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Zweihundert deutsche Männer in Bildnissen und Lebensbeschreibungen/Gottlob Nathusius

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Textdaten
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Autor: Ludwig Bechstein
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Titel: Gottlob Nathusius
Untertitel:
aus: Zweihundert deutsche Männer in Bildnissen und Lebensbeschreibungen, S. 275–276
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Auflage:
Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1854
Verlag: Georg Wigand's Verlag
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Erscheinungsort: Leipzig
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Originaltitel:
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Originalherkunft:
Quelle: Google und Commons
Kurzbeschreibung:
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Gottlob Nathusius.
Geb. d. 30. April 1760, gest. d. 23. Juli 1835.


Gottlob Nathusius, aus einer schwedischen Familie (Nat-Hus, d. i. Nachthaus), von der ein Glied – der Familientradition nach – zu Dr. Luthers Zeit nach Wittenberg gekommen, dessen Nachkommen dann durch viele Generationen hindurch Predigerstellen im Chursächsischen bekleidet, – wurde zu Baruth (im jetzigen Regierungsbezirke Potsdam) geboren, wo sein Vaker chursächs. Steuereinnehmer mit 5 Thlr. 20 Sgr. monatlichem Gehalte war. Nur die besondere Betriebsamkeit einer ebenso frommen als industriösen Mutter, die bei ihrer Arbeit mit heller Stimme die alten Kirchenlieder zu singen pflegte, machte es möglich, die zahlreiche Familie durchzubringen. Der höchste Wunsch unsres Gottlob war, zu studiren, und um ein Unterhaltsmittel auf Schulen und Universitäten zu besitzen, hatte er sich mit großem Eifer auf die Musik geworfen. Allein die schreckliche Hungerzeit in den 70ger Jahren schnitt ihm jede Aussicht dazu ab, und er mußte in eine harte 6jährige Lehre in einem Berliner Materialladen eintreten, wo er besonders bei seiner Schwächlichkeit, Armuth und seiner anerzogenen Gewissenhaftigkeit, die den bösen Schlichen der älteren Genossen widerstand, viel zu leiden hatte. Doch erwarb ihm diese, als sie an den Tag kam, die Zuneigung des Principals. – Die Makulatur, woraus er Tüten drehen mußte, studirte er, um sich zu bilden, sowohl in Bezug auf Inhalt als Styl durch (Gellerten bekannte er in letzterer Beziehung das meiste zu verdanken, und der Erwerbung einer leichten und natürlichen Schreibart statt des verschrobenen Geschäftsstyles verdankte er nachmals sein erstes Fortkommen). Das Frühstück versagte er sich und kaufte von den gesammelten Dreiern, die er dazu erhielt, Bücher beim Antiquar. Heimlich des Nachts machte er sogar chemische Experimente, und neben dem dürftigen Tütchenverkauf der Wirklichkeit führte er endlich eine ausgedehnte ideale Handlung mit selbsterlernter doppelter Buchhaltung und mit fingirten Speculationen und Korrespondenzen in alle Weltgegenden. Und so geschah es, daß er unmittelbar aus diesem Detailgeschäfte, und erst 24 Jahr alt, einen Ruf als erster Buchhalter an ein angesehenes Magdeburger Handelshaus erhielt. – Sein neuer Principal starb bald darauf kinderlos und verordnete, daß sein kaufmännisch ungebildeter Schwager Richter mit Nathusius zusammen das Geschäft übernähme, dessen Rechnungswesen übrigens in großer Unordnung war. Als Nathusius nach einem Jahre die Bilanz zog, fand er, daß er eigentlich eine bankerotte Handlung übernommen hatte. Ein hitziges Fieber, das ihn dem Tode nahe brächte, war die Folge dieser stillen Entdeckung. Ein alter Nachbar, an den er sich m der Verlegenheit wandte, borgte ihm auf den Schimmer der einsamen Lampe, den er so oft in später Nacht von Nathusius Comtoire bemerkt hatte, und das Geschäft kam bald in Schwung. Nathusius verband damit eine Tabaksfabrik, indem er ein ganz neues, auf chemische Kenntnisse gegründetes, und dadurch eben einfaches und natürliches [Ξ] Verfahren in diese Fabrikation einführte, und die Firma Richter und Nathusius (die auch nach des ersteren frühem Tode fortdauerte) ward bald auf den Tabakspaketen über ganz Deutschland, ja über dasselbe hinausgetragen. Eine üble Unterbrechung machte im Jahre 1795 die Wiedereinführung der Tabaksregie, bei der er nun als Generalfabrikdirector eintrat, aber bald seinen Abschied nahm, weil er sich mit der ziemlich schlechten Wirthschaft nicht vertragen konnte. Sie fand auch bald ihr Ende in der Wiederaufhebung des Regales nach Friedrich Wilhelms II. Tode. Nathusius leitete die Auflösung als königlicher Commissar, schlug aber den ihm angebotenen Geheimerathsrang aus, und übernahm sein Magdeburger Geschäft nun wieder für eigene Rechnung. Im höchsten Flore traf es der unglückliche Kneg von 1806 und der Tilsiter Frieden, wodurch Magdeburg zum Königreich Westfalen geschlagen und der Absatz erheblich beschränkt ward. (Soll doch im Preußischen ein Jude sich taufen lassen und dabei den Namen Nathusius angenommen haben, blos um in Compagnie mit irgend einem Richter die Firma nachzumachen.)

