Zweihundert deutsche Männer in Bildnissen und Lebensbeschreibungen/Christian Thomasius
An der Markscheide einer düstern Epoche, wo diese sich
von der helleren Zeit schied, die über Deutschland heraufzudämmern
begann, stand Thomasius mitten inne,
selbst ringend mit dem Dunkel und freudig die Bahn
der neuen Zeit einschlagend. Der Vater, Jacob, war
zu Leipzig Rektor an der Thomasschule und lebte
lange genug, den Bildungsgang des Sohnes zu leiten
und ihn für die wissenschaftliche Laufbahn vorzubereiten.
Mit 20 Jahren ging der junge Thomasius auf die
Universität zu Frankfurt a. O., nachdem er schon einige
Jahre vorher zu Leipzig das Baccalaureat und die
Magisterwürde erlangt hatte, blieb in Frankfurt a. O.
bis 1679 und wurde dort Doctor Juris. Vom belebendsten
Einfluß war und blieb auf den jungen Gelehrten
das glänzende Vorbild Friedrich Wilhelm II.,
des großen Kurfürsten von Brandenburg, der eine
Stütze deutscher Wissenschaftlichkeit war. Nach Leipzig
zurückgekehrt, begann Thomasius Vorlesungen über
Rechtswissenschaft und praktische Philosophie, und sah
sich eben dieser praktischen Richtung halber bald genug
in Zwistigkeiten und manchen gelehrten Streit verwickelt.
Wie Luther die Klügeleien der Scholastik mit
starkem Geist zertrümmert hatte, so versuchte Thomasius
mit klarem Geist und frischem Muth den Kampf mit
den spitzfindigen Sophistereien, welche als Basis der
Philosophie seinen Zeitgenossen noch galten; auf das
innigste aber befreundete er sich mit einem der berühmtesten
dieser Zeitgenossen, mit August Hermann Franke.
Thomasius versuchte die Wissenschaft fruchtbar zu machen
für das Leben, suchte Vorurtheile zu bekämpfen, den
Schlendrian zu beseitigen, wahre Volksbildung zu befördern,
und vieles gelang ihm, gegen manches auch
kämpfte er vergebens an, der unsterbliche Zopf pedantischer
Schulgelahrtheit z. B. war zu dick, als daß die
Scheere der schonungslosesten Gegenwirkung ihn ganz
abzuschneiden vermocht hätte. Thomasius wagte die
unerhörte Neuerung, Dissertationen und Programme
in deutscher Sprache zu schreiben, er wagte es in
deutscher Sprache seine Vorlesungen anzukündigen und
zu halten, und dennoch wurden diese, zum Grauen der
alten Perücken, zum Erdrücken voll. Thomasius wagte
noch mehr – mit scharfer Kritik und beißendem Witz
[Ξ] die Irrthümer anzutasten, in denen seine Zeit noch
befangen war. Der gräßlichste dieser Irrthümer war
der Glaube an den Teufel und an Hexerei, dem mit
der empörendsten Freude der Juristen an Menschenquälerei
und Mord zahllose Menschen zum Opfer gebracht
wurden. Hatte Thomasius in letzterer Beziehung
schon einen Vorgänger, den frommen Jesuiten Spee
gehabt, so hatte er doch mehr Anlaß und ein weiteres
Feld, erfolgreich gegen den entsetzlichen Wahnsinn
der Zeit zu kämpfen, dennoch aber ward er in Leipzig
gleichsam ausgebissen, denn er war nicht groß und
geistesmächtig genug, den Gegnern gar keine Blöße zu
bieten, und wagte sich zumal vom rein philosophischen
und juridischen auch auf das theologische Gebiet, aun
dem die Phalanx der Gegner zu stark und seine wissenschaftliche
Kraft zu schwach war, um lang dauernde
Kämpfe siegreich zu bestehen.
Thomasius verließ Leipzig und ging nach Berlin, wo er sich vom Kurfürst Friedrich III., hernach König Friedrich I. in Preußen, sehr ehrenvoll ausgenommen sah. Der König ernannte ihn zum Rath mir 500 Thalern Gehalt und zum Professor in Halle. Dort waren die Vorlesungen des berühmten Thomasius so sehr besucht, daß der einflußreiche Minister Dunkelmann dem Könige rieth, die in Halle bestehende, vom großen Kurfürsten eingerichtete Ritterakademie zu einer Hochschule zu erheben. Dies geschah 1694, Halle wurde Universität und Thomasius erhielt an ihr die zweite Professur der Jurisprudenz, später wurde ihm die Oberleitung der ganzen Universität mit Rang und Titel eines Geheimeraths übertragen. Auch der herrliche August Hermann Franke fand als Professor der Theologie dort neben dem Freunde bleibenden Wohnsitz, und beide wirkten vereint für Förderung des Menschenwohles und geläuterter Wissenschaftlichkeit bis zu ihrem Tode. Zahlreich sind Thomasius Schriften, ob schon nicht alle von gleichem Werth, die Mehrzahl ist vergessen, aber Thomasius Name klingt ruhm- und ehrenvoll durch die Jahrhunderte und bleibt der Nachwelt unvergessen.