Zweihundert deutsche Männer in Bildnissen und Lebensbeschreibungen/Geiler von Kaisersberg
Die Poesie des Mittelalters war abgeblüht, die Prosa
trat an ihre Stelle, und Didaktik und Rhetorik waren die
Künste, in denen sich der wissenschaftlich strebende Geist
des fünfzehnten Jahrhunderts am lebendigsten offenbarte.
Unter den Meistern dieser Künste nahm Geiler von Kaisersberg
eine der ersten Stellen ein.
Von Geburt ein Schweizer, aus Schaffhausen, Sohn
eines Notars, begründete er sich einen bedeutenden
Ruf weit über seines Vaterlandes Grenzen. Die Grundlage
seiner Erziehung wurde im Hause des Großvaters
zu Kaisersberg gelegt, daher der später angenommene
Beiname; dann besuchte Geiler das Gymnasium
zu Freiburg und 5 Jahre lang die Hochschule zu Basel,
und erlangte auf letzterer den Grad eines Doktors der
Theologie, ohne jedoch einseitig und ausschließlich theologischen
Studien sich hinzugeben. Die Humaniora
bildeten seinen Geist aus, und gaben seinem Genius
und seiner Beredsamkeit Flügel. Nach Freiburg zurückgekehrt,
lehrte er dort ein Jahr lang Theologie, ging
dann nach Würzburg, wirkte als Volksprediger und
empfing daselbst einen Jahresgehalt von 200 Goldgülden.
Als Lehrer der Theologie wie als Volkslehrer und Prediger schlug Geiler die läuternde Richtung ein, und eiferte mit Strenge, wie mit der schwertscharfen Waffe der Satyre gegen die Gebrechen der Zeit und die Laster des Klerus. Mit vorahnendem Geiste prophezeite er, gleich jenem Eisenacher Mönch Johannes Hilten, daß Einer aufstehen werde, die Religion zu läutern und zu reformiren. Daß diese Richtung ihm den Haß der Pfaffheit zuzog, war nur naturgemäß, doch schadete dieser Haß ihm nichts; der Haß der Schlechten dient dem Tüchtigen zur Gesundheit. Geiler empfing 1478 durch den Senator Peter Schott einen Ruf als Domprediger nach Straßburg, und erbaute und belehrte im erhabenen Münster Erwins von Steinbach durch eine Reihe von zweiunddreißig Jahren seine Gemeinde. Vergebens versuchte man ihn nach Würzburg zurück zu locken. Zeitgenosse, Freund und Landsmann hochbegabter und hochbedeutender Geißler der menschlichen Thorheit, eines Sebastian Brant, eines Thomas Murner, eines Hans Holbein, welcher letztere zwar nicht mit Worten, aber [Ξ] in unsterblichen Bildern dem geißelnden Humor mit Vorliebe zur Stütze diente, (Holzschnitte zu Erasmus Lob der Narrheit und viele Blätter des Todtentanzes) nutzte Geiler die vorwaltende Richtung der Zeit, und verschmähte es nicht, über ein Buch Sebastian Brant’s, das durch und durch bitter zürnende Satyre war, das berühmte Narrenschiff, eine lange Reihe scholastisch auslegender, erbaulicher und würzevoller Predigten zu halten, welche von den Zeitgenossen mit freudiger Theilnahme begrüßt wurden, denn man druckte dieselben nicht nur, man illustrirte sie auch mit denselben Holzschnitten, welche den Text des Narrenschiffes schmückten, übersetzte sie und gab sie wiederholt heraus. Außerdem verfaßte Geiler noch gar manche Schriften neben dem Narrenspiegel, so ein „Schiff des Heils, der Reue und der Pönitenz“, Predigten über die Evangelien, Reden an den Klerus u. a. Vieles von ihm erschien vereinzelt als Flugschrift. Von diesen Flugschriften ist eine der anziehendsten auch in Geiler’s „Granatapfel“ enthalten: Die geistlich spinnerin | nach dem Exempel der hailigen wittib | Elisabeth, die sy an einer gunckel | flachs und woll ge | spunnen hat Gepredigt durch den wirdigen Doctor Johannem | Geiler von Kaisersberg etc., welche Hans Burgkmeier mit einem ganz vortrefflichen Holzschnitt schmückte. Selbst diese Flugschrift wurde nachgedruckt und der Holzschnitt frei nachgebildet.
Die Zeitgenossen ertheilten Geiler das Lob frommen Eifers, lebendigen Beispiels, musterhaften Wandels, treu seiner Lehre. Er strafte gleich heftig die Ueppigkeit, wie den Geiz des Klerus, unbekümmert darum, daß er dessen Haß und Neid und Schmähung auf sich zog. In einer Predigt, welche Geiler bei der Einführung des Bischof Wilhelm Grafen von Honstein, über die Pflichten des bischöflichen Amtes hielt, gab er folgende Lehren: „Ein Bischof soll fromm sein, sein Amt selbst verwalten, die Kirche nie versäumen, mit politischen Dingen sich nicht abgeben, keine Buhlerinnen halten, die Pracht nicht lieben, sondern klug und gelehrt, des alten wie des neuen Testamentes ein gründlicher Kenner sein.“
Geiler’s Andenken zu ehren, und ein sichtbares Zeichen des Dankes für sein anerkanntes amtliches Wirken zu gründen, wurde im Jahr 1486 die Kanzel, auf welcher Geiler im Straßburger Münster predigte, eigens mit ganz besonderer Pracht und künstlerischer Zier neu errichtet und hergestellt, die noch bis auf den heutigen Tag bewundert wird. – Als Geiler endlich seines Tagewerkes schon müde war, prophezeite ihm eine zu Augsburg wohnende jungfräuliche Seherin brieflich sein nahes Ende; darüber freute er sich und sah mit gottgetrostem Gemüthe der Erfüllung seiner Hoffnung entgegen, bei Christo zu sein.
Geiler’s rühmendes Epitaphium hob seine Beredsamkeit über die des Perikles, seine Standhaftigkeit über die des Sokrates, seine religiöse Frömmigkeit über die des Numa Pompilius.