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Zwei Mecklenburger Leidensgenossen (2)

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Titel: Zwei Mecklenburger Leidensgenossen
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aus: Die Gartenlaube, Heft 19, S. 295–297
Herausgeber: Ernst Keil
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Erscheinungsdatum: 1863
Verlag: Verlag von Ernst Keil
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Erscheinungsort: Leipzig
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Quelle: Scans bei Commons
Kurzbeschreibung:
Zwei Mecklenburger Leidensgenossen (1)
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Zwei Mecklenburger Leidensgenossen.

2. Michael Baumgarten.

Wenn Verfolgungen und Leiden, wie sie der in Nr. 48 des vor. Jahrg. dieser Zeitschrift geschilderte Magister Joachim Slüter wegen seines Glaubens und seiner reformatorischen Bestrebungen zu erdulden hatte, im 16. Jahrhundert nichts Seltnes, ja kaum etwas Auffälliges waren, so ist die Amtsentsetzung des Professor und Doctor der Theologie Baumgarten in Rostock, die in unserm Jahrhunderte erfolgt ist, so sehr Gegenstand allgemeinster Theilnahme und Besprechung geworden, daß ein skizzirtes Charakterbild dieses hochbegabten Mannes, welches zu zeichnen ich auf Wunsch der Redaction der Gartenlaube gern unternommen habe, wohl geeignet zu einem Seitenstück für das des eben genannten mecklenburgischen Reformators ist.

Das vorliegende Lebensbild soll den Menschen schildern, wie er mir erscheint und erschienen ist, seit ich vor fünftehalb Jahren zuerst seine Bekanntschaft machte, und kann also nicht speciell auf die theologischen Streitfragen eingehen.

Michael Baumgarten ist im Jahre 1812 zu Haseldorf in der holsteinischen Marsch geboren, wo sein Vater einen Bauerhof besaß. Ueber diesen Schauplatz seiner ersten Jugend wollen wir ihn selbst hören, wie er sich sowohl hierüber wie über seine ersten Jugendeindrücke in der Schrift „Protestantische Lehre und Warnung“ mit eben so rührender Pietät als Einfachheit ausspricht.

„Am Elbstrom liegt ein kleiner Erdstrich, von drei Seiten durch Wasser abgeschnitten und an der vierten durch den Geestrand begrenzt. Dieser kleine Erdfleck ist mein liebes Heimathsland. Hier wohnt ein Volk, welches seinen Boden der Gewalt des Meeres und des Stromes abgerungen hat, und fortwährend bemüht ist, mit rüstigem Arme und kluger Vorsicht das Erbe seiner Väter gegen die feindliche Macht des Elements zu schützen. Auf diesem Boden stand meine Wiege, in einem Bauerhause hart an dem Elbdeiche, mit dem Markzeichen eines Kreuzes im Herzen, und in der Hauspostille und Bibel sind die Geschicke unseres Geschlechts und unseres Landes, mit welchem charakteristischen Namen jener ganze Marschdistrict bezeichnet wird, über zwei Jahrhunderte hinaus aufgezeichnet.

Hier ist mein junges Leben von treuen Händen aufgenommen und verpflegt, und mit gottesfürchtigem Mund in die Welt eingeführt worden. In der Dorfschule habe ich strenge Zucht und Ordnung gelernt, und die feierlichen Gebete der lutherischen Vorzeit, die ich noch nirgends wiedergefunden habe, meinem Gedächtnisse unverlierbar eingeprägt, und die Betglocke, die ich oft mit eigner Hand gezogen habe, und das Sterbegeläute bei den Leichenpredigten, bei denen wir Knaben singen mußten, klingt noch in dieser Stunde in meiner Seele wieder.

Unser Kirchenstand mit dem Namen meines Urgroßvaters, zu welchem ich von früh an meinen Vater regelmäßig begleiten mußte, gilt mir für eine heilige Stätte, und wie oft segne ich ihn in der Erinnerung an die heiligen und seligen Ahnungen des ewigen Lebens, die dort in mir geweckt worden sind!

