Zur Judenfrage
1) Bruno Bauer: Die Judenfrage. Braunschweig 1843. –
2) Bruno Bauer: Die Fähigkeit der heutigen Juden und Christen frei zu werden. Ein und zwanzig Bogen aus der Schweiz. Herausgegeben von Georg Herwegh. Zürich und Winterthur. 1843. S. 56–71. –
KARL MARX.
I.
Bruno Bauer: Die Judenfrage. Braunschweig 1843.
Die deutschen Juden begehren die Emancipation. Welche Emancipation begehren sie? Die staatsbürgerliche, die politische Emancipation.
Bruno Bauer antwortet ihnen: Niemand in Deutschland ist politisch-emancipiert. Wir selbst sind unfrei. Wie sollen wir euch befreien? Ihr Juden seid Egoisten, wenn ihr eine besondere Emancipation für euch als Juden verlangt. Ihr müsstet als Deutsche an der politischen Emancipation Deutschlands, als Menschen an der menschlichen Emancipation arbeiten und die besondere Art eures Drucks und eurer Schmach nicht als Ausnahme von der Regel, sondern vielmehr als Bestätigung der Regel empfinden.
Oder verlangen die Juden Gleichstellung mit den christlichen Untertanen? So erkennen sie den christlichen Staat als berechtigt an, so erkennen sie das Regiment der allgemeinen Unterjochung an. Warum missfällt ihnen ihr specielles Joch, wenn ihnen das allgemeine Joch gefällt! Warum soll der Deutsche sich für die Befreiung des Juden interessiren, wenn der Jude sich nicht für die Befreiung des Deutschen interessirt?
Der christliche Staat kennt nur Privilegien. Der Jude besitzt in ihm das Privilegium, Jude zu sein. Er hat als Jude Rechte, [183] welche die Christen nicht haben. Warum begehrt er Rechte, welche er nicht hat und welche die Christen geniessen!
Wenn der Jude vom christlichen Staat emancipiert sein will, so verlangt er, dass der christliche Staat sein religiöses Vorurtheil aufgebe. Giebt er, der Jude, sein religiöses Vorurtheil auf? Hat er also das Recht, von einem andern diese Abdankung der Religion zu verlangen?
Der christliche Staat kann seinem Wesen nach den Juden nicht emancipiren; aber, setzt Bauer hinzu, der Jude kann seinem Wesen nach nicht emancipirt werden. Solange der Staat christlich und der Jude jüdisch ist, sind Beide eben so wenig fähig, die Emancipation zu verleihen, als zu empfangen.
Der christliche Staat kann sich nur in der Weise des christlichen Staats zu dem Juden verhalten, das heisst auf privilegirende Weise, indem er die Absonderung des Juden von den übrigen Unterthanen gestattet, ihn aber den Druck der andern abgesonderten Sphären empfinden und um so nachdrücklicher empfinden lässt, als der Jude im religiösen Gegensatz zu der herrschenden Religion steht. Aber auch der Jude kann sich nur jüdisch zum Staat verhalten, das heisst zu dem Staat als einem Fremdling, indem er der wirklichen Nationalität seine chimärische Nationalität, indem er dem wirklichen Gesetz sein illusorisches Gesetz gegenüberstellt, indem er zur Absonderung von der Menschheit sich berechtigt wähnt indem er principiell keinen Antheil an der geschichtlichen Bewegung nimmt, indem er einer Zukunft harrt, welche mit der allgemeinen Zukunft des Menschen nichts gemein hat, indem er sich für ein Glied des jüdischen Volkes und das jüdische Volk für das auserwählte Volk hält.
Auf welchen Titel hin begehrt ihr Juden also die Emancipation? Eurer Religion wegen? Sie ist die Todtfeindin der Staatsreligion. Als Staatsbürger? Es gibt in Deutschland keine Staatsbürger. Als Menschen? Ihr seid keine Menschen, so wenig als die, an welche ihr appellirt.
Bauer hat die Frage der Juden-Emancipation neu gestellt, nachdem er eine Kritik der bisherigen Stellungen und Lösungen der Frage gegeben. Wie, fragt er, sind sie beschaffen, der Jude, der emancipirt werden, der christliche Staat, der emancipiren soll? Er antwortet durch eine Kritik der jüdischen Religion, er analysirt den religiösen Gegensatz zwischen Judenthum und Christenthum, er verständigt über das Wesen des christlichen Staates, alles dies mit [184] Kühnheit, Schärfe, Geist, Gründlichkeit in einer ebenso präcisen, als kernigen und energievollen Schreibweise.
Wie also löst Bauer die Judenfrage? Welches das Resultat? Die Formulirung einer Frage ist ihre Lösung. Die Kritik der Judenfrage ist die Antwort auf die Judenfrage. Das Resumé also Folgendes:
Wir müssen uns selbst emancipiren, ehe wir andere emancipiren können.
Die starrste Form des Gegensatzes zwischen dem Juden und dem Christen ist der religiöse Gegensatz. Wie löst man einen Gegensatz? Dadurch dass man ihn unmöglich macht. Wie macht man einen religiösen Gegensatz unmöglich? Dadurch dass man die Religion aufhebt. Sobald Jude und Christ ihre gegenseitigen Religionen nur mehr als verschiedene Entwickelungsstufen des menschlichen Geistes, als verschiedene von der Geschichte abgelegte Schlangenhäute und den Menschen als die Schlange erkennen, die sich in ihnen gehäutet, stehn sie nicht mehr in einem religiösen, sondern nur noch in einem kritischen, wissenschaftlichen, in einem menschlichen Verhältnisse. Die Wissenschaft ist dann ihre Einheit. Gegensätze in der Wissenschaft lösen sich aber durch die Wissenschaft selbst.
Dem deutschen Juden namentlich stellt sich der Mangel der politischen Emancipation überhaupt und die prononcirte Christlichkeit[1] des Staats gegenüber. In Bauers Sinn hat jedoch die Judenfrage eine allgemeine von den specifisch-deutschen Verhältnissen unabhängige Bedeutung. Sie ist die Frage von dem Verhältniss der Religion zum Staat, von dem Widerspruch der religiösen Befangenheit und der politischen Emancipation. Die Emancipation von der Religion wird als Bedingung gestellt, sowohl an den Juden, der politisch emancipirt sein will, als an den Staat, der emancipiren und selbst emancipirt sein soll.
«Gut, sagt man, und der Jude sagt es selbst, der Jude soll auch nicht als Jude, nicht weil er Jude ist, nicht weil er ein so treffliches allgemein menschliches Prinzip der Sittlichkeit hat, emancipirt werden, der Jude wird vielmehr selbst hinter dem Staatsbürger zurücktreten und Staatsbürger sein trotz dem, dass er Jude ist und Jude bleiben soll: d. h. er ist und bleibt Jude, trotz dem, dass er Staatsbürger ist und in allgemeinen menschlichen Verhältnissen lebt: sein jüdisches und beschränktes Wesen trägt immer und zuletzt über seine menschlichen und politischen Verpflichtungen den Sieg davon. Das Vorurtheil bleibt trotz dem, dass es von [185] allgemeinen Grundsätzen überflügelt ist. Wenn es aber bleibt, so überflügelt es vielmehr alles Andere.» «Nur sophistisch, dem Scheine nach würde der Jude im Staatsleben Jude bleiben können; der blose Schein würde also, wenn er Jude bleiben wollte, das Wesentliche sein und den Sieg davon tragen, d. h. sein Leben im Staat würde nur Schein oder nur momentane Ausnahme gegen das Wesen und die Regel sein.» (Die Fähigkeit der heutigen Juden und Christen, frei zu werden. Ein und zwanzig Bogen, p. 57).
Hören wir andrerseits, wie Bauer die Aufgabe des Staats stellt:
«Frankreich» heisst es «hat uns neuerlich (Verhandlungen der Deputirtenkammer vom 26. Dezember 1840) in Bezug auf die Judenfrage – so wie in allen andern politischen Fragen beständig – den Anblick eines Lebens gegeben, welches frei ist, aber seine Freiheit im Gesetz revocirt, also auch für einen Schein erklärt und auf der andern Seite sein freies Gesetz durch die Tat widerlegt.» «Judenfrage» p. 64.
