen zu lassen, in der Plastik und Malerei, im Freihandzeichnen und Modelliren. Und nun – die Krone von Allem – die Lindenau-Zachstiftung, mit so benannt zum liebenden Andenken an seinen alten Freund auf dem Seeberge, ein Capital von 60 000 Thalern, dessen Zinsen jährlich vertheilt werden sollten: an würdige Vertreter von Kirche und Schule, an strebsame Jünger der Kunst und Wissenschaft, an arme tüchtige Schüler und Schülerinnen bei ihrem Abgange von der Schule, an durch Fleiß und Treue bewährte Dienstboten. So reichte des Edlen Wirksamkeit in fast alle Kreise des Altenburger Landes. Aber nicht lange mehr sollte dieses des Anblicks seiner ehrwürdigen Erscheinung sich erfreuen. Krank von einer Reise nach Italien und Südfrankreich heimgekehrt, starb er in seinem Pohlhof am 12. Mai 1854. Einfach, wie er gelebt, wollte er auch, so bestimmte er testamentarisch, beerdigt sein, in seiner „Hauskleidung“. Die Grabschrift sollte lauten: „Bernhard v. Lindenau etc., heimgegangen … in froher Erwartung eines höheren Lebens“. So steht er vor uns als eine ehrfurchtgebietende Erscheinung. Ein echter Gelehrter, ein rechter Staatsmann, aber vor Allem ein würdiger Mensch. Für sich selber nur Genuß suchend im geistigen Leben und in der Arbeit, unermüdlich darauf bedacht, das Wohl Anderer zu fördern, rastlos thätig, ein aufrichtiger Freund der Wahrheit und des Rechts, hochbegeistert für alles Edle und Schöne –, zählt er zu den ersten Söhnen Sachsens, zu den besten Deutschlands.

Sachsens Umbildung seit dem Jahre 1833, Leipzig 1833. – Wachsmuth und Weber, Archiv für die sächsische Geschichte. – Karl v. Steinbach, Sachsen und seine Hoffnungen, Leipzig 1830. – Meynert, Geschichte des sächsischen Volkes, Leipzig 1835. – (Biedermann), Sachsens berühmte Männer und Frauen, Leipzig. – Böttiger, Geschichte des Kurstaats und Königreichs Sachsen, 2. Aufl., Gotha 1870. – v. Falkenstein, König Johann von Sachsen. Ein Charakterbild, Dresden 1879. – Witzleben, Die Entstehung der constitutionellen Verfassung des Königreichs Sachsen, Leipzig 1881.