Noch lange könnte ich fortfahren diese Heiligthümer meiner Jugend aus dem wirklichen Leben in der Mitte einer lutherischen Gemeinde zu erzählen, wenn ich nicht fürchten müßte, Andre damit zu ermüden. Und diese Schätze sind mir nie abhanden gekommen, denn das stand mir unerschütterlich fest, daß es eine Andre Theologie gar nicht geben könne, als die, welche in einem ungekünstelten und unabweisbaren Zusammenhange mit diesen heiligen Gütern stehe.

Außerdem wachte auch mein seliger Vater, obwohl nur ein schlichter Landmann, strenge darüber, daß mir nichts als Wahrheit gelten durfte, als was in Uebereinstimmung mit dem Glauben stehe. Recht gut erinnere ich mich noch, wie einst, als ich während meiner Gymnasialzeit äußerte, „die buchstäbliche Wahrheit des mosaischen Schöpfungsberichtes scheine mir nicht nothwendig von unserm Glauben gefordert zu sein,“ mein Vater mich ernstlich verwarnte vor allen Meinungen und Lehren, die sich über den klaren und einfachen Sinn der Bibel erheben wollen.

So ist es mir möglich geworden, in allen Stadien meiner Entwickelung, als Gymnasiast, als Student, als Privatdocent, als Pastor, und als Professor, in lebendigem, nicht blos bewußtem, sondern tatsächlichem Zusammenhange und Verkehr mit dieser kirchlichen Atmosphäre meiner Geburtsstätte zu bleiben. Noch heute stehe ich in Gemeinschaft des Gebens und Empfangens mit den Genossen meiner Jugend, die mit mir auf den Bänken der Dorfschule gesessen haben, mit denen ich im Feld und am Deich gearbeitet habe. Ich unterhalte mich mit ihnen schriftlich und mündlich über kirchliche und theologische Dinge, und ich muß bekennen, daß ich mit diesen Bauern über das, was ich für wesentlich und nothwendig halte in unserer Kirche, mich weit besser verständigen kann als mit den meisten Pastoren.“

Unter solchen Umgebungen und Eindrücken wuchs also der mutmaßliche Hoferbe heran, bis zu seinem sechszehnten Jahre nichts Anderes denkend und glaubend, als daß er einst das uralte Eigenthum seiner Familie besitzen und verwalten würde. Stark und groß von Körper und lebhaften Geistes legte er schon frühzeitig mit Hand an bei den ländlichen Arbeiten, doch pflog er in den Mußestunden gern Umgang mit dem Sohne des Ortsgeistlichen, der sich mit ihm in ziemlich gleichem Alter befand, und dieses Verhältniß sollte von den wichtigsten Folgen für Michael werden.

Der Pfarrer, ein gelehrter und äußerst regsamer Mann, ertheilte seinen Kindern allen Unterricht ganz allein selbst, und dies geschah höchst regelmäßig. Michael fühlte daher bald zu seiner Beschämung, wie weit er noch im Wissen hinter seinem Spielgenossen zurückstand. Auf sein Bitten ertheilte ihm dieser dann halb im Spiel Unterricht in der lateinischen Sprache; der Pfarrer erfuhr dies ganz zufällig, prüfte nun, zuerst auch halb im Scherz, den Schüler seines Schülers, und erkannte dabei bald die außergewöhnlichen Geistesgaben des Ersteren.

[296] Auf seine Fürsprache und Michael’s Bitten gelang es um so leichter, den Vater zu dem ihm außerdem gewiß sehr schwer werdenden Opfer zu bewegen, seinen erstgeborenen Sohn studiren zu lassen, als er selbst in seiner Jugend den glühendsten Wunsch gehegt hatte, ein Gleiches zu thun, sein Vater aber durchaus nicht zu bewegen gewesen war, seine Einwilligung hierzu zu geben.