«Die allgemeine Freiheit ist in Frankreich noch nicht Gesetz, die Judenfrage auch noch nicht gelöst, weil die gesetzliche Freiheit – dass alle Bürger gleich sind – im Leben, welches von den religiösen Privilegien noch beherrscht und zertheilt ist, beschränkt wird und diese Unfreiheit des Lebens auf das Gesetz zurückwirkt und dieses zwingt, die Unterscheidung des an sich freien Bürgers in Unterdrückte und Unterdrücker zu sanktionieren. p. 65.
Wann also wäre die Judenfrage für Frankreich gelöst?
«Der Jude z. B. müsste aufgehört haben, Jude zu sein, wenn er sich durch sein Gesetz nicht verhindern lässt, seine Pflichten gegen den Staat und seine Mitbürger zu erfüllen, also z. B. am Sabbath in die Deputirten-Kammer geht und an den öffentlichen Sitzungen Theil nimmt. Jedes religiöse Privilegium überhaupt, also auch das Monopol einer bevorrechteten Kirche müsste aufgehoben und wenn Einige oder Mehrere oder auch die überwiegende Mehrzahl noch religiöse Pflichten glaubten erfüllen zu müssen, so müsste diese Erfüllung als reine Privatsache ihnen selbst überlassen sein. «p. 65.» Es giebt keine Religion mehr, wenn es keine privilegirte Religion mehr gibt. Nehmt der Religion ihre ausschliessende Kraft und sie existirt nicht mehr. «p. 66.» So gut, wie Herr Martin du Nord in dem Vorschlag, die Erwähnung des Sonntags im Gesetze zu unterlassen, den Antrag auf die Erklärung sah, dass das Christenthum aufgehört habe, zu existiren, mit demselben Rechte (und dies Recht ist vollkommen begründet,) würde die [186] Erklärung, dass das Sabbathgesetz für den Juden keine Verbindlichkeit mehr habe, die Proklamation der Auflösung des Judenthums sein.» P. 71.
Bauer verlangt also einerseits, dass der Jude das Judenthum, überhaupt der Mensch die Religion aufgebe, um staatsbürgerlich emancipirt zu werden. Andrerseits gilt ihm konsequenter Weise die politische Aufhebung der Religion für die Aufhebung der Religion schlechthin. Der Staat, welcher die Religion voraussetzt, ist noch kein wahrer, kein wirklicher Staat. «Allerdings gibt die religiöse Vorstellung dem Staat Garantien. Aber welchem Staat? Welcher Art des Staates?» (S. 97.)
An diesem Punkt tritt die einseitige Fassung der Judenfrage hervor.
Es genügte keineswegs zu untersuchen: Wer soll emancipiren? Wer soll emancipirt werden? Die Kritik hatte ein Drittes zu thun. Sie musste fragen: Von welcher Art der Emancipation handelt es sich? Welche Bedingungen sind im Wesen der verlangten Emanzipation begründet? Die Kritik der politischen Emancipation selbst war erst die schliessliche Kritik der Judenfrage und ihre wahre Auflösung, in die «allgemeine Frage der Zeit.»
Weil Bauer die Frage nicht auf diese Höhe erhebt, verfällt er in Widersprüche. Er stellt Bedingungen, die nicht im Wesen der politischen Emancipation selbst begründet sind. Er wirft Fragen auf, welche seine Aufgabe nicht enthält, und er löst Aufgaben, welche seine Frage unerledigt lassen. Wenn Bauer von den Gegnern der Judenemancipation sagt: «Ihr Fehler war nur der, dass sie den christlichen Staat als den einzig wahren voraussetzten und nicht derselben Kritik unterwarfen, mit der sie das Judenthum betrachteten» (S. 3), so finden wir Bauer’s Fehler darin, dass er nur den «christlichen Staat,» nicht den «Staat schlechthin» der Kritik unterwirft, dass er das Verhältniss der politischen Emancipation zur menschlichen Emancipation nicht untersucht und daher Bedingungen stellt, welche nur aus einer unkritischen Verwechslung der politischen Emancipation mit der allgemein menschlichen erklärlich sind. Wenn Bauer die Juden fragt: Habt ihr von eurem Standpunkt aus das Recht, die politische Emancipation zu begehren? so fragen wir umgekehrt: Hat der Standpunkt der politischen Emancipation das Recht, vom Juden die Aufhebung des Judenthums, [187] vom Menschen überhaupt die Aufhebung der Religion zu verlangen?
Die Judenfrage erhält eine veränderte Fassung, je nach dem Staate, in welchem der Jude sich befindet. In Deutschland, wo kein politischer Staat, kein Staat als Staat existirt, ist die Judenfrage eine rein theologische Frage. Der Jude befindet sich im religiösen Gegensatz zum Staat, der das Christenthum als seine Grundlage bekennt. Dieser Staat ist Theologe ex professo. Die Kritik ist hier Kritik der Theologie, zweischneidige Kritik, Kritik der christlichen, Kritik der jüdischen Theologie. Aber so bewegen wir uns immer noch in der Theologie, so sehr wir uns auch kritisch in ihr bewegen mögen.
In Frankreich, in dem konstitutionellen Staat, ist die Judenfrage die Frage des Konstitutionalismus, die Frage von der Halbheit der politischen Emancipation. Da hier der Schein einer Staatsreligion, wenn auch in einer nichtssagenden und sich selbst widersprechenden Formel, in der Formel einer Religion der Mehrheit beibehalten ist, so behält das Verhältniss der Juden zum Staat den Schein eines religiösen, theologischen Gegensatzes.
Erst in den nordamerikanischen Freistaaten – wenigstens in einem Theil derselben – verliert die Judenfrage ihre theologische Bedeutung und wird zu einer wirklich weltlichen Frage. Nur wo der politische Staat in seiner vollständigen Ausbildung existirt, kann das Verhältnis des Juden, überhaupt des religiösen Menschen, zum politischen Staat, also das Verhältniss der Religion zum Staat in seiner Eigenthümlichkeit, in seiner Reinheit heraustreten. Die Kritik dieses Verhältnisses hört auf theologische Kritik zu sein, so bald der Staat aufhört, auf theologische Weise sich zur Religion zu verhalten, so bald er sich als Staat, d. h. politisch zur Religion verhält. Die Kritik wird dann zur Kritik des politischen Staats. An diesem Punkt, wo die Frage aufhört, theologisch zu sein, hört Bauer’s Kritik auf, kritisch zu sein. «Il n’existe aux Etats-unis ni religion de l’état, ni religion déclarée celle de la majorité ni prééminence d’un culte sur un autre. L'état est étranger à tous les cultes.» (Marie ou l’esclavage aux états-unis etc., par G. de Beaumont, Paris 1835, p. 214.) Ja es gibt einige nordamerikanische Staaten, wo «la constitution n’impose pas les croyances religieuses et la pratique d’un culte comme condition des privilèges politiques (l. c. p. 225). Dennoch «on ne croit pas aux Etats-unis qu’un homme sans [188] religion puisse être un honnête homme (l. m. p. 224). Dennoch ist Nordamerika vorzugsweise das Land der Religiosität, wie Beaumont, Tocqueville und der Engländer Hamilton aus einem Munde versichern. Die nordamerikanischen Staaten gelten uns indess nur als Beispiel. Die Frage ist: Wie verhält sich die vollendete politische Emancipation zur Religion? Finden wir selbst im Lande der vollendeten politischen Emancipation nicht nur die Existenz, sondern die lebensfrische, die lebenskräftige Existenz der Religion, so ist der Beweis geführt, dass das Dasein der Religion der Vollendung des Staats nicht widerspricht. Da aber das Dasein der Religion das Dasein eines Mangels ist, so kann die Quelle dieses Mangels nur noch im Wesen des Staats selbst gesucht werden. Die Religion gilt uns nicht mehr als der Grund, sondern nur noch als das Phänomen der weltlichen Beschränktheit. Wir erklären daher die religiöse Befangenheit der freien Staatsbürger aus ihrer weltlichen Befangenheit. Wir behaupten nicht, dass sie ihre religiöse Beschränktheit aufheben müssen, um ihre weltlichen Schranken aufzuheben. Wir behaupten, dass sie ihre religiöse Beschränktheit aufheben, sobald sie ihre weltliche Schranke aufheben. Wir verwandeln nicht die weltlichen Fragen in theologische. Wir verwandeln die theologischen Fragen in weltliche. Nachdem die Geschichte lange genug in Aberglauben aufgelöst worden ist, lösen wir den Aberglauben in Geschichte auf. Die Frage von dem Verhältnisse der politischen Emancipation zur Religion wird für uns die Frage von dem Verhältniss der politischen Emancipation zur menschlichen Emancipation. Wir kritisiren die religiöse Schwäche des politischen Staats, indem wir den politischen Staat, abgesehen von den religiösen Schwächen, in seiner weltlichen Konstruktion kritisiren. Den Widerspruch des Staats mit einer bestimmten Religion, etwa dem Judenthum, vermenschlichen wir in den Widerspruch des Staats mit bestimmten weltlichen Elementen, den Widerspruch des Staats mit der Religion überhaupt, in den Widerspruch des Staats mit seinen Voraussetzungen überhaupt.
