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Zwei spanische Städte

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Titel: Zwei spanische Städte
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aus: Die Gartenlaube, Heft 50, S. 819–820
Herausgeber: Ernst Ziel
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Erscheinungsdatum: 1883
Verlag: Verlag von Ernst Keil
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Erscheinungsort: Leipzig
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Quelle: Scans bei Commons
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[816]

Ansicht von Valencia.
Nach einer Photographie aus dem Verlage von B. Schlesinger in Stuttgart (J. Laurent, Madrid).

[817]

Das königliche Palais in Madrid.
Nach einer Photographie aus dem Verlage von B. Schlesinger in Stuttgart (J. Laurent, Madrid).

[819] Zwei spanische Städte. (Mit Illustrationen S. 816 und 817) Am 19. November schiffte sich der deutsche Kronprinz am Bord des deutschen Kriegsschiffes „Prinz Adalbert“ in Genua ein, um sich nach Spanien zu begeben und König Alfons XII. den vor einigen Monaten abgestatteten Besuch zu erwidern. Nach stürmischer Fahrt langte der mit ungewöhnlichem Interesse erwartete Gast Spaniens bei Sonnenschein am 22. in Grao, dem Hafen von Valencia, an. Der Grao ist ein kleiner schmutziger Schifferort an der Ostküste der iberischen Halbinsel, und die Stadt Valencia liegt ein gutes Stück von ihm entfernt, man fährt mit der Pferdebahn mehr als eine halbe Stunde dorthin. Grao gilt als einer der besten Häfen Spaniens. Im Sommer ist es ein beliebter Bade-Ort, und dann rollt nicht allein die Pferdebahn dorthin, sondern auch Hunderte der landesüblichen zweirädrigen Karren vermitteln die Verbindung zwischen der See und der Stadt. Denn außer den wenigen Hôtelomnibus giebt es nur diese eigenthümlichen, mit Maulthieren bespannten Gefährte in Valencia, zu denen der Fremde anfangs wenig Vertrauen hat. Bei aller Abneigung, den Karren zu besteigen, wird ihn aber die malerische Tracht seines Kutschers erfreuen, die „Manta“ (ein vielfarbiges Plaid), die Sammetjacke oder gestickte Blouse, die bunte „Faga“ (Leibgurt) und die classischen Sandalen. Doch nicht allein die Sandalen legen ein Zeugniß von der classischen Herkunft des Valencianers ab, auch seine Gesichtszüge und besonders der Typus seiner Frauen. Die Valencianerin ist eine der schönsten Frauen Spaniens, stolz und kräftig ist ihre Gestalt wie die der Römerin, regelmäßig ihr fein geschnittenes Antlitz.

Es giebt ein Sprüchwort, welches neckend von Valencia behauptet: „das Fleisch ist Kraut, das Kraut Wasser, der Mann Weib und das Weib nichts“. Die Valencianerin hört solche Neckerei lächelnd an, denn sie weiß, daß ihre Schönheit in ganz Iberien berühmt ist.