Der Pfarrer übernahm es nun, Michael auf das Gymnasium vorzubereiten, und ließ ihn an allen Stunden seines Sohnes theilnehmen, den jener sehr bald weit überholte. Mit dem vollendeten siebzehnten Jahre konnte Michael schon in die Selecta (erste Classe) des Gymnasiums zu Altona eintreten und in seinem zwanzigsten Jahre bezog er die Universität Kiel, von wo er drei Jahre später (1835) nach Berlin abging, um da unter Leitung von Twesten, Hengstenberg und Neander seine theologischen Studien zu beenden. Im Sommer 1837 gab er seine erste Druckschrift „die Echtheit der Pastoralbriefe“ heraus, für die ihm das erste Schleiermacher’sche Stipendium zu Theil ward. Bald darauf ging er in der Hoffnung nach Halle, dort als Privatdocent Aufnahme zu finden. Allein so wie er im Jahre 1858 in Rostock, wie Viele glauben, aus dem Grunde sein Lehramt verlor, weil er nicht strenggläubig genug sei, so erregte er zwanzig Jahre früher in dem damals noch sehr rational gesinnten Halle Mißfallen durch seine Orthodoxie; genug, er wurde nicht angestellt und kehrte nun nach Kiel zurück, wo er während der Jahre 1839–1846 als Privatdocent erfolgreich wirkte und wo unterdessen die schönste und edelste Blume auf seinem späterhin so dornenvollen Lebenspfade für ihn herangeblüht war: Ingeborg, die älteste Tochter des Etatsrath Falck.

Leider konnte selbst das hohe Glück, das diese Liebe Baumgarten gab, den Kampf nur erleichtern, aber nicht beenden helfen, den der wahrheitliebende, gewissenhafte Theologe noch immer mit den in ihm aufgestiegenen Zweifeln zu durchkämpfen hatte, und erst nachdem drei Jahre verflossen, seitdem er der Verlobte Ingeborg’s war, fühlte er sich endlich plötzlich befreit von dem Elend, das im Ganzen fast sieben Jahre auf ihm gelastet hatte. In dieser Zeit schrieb er seinen „theologischen Commentar zum Alten Testament“, 2 Theile, und „Liturgie und Predigt“, und erst als er sich nun wieder völlig fest in seinem religiösen Bekenntnisse fühlte, trat er 1846 das Amt eines Pastors der aus Stadt- und Landbewohnern gemischten 4000 Seelen starken Gemeinde zu St. Michaelis in der Stadt Schleswig an, und erst dann fand auch seine eheliche Verbindung mit der Geliebten statt, die zum wahren Gottessegen für ihn geworden ist.

Wären nicht die Kämpfe der Herzogthümer mit allen ihren Folgen dazwischen getreten, wer weiß, ob das Pfarrhaus zu St. Michaelis in Schleswig nicht noch das wäre, wozu es durch dies seltene Paar geweiht ward: ein Tempel häuslichen Glücks, in welchen bald noch zwei holde Kinder, eine Tochter und ein Sohn, noch beseligendere Freuden brachten; die Zuflucht aller Mühseligen und Beladenen; der gastliche Heerd, an welchem Alles willkommen geheißen ward, was auf Bildung, reine Sitten oder Theilnahme Anspruch erheben konnte.

Allein nicht nur als vielgeliebter und verehrter Seelsorger und Kanzelredner, als Gelehrter und Schriftsteller, als musterhafter Familienvater und liebenswürdiger Gesellschafter war Baumgarten in Stadt und Land bekannt, sondern auch als einer der eifrigsten Vertheidiger und kräftigsten Stützen der deutschen Sache in den Herzogthümern. Dreimal ergriff er die Gelegenheit, dies offen und öffentlich zu bezeugen, nachdem sich im Frühjahr 1848 der Kampf in den Herzogthümern Schleswig-Holstein entsponnen hatte: 1) in der Druckschrift „Die Gewissensfrage der schleswig-holsteinischen Beamten“, die noch während der dänischen Landesverwaltung erschien; 2) in „Verbotene Fürbitte“ und endlich 3) als er am 5. November 1849 von den in Kiel zusammengetretenen schleswig-holsteinischen Deputationen zum Sprecher erwählt ward.

