Zum Inhalt springen

Zweihundert deutsche Männer in Bildnissen und Lebensbeschreibungen/Jacob Böhme

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Textdaten
<<< >>>
Autor: Ludwig Bechstein
Illustrator: {{{ILLUSTRATOR}}}
Titel: Jacob Böhme
Untertitel:
aus: Zweihundert deutsche Männer in Bildnissen und Lebensbeschreibungen, S. 29–30
Herausgeber:
Auflage:
Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1854
Verlag: Georg Wigand's Verlag
Drucker: {{{DRUCKER}}}
Erscheinungsort: Leipzig
Übersetzer:
Originaltitel:
Originalsubtitel:
Originalherkunft:
Quelle: Google und Commons
Kurzbeschreibung:
Eintrag in der GND: [1]
Bild
[[Bild:|250px]]
Bearbeitungsstand
fertig
Fertig! Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle Korrektur gelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Um eine Seite zu bearbeiten, brauchst du nur auf die entsprechende [Seitenzahl] zu klicken. Weitere Informationen findest du hier: Hilfe
Indexseite


[Ξ]


Jacob Böhme.
Geb. d. 11. Nov. 1575, gest. d. 7. Sept. 1624.


Wundersamer mystischer Schwärmer, durchdrungen vom Wesen des geheimnißvollen, tiefinnerlichen und übersinnlichen, was die Menschengeister, die es dämonisch erfaßt, zu den Höhen der Gottheit empor zu heben, oder auch in die Nacht des Irrsinns zu stürzen vermag. Böhm oder Böhme wurde zu Altseidenberg in der Nähe von Görlitz in dürftigen Verhältnissen geboren; er mußte als armer Bauernsohn das Vieh hüten und der Schulunterricht auf Dörfern beschränkte sich zu seiner Zeit nur auf den Katechismus und etwas lesen; an Schreiben war kaum zu denken. Dann erlernte Jacob das Schuhmacherhandwerk, wurde nach vollbrachter Wanderung Meister und verheirathete sich mit einer Metzgerstochter, mit welcher er 30 Jahre in zufriedener Ehe lebte und Vater von vier Söhnen wurde, welche alle des Vaters Handwerk erlernten und betrieben. Das wäre die Geschichte eines Alltagslebens, aber dieses Alltagsleben verklärte der magische Schein eines tiefen, ahnungsreichen, bis zur Vision verzückten religiösen Gemüths. Die Natur hatte zum Gemüth des Knaben schon auf der Waldestrist und im Baumesrauschen gesprochen, und die Offenbarungen der Schrift, in die er sich später vertiefte, als die sitzende Lebensart ihm zu Grübeleien Anlaß gab, lockten ihn zur Erforschung all der großen Glaubens-Räthsel, welche dem nicht durch die Klarheit der Wissenschaft erleuchteten Geist ebenso undurchdringlich, als gefährlich sind. Das eigenthümlich organisirte Nervenleben Böhme’s ließ ihn schon auf seiner Wanderschaft entzückende Gesichte empfangen, Ausflüsse einer früh angereizten regen Phantasie und geistiger Gefühlsschwelgerei, welche das stete Grübeln über Geheimnisse der Religion, über das Wesen der Gottheit und die erhabensten Dinge hervorgerufen hatte. Solche Visionen setzten sich auch später fort, und der fromminnige bleiche Mann mit den feingeformten milden Zügen erschien sich selbst als ein gotterkorener Seher, andern als ein Schwärmer, der mehr sein wollte wie sie, den man daher nicht streng genug verurtheilen zu können meinte. Die Bibel, Böhme’s Hauptstudium, war dem ganz in sich zurückgezogenen, auf seinen engen häuslichen Kreis sich beschränkenden frommen Mann [Ξ] die Quelle seines Glücks wie seiner Irrthümer. – Der in jedem strebenden Geist lebendige Drang nach Mittheilung trieb auch Böhme an, sein Fühlen und Schauen zu offenbaren, und so entstand sein erstes Buch: »Aurora, oder die Morgenröthe im Aufgang«, welches 1612 im Druck erschien und großes Aufsehen erregte. In einer Sprache, die theils der biblischen sich anzunähern suchte, theils die geheimnißvolle Ausdrucksweise des hochbegabten, nicht genug gewürdigten Paracelsus verrieth, der jedenfalls nicht ohne Einfluß auf Böhme’s theosophische Geistesrichtung geblieben war, suchte der Seher von Görlitz sich anderen mitzutheilen. Ein Geistlicher daselbst, dem das Buch in die Hände fiel, sprach von der Kanzel herab sein theologisches Verdammungsurtheil über Buch und Autor aus, und der Magistrat sah sich gemüssiget, Böhme das »Schuster bleib bei deinem Leisten« durch ein Verbot, ferner Bücher zu schreiben, fühlbar zu machen. Allein Jacob Böhme schrieb dennoch Bücher, gewann sich Freunde, Anhänger, fand Aufmunterung und einen vielfachen Wiederhall seiner Anschauungs- und Gefühlsweise in verwandten Seelen, unter ihnen selbst schlesische Edle, und obschon Böhme keine neue Religionslehre aufstellte, und nur seine innern Anschauungen über Gottheit, Natur, Schöpfung, Sünde, Offenbarung u. s. w. kund gab, so gedieh es beinahe dahin, daß eine Sekte entstand, die sich nach ihm Böhmisten nannte, mindestens von andern so genannt wurde. Böhme gab später sein Handwerk auf und verfaßte noch zahlreiche theosophisch mystische Schriften, in denen hohe und schöne Gedanken voll Kraft und Fülle des Ausdrucks enthalten sind, aber auch viele Bizarrerien einer sich selbst nicht klaren Denkweise, einer in das nebelhafte schweifenden Phantasie und großer geistiger Ueberspannung. In Görlitz ging man so weit, daß man den Theosophen eines Tages aus der Stadt wies, andern Tages aber ihn zurückberief. Bald darauf, 1624, verließ Böhme seine Vaterstadt und begab sich nach Dresden, wo er über seine Glaubensansichten und sonstigen Offenbarungen von gründlichen Theologen förmlich examinirt wurde, denn man witterte einen Ketzer in ihm, und die Zeit, in welcher man solche verbrannte, war noch keineswegs vorüber; – man konnte aber nichts auf ihn bringen. Indessen sagte ihm der Aufenthalt in Dresden nicht zu, und er kehrte wieder nach Görlitz zurück, wo er noch im Herbst desselben Jahres im Frieden starb. Ungleich mehr Schriften, als Jacob Böhme selbst geschrieben hat, wurden für und gegen ihn geschrieben; der verzückte Philosophus teutonicus, wie manche ihn nannten, machte noch nach seinem Tode denen viel zu schaffen, die nichts besseres zu thun wußten, als dem unschädlichen Schwärmer Ansichten und Meinungen unterzulegen, an die er vielleicht nie gedacht hatte.