Die Provinz Valencia ist eine der kleinsten Spaniens und dennoch von hoher Bedeutung, da ihr an Fruchtbarkeit und landschaftlichen Reizen nur Andalusien den Rang streitig zu machen vermag. Den Mauren war hier das Paradies auf Erden, die Juden vergaßen hier ihr Heimathland. Sie verdient in der That den Namen „Garten“ (Huerta), den ihr die Mauren beigelegt haben. Kunstvoll und wirksam ward von dem betriebsamen Volke der Boden befruchtet durch das von den Bergen herabquellende Wasser. In tausendfachen Fäden von kleinen Canälen, Rinnen, Furchen vertheilt dieses Wasser sich über das Gefilde. Wir sehen künstliche Becken, in denen es sich sammelt und aufgespart wird für die Zeit der Dürre; sehen kleine Schleußen und Wehre, die seine Vertheilung regeln; sehen gemauerte Leitungen, niedrig, schmucklos, nur dem Bedürfnisse dienend, welche die erquickende Fluth von einem Acker zum andern tragen. Das ist von den Arabern geschaffen worden, hat sich aber erhalten bis heute. Das System ist damit aber noch keineswegs abgeschlossen. Neben der alten Kathedrale der Königsstadt Valencia erhebt sich einzelstehend der Migualete, der alte Michel, ein klotziger Thurm, der ebenfalls aus arabischer Zeit stammen soll, vielleicht das Minaret einer Moschee. Von diesem Thurme aus wird seit der Maurenherrschaft die Wasservertheilung geregelt: verschiedene Glockenzeichen bestimmen, wann und wo die Schleußen geöffnet, welche Bezirke überrieselt, getränkt werden sollen. Ist es warm, trocken, fürchtet man Dürre, so giebt man mehr von den bewahrten Vorräthen; in kühlerer, feuchter Jahreszeit halten die Glocken des alten Michelthurms die Schleußen geschlossen. Besser, uneigennütziger sind aber die Menschen in Valencia auch nicht, als anderswo. Mancher kümmert sich um den Befehl der Glocken nicht, läßt seinen Orangenhain länger das erquickende Naß schlürfen, öffnet zu Ungebühr die Schleußen. Dann tritt das Wassergericht zusammen. Vor einem Portale der alten Kirche versammeln sich die Schöffen desselben, der Fall wird vorgetragen, nach strenger Prüfung abgeurtheilt, der Schuldige bestraft. Dieses Wassergericht ward schon von den Arabern eingesetzt, es hat alle Staats- und Rechtsumwälzungen überdauert, bildet heute noch die einzige Spruchbehörde für jeden Wasserfrevel. Es sichert der Oase von Valencia ihr üppiges Gedeihen.

So weckt hier menschliche Vorsorge tausendfältiges Leben, und nimmermüde werden Erdreich und Sonne zu zeugen und zu reifen. Orangenwälder ziehen sich am Meere hin, ihren berauschenden Duft in die Eisenbahnwaggons hineinsendend, die den üppigen Küstenstrich durchfliegen. Palmen heben ihre gefiederten Wipfel über die Orangen empor, und was man daheim nur in Glashäusern zu sehen gewohnt ist, wuchert hier ungepflegt. Die Seidenindustrie blüht in Valencia, seine Mantillas sind weltbekannt, außerdem fabricirt man Rosinen von Trauben und bunte glasirte Fliesen, azulejos. Letztere Kunst stammt vermuthlich von der Insel Majorca und hat der Majolica den Namen gegeben.

Die Stadt Valencia ist von den Römern gegründet, wie auch ihre Bezeichnung valentia (Stärke, Kraft) lateinischen Ursprungs ist. Nach den römischen Colonisten herrschten hier die Gothen, nach ihnen die Mauren und diese wurden 1095 von dem spanischen Nationalhelden, dem Cid Campeador, nach langwieriger Belagerung vertrieben. Doch Valencia bewahrt noch seinen arabischen, halb orientalischen Charakter; es hat enge gewundene Schlangengassen, hohe Häuser mit flachen Dächern, auf denen man Tauben für den beliebten Taubensport züchtet. Wenige vergitterte Fenster mit Balcons sehen auf die Straße, dicke Mauern schützen die Bewohner vor der Hitze. Vielfach sind die Häuser ganz schmal, nur mit zwei Fenstern Front, ein winziges wie für Puppen berechnetes Treppchen führt in die oberen Stockwerke.

Die heutige Stadt, welche gegen 150,000 Seelen zählt, bietet an Kunstbauten weniger, als mancher kleinere spanische Ort. Ihre Kathedrale war ursprünglich gothisch, in der Renaissancezeit hat man sie antikisiren wollen und damit einen seltsamen Mischmasch geschaffen. Sie befindet sich auf der Stelle, wo einst ein römischer Diana-Tempel stand. Die Gothen beteten später hier zum Erlöser, die Araber zu Allah und jetzt ruft man die Santisima Virgen (Jungfrau Maria) an. Ein schöner, spätgothischer Bau ist die Lonja, Börse, deren hohe Pfeilerhallen wie ein steingewordener Palmenwald erscheinen.