Diesem ehrenvollen Rufe leistete er nicht nur bereitwillig Folge, sondern er brachte auch sofort durch die Schrift „Ueberweisung der schleswig-holsteinischen Adresse an die Landesversammlung“ seinen Antheil hieran zur öffentlichen und allgemeinen Kenntniß.

Wie immer, so auch hier wieder, hatte Michael Baumgarten sich stets als der rechtschaffene, wahrheitliebende Mann gezeigt und sich keinen Schritt weit von der Laufbahn eines biedern, ehrlichen Charakters entfernt. Sein Leben und Wirken, sein Denken und Empfinden lag klar da vor den Augen der Welt, und wie er nun eben war, was er dachte und glaubte, das Alles mußten auch diejenigen wissen und kennen, auf deren Veranlassung er zum Professor der Theologie nach Rostock berufen ward, noch bevor die dänische Acht auch über ihn erging. Freudig, voll der schönsten Hoffnungen, hier einen noch größeren Wirkungskreis für seine fast beispiellose Thätigkeit und Arbeitskraft zu finden, folgte er im Jahre 1850 diesem Rufe, der anfangs alle seine kühnsten Wünsche und Erwartungen zu erfüllen versprach.

Mit seinen Collegen trat er bald in ein freundliches Verhältniß, seine Berufsthätigkeit befriedigte ihn vollkommen, und die Studenten schaarten sich um ihn, nicht nur mit hoher Bewunderung für seine große Gelehrsamkeit und mit Enthusiasmus für seinen biedern Charakter, sondern auch mit der herzlichen Anhänglichkeit und dem Vertrauen, wie Söhne zu ihrem Vater hegen.

Doch bald gab Baumgarten nach oben hin Anstoß durch verschiedene theologische Schriften, unter denen „Nachtgesichte Sacharjas“ am öftersten genannt sind, und von dem Erscheinen dieser Schrift an datirt sich die Spannung, in die er nach und nach mit seinen theologischen Collegen gerieth. Doch gab er sich noch immer der irrigen Meinung hin, sie in den gelegentlichen Disputen, in die er öfters mit ihnen gerieth, besiegt zu haben, weil er dabei schließlich stets das letzte Wort gehabt und sie dann doch immer noch in ganz leidlichen Verhältnissen zu einander geblieben waren. – Endlich aber, im Jahre 1857 brach der erste wirkliche Schatten über Baumgarten’s Leben herein, der seitdem zur Verderben bringenden Gewitterwolke für ihn geworden ist, die sein und seiner Familie ganzes Lebensglück zerstört hat.

Als Mitglied der Prüfungscommission hatte Baumgarten einem Candidaten der Theologie ein mißliebiges Sujet zu einer ersten Prüfungsarbeit gegeben, und in seiner Beurtheilung der letzteren fand sich nach einem allgemein aufgefaßten Lobe eine Stelle, durch die er in den Verdacht gerieth, revolutionäre Ideen verbreiten zu wollen. Eine Anklage hierüber gelangte bis zur höchsten Landesbehörde, von der dann Baumgarten sich zu rechtfertigen aufgefordert ward. Seine Rechtfertigung ward aber nicht als solche angesehen, und er empfing seine Entlassung aus der Prüfungscommission.

