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Zweihundert deutsche Männer in Bildnissen und Lebensbeschreibungen/Christian Thomasius

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Textdaten
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Autor: Ludwig Bechstein
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Titel: Christian Thomasius
Untertitel:
aus: Zweihundert deutsche Männer in Bildnissen und Lebensbeschreibungen, S. 367–368
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Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1854
Verlag: Georg Wigand's Verlag
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Erscheinungsort: Leipzig
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Originalherkunft:
Quelle: Google und Commons
Kurzbeschreibung:
Eintrag in der GND: [1]
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Bearbeitungsstand
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Christian Thomasius.
Geb. d. 1. Jan. 1655, gest. d. 23. Sept. 1723.


An der Markscheide einer düstern Epoche, wo diese sich von der helleren Zeit schied, die über Deutschland heraufzudämmern begann, stand Thomasius mitten inne, selbst ringend mit dem Dunkel und freudig die Bahn der neuen Zeit einschlagend. Der Vater, Jacob, war zu Leipzig Rektor an der Thomasschule und lebte lange genug, den Bildungsgang des Sohnes zu leiten und ihn für die wissenschaftliche Laufbahn vorzubereiten. Mit 20 Jahren ging der junge Thomasius auf die Universität zu Frankfurt a. O., nachdem er schon einige Jahre vorher zu Leipzig das Baccalaureat und die Magisterwürde erlangt hatte, blieb in Frankfurt a. O. bis 1679 und wurde dort Doctor Juris. Vom belebendsten Einfluß war und blieb auf den jungen Gelehrten das glänzende Vorbild Friedrich Wilhelm II., des großen Kurfürsten von Brandenburg, der eine Stütze deutscher Wissenschaftlichkeit war. Nach Leipzig zurückgekehrt, begann Thomasius Vorlesungen über Rechtswissenschaft und praktische Philosophie, und sah sich eben dieser praktischen Richtung halber bald genug in Zwistigkeiten und manchen gelehrten Streit verwickelt. Wie Luther die Klügeleien der Scholastik mit starkem Geist zertrümmert hatte, so versuchte Thomasius mit klarem Geist und frischem Muth den Kampf mit den spitzfindigen Sophistereien, welche als Basis der Philosophie seinen Zeitgenossen noch galten; auf das innigste aber befreundete er sich mit einem der berühmtesten dieser Zeitgenossen, mit August Hermann Franke. Thomasius versuchte die Wissenschaft fruchtbar zu machen für das Leben, suchte Vorurtheile zu bekämpfen, den Schlendrian zu beseitigen, wahre Volksbildung zu befördern, und vieles gelang ihm, gegen manches auch kämpfte er vergebens an, der unsterbliche Zopf pedantischer Schulgelahrtheit z. B. war zu dick, als daß die Scheere der schonungslosesten Gegenwirkung ihn ganz abzuschneiden vermocht hätte. Thomasius wagte die unerhörte Neuerung, Dissertationen und Programme in deutscher Sprache zu schreiben, er wagte es in deutscher Sprache seine Vorlesungen anzukündigen und zu halten, und dennoch wurden diese, zum Grauen der alten Perücken, zum Erdrücken voll. Thomasius wagte noch mehr – mit scharfer Kritik und beißendem Witz [Ξ] die Irrthümer anzutasten, in denen seine Zeit noch befangen war. Der gräßlichste dieser Irrthümer war der Glaube an den Teufel und an Hexerei, dem mit der empörendsten Freude der Juristen an Menschenquälerei und Mord zahllose Menschen zum Opfer gebracht wurden. Hatte Thomasius in letzterer Beziehung schon einen Vorgänger, den frommen Jesuiten Spee gehabt, so hatte er doch mehr Anlaß und ein weiteres Feld, erfolgreich gegen den entsetzlichen Wahnsinn der Zeit zu kämpfen, dennoch aber ward er in Leipzig gleichsam ausgebissen, denn er war nicht groß und geistesmächtig genug, den Gegnern gar keine Blöße zu bieten, und wagte sich zumal vom rein philosophischen und juridischen auch auf das theologische Gebiet, aun dem die Phalanx der Gegner zu stark und seine wissenschaftliche Kraft zu schwach war, um lang dauernde Kämpfe siegreich zu bestehen.

Thomasius verließ Leipzig und ging nach Berlin, wo er sich vom Kurfürst Friedrich III., hernach König Friedrich I. in Preußen, sehr ehrenvoll ausgenommen sah. Der König ernannte ihn zum Rath mir 500 Thalern Gehalt und zum Professor in Halle. Dort waren die Vorlesungen des berühmten Thomasius so sehr besucht, daß der einflußreiche Minister Dunkelmann dem Könige rieth, die in Halle bestehende, vom großen Kurfürsten eingerichtete Ritterakademie zu einer Hochschule zu erheben. Dies geschah 1694, Halle wurde Universität und Thomasius erhielt an ihr die zweite Professur der Jurisprudenz, später wurde ihm die Oberleitung der ganzen Universität mit Rang und Titel eines Geheimeraths übertragen. Auch der herrliche August Hermann Franke fand als Professor der Theologie dort neben dem Freunde bleibenden Wohnsitz, und beide wirkten vereint für Förderung des Menschenwohles und geläuterter Wissenschaftlichkeit bis zu ihrem Tode. Zahlreich sind Thomasius Schriften, ob schon nicht alle von gleichem Werth, die Mehrzahl ist vergessen, aber Thomasius Name klingt ruhm- und ehrenvoll durch die Jahrhunderte und bleibt der Nachwelt unvergessen.