Vor der Lonja befindet sich die Plaza del Mercado (Markt), welche [820] den Fremden wegen der dort sich abspielenden Volksscenen lebhaft anzieht. Die Calle de los Caballeros ist, wie schon ihr Name besagt, eine der vornehmsten Valencias, sie ist breiter als die übrigen, und hier sieht man stolze, stille Paläste der Edlen, die von einem reich galonnirten Thürhüter bewacht werden. Pferdebahnlinien durchziehen die Stadt und führen zu der am Turia gelegenen Promenade la Glorieta, wo Abends Militärmusik spielt. Die Palmen der hübschen Gartenanlagen waren in diesem Jahre von dem abnormen Froste ganz braun. Valencia ist fast in Kreisform gebaut; im Süden befindet sich der Bahnhof und die Arena für die Stiergefechte, im Norden schließt der Turia es von den Vororten ab. Das Bett des Flusses ist im Sommer stets versandet, dann sickert nur noch das gelbliche Wasser durch den Felsengrund. Fünf steinerne Brücken spannen sich stolz darüber, aber wenn man unwillkürlich über so viel Fürsorge lächelt, wird man belehrt, daß der Turia nicht immer so zahm und oft zu Ueberschwemmmungen geneigt ist.

So sieht das Stück Erde aus, welches der deutsche Kronprinz von spanischem Boden zuerst sah, so die Stadt, welche ihn am 22. November unter Jubel der Bevölkerung feierlich begrüßte!

Die zweite spanische Stadt, die den Thronfolger des deutschen Kaiserreiches beherbergen durfte, ist Madrid. Es ist kein althistorischer Ort, sondern erst von Karl V. zur Landescapitale erhoben worden. Obwohl eine hübsche Stadt mit breiten glänzenden Straßen, grünen Plätzen, schönen Promenaden, besitzt sie nichts Typisches für Spanien überhaupt, da sich hier zu sehr nationales Wesen mit internationalen Elementen mischt. Von hoher Bedeutung sind aber in Madrid die Kunstschätze, vor Allem die Gemäldegallerie, welche wohl einzig in der Welt dasteht. Velasquez lernt man in seiner ganzen Genialität und Vielseitigkeit nur hier kennen, das Museum zählt 62 seiner Originalwerke. Sodann 46 Murillo’s, 58 Ribera’s, 21 Vandyke’s, 10 Raphael’s, 62 Rubens etc.

Die Armeria real ist eine der interessantesten Waffensammlungen Europas. Das Gebäude, welches an das königliche Schloß stößt, wurde an Stelle des alten maurischen Alcazar unter Philipp II. errichtet. Das Schloß selbst, in dem jetzt der deutsche Kronprinz residirt, liegt an der Plaza del Oriente – einem großen baum-, und statuenbestandenen Platze. An die Rückseite des Palastes schließt sich der Jardin del Campo del Moro. Von ihm sieht man zum Manzanares hinunter, auf die grüne Ebene hinaus und bis zu den Bergen, an deren Abhange der Escurial ragt. Der Palacio real ist ein mächtiger Bau, der, von außen betrachtet, mehr durch Größe als durch Schönheit imponirt. Er ist 470 Fuß lang und ebenso viele breit und 100 Fuß hoch; das untere Geschoß im Rusticageschmacke besteht aus Granit, weiße Steinsäulen trennen die Fenster der oberen Stockwerke und reichen bis zum Simse des flachen Daches. Philipp V. wünschte mit diesem Schlosse einen Nebenbuhler von Versailles zu errichten, der Bau wurde 1737 nach den Plänen eines Turiner Architekten begonnen.

Doch das Heim des königlichen Gastgebers unseres Kronprinzen ist erst vor Kurzem (vergl. Nr. 49) in der „Gartenlaube“ geschildert worden. Wir haben dieser Schilderung nichts weiter hinzuzufügen, als nur den aufrichtigsten Wunsch, daß die Freundschaft der beiden Monarchen auch ihren Völkern Segen bringen möge.