Welchen Eindruck dieses Ereigniß auf ihn hervorgebracht, konnte man aus seinem Benehmen nicht gewahr werden, denn ruhig fuhr er auch nach demselben fort in seinem theologischen Wirken. Schon oftmals hatte er in einer der Rostocker Kirchen Predigten gehalten, und sowohl sein Vortrag, wie seine Persönlichkeit, zogen stets eine zahlreiche Zuhörerschaft herbei. Bei dieser ihm lieb gewordenen Thätigkeit blieb er auch nach jener Entlassung, und ich wünschte von ganzer Seele, Baumgarten wäre stets Kanzelredner und Seelsorger geblieben. Als Redner steht er auf hoher Stufe. Seine Sprache ist einfach, aber edel, sie fließt dahin wie ein voller krystallheller Strom. Sein Organ ist voll und metallisch, so daß auch in den entferntesten Winkeln eines großen Locales seinen Zuhörern kein Wort seiner Rede entgeht. Bei ihm giebt es kein Stocken, kein Besinnen, kein Versprechen, keine Wiederholungen; Alles, was er sagt, scheint unmittelbar aus dem Herzen hervorzuquellen, und so dringt es auch zum Herzen, ohne doch den Geist umnebeln zu wollen. Wenn man ihm zuhört, wird man niemals versucht, sich der Zerstreuung hinzugeben, von Anfang bis zu Ende seines Vortrages ist man dabei mit Aug’ und Ohr wie mit ganzer Seele. Ja auch mit den Augen, denn die seinigen sind der Spiegel seiner Seele. Groß und dunkel ist ihr Blick, in der Regel voll und ruhig, allein so wie er etwas sagt oder hört, das ihn mehr als gewöhnliches Reden interessirt, so belebt sich sofort sein Auge und oftmals bis zur wahren Strahlenglorie, wenn der Gegenstand es verdient, und so begleitet sein Blick seine Empfindung und erhöht dadurch noch um vieles die seiner Zuhörer.

Im Jahre 1857 traf das Unglück auch noch in anderer Gestalt das edle Baumgarten’sche Paar. Der einzige Sohn Theodor starb. Mit welcher Ergebung und Würde das fromme Elternpaar diesen größten Schmerz seines Lebens zu tragen wußte, davon wissen Alle zu erzählen, die ihm näher standen. Aber das Schicksal war nicht müde, den braven Mann noch mehr zu demüthigen. Wenige Monate später, im Jahre 1858 ward seine Amtsentsetzung ausgesprochen, angeblich: „weil er in seinen Schriften Lehren und Grundsätze vorgetragen habe, welche in den wichtigsten Punkten von den Lehren und Grundsätzen der symbolischen Bücher abgewichen, weil [297] er dadurch den Versuch gemacht, den Boden derselben und der mecklenburgischen Landeskirche auf das Tiefste zu erschüttern, und weil er auch politische Lehren der bedenklichsten Art mit seiner theologischen Ketzerei verbinde etc.“ Seine Besoldung (1200 Thaler) solle er jedoch so lange fortbeziehen, als er nicht „durch sein fernerweites Verhalten zur Einstellung dieser Zahlung veranlasse.“ – Worin bestand nun jene bedenkliche Politik Baumgarten’s? Wir werden nicht irren, wenn wir behaupten, daß sie schon darin bestand, daß Baumgarten es wagte: „die Studenten der Theologie, die allermeist nur knechtisch glaubten oder zu glauben vorgaben, was ihnen vorgesagt wurde, zu Freiheit, Selbstständigkeit, Muth und Freudigkeit anzufeuern.“ Natürlich hing einem solchen Manne die Jugend mit ganzem Herzen an, und das genügte, um mit dem Neid der frommen Collegen die Wurzel alles kommenden Uebels zu erzeugen. Es fragt sich sogar, ob jene Prüfungsaufgabe (sie forderte von dem betreffenden Candidaten die „Gewinnung einer Schriftlehre über die Berechtigung einer gewaltsamen Revolution“, ein Thema, das von der gesammten Prüfungscommission gebilligt war, weil „gerade jeder Theologe eine ganz bestimmte und entschiedene Stellung zu dem einmal in der Welt vorhandenen revolutionären Element gewinnen müsse“), oder ob bereits der Mann selbst so verdächtig war, denn ein ministerieller Verweis vom 23. Juni 1857 bringt wenigstens auffällig genug seine „jetzigen politischen Kundgebungen“ in Verbindung mit seiner „früheren Betheiligung an der schleswig-holsteinischen Revolution!“ – So nennt das großherzoglich mecklenburgische Ministerium im Jahre 1857 eine Volksbewegung, für welche im Jahre 1848 und 1849 die großherzoglich mecklenburgischen Truppen selbst in das meerumschlungene Land gezogen waren! –