Die politische Emancipation des Juden, des Christen, überhaupt des religiösen Menschen, ist die Emancipation des Staats vom Judenthum, vom Christenthum, überhaupt von der Religion. In seiner Form, in der seinem Wesen eigenthümlichen Weise, als Staat emancipirt sich der Staat von der Religion, indem er sich [189] von der Staatsreligion emancipirt, d. h. indem der Staat als Staat keine Religion bekennt, indem der Staat sich vielmehr als Staat bekennt. Die politische Emancipation von der Religion ist nicht die durchgeführte, die widerspruchslose Emancipation von der Religion, weil die politische Emancipation nicht die durchgeführte, die widerspruchslose Weise der menschlichen Emancipation ist.
Die Gränze der politischen Emancipation erscheint sogleich darin, dass der Staat sich von einer Schranke befreien kann, ohne dass der Mensch wirklich von ihr frei wäre, dass der Staat ein Freistaat sein kann, ohne dass der Mensch ein freier Mensch wäre. Bauer selbst gibt dies stillschweigend zu, wenn er folgende Bedingung der politischen Emancipation setzt: «Jedes religiöse Privilegium überhaupt, also auch das Monopol einer bevorrechteten Kirche müsste aufgehoben, und wenn Einige oder Mehrere oder auch die überwiegende Mehrzahl noch religiöse Pflichten glaubten erfüllen zu müssen, so müsste diese Erfüllung als eine reine Privatsache ihnen selbst überlassen sein.» Der Staat kann sich also von der Religion emancipirt haben, sogar wenn die überwiegende Mehrzahl noch religiös ist. Und die überwiegende Mehrzahl hört dadurch nicht auf, religiös zu sein, daß sie privatim religiös ist.
Aber das Verhalten des Staats zur Religion, namentlich des Freistaats, ist doch nur das Verhalten der Menschen, die den Staat bilden, zur Religion. Es folgt hieraus, dass der Mensch durch das Medium des Staats, dass er politisch von einer Schranke sich befreit, indem er sich im Widerspruch mit sich selbst, indem er sich auf eine abstrakte und beschränkte, auf partielle Weise über diese Schranke erhebt. Es folgt ferner, dass der Mensch auf einem Umweg, durch ein Medium, wenn auch durch ein nothwendiges Medium sich befreit, indem er sich politisch befreit. Es folgt endlich, dass der Mensch, selbst wenn er durch die Vermittlung des Staats sich als Atheisten proklamirt, d. h., wenn er[2] den Staat zum Atheisten proklamirt, immer noch religiös befangen bleibt, eben weil er sich nur auf einem Umweg, weil er nur durch ein Medium sich selbst anerkennt. Die Religion ist eben die Anerkennung des Menschen auf einem Umweg. Durch einen Mittler. Der Staat ist der Mittler zwischen dem Menschen und der Freiheit des Menschen. Wie Christus der Mittler ist, dem der Mensch seine ganze Göttlichkeit, seine ganze religiöse Befangenheit [190] aufbürdet, so ist der Staat der Mittler, in den er seine ganze Ungöttlichkeit, seine ganze menschliche Unbefangenheit verlegt.
Die politische Erhebung des Menschen über die Religion theilt alle Mängel und alle Vorzüge der politischen Erhebung überhaupt. Der Staat als Staat annullirt z. B. das Privateigenthum, der Mensch erklärt auf politische Weise das Privateigenthum für aufgehoben, sobald er den Census für aktive und passive Wählbarkeit aufhebt, wie dies in vielen nordamerikanischen Staaten geschehen ist. Hamilton interpretirt dies Faktum von politischem Standpunkte ganz richtig dahin: «Der grosse Haufen hat den Sieg über die Eigenthümer und den Geldreichthum davongetragen.» Ist das Privateigenthum nicht ideell aufgehoben, wenn der Nichtbesitzende zum Gesetzgeber des Besitzenden geworden ist? Der Census ist die letzte politische Form, das Privateigenthum anzuerkennen.
Dennoch ist mit der politischen Annullation des Privateigenthums das Privateigenthum nicht nur nicht aufgehoben, sondern sogar vorausgesetzt. Der Staat hebt den Unterschied der Geburt, des Standes, der Bildung, der Beschäftigung in seiner Weise auf, wenn er Geburt, Stand, Bildung, Beschäftigung für unpolitische Unterschiede erklärt, wenn er ohne Rücksicht auf diese Unterschiede jedes Glied des Volkes zum gleichmässigen Theilnehmer der Volkssouverainetät ausruft, wenn er alle Elemente des wirklichen Volkslebens von dem Staatsgesichtspunkt aus behandelt. Nichts desto weniger lässt der Staat das Privateigenthum, die Bildung, die Beschäftigung auf ihre Weise, d. h. als Privateigenthum, als Bildung, als Beschäftigung wirken und ihr besondres Wesen geltend machen. Weit entfernt, diese faktischen Unterschiede aufzuheben, existirt er vielmehr nur unter ihrer Voraussetzung, empfindet er sich als politischer Staat und macht er seine Allgemeinheit geltend nur im Gegensatz zu diesen seinen Elementen. Hegel bestimmt das Verhältniss des politischen Staats zur Religion daher ganz richtig, wenn er sagt: «Damit der Staat als die sich wissende sittliche Wirklichkeit des Geistes zum Dasein komme, ist seine Unterscheidung von der Form der Autorität und des Glaubens nothwendig; diese Unterscheidung tritt aber nur hervor, insofern die kirchliche Seite in sich selbst zur Trennung kommt; nur so über die besondern Kirchen hat der Staat die Allgemeinheit des Gedankens, das Prinzip seiner Form gewonnen und [191] bringt sie zur Existenz» (Hegels Rechtsphil., 2te Ausg., p. 346). Allerdings! Nur so über den besondern Elementen konstituirt sich der Staat als Allgemeinheit.