Nathusius ward unter die Westfälischen Reichsstande nach Cassel berufen und dort zugleich Rathgeber des in steter Verlegenheit befindlichen Finanzministers von Bülow, ohne daß meistens jedoch sein Rath richtig befolgt wäre, und ohne sich auch activ an Manipulationen zu betheiligen, durch die er sich ohne Mühe hätte bereichern können. Für bloßes Geld- und Papiergeschäft war er kein Mann. – In Cassel verheiratete sich Nathusius mit einer Tochter des Kriegsraths Engelhard und der als Dichterin zu ihrer Zeit vielgenannten Philippine geb. Gatterer, kaufte das Kloster Althaldensleben bei Magdeburg und das daran stoßende Rittergut Hundisburg und zog aufs Land.

Hier begann er nun ein neues Leben in großartigen gewerblichen Schöpfungen. Von weit und breit sammelten sich »Genies« aus diesem Fache, die freilich meistens zur Gattung der »verdorbenen« gehörten, um den allen neuen Ideen zugänglichen Mann, unter dessen Seelenvermögen überhaupt (was von einem so bekannten Geschäftsmanne, und der auch selbst nur das »Nützliche« gelten lassen wollte, wunderlich zu sagen ist) die Phantasie das hervorstechendste war. Das wichtigste und unzweifelhaft zeitgemäßeste seiner Unternehmungen war eine Maschinenfabrik im ausgedehntesten Maaßstabe, zu einer Zeit, wo noch keine in Deutschland bestand. Mit großer Energie in Schwung gesetzt, scheiterte sie gänzlich, weil Nathusius selbst gerade von der Mechanik keine ausreichende Kenntniß besaß und der Mechaniker, dem er die Leitung übergab, ein Schwindler war. Doch blieb auch dies Unternehmen nicht ohne Folge, indem zwei von den Arbeitern, die Nathusius dazu aus England hatte kommen lassen, nun auf eigne Hand eine Fabrik anlegten. – Glücklicher war Nathusius, nachdem er schweres Lehrgeld bezahlt hatte, mit den meisten andern Unternehmungen, die er selbst besser übersehen konnte. Allein meistens hatten sie nur Reiz für ihn, solange es Neues zu ersinnen und auszuführen, Schwierigkeiten zu überwinden gab. Waren sie erst im Gange, so ließ er sie theils wieder eingehen, theils von Beamten so gut es ging verwalten, um sich mit seinem rastlosen Geiste sofort wieder neuen Aufgaben zuzuwenden. So entstand theils nach, theils nebeneinander eine ganze Reihe von Gewerbszweigen: chemische Fabrik, Branntweinbrennerei, Bierbrauerei, Eisengießerei, Kupferhammer. Steindruckerei, Mahl- und Oelmühlen, Rübenzuckerfsiederei, indische Zuckerraffinerie, Stärke- und Kartoffelsyrupsfabrik, Pottaschesiederei, Gypshütte und Fabrik von künstlichem Marmor, Obstweinkelterei, Nudelfabrik, Essig und Mostrichfabrik, Destillation von Liqueuren und Parfüms, Ziegelei, Töpferei, Steingut- und