Baumgarten remonstrirte gegen das ministerielle Einschreiten und bat um „kirchenordnungsmäßiges Verfahren“, und als auch dies ihm nur abschlägliche Antworten mit neuen Kränkungen eingetragen hatte, wandte er sich an die sechste Großmacht, die öffentliche Meinung, mit seiner Schrift: „Eine kirchliche Krisis in Mecklenburg“. Der Proceß, der wegen derselben über ihn verhängt wurde, endete erst im Juli 1859 mit einer Freisprechung von der Instanz.

Während nun von der gesammten mecklenburgischen Geistlichkeit 19 Pastoren in einem Vertrauensvotum dem Oberkirchenrath huldigten, sprachen der evangelische Kirchentag von Hamburg und die mecklenburgische Landesversammlung sich für Baumgarten aus. Vielleicht hätten auch von den Rostocker Geistlichen sich nicht wenige zu letzterer Meinung bekannt, wenn nicht der Oberkirchenrath noch zu rechter Zeit mit seinem mahnenden Donner dazwischen gefahren wäre. Von solchem oberpriesterlichen Zorngewitter ließen dagegen 600 Bürger der Rostocker Gemeinde sich nicht einschüchtern in ihrer offenen Erklärung für Baumgarten, und daß dafür eine Monstre-Untersuchung gegen sie angestrengt wurde, ist zwar nicht schön, aber wahr. Baumgarten verlangt schließlich kirchenordnungsmäßige Behandlung seiner Angelegenheit vor einer Synode. So schwebt die sehr traurige Sache noch immer, und die Lage des Mannes wird, trotz seines ehrenwerthen Kampfes, wegen des Kampfplatzes jeden Tag weniger beneidenswerth.

Daß die glaubensblinde Partei seiner Gegner und Verfolger durch ihr gehässiges, an die finstersten Zeiten des Religionsfanatismus erinnerndes Treiben sich selbst am meisten schadet, sieht sie freilich nicht ein, und es ist vielleicht Gottes Wille so, denn wen er verderben will, den schlägt er mit Blindheit. Der „kirchliche Sinn“ jedoch, dessen Mangel man so viel beklagt, wird durch solche lutherische Ketzerrichterei wahrlich am wenigsten gefördert.

In den letzten Wintern hat Professor Baumgarten Vorlesungen über verschiedene ethische und theologische Themata, namentlich am Mittwoch der Charwoche 1862 eine ganz ausgezeichnete über den Tod Jesu gehalten. Diese Vorlesungen waren ursprünglich nur für die geschlossene „Societät“ bestimmt, allein Hunderte von andern Zuhörern wußten sich durch Freunde und Bekannte Zutritt dazu zu verschaffen, und obgleich das Local, in welchem sie stattfanden, außerhalb der Stadt lag und das Winterwetter den Weg dorthin sehr mühevoll und schwierig machte, so war nichts destoweniger bei jeder einzelnen Vorlesung der Saal mit Zuhörern gänzlich angefüllt, ein Beweis, mit welcher ehrenden, ja rührenden Treue die Rostocker an dem Manne und seinem Worte festhalten.