Der vollendete politische Staat ist seinem Wesen nach das Gattungsleben des Menschen im Gegensatz zu seinem materiellen Leben. Alle Voraussetzungen dieses egoistischen Lebens bleiben ausserhalb der Staatssphäre in der bürgerlichen Gesellschaft bestehen, aber als Eigenschaften der bürgerlichen Gesellschaft. Wo der politische Staat seine wahre Ausbildung erreicht hat, führt der Mensch nicht nur im Gedanken, im Bewusstsein, sondern in der Wirklichkeit, im Leben ein doppeltes, ein himmlisches und ein irdisches Leben, das Leben im politischen Gemeinwesen, worin er sich als Gemeinwesen gilt, und das Leben in der bürgerlichen Gesellschaft, worin er als Privatmensch thätig ist, die andern Menschen als Mittel betrachtet, sich selbst zum Mittel herabwürdigt und zum Spielball fremder Mächte wird. Der politische Staat verhält sich eben so spiritualistisch zur bürgerlichen Gesellschaft, wie der Himmel zur Erde. Er steht in demselben Gegensatz zu ihr, er überwindet sie in derselben Weise, wie die Religion die Beschränktheit der profanen Welt, d. h. indem er sie ebenfalls wieder anerkennen, herstellen, sich selbst von ihr beherrschen lassen muss. Der Mensch in seiner nächsten Wirklichkeit, in der bürgerlichen Gesellschaft, ist ein profanes Wesen. Hier, wo er als wirkliches Individuum sich selbst und andern gilt, ist er eine unwahre Erscheinung. In dem Staat dagegen, wo der Mensch als Gattungswesen gilt, ist er das imaginäre Glied einer eingebildeten Souverainetät, ist er seines wirklichen individuellen Lebens beraubt und mit einer unwirklichen Allgemeinheit erfüllt.
Der Konflikt, in welchem sich der Mensch als Bekenner einer besondern Religion mit seinem Staatsbürgerthum, mit den andern Menschen, als Gliedern des Gemeinwesens befindet, reducirt sich auf die weltliche Spaltung zwischen dem politischen Staat und der bürgerlichen Gesellschaft. Für den Menschen als bourgeois ist das «Leben im Staat nur Schein oder eine momentane Ausnahme gegen das Wesen und die Regel.» Allerdings bleibt der bourgeois, wie der Jude, nur sophistisch im Staatsleben, wie der citoyen nur sophistisch Jude oder bourgeois bleibt; aber diese Sophistik ist nicht persönlich. Sie ist die Sophistik des politischen Staates selbst. Die Differenz zwischen dem religiösen Menschen und dem Staatsbürger ist die Differenz zwischen dem [192] Kaufmann und dem Staatsbürger, zwischen dem Taglöhner und dem Staatsbürger, zwischen dem Grundbesitzer und dem Staatsbürger, zwischen dem lebendigen Individuum und dem Staatsbürger. Der Widerspruch, in dem sich der religiöse Mensch mit dem politischen Menschen befindet, ist derselbe Widerspruch, in welchem sich der bourgeois mit dem citoyen, in welchem sich das Mitglied der bürgerlichen Gesellschaft mit seiner politischen Löwenhaut befindet.
Diesen weltlichen Widerstreit, auf welchen sich die Judenfrage schliesslich reducirt, das Verhältniss des politischen Staates zu seinen Voraussetzungen, mögen dies nun materielle Elemente sein, wie das Privateigenthum etc., oder geistige, wie Bildung, Religion, den Widerstreit zwischen dem allgemeinen Interesse und dem Privatinteresse, die Spaltung zwischen dem politischen Staat und der bürgerlichen Gesellschaft, diese weltlichen Gegensätze lässt Bauer bestehen, während er gegen ihren religiösen Ausdruck polemisirt. «Grade ihre Grundlagen, das Bedürfniss, welches der bürgerlichen Gesellschaft ihr Bestehen sichert und ihre Nothwendigkeit garantirt, setzt ihr Bestehen beständigen Gefahren aus, unterhält in ihr ein unsicheres Element und bringt jene in beständigem Wechsel begriffene Mischung von Armuth und Reichthum, Noth und Gedeihen, überhaupt den Wechsel hervor.» (p. 8.)
Man vergleiche den ganzen Abschnitt: «Die bürgerliche Gesellschaft» (p. 8–9), der nach den Grundzügen der hegelschen Rechtsphilosophie entworfen ist. Die bürgerliche Gesellschaft in ihrem Gegensatz zum politischen Staat wird als nothwendig anerkannt, weil der politische Staat als nothwendig anerkannt wird.
Die politische Emancipation ist allerdings ein grosser Fortschritt, sie ist zwar nicht die letzte Form der menschlichen Emancipation überhaupt, aber sie ist die letzte Form der menschlichen Emancipation innerhalb der bisherigen Weltordnung. Es versteht sich: wir sprechen hier von wirklicher, von praktischer Emancipation.
Der Mensch emancipirt sich politisch von der Religion, indem er sie aus dem öffentlichen Recht in das Privatrecht verbannt. Sie ist nicht mehr der Geist des Staats, wo der Mensch – wenn auch in beschränkter Weise, unter besonderer Form und in einer besondern Sphäre – sich als Gattungswesen verhält, in Gemeinschaft mit andern Menschen, sie ist zum Geist der bürgerlichen Gesellschaft[3] geworden, der Sphäre des Egoismus, des bellum [193] omnium contra omnes. Sie ist nicht mehr das Wesen der Gemeinschaft, sondern das Wesen des Unterschieds. Sie ist zum Ausdruck der Trennung des Menschen von seinem Gemeinwesen, von sich und den andern Menschen geworden – was sie ursprünglich war. Sie ist nur noch das abstrakte Bekenntniss der besondern Verkehrtheit, der Privatschrulle, der Willkür. Die unendliche Zersplitterung der Religion in Nordamerika z. B. gibt ihr schon äusserlich die Form einer rein individuellen Angelegenheit. Sie ist unter die Zahl der Privatinteressen hinabgestossen und aus dem Gemeinwesen als Gemeinwesen exilirt. Aber man täusche sich nicht über die Grenze der politischen Emancipation. Die Spaltung des Menschen in den öffentlichen und in den Privatmenschen, die Dislokation der Religion aus dem Staate in die bürgerliche Gesellschaft, sie ist nicht eine Stufe, sie ist die Vollendung der politischen Emancipation, die also die wirkliche Religiosität des Menschen eben so wenig aufhebt, als aufzuheben strebt.
Die Zersetzung des Menschen in den Juden und in den Staatsbürger, in den Protestanten und in den Staatsbürger, in den religiösen Menschen und in den Staatsbürger, diese Zersetzung ist keine Lüge gegen das Staatsbürgerthum, sie ist keine Umgehung der politischen Emancipation, sie ist die politische Emancipation selbst, sie ist die politische Weise, sich von der Religion zu emancipiren. Allerdings: In Zeiten, wo der politische Staat als politischer Staat gewaltsam aus der bürgerlichen Gesellschaft heraus geboren wird, wo die menschliche Selbstbefreiung unter der Form der politischen Selbstbefreiung sich zu vollziehen strebt, kann und muss der Staat bis zur Aufhebung der Religion, bis zur Vernichtung der Religion fortgehen, aber nur so, wie er zur Aufhebung des Privateigenthums, zum Maximum, zur Konfiskation, zur progressiven Steuer, wie er zur Aufhebung des Lebens, zur Guillotine fortgeht. In den Momenten seines besondern Selbstgefühls sucht das politische Leben seine Voraussetzung, die bürgerliche Gesellschaft und ihre Elemente zu erdrücken und sich als das wirkliche, widerspruchslose Gattungsleben des Menschen zu konstituiren. Es vermag dies indess nur durch gewaltsamen Widerspruch gegen seine eigenen Lebensbedingungen, nur indem es die Revolution für permanent erklärt, und das politische Drama endet daher eben so nothwendig mit der Wiederherstellung der Religion, des Privateigenthums, [194] aller Elemente der bürgerlichen Gesellschaft, wie der Krieg mit dem Frieden endet.
Ja, nicht der sogenannte christliche Staat, der das Christenthum als seine Grundlage, als Staatsreligion bekennt, und sich daher ausschliessend zu andern Religionen verhält, ist der vollendete christliche Staat, sondern vielmehr der atheistische Staat, der demokratische Staat, der Staat, der die Religion unter die übrigen Elemente der bürgerlichen Gesellschaft verweist. Dem Staat der noch Theologe ist, der noch das Glaubensbekenntniss des Christenthums auf offizielle Weise ablegt, der sich noch nicht als Staat zu proklamiren wagt, ihm ist es noch nicht gelungen, in weltlicher, menschlicher Form, in seiner Wirklichkeit als Staat die menschliche Grundlage auszudrücken, deren überschwänglicher Ausdruck das Christenthum ist. Der sogenannte christliche Staat ist nur einfach der Nichtstaat, weil nicht das Christenthum als Religion, sondern nur der menschliche Hintergrund der christlichen Religion in wirklich menschlichen Schöpfungen sich ausführen kann.
