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ADB:Bergmann, Josef Ritter von

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Artikel „Bergmann, Josef Ritter von“ von Friedrich von Kenner in: Allgemeine Deutsche Biographie, herausgegeben von der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Band 2 (1875), S. 392–395, Digitale Volltext-Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=ADB:Bergmann,_Josef_Ritter_von&oldid=- (Version vom 5. November 2024, 04:33 Uhr UTC)
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Bergmann: Joseph Ritter v. B., Geschichts- und Sprachforscher und Numismatiker, geb. 13. Nov. 1796 zu Hittisau in Vorarlberg, † 29. Juli 1872, der zweitälteste Sohn in der zahlreichen Familie des Stuccators Konrad B., studirte 1808 bis 1811 am Gymnasium zu Feldkirch, 1811–1815 an jenem zu Kempten, wo er durch tüchtige Schulmänner (Rector Kirchhofer und Professor Böhm) nachhaltige Anregung für das Studium der classischen Sprachen [393] und sorgfältige Ausbildung in denselben erlangte. Diese führte ihn, während er den philosophischen und juridisch-politischen Studien an der Wiener Universität oblag (1815–1822), theils als Privatlehrer in vornehme Häuser (De Traux, Berks, später Landgraf Fürstenberg, Graf Karl von Grünne), theils befähigte sie ihn, da er noch Rechtshörer war, öffentliche Repetitorien über die griechische Sprache an der Universität zu halten, eine seltene Auszeichnung, mit welcher der Philologe Professor Anton Stein seiner besonderen Tüchtigkeit in diesem Fache ein laut sprechendes Zeugniß gab. Sie war auch die Ursache, daß B. nicht die Laufbahn eines Juristen, sondern jene eines Lehrers einschlug und 1826 als Gymnasialprofessor nach Cilli ging, von wo ihn jedoch schon 1828 die Berufung als dritter Custos des kaiserl. königl. Münz- und Antiken-Cabinets nach Wien zurückbrachte. Diesem Institute widmete er, speciell mit der Dienstleistung in der Ambraser-Sammlung und in der Abtheilung der mittelalterlichen und modernen Münzen und Medaillen betraut, fortan seine an Mühe und Arbeit, aber auch an Ergebnissen reiche litterarische Thätigkeit. Zu gleicher Zeit versah er 1831–1844 das ehrenvolle Amt eines Lehrers der Geschichte und lateinischen Sprache bei den Söhnen des Siegers von Aspern, Erzherzogs Karl, den Prinzen Albrecht, Karl Ferdinand, Friedrich und Wilhelm, welche ihm bis in sein spätestes Alter mit liebenswürdiger Huld und Aufmerksamkeit zugethan blieben. Inzwischen 1834 zum zweiten, 1840 zum ersten Custos vorgerückt, ward B. nach Jos. v. Arneth’s Tode (1863) zum Director ernannt und erhielt 1871 die wegen zunehmender Kränklichkeit erbetene Jubilirung, starb aber schon im folgenden Jahre zu Gratz, wohin er sich zurückgezogen hatte, reich an wohlverdienten Ehren und Auszeichnungen, in einem Alter von 75 Jahren. – Den Charakter seiner litterarischen Thätigkeit bestimmte die ihm eigene Vertiefung in das Einzelne, dessen richtige und tiefinnerliche Erfassung ihm die Grundlage für die Erkenntniß des Ganzen war. Sie war verbunden mit klarer Anschauung, mit einem immer mehr verfeinerten Sinn für das Charakteristische, durch den er zu einer sicher gehenden Kritik gelangte, mit einer überall hervortretenden Liebe zur Wahrheit und einer fleckenlos bewahrten Reinheit und Ehrlichkeit der Gesinnung, welche ihn das kleinste litterarische Detail ebenso gewissenhaft behandeln ließ, wie die großen seiner Obhut anvertrauten Schätze, so daß die Verläßlichkeit der Ergebnisse seiner Forschungen durch bloße Nennung seines