Zuruf (Lenau)
Zuruf.
Die Keuschen, Sittigstrengen, Tugendfrommen
Sind lahm und lau, wenn’s gilt den Strauß zu fechten,
Wenn ihr Panier ins Blutgedräng gekommen;
Doch Helden sind die sogenannten Schlechten.
Verwächst und seine Klinge mit der Scheide:
„Der starke Gott wird selber durch sich hauen,
Er will es, daß sein Knecht hienieden leide.“
„Laßt nur die Taumler ins Verderben rennen;
Wie Branntweintrunkne schmählich selbstverbrennen,
Muß jede Schuld in ihrem Rausch verlodern.“
Doch solchem Ruf gebührt zur Antwort solches:
O feige Gottesknechtschaft! Kettenhunde!
Spürt euer kalter Brand nicht mehr die Wunde?
Der Römler wird am Sacrament nicht irre,
Wenn sündhaft lebt der Priester der Gemeine,
Weil Gnade nicht gerinnt im Schmutzgeschirre,
O lernt vom Römler Weisheit, fromme Zager!
Ist mancher Streiter auch nicht rein des Schmutzes,
Ist rein doch das Panier im Freiheitslager,
Und wahr das Herz des ungeschlachten Trutzes.
Ein Ungeheuer liegt in Schlangenringen;
Trat Mancher drauf mit unversehnem Tritte,
Und schrie entsetzt, kann das melodisch klingen?
Ein kaltes, plumpes, blödes Ungeheuer,
Das ewig wälzt, ein träger Wiederkäuer,
Des Elends mittelalterliche Brocken.
Harpunen in die Schuppen starrer Satzung!
Und Dolche nach, die Menschheit zu erlösen!
Messias Zorn! o komm, erschlag den Bösen!
Dein Tod am Kreuz, o Christus, ist verloren,
Wenn du nicht wieder kommst für unsre Nöthen,
Prophet, hat uns das Völkerleid geschworen,
Sie fingen auf das Blut von deinen Hüften,
Die Welt zu tränken mit gefälschter Schale,
Die Welt damit zur Feigheit zu vergiften,
Sie krankt vom Opium in deinem Grale.
Sie klettern drauf, um deine Dornenkrone
Wie’s Vogelnest im Lenz vom Baum zu pflücken,
Und wer das Kreuz verehrt, verfällt dem Hohne.
Drum Männer scharf dein Kreuz beschossen haben
Und Grübler nach des Kreuzes Wurzel graben,
Daß sie es schier umwerfen, schier zerschmettern.