Der sogenannte christliche Staat ist die christliche Verneinung des Staats, aber keineswegs die staatliche Verwirklichung des Christenthums. Der Staat, der das Christenthum noch in der Form der Religion bekennt, bekennt es noch nicht in der Form des Staats, denn er verhält sich noch religiös zu der Religion, d. h. er ist nicht die wirkliche Ausführung des menschlichen Grundes der Religion, weil er noch auf die Unwirklichkeit, auf die imaginaire Gestalt dieses menschlichen Kernes provocirt. Der sogenannte christliche Staat ist der unvollkommene Staat und die christliche Religion gilt ihm als Ergänzung und als Heiligung seiner Unvollkommenheit. Die Religion wird ihm daher notwendig zum Mittel und er ist der Staat der Heuchelei. Es ist ein grosser Unterschied, ob der vollendete Staat wegen des Mangels, der im allgemeinen Wesen des Staats liegt, die Religion unter seine Voraussetzungen zählt, oder ob der unvollendete Staat wegen des Mangels, der in seiner besondern Existenz liegt, als mangelhafter Staat, die Religion für seine Grundlage erklärt. Im letztern Fall wird die Religion zur unvollkommenen Politik. Im ersten Fall zeigt sich die Unvollkommenheit selbst der vollendeten Politik in der Religion. Der sogenannte christliche Staat bedarf der christlichen Religion, um sich als Staat zu vervollständigen. Der demokratische Staat, der wirkliche [195] Staat bedarf nicht der Religion zu seiner politischen Vervollständigung. Er kann vielmehr von der Religion abstrahiren, weil in ihm die menschliche Grundlage der Religion auf weltliche Weise ausgeführt ist. Der sogenannte christliche Staat verhält sich dagegen politisch zur Religion und religiös zur Politik. Wenn er die Staatsformen zum Schein herabsetzt, so setzt er eben so sehr die Religion zum Schein herab.
Um diesen Gegensatz zu verdeutlichen, betrachten wir Bauers Konstruktion des christlichen Staats, eine Konstruktion, welche aus der Anschauung des christlich-germanischen Staats hervorgegangen ist.
«Man hat neuerlich,» sagt Bauer, «um die Unmöglichkeit oder Nichtexistenz eines christlichen Staates zu beweisen, öfter auf diejenigen Aussprüche in dem Evangelium hingewiesen, die der Staat nicht nur nicht befolgt, sondern auch nicht einmal befolgen kann, wenn er sich nicht vollständig auflösen will.» «So leicht aber ist die Sache nicht abgemacht. Was verlangen denn jene evangelischen Sprüche? Die übernatürliche Selbstverläugnung, die Unterwerfung unter die Autorität der Offenbarung, die Abwendung vom Staat, die Aufhebung der weltlichen Verhältnisse. Nun alles das verlangt und leistet der christliche Staat. Er hat den Geist des Evangeliums sich angeeignet und wenn er ihn nicht mit denselben Buchstaben wiedergibt, mit denen ihn das Evangelium ausdrückt, so kommt das nur daher, weil er diesen Geist in Staatsformen, d. h. in Formen ausdrückt, die zwar dem Staatswesen in dieser Welt entlehnt sind, aber in der religiösen Wiedergeburt, die sie erfahren müssen, zum Schein herabgesetzt worden. Es ist die Abwendung vom Staat, die sich zu ihrer Ausführung der Staatsformen bedient.» P. 55.
Bauer entwickelt nun weiter, wie das Volk des christlichen Staats nur ein Nichtvolk ist, keinen eignen Willen mehr hat, sein wahres Dasein aber in dem Haupte besitzt, dem es unterthan, welches ihm jedoch ursprünglich und seiner Natur nach fremd, d. h. von Gott gegeben und ohne sein eignes Zuthun zu ihm gekommen ist, wie die Gesetze dieses Volkes nicht sein Werk, sondern positive Offenbarungen sind, wie sein Oberhaupt privilegirter Vermittler mit dem eigentlichen Volke, mit der Masse bedarf, wie diese Masse selbst in eine Menge besondrer Kreise zerfällt, welche der Zufall bildet und bestimmt, die sich durch ihre Interessen, besonderen Leidenschaften [196] und Vorurtheile unterscheiden und als Privilegium die Erlaubniss bekommen, sich gegenseitig von einander abzuschliessen, etc. P. 56.
Allein Bauer sagt selbst: «Die Politik, wenn sie nichts als Religion sein soll, darf nicht Politik sein, sowenig, wie das Reinigen der Kochtöpfe, wenn es als Religionsangelegenheit gelten soll, als eine Wirtschaftssache betrachtet werden darf.» P. 108. Im christlich germanischen Staat ist aber die Religion eine «Wirthschaftssache,» wie die «Wirthschaftssache» Religion ist. Im christlich germanischen Staat ist die Herrschaft der Religion die Religion der Herrschaft.
Die Trennung des «Geistes des Evangeliums» von den «Buchstaben des Evangeliums» ist ein irreligiöser Akt. Der Staat, der das Evangelium in den Buchstaben der Politik sprechen lässt, in andern Buchstaben, als den Buchstaben des heiligen Geistes, begeht ein Sakrilegium, wenn nicht vor menschlichen Augen, so doch vor seinen eigenen religiösen Augen. Dem Staat, der das Christenthum als seine höchste Norm, der die Bibel als seine Charte bekennt, muss man die Worte der heiligen Schrift entgegenstellen, denn die Schrift ist heilig bis auf das Wort. Dieser Staat sowohl, als das Menschenkehricht, worauf er basirt, geräth in einen schmerzlichen, vom Standpunkt des religiösen Bewusstseins aus unüberwindlichen Widerspruch, wenn man ihn auf diejenigen Aussprüche des Evangeliums verweist, die er «nicht nur nicht befolgt, sondern auch nicht einmal befolgen kann, wenn er sich nicht als Staat vollständig auflösen will.» Und warum will er sich nicht vollständig auflösen? Er selbst kann darauf weder sich, noch andern antworten. Vor seinem eignen Bewusstsein ist der officielle christliche Staat ein Sollen, dessen Verwirklichung unerreichbar ist, der die Wirklichkeit seiner Existenz nur durch Lügen vor sich selbst zu konstatiren weiss und sich selbst daher stets ein Gegenstand des Zweifels, ein unzuverlässiger, problematischer Gegenstand bleibt. Die Kritik befindet sich also in vollem Rechte, wenn sie den Staat, der auf die Bibel provocirt, zur Verrücktheit des Bewusstseins zwingt, wo er selbst nicht mehr weiss, ob er eine Einbildung oder eine Realität ist, wo die Infamie seiner weltlichen Zwecke, denen die Religion zum Deckmantel dient, mit der Ehrlichkeit seines religiösen Bewusstseins, dem die Religion als Zweck der Welt erscheint, in unauflöslichen Conflict geräth. Dieser Staat kann sich nur aus seiner innern Qual erlösen, wenn er zum Schergen der katholischen Kirche wird. Ihr gegenüber, welche die weltliche Macht für ihren dienenden [197] Körper erklärt, ist der Staat ohnmächtig, ohnmächtig die weltliche Macht, welche die Herrschaft des religiösen Geistes zu sein behauptet.
In dem sogenannten christlichen Staat gilt zwar die Entfremdung, aber nicht der Mensch. Der einzige Mensch, der gilt, der König, ist ein von den andern Menschen spezifisch unterschiedenes, dabei selbst noch religiöses, mit dem Himmel, mit Gott direkt zusammenhängendes Wesen. Die Beziehungen, die hier herrschen, sind noch gläubige Beziehungen. Der religiöse Geist ist also noch nicht wirklich verweltlicht.