Namens hinlänglich verbürgt wurde. Auch stand ihm helfend zur Seite ein wunderbar treues, sicher festhaltendes Gedächtniß, welches durch die Art seiner geistigen Arbeit fortwährend geübt, mit den Jahren an Frische, Schärfe und Promptheit eher zu- als abnahm, dann die Selbständigkeit, Ausdauer und Festigkeit des Willens, die er gewann, indem er nach dem frühzeitigen Verluste des Vaters vom funfzehnten Lebensjahre an selbst für sich zu sorgen gezwungen war. Die unausgesetzte harte Arbeit, das Loos seiner Jugend, stählte seinen Geist für den mühsamen Weg, den er bei seinen Forschungen einschlug, während die einzige Freude jener Tage, die mit lebhafter Empfindung aufgenommene und bewahrte Formenschönheit der griechischen Sprache, auf seine Ausdrucksweise, die nach der Natur seiner Studien hart und trocken werden konnte, veredelnd und verschönernd einwirkte, ohne ihre Markigkeit und Klarheit zu beeinträchtigen. Diese Eigenschaften machten B. nicht so sehr zum Specialisten in einem, sondern zum Detailforscher in verschiedenen Fächern, sein Ziel und sein Verdienst ist die Herstellung neuer gesicherter Thatsachen und die Kritik überlieferter, beides in einem Umfange und mit einer Prägnanz, daß er namentlich für die österreichischen Länder ein historischer Quellenschriftsteller ersten Ranges wurde. Dabei ist charakteristisch, daß er verschiedene Fächer gleichzeitig pflegte, sowie sich die Anregungen mehrten, die theils von seiner wahrhaft rührenden Anhänglichkeit an die Heimath und deren Nachbarländer, [394] theils von seinem Berufe ausgingen. Am frühesten begann und am lebhaftesten wirkte die erstere. Die Durchforschung des Landes Vorarlberg nach allen Richtungen war die Quelle seiner besten Arbeiten (40 an der Zahl, darunter besonders die „Untersuchung über die freien Walliser in Vorarlberg und Graubünden“, die „Beiträge zur kritischen Geschichte Vorarlberg’s“, die Monographien über die Montfort und Hohenemb’s) und dieser Gegenstand der einzige, für den er am Abend seines Lebens eine Verarbeitung aller seiner Einzelschriften zu einem organischen Ganzen, der mustergültigen „Landeskunde von Vorarlberg“ unternahm, während seine anderen Schriften (etwa 130, häufig sehr umfangreich) theils einzeln, theils als eine Sammlung von Einzelarbeiten erschienen sind. Mit der Liebe zur Heimath stehen im Grunde auch die beiden nächstwichtigen Richtungen seiner Forscherthätigkeit in Zusammenhang, die linguistische und historische, nur daß ihr Umfang späterhin durch andere Momente erweitert wurde; in ihnen zeigt er sich ganz vorzüglich als Detailforscher. In der Linguistik beschäftigte ihn am meisten die Bildung der Wortformen unter Einwirkung von ethno- und topographischen Verhältnissen, also vorzüglich der Dialekt: die romanischen in Vorarlberg und Graubünden, die Sprache der sette und tredici communi, Fortsetzung von Schmeller’s cimbrischen Wörterbuch, Idiotikon des Bregenzerwaldes (blieb Manuscript). In der Geschichte ist er keineswegs zusammenfassender Pragmatiker, sondern er behandelt das Leben einzelner Persönlichkeiten, aufgefaßt als die zeitgeschichtlichen Elemente bestimmter Perioden, und auch unter ihnen nicht blos die hervorragenden Großen, sondern häufig die weniger bekannten, oft nur localen Berühmtheiten verschiedener Berufsklassen des höheren Mittelstandes, die gleichwol nach ihrem Bildungsgange, ihren Thaten und Erlebnissen typische Vertreter des Culturlebens ihrer Zeit sind; in ihrer Behandlung wiegen allerdings Chronologie, Genealogie und Familiengeschichte – eine specifische Stärke Bergmann’s – vor, da es sich dabei meist um die Sicherstellung von Thatsachen handelt, doch sind die Rückbeziehungen der einzelnen Persönlichkeiten auf die politische und Culturgeschichte der betreffenden Zeit, ihr Einfluß auf sie, kurz ihre Stellung zur Zeitgeschichte sorgfältig beachtet und durchgeführt. Daß B. in diese Bahn der Quellenforschung gelangte, dazu haben wol die vielen Denkmale einzelner Persönlichkeiten beigetragen, von denen er sich in jenen Abtheilungen des kaiserlichen Museums, in denen er vorzugsweise thätig war, täglich umgeben fand, die Porträte, Rüstungen und verschiedenen Andenken der Ambraser Sammlung und die Medaillen des Münz-Cabinetes, aus deren Bearbeitung das Hauptwerk Bergmann’s in dieser Richtung („Medaillen auf berühmte und ausgezeichnete Männer des österreichischen Kaiserstaates“) hervorging; es bildet eine Folge von hundert Abhandlungen über hervorragende Männer und Frauen des 16. bis 19. Jahrhunderts. Auch die Publication von siebzig Raitpfennigen und von einzelnen Denkmälern der Ambraser Sammlung bewegt sich im wesentlichen auf gleichem Gebiete. – Hingegen außer Zusammenhang mit den bisher dargelegten Motiven stand und speciell aus Berufsarbeiten ging hervor seine Beschäftigung mit Numismatik und deutscher Litteratur des Mittelalters. Für erstere sind seine einzelnen Untersuchungen über Münzrechte und Münzstätten in Inner-Oesterreich und Tirol von den wohlthätigsten Folgen für die Numismatik dieser Länder gewesen; der Entwurf eines Systems für Anordnung von Münz- und Medaillen-Sammlungen der mittleren und neueren Zeit führte diesen Gegenstand zum ersten Male in die wissenschaftliche Erörterung ein und brach die Bahn, um ihn bleibend dem Dilettantismus zu entreißen. Als eine Verbindung seiner Studien über die Geschichte der kaiserlichen Sammlungen, über numismatische Litteratur und Personengeschichte muß „Die Pflege der Numismatik in Oesterreich im 18. und 19. Jahrhundert“ gelten, eine Reihe von [395] Abhandlungen über Fachmänner und Sammler, zumeist in Wien, die nur B. schreiben konnte und die von größtem Werthe für alle Numismatiker sind. – Endlich gab ihm die Bibliothek der Ambraser Sammlung die Gelegenheit aus den in ihr befindlichen Manuscripten die Litteratur der deutschen Sprache mit noch ungedruckten Dichterwerken des Mittelalters, die er zum ersten Male veröffentlichte, in namhafter Weise zu bereichern (Ambraser Liederbuch [Bibliothek d. litt. Ver. in Stuttgart], Mayr Helmprecht, Lichtenstein’s Frauenbuch, Vom übelen wîbe, Kleine Erzählungen.) – Bei all’ seiner ausgebreiteten, viel bewunderten, aber auch viel in Anspruch genommenen Gelehrsamkeit war B. in seinem Wesen schlicht, wahr und treu, der ausgezeichneten Freunde werth, die ihm, durch dasselbe gewonnen, auch für die ganze Zeit seines Lebens erhalten blieben. B. war zweimal vermählt, in erster Ehe mit Maria Freiin von Pratobevera (1828, † 1839), in zweiter mit deren Schwester Louise, Töchter des gelehrten Juristen Karl Joseph Freiherrn von Pratobevera und Schwestern des vormaligen österreichischen Justizministers Adolf Freiherrn von Pratobevera. Aus der zweiten Ehe stammt der als Aegyptologe und Orientalist gleichfalls am kaiserl. königl. Münz- und Antiken-Cabinete thätige Dr. Ernst R. v. Bergmann.

Nekrolog von Ludw. R. v. Köchel in der österr. Wochenschrift f. Wissenschaft u. Kunst 1872. – Ein Verzeichniß seiner gedruckten Arbeiten (bis 1851) im Almanach der k. Akademie d. W. Jhrgg. 1851 und die wichtigeren in Wurzbach, Lexikon I. 314.