Zweihundert deutsche Männer in Bildnissen und Lebensbeschreibungen/Johannes Keppler
Mathematiker und Astronom von reicher Fülle des
Wissens und ahnungsvollen Geistes, in Deutschland
nächst Kopernikus der Schöpfer der neuern Sternkunde,
ein Mann, der nicht ohne schwere Prüfungen den Gang
durch das Leben vollbrachte. Keppler war um zwei Monate
zu zeitig in der kleinen Reichsstadt Weil in
Schwaben geboren, dann mit dem Vater, welcher Soldat
war, aus dem Geburtsort nach Leonberg, von da
nach Elmendingen übergesiedelt. So begann ihm frühzeitig
eine wechselvolle Laufbahn, die sein späteres Leben vorzubedeuten schien. Der junge Keppler besuchte als
Knabe die gute Klosterschule zu Maulbronn, neigte sich
zur Theologie und begann deren Studium auf der
Hochschule zu Tübingen, nachdem er dort bereits 1591
Professor der Philosophie geworden war. Die Philosophie
lenkte Keppler’s denkenden Geist zur Mathematik,
die ihm größere Gewißheit für so manche Geheimnisse
des Lebens der Welten zu ertheilen verhieß, als die
theologische Wissenschaft, und bald erreichte er in der
Mathematik eine so hohe Stufe der Erkenntniß, daß er
einem Rufe zum Lehrer der Mathematik und Professor
der Moraphilosophie an das Gymnasium zu Grätz in
Steiermark, den ihm 1593 sein Lehrer Mäßlin verschafft,
und den er nicht ohne Zagen angenommen hatte,
völlig entsprach. Dort baute Keppler auf das neuentdeckte
Weltsystem des größten Astronomen, Kopernikus,
das einen fast anderthalbtausendjährigen Irrthum umstieß,
weiter und weiter, und wurde, freilich nicht auf
einmal, sondern auf mühsamen und labyrinthisch verschlungenen
Wegen der Forschung Entdecker unvergänglicher
Wahrheiten. Im Jahre 1596 machte er, veranlaßt
durch seine Verheirathung, eine Reise nach der
schwäbischen Heimath, und sah sich 1598 genöthigt aus
Grätz nach Ungarn zu flüchten, weil zwischen den katholischen
und protestantischen Ständen in Steiermark unselige
Religionsstreitigkeiten ausbrachen, welche mit der
gewaltsamen Unterdrückung der evangelischen Kirche in
jenem Lande endigten; dennoch kam Keppler nach Grätz
zurück und trat wieder in sein Lehramt ein. Er war
dem berühmten Astronomen Tycho de Brahe bekannt
geworden, welcher nach zahllosen Entdeckungen, die er
auf der für ihn eigens erbauten Sternwarte Uranienborg
[Ξ] auf der Insel Hveen bei Kopenhagen gemacht, und
nach seinem Weggang aus Dänemark sich als Schützling
Kaiser Rudolph’s nach Prag gewandt hatte, wo eine
neue Burg Urania’s sich erheben sollte. Durch ihn veranlaßt
zog Keppler 1600 nach Prag und befreundete
sich innig mit Tycho de Brahe, ward von diesem dem
Kaiser vorgestellt und warm empfohlen, sodaß er, da de
Brahe schon im folgenden Jahre starb, zum kaiserlichen
Mathematikus erhoben wurde. Keppler ward Tycho de
Brahe’s geistiger Erbe; viele von dessen Entdeckungen
waren Bereicherungen der Astronomie, nur nicht sein
Weltsystem, das noch in jenem uralten des Ptolomäus
wurzelte. Den ihm vom Kaiser Rudolph ausgesetzten
Gehalt empfing Keppler unter demselben ebenso unregelmäßig,
als unter dessen Nachfolger Matthias, welcher
Keppler 1611 am Gymnasium zu Linz anstellte. Dort
schufen ihm Verschiedenheiten im religiösen Bekenntniß
Verdruß und Kummer; in der Theologie sah Keppler
nicht minder klar, wie in der Astronomie, wenn nicht
allzu klar – und dies hatte zur Folge, daß er durch
die Geistlichkeit von der protestantischen Kirchengemeinschaft
ausgeschlossen wurde. Im Jahre 1613 mußte
Keppler dem Reichstage zu Regensburg beiwohnen,
hauptsächlich wegen des daselbst zu berathenden neuen
Kalenders nach Gregorianischem Styl, dessen Einführung
schon im Jahre 1582 durch eine päpstliche Bulle
geboten war, in Deutschland aber aus confessionellen
Bedenklichkeiten – weil die Protestanten gar nichts
vom römischen Papst annehmen wollten – nur langsam
Eingang fand. Fast hundert Jahre später erst
fand der verbesserte, und namentlich durch Keppler und
auf den Grund von dessen rudolphinischen Tafeln verbesserte
Kalender, im evangelischen Deutschland, in
Dänemark, den Niederlanden und der evangelischen
Schweiz Eingang. Leider litt der bedeutende Mann,
wie so mancher in anderer Weise ihm ebenbürtige,
häufig Mangel, und mußte zu einem Gewerbe greifen,
das nach seinem eigenem Bekenntniß „etwas weniger
ehrlich war, als betteln“ – er mußte Kalender mit
Prophezeihungen anfertigen, nach alter Art, und diese
verkaufen. Dennoch schlug er einen Ruf als Professor
nach Bologna im Jahr 1617 aus, um als Deutscher
in deutscher Freiheit und Sitte zu leben und
zu sterben. Während Keppler so eine Reihe von Jahren
in Dürftigkeit zubrachte, schrieb er zahlreiche mathematische
Werke und seine „Physica coelestis“. Die
von ihm gefundenen und nach ihm benannten drei Gesetze
sind es, auf welche die gesammte neuere
Astronomie sich begründet, auf deren drittem namentlich
Newton das System vom Mechanismus des Weltgebäudes
aufbaute. Auch sprach er die hohen Ahnungen
aus, daß die Weltkörper eigenthümlich beseelt seien,
daß der Erdball athme, u. a. Als Optiker und Dioptriker
leistete Keppler ebenfalls mehr als alle seine
Vorgänger.
Bis zum Ende blieb Keppler’s Leben ein bewegtes; von Linz zog er 1626 nach Regensburg, 1627 von da nach Ulm, von Ulm nach Prag. Dort sollte er in die Dienste Wallenstein’s treten, Hofastronom und Astrolog des gestirngläubigen Herzogs von Friedland werden, aber dieser sollte 12000 Gulden, die der Kaiser Keppler schuldig geblieben war, auszahlen, und darüber zerschlug sich die Anstellung. Noch einmal ging Keppler nach Regensburg zum Reichstag, sein Geld einzufordern – dort erkrankte und starb er. In den Anlagen der Stadt ließ Dalberg 1817 dem unsterblichen Astronomen ein Denkmal errichten.