Aber der religiöse Geist kann auch nicht wirklich verweltlicht werden, denn was ist er selbst, als die unweltliche Form einer Entwicklungsstufe des menschlichen Geistes? Der religiöse Geist kann nur verwirklicht werden, insofern die Entwicklungsstufe des menschlichen Geistes, deren religiöser Ausdruck er ist, in ihrer weltlichen Form heraustritt und sich konstituirt. Dies geschieht im demokratischen Staat. Nicht das Christenthum, sondern der menschliche Grund des Christenthums ist der Grund dieses Staates. Die Religion bleibt das ideale, unweltliche Bewusstsein seiner Glieder, weil sie die ideale Form der menschlichen Entwicklungsstufe ist, die in ihm durchgeführt wird.
Religiös sind die Glieder des politischen Staats durch den Dualismus zwischen dem individuellen und dem Gattungsleben, zwischen dem Leben der bürgerlichen Gesellschaft und dem politischen Leben, religiös, indem der Mensch sich zu dem seiner wirklichen Individualität jenseitigen Staatsleben als seinem wahren Leben verhält, religiös, insofern die Religion hier der Geist der bürgerlichen Gesellschaft, der Ausdruck der Trennung und der Entfernung des Menschen vom Menschen ist. Christlich ist die politische Demokratie, indem in ihr der Mensch, nicht nur ein Mensch, sondern jeder Mensch, als souveränes, als höchstes Wesen gilt, aber der Mensch in seiner unkultivirten, unsocialen Erscheinung, der Mensch in seiner zufälligen Existenz, der Mensch, wie er geht und steht, der Mensch, wie er durch die ganze Organisation unserer Gesellschaft verdorben, sich selbst verloren, veräussert, unter die Herrschaft unmenschlicher Verhältnisse und Elemente gegeben ist, mit einem Wort, der Mensch, der noch kein wirkliches Gattungswesen ist. Das Phantasiegebild, der Traum, das Postulat des Christenthums, die Souveränetät des Menschen, aber als eines fremden, von dem wirklichen Menschen unterschiedenen Wesens, [198] ist in der Demokratie sinnliche Wirklichkeit, Gegenwart, weltliche Maxime.
Das religiöse und theologische Bewusstsein selbst gilt sich in der vollendeten Demokratie um so religiöser, um so theologischer, als es scheinbar ohne politische Bedeutung, ohne irdische Zwecke, Angelegenheit des weltscheuen Gemüthes, Ausdruck der Verstandes-Bornirtheit, Produkt der Willkür und der Phantasie, als es ein wirklich jenseitiges Leben ist. Das Christenthum erreicht hier den praktischen Ausdruck seiner universalreligiösen Bedeutung, indem die verschiedenartigste Weltanschauung in der Form des Christenthums sich neben einander gruppirt, noch mehr dadurch, dass es an andere nicht einmal die Forderung des Christenthums, sondern nur noch der Religion überhaupt, irgend einer Religion stellt (vergl. die angeführte Schrift von Beaumont). Das religiöse Bewusstsein schwelgt in dem Reichthum des religiösen Gegensatzes und der religiösen Mannigfaltigkeit.
Wir haben also gezeigt: Die politische Emancipation von der Religion lässt die Religion bestehn, wenn auch keine privilegirte Religion. Der Widerspruch, in welchem sich der Anhänger einer besondern Religion mit seinem Staatsbürgerthum befindet, ist nur ein Theil des allgemeinen weltlichen Widerspruchs zwischen dem politischen Staat und der bürgerlichen Gesellschaft. Die Vollendung des christlichen Staats ist der Staat, der sich als Staat bekennt und von der Religion seiner Glieder abstrahirt. Die Emancipation des Staats von der Religion ist nicht die Emancipation des wirklichen Menschen von der Religion.
Wir sagen also nicht mit Bauer den Juden: Ihr könnt nicht politisch emancipirt werden, ohne euch radikal vom Judenthum zu emancipiren. Wir sagen ihnen vielmehr: Weil ihr politisch emancipirt werden könnt, ohne euch vollständig und widerspruchslos vom Judenthum loszusagen, darum ist die politische Emancipation selbst nicht die menschliche Emancipation. Wenn ihr Juden politisch emancipirt werden wollt, ohne euch selbst menschlich zu emancipiren, so liegt die Halbheit und der Widerspruch nicht nur in euch, sie liegt in dem Wesen und der Kategorie der politischen Emancipation. Wenn ihr in dieser Kategorie befangen seid, so theilt ihr eine allgemeine Befangenheit. Wie der Staat evangelisirt, wenn er, obschon Staat, sich christlich zu dem Juden verhält, so politisirt der Jude, wenn er, obschon Jude, Staatsbürgerrechte verlangt.
[199] Aber wenn der Mensch, obgleich Jude, politisch emancipirt werden, Staatsbürgerrechte empfangen kann, kann er die sogenannten Menschenrechte in Anspruch nehmen und empfangen? Bauer läugnet es. «Die Frage ist, ob der Jude als solcher, d. h. der Jude, der selber eingesteht, dass er durch sein wahres Wesen gezwungen ist, in ewiger Absonderung von Andren zu leben, fähig sei, die allgemeinen Menschenrechte zu empfangen und Andern zuzugestehn.»
«Der Gedanke der Menschenrechte ist für die christliche Welt erst im vorigen Jahrhundert entdeckt worden. Er ist dem Menschen nicht angeboren, er wird vielmehr nur erobert im Kampfe gegen die geschichtlichen Traditionen, in denen der Mensch bisher erzogen wurde. So sind die Menschenrechte nicht ein Geschenk der Natur, keine Mitgift der bisherigen Geschichte, sondern der Preis des Kampfes gegen den Zufall der Geburt und gegen die Privilegien, welche die Geschichte von Generation auf Generation bis jetzt vererbt hat. Sie sind die Resultate der Bildung und derjenige kann sie nur besitzen, der sie sich erworben und verdient hat.»
«Kann sie nun der Jude wirklich in Besitz nehmen? So lange er Jude ist, muss über das menschliche Wesen, welches ihn als Menschen mit Menschen verbinden sollte, das beschränkte Wesen, das ihn zum Juden macht, den Sieg davontragen und ihn von den Nichtjuden absondern. Er erklärt durch diese Absonderung, dass das besondere Wesen, das ihn zum Juden macht, sein wahres höchstes Wesen ist, vor welchem das Wesen des Menschen zurücktreten muss.»
«In derselben Weise kann der Christ als Christ keine Menschenrechte gewähren» p. 19, 20.
Der Mensch muss nach Bauer das «Privilegium des Glaubens» aufopfern, um die allgemeinen Menschenrechte empfangen zu können. Betrachten wir einen Augenblick die sogenannten Menschenrechte und zwar die Menschenrechte unter ihrer authentischen Gestalt, unter der Gestalt, welche sie bei ihren Entdeckern, den Nordamerikanern und Franzosen besitzen! Zum Theil sind diese Menschenrechte politische Rechte, Rechte, die nur in der Gemeinschaft mit andern ausgeübt werden. Die Theilnahme am Gemeinwesen und zwar am politischen Gemeinwesen, am Staatswesen, bildet ihren Inhalt. Sie fallen unter die Kategorie der politischen Freiheit, unter die Kategorie der Staatsbürgerrechte, welche keineswegs, wie wir gesehn, die widerspruchslose [200] und positive Aufhebung der Religion, also etwa auch des Judenthums, voraussetzen. Es bleibt der andere Theil der Menschenrechte zu betrachten, die droits de l’homme, insofern sie unterschieden sind von den droits du citoyen.
In ihrer Reihe findet sich die Gewissensfreiheit, das Recht einen beliebigen Kultus auszuüben. Das Privilegium des Glaubens wird ausdrücklich anerkannt, entweder als ein Menschenrecht, oder als Konsequenz eines Menschenrechtes, der Freiheit.
Déclaration des droits de l’homme et du citoyen, 1791, art. 10: «Nul ne doit être inquiété pour ses opinions même religieuses.» Im Titre I der Const. von 1791 wird als Menschenrecht garantirt: «La liberté à tout homme d’exercer le culte religieux auquel il est attaché.»
Déclaration des droits de l’homme, etc. 1793 zählt unter die Menschenrechte, art. 7: «Le libre exercice des cultes.» Ja, in Bezug auf das Recht, seine Gedanken und Meinungen zu veröffentlichen, sich zu versammeln, seinen Kultus auszuüben, heisst es sogar; «La nécessité d’énoncer ces droits suppose ou la présence ou le souvenir récent du despotisme.» Man vergleiche die Const. von 1795, titre XII. art. 354.
Constitution de Pensylvanie, art. 9. § 3: «Tous les hommes ont reçu de la nature le droit imprescriptible d’adorer le Tout-Puissant selon les inspirations de leur conscience, et nul ne peut légalement être contraint de suivre, instituer ou soutenir contre son gré aucun culte ou ministère religieux. Nulle autorité humaine ne peut, dans aucun cas, intervenir dans les questions de conscience et contrôler les pouvoirs de l’âme.»
Constitution de New-Hampshire, art. 5 et 6: «Au nombre des droits naturels, quelques-uns sont inaliénables de leur nature, parce que rien n’en peut être l’équivalent. De ce nombre sont les droits de conscience.» (Beaumont I. c., p. 213, 214.)
Die Unvereinbarkeit der Religion mit den Menschenrechten liegt so wenig im Begriff der Menschenrechte, dass das Recht, religiös zu sein, auf beliebige Weise religiös zu sein, den Kultus seiner besonderen Religion auszuüben, vielmehr ausdrücklich unter die Menschenrechte gezählt wird. Das Privilegium des Glaubens ist ein allgemeines Menschenrecht.
Die droits de l’homme, die Menschenrechte werden als solche unterschieden von den droits du citoyen, von den Staatsbürgerrechten. [201] Wer ist der vom citoyen unterschiedene homme? Niemand anders, als das Mitglied der bürgerlichen Gesellschaft. Warum wird das Mitglied der bürgerlichen Gesellschaft «Mensch,» Mensch schlechthin, warum werden seine Rechte Menschenrechte genannt? Woraus erklären wir dies Faktum? Aus dem Verhältniss des politischen Staats zur bürgerlichen Gesellschaft, aus dem Wesen der politischen Emancipation.
Vor allem konstatiren wir die Thatsache, dass die sogenannten Menschenrechte, die droits de l’homme im Unterschied von den droits du citoyen nichts anderes sind, als die Rechte des Mitglieds der bürgerlichen Gesellschaft, d. h. des egoistischen Menschen, des vom Menschen und vom Gemeinwesen getrennten Menschen. Die radikalste Konstitution, die Konstitution von 1793, mag sprechen:
Déclar. des droits de l’homme et du citoyen.
Art. 2. Ces droits etc. (les droits naturels et imprescriptibles) sont: l’égalité, la liberté, la sûreté, la propriété.
Worin besteht die liberté?
Art. 6. «La liberté est le pouvoir qui appartient à l’homme de faire tout ce qui ne nuit pas aux droits d’autrui,» oder nach der Deklaration der Menschenrechte von 1791: «la liberté consiste à pouvoir faire tout ce qui ne nuit pas à d’autrui.»
Die Freiheit ist also das Recht, alles zu thun und zu treiben, was keinem andern schadet. Die Grenze, in welcher sich jeder dem andern unschädlich bewegen kann, ist durch das Gesetz bestimmt, wie die Grenze zweier Felder durch den Zaunpfahl bestimmt ist. Es handelt sich um die Freiheit des Menschen als isolirter auf sich zurückgezogener Monade. Warum ist der Jude nach Bauer unfähig, die Menschenrechte zu empfangen. «Solange er Jude ist, muss über das menschliche Wesen, welches ihn als Menschen mit Menschen verbinden sollte, das beschränkte Wesen, das ihn zum Juden macht, den Sieg davon tragen und ihn von den Nichtjuden absondern.» Aber das Menschenrecht der Freiheit basirt nicht auf der Verbindung des Menschen mit dem Menschen, sondern vielmehr auf der Absonderung des Menschen von dem Menschen. Es ist das Recht dieser Absonderung, das Recht des beschränkten auf sich beschränkten Individuums.
Die praktische Nutzanwendung des Menschenrechtes der Freiheit ist das Menschenrecht des Privateigenthums.
Worin besteht das Menschenrecht des Privateigenthums?
[202] Art. 16. (Const. v. 1793): «Le droit de propriété est celui qui appartient à tout citoyen de jouir et de disposer à son gré de ses biens, de ses revenus, du fruit de son travail et de son industrie.»
Das Menschenrecht des Privateigenthums ist also das Recht, willkürlich (à son gré), ohne Beziehung auf andre Menschen, unabhängig von der Gesellschaft, sein Vermögen zu geniessen und über dasselbe zu disponiren, das Recht des Eigennutzes. Jene individuelle Freiheit, wie diese Nutzanwendung derselben, bilden die Grundlage der bürgerlichen Gesellschaft. Sie lässt jeden Menschen im andern Menschen nicht die Verwirklichung, sondern vielmehr die Schranke seiner Freiheit finden. Sie proklamirt vor allem aber das Menschenrecht «de jouir et de disposer à son gré de ses biens, de ses revenus, du fruit de son travail et de son industrie.»
Es bleiben noch die andern Menschenrechte, die égalité und die sûreté.
Die égalité hier in ihrer nichtpolitischen Bedeutung, ist nichts als die Gleichheit der oben beschriebenen liberté, nämlich: dass jeder Mensch gleichmässig als solche auf sich ruhende Monade betrachtet wird. Die Const. von 1795 bestimmt den Begriff dieser Gleichheit, ihrer Bedeutung angemessen, dahin:
Art. 5. (Const. de 1795): «l’égalité consiste en ce que la loi est la même pour tous, soit qu’elle protège, soit qu’elle punisse.»
Und die sûreté?
Art. 8. (Const. de 1793) la sûreté consiste dans la protection accordée par la société à chacun de ses membres pour la conservation de sa personne, de ses droits et de ses propriétés.
Die Sicherheit ist der höchste sociale Begriff der bürgerlichen Gesellschaft, der Begriff der Polizei, dass die ganze Gesellschaft nur da ist, um jedem ihrer[4] Glieder die Erhaltung seiner Person, seiner Rechte und seines Eigenthums zu garantiren. Hegel nennt in diesem Sinn die bürgerliche Gesellschaft «den Noth- und Verstandesstaat.»
Durch den Begriff der Sicherheit erhebt sich die bürgerliche Gesellschaft nicht über ihren Egoismus. Die Sicherheit ist vielmehr die Versicherung ihres Egoismus.
Keines der sogenannten Menschenrechte geht also über den egoistischen Menschen hinaus, über den Menschen, wie er Mitglied der bürgerlichen Gesellschaft, nämlich auf sich, auf sein Privatinteresse und seine Privatwillkür zurückgezogenes und vom Gemeinwesen abgesondertes Individuum ist. Weit entfernt, dass der Mensch in [203] ihnen als Gattungswesen aufgefasst wurde, erscheint vielmehr das Gattungsleben selbst, die Gesellschaft, als ein den Individuen äusserlicher Rahmen, als Beschränkung ihrer ursprünglichen Selbstständigkeit. Das einzige Band, das sie zusammenhält, ist die Natur-Nothwendigkeit, das Bedürfniss und das Privatinteresse, die Conservation ihres Eigenthums und ihrer egoistischen Person.
Es ist schon räthselhaft, dass ein Volk, welches eben beginnt sich zu befreien, alle Barrièren zwischen den verschiedenen Volksgliedern niederzureissen, ein politisches Gemeinwesen zu gründen, dass ein solches Volk die Berechtigung des egoistischen, vom Mitmenschen und vom Gemeinwesen abgesonderten Menschen feierlich proklamirt (decl. de 1791), ja diese Proklamation in einem Augenblicke wiederholt, wo die heroischste Hingebung allein die Nation retten kann und daher gebieterisch verlangt wird, in einem Augenblicke, wo die Aufopferung aller Interessen[5] der bürgerlichen Gesellschaft zur Tagesordnung erhoben und der Egoismus als ein Verbrechen bestraft werden muss. (Decl. des droits de l’homme etc. de 1793.) Noch räthselhafter wird diese Thatsache, wenn wir sehen, dass das Staatsbürgerthum, das politische Gemeinwesen von den politischen Emancipatoren sogar zum blosen Mittel für die Erhaltung dieser sogenannten Menschenrechte herabgesetzt, dass also der citoyen zum Diener des egoistischen homme erklärt, die Sphäre, in welcher der Mensch sich als Gemeinwesen verhält, unter die Sphäre, in welcher er sich als Theilwesen verhält, degradirt, endlich nicht der Mensch als citoyen, sondern der Mensch als bourgeois für den eigentlichen und wahren Menschen genommen wird.
«Le but de toute association politique est la conservation des droits naturels[6] et imprescriptibles[7] de l’homme.» (Decl. des droits etc. de 1791 Art. 2.) «Le gouvernement est institué pour garantir à l’homme la jouissance de ses droits naturels et imprescriptibles.» (Decl. etc. de 1793 art. 1.) Also selbst in den Momenten seines noch jugendfrischen und durch den Drang der Umstände auf die Spitze getriebenen Enthusiasmus, erklärt sich das politische Leben für ein blosses Mittel, dessen Zweck das Leben der bürgerlichen Gesellschaft ist. Zwar steht seine revolutionaire Praxis in flagrantem Widerspruch mit seiner Theorie. Während z. B. die Sicherheit als ein Menschenrecht erklärt wird, wird die Verletzung des Briefgeheimnisses öffentlich auf die Tagesordnung gesetzt. Während die «liberté indéfinie [204] de la presse» (Const. de 1793 art. 122) als Consequenz des Menschenrechts, der individuellen Freiheit, garantirt wird, wird die Pressfreiheit vollständig vernichtet, denn «la liberté de la presse ne doit pas être permise lorsqu’elle compromet la liberté publique. (Robespierre jeune, hist. parlem. de la rév. franç. par Buchez et Roux, T. 28 p. 135), d. h. also: das Menschenrecht der Freiheit hört auf ein Recht zu sein, sobald es mit dem politischen Leben in Konflikt tritt, während der Theorie nach das politische Leben nur die Garantie der Menschenrechte, der Rechte des individuellen Menschen ist, also aufgegeben werden muss, sobald es seinem Zwecke, diesen Menschenrechten widerspricht. Aber die Praxis ist nur die Ausnahme und die Theorie ist die Regel. Will man aber selbst die revolutionäre Praxis als die richtige Stellung des Verhältnisses betrachten, so bleibt immer noch das Räthsel zu lösen, warum im Bewusstsein der politischen Emancipatoren das Verhältniss auf den Kopf gestellt ist und der Zweck als Mittel, das Mittel als Zweck erscheint. Diese optische Täuschung ihres Bewusstseins wäre immer noch dasselbe Räthsel, obgleich dann ein psychologisches, ein theoretisches Räthsel.
Das Räthsel löst sich einfach.
Die politische Emancipation ist zugleich die Auflösung der alten Gesellschaft, auf welcher das dem Volk entfremdete Staatswesen, die Herrschermacht, ruht. Die politische Revolution ist die Revolution der bürgerlichen Gesellschaft. Welches war der Charakter der alten Gesellschaft? Ein Wort charakterisirt sie. Die Feudalität. Die alte bürgerliche Gesellschaft hatte unmittelbar einen politischen Charakter, d. h. die Elemente des bürgerlichen Lebens, wie z. B. der Besitz oder die Familie, oder die Art und Weise der Arbeit, waren in der Form der Grundherrlichkeit, des Standes und der Corporation zu Elementen des Staatslebens erhoben. Sie bestimmten in dieser Form das Verhältniss des einzelnen Individuums zum Staatsganzen, d. h. sein politisches Verhältniss, d. h. sein Verhältniss der Trennung und Ausschliessung von den andern Bestandtheilen der Gesellschaft. Denn jene Organisation des Volkslebens erhob den Besitz oder die Arbeit nicht zu socialen Elementen, sondern vollendete vielmehr ihre Trennung von dem Staatsganzen und constituirte sie zu besondern Gesellschaften in der Gesellschaft. So waren indess immer noch die Lebensfunktionen und Lebensbedingungen der bürgerlichen Gesellschaft politisch, wenn auch politisch im Sinne der Feudalität, [205] d. h. sie schlossen das Individuum vom Staatsganzen ab, sie verwandelten das besondere Verhältniss seiner Corporation zum Staatsganzen in sein eignes allgemeines Verhältniss zum Volksleben, wie seine bestimmte bürgerliche Thätigkeit und Situation in seine allgemeine Thätigkeit und Situation. Als Konsequenz dieser Organisation erscheint nothwendig die Staatseinheit, wie das Bewusstsein, der Wille und die Thätigkeit der Staatseinheit, die allgemeine Staatsmacht, ebenfalls als besondere Angelegenheit eines von dem Volk abgeschiedenen Herrschers und seiner Diener.
Die politische Revolution, welche diese Herrschermacht stürzte und die Staatsangelegenheiten zu Volksangelegenheiten erhob, welche den politischen Staat als allgemeine Angelegenheit, d. h. als wirklichen Staat constituirte, zerschlug nothwendig alle Stände, Corporationen, Innungen, Privilegien, die eben so viele Ausdrücke der Trennung des Volkes von seinem Gemeinwesen waren. Die politische Revolution hob damit den politischen Charakter der bürgerlichen Gesellschaft auf. Sie zerschlug die bürgerliche Gesellschaft in ihre einfachen Bestandtheile, einerseits in die Individuen, andrerseits in die materiellen und geistigen Elemente, welche den Lebensinhalt, die bürgerliche Situation dieser Individuen bilden. Sie entfesselte den politischen Geist, der gleichsam in die verschiedenen Sackgassen der feudalen Gesellschaft zertheilt, zerlegt, zerlaufen war; sie sammelte ihn aus dieser Zerstreuung, sie befreite ihn von seiner Vermischung mit dem bürgerlichen Leben, und constituirte ihn als die Sphäre des Gemeinwesens, der allgemeinen Volksangelegenheit in idealer Unabhängigkeit von jenen besondern Elementen des bürgerlichen Lebens. Die bestimmte Lebensthätigkeit und die bestimmte Lebenssituation sanken zu einer nur individuellen Bedeutung herab. Sie bildeten nicht mehr das allgemeine Verhältniss des Individuums zum Staatsganzen. Die öffentliche Angelegenheit als solche ward vielmehr zur allgemeinen Angelegenheit jedes Individuums und die politische Function zu seiner allgemeinen Function.
Allein die Vollendung des Idealismus des Staats war zugleich die Vollendung des Materialismus der bürgerlichen Gesellschaft. Die Abschüttlung des politischen Jochs war zugleich die Abschüttlung der Bande, welche den egoistischen Geist der bürgerlichen Gesellschaft gefesselt hielten. Die politische Emancipation war zugleich die Emancipation der bürgerlichen Gesellschaft von der Politik, von dem Scheinselbst eines allgemeinen Inhalts.
[206] Die feudale Gesellschaft war aufgelöst in ihren Grund, in den Menschen. Aber in den Menschen, wie er wirklich ihr Grund war, in den egoistischen Menschen.
Dieser Mensch, das Mitglied der bürgerlichen Gesellschaft, ist nun die Basis, die Voraussetzung des politischen Staats. Er ist von ihm als solche anerkannt in den Menschenrechten.
Die Freiheit des egoistischen Menschen und die Anerkennung dieser Freiheit ist aber vielmehr die Anerkennung der zügellosen Bewegung der geistigen und materiellen Elemente, welche seinen Lebensinhalt bilden.
Der Mensch wurde daher nicht von der Religion befreit, er erhielt die Religionsfreiheit. Er wurde nicht vom Eigenthum befreit. Er erhielt die Freiheