Zwey Erzählungen
Wie leicht sich manche Menschen oft über unbedeutende Kleinigkeiten ärgern und erzürnen, und wie leicht die nemlichen oft durch einen unerwarteten spaßhaften Einfall wieder zur Besinnung können gebracht werden, das haben wir an dem Herrn gesehen, der die Suppenschüssel aus dem Fenster warf, und an seinem witzigen Bedienten. Das nemliche lehren folgende zwey Beyspiele.
Ein Gassenjunge sprach einen gut und vornehm gekleideten Mann, der an ihm vorbeygieng, um einen Kreutzer an, und als dieser seiner Bitte kein Gehör gehen wollte, versprach er ihm, um einen Kreutzer zu zeigen, wie man zu Zorn und Schimpf und Händeln kommen könne. Mancher der dieß liest, wird denken, das zu lernen sey keinen Heller noch weniger einen Kreutzer werth, weil Schimpf und Händel etwas Schlimmes und nichts Gutes sind. Aber es ist mehr werth, als man meynt. Denn wenn man weiß, wie man zu dem Schlimmen kommen kann, so weiß man auch, vor was man sich zu hüten hat, wenn man davor bewahrt bleiben will. So mag dieser Mann auch gedacht haben, denn er gab dem Knaben den Kreutzer. Allein dieser forderte jezt den zweyten, und als er den auch erlangt hatte, den dritten und vierten, und endlich den sechsten. Als er aber noch immer mit dem Kunststück nicht herausrücken wollte, gieng doch die Geduld des Mannes aus. Er nannte den [85] Knaben einen unverschämten Burschen und Betteljungen, drohte, ihn mit Schlägen fortzujagen, und gab ihm am Ende auch wirklich ein paar Streiche. „Ihr grober Mann, der ihr seyd, schrie jezt der Junge, schon so alt und noch so unverständig! hab ich euch nicht versprochen zu lehren, wie man zu Schimpf und Händeln kommt? Habt Ihr mir nicht sechs Kreutzer dafür gegeben? Das sind ja jezt Händel, und so kommt man dazu. Was schlagt ihr mich denn?“ So unangenehm dem Ehrenmann dieser Vorfall war, so sah er doch ein, daß der listige Knabe Recht und er selber Unrecht hatte. Er besänftigte sich, nahm sichs zur Warnung, nimmer so aufzufahren, und glaubte die gute Lehre, die er da erhalten habe, sey wohl sechs Kreutzer werth gewesen.
In einer andern Stadt gieng ein Bürger schnell und ernsthaft die Straße hinab. Man sah ihm an, daß er etwas Wichtiges an einem Ort zu thun habe. Da gieng der vornehme Stadtrichter an ihm vorbey, der ein neugieriger und dabey ein gewaltthätiger Mann muß gewesen seyn, und der Gerichtsdiener kam hinter ihm drein. Wo geht Ihr hin so eilig? sprach er zu dem Bürger. Dieser erwiederte ganz gelassen: Gestrenger Herr, das weiß ich selber nicht. – Aber Ihr seht doch nicht aus, als ob Ihr nur für Langeweile herumgehen wolltet. Ihr müßt etwas Wichtiges an einem Orte vorhaben. – Das mag seyn, fuhr der Bürger fort, aber wo ich hingehe, weiß ich wahrhaftig nicht. Das verdroß den Stadtrichter sehr. Vielleicht kam er auch auf den Verdacht, daß der Mann an einem Ort etwas Böses ausüben wollte, das er nicht sagen dürfe. Kurz, er verlangte jezt [86] ernsthaft, von ihm zu hören wo er hingehe, mit der Bedrohung, ihn sogleich von der Straße weg in das Gefängniß führen zu lassen. Das half alles nichts, und der Stadt-Richter gab dem Gerichtsdiener zuletzt wirklich den Befehl, diesen widerspenstigen Menschen wegzuführen. Jezt aber sprach der verständige Mann: Da sehen Sie nun, hochgebietender Herr, daß ich die lautere Wahrheit gesagt habe. Wie konnte ich vor einer Minute noch wissen, daß ich in den Thurn gehen werde, – und weiß ich denn jezt gewiß, ob ich drein gehe? – Nein, sprach jezt der Richter, das sollt Ihr nicht. Die witzige Rede des Bürgers brachte ihn zur Besinnung. Er machte sich stille Vorwürfe über seine Empfindlichkeit, und ließ den Mann ruhig seinen Weg gehen.
Es ist doch merkwürdig, daß manchmal ein Mensch, hinter welchem man nicht viel sucht, einem andern noch eine gute Lehre geben kann, der sich für erstaunend weise und verständig hält.