Porzellanfabrik, großartige Baumschulen u. s. w. So ward Althaldensleben, ohne daß der rastlose Unternehmer aus dem allen in Summa zuletzt irgend einen pekuniären Vortheil gezogen hätte, eine Pflanzschule der Industrie für nähere und weitere Umkreise. Und da daneben auch die neuesten Methoden der Landwirtschaft und Landescultur überhaupt im großen versucht und angewendet wurden, so war es lange Zeit das Reiseziel einer großen Menge von Besuchern aus fast allen europäischen Ländern. Im Sommer war fast täglich offene Tafel, die Nathusius mit der lebhaften und originellen Unterhaltung eines Autodidakten würzte, und bei der es ein Lieblingsgedanke von ihm war, daß alles, was sich auf ihr befand (mit Ausnahme der beiden Artikel: Salz und Glas, die er deshalb gern auch noch in Angriff genommen hätte) eigenes Produkt war. So genoß er den Rest seines Lebens in ländlicher Zurückgezogenheit und in einer glücklichen Häuslichkeit, große Mäßigkeit und Sparsamkeit mit einer noch größeren Freigebigkeit, wo es wohlthätige oder gemeinnützige Zwecke galt, vereinend. Besonders gern unterstützte er junge Leute zu ihrer Ausbildung. Blieb es doch stets sein stilles Bedauern, daß er von seinem eigentlichen Lieblingswunsche, sich einer gelehrten Laufbahn zu widmen, durch die Noth der Jugend verschlagen war. Sein einziger Luxus bestand in einer sehr ins große getriebenen Liebe für die Pflanzenwelt und schöne Gartenkunst. Von dem Charakter des ungewöhnlichen Mannes, der in einer ihm eigentlich fremden Sphäre so Außerordentliches leistete, wäre es schwer ein Bild in wenigen Strichen zu entwerfen: er konnte nach außen streng, ja hart erscheinen, und war doch von der weichsten und sinnigsten Empfindung seine große Schüchternheit, namentlich auch Höherstehenden gegenüber, hatte er in seiner Jugend nur dadurch überwunden, daß er jeden, der vor ihm stand, ohne Kleider zu denken sich vornahm); – als Mann des Calculs bekannt, kannte er kaum die gangbaren Geldstücke, und steckte er ausnahmsweise einmal Geld zu sich, so wußte er am Abende nicht, wo es geblieben war; – als Vater aller Praxis galt er, und konnte kaum behalten, wie lang ein Fuß oder wie schwer ein Pfund war. Keiner Mode folgend, behielt er auch eine stetgleichmäßige und etwas altertümliche Tracht bis in sein rüstiges Alter bei. Er starb nach längerer Unterleibskrankheit 75 Jahre alt im Kreise der Seinen.

Von 5 Söhnen, die ihn nebst 2 Töchtern aus seiner glücklichen Ehe überlebten, verwalten 4 väterliche Güter, der 5. redigirt ein größeres Unterhaltungsblatt, das (früher Hallische) »Volksblatt für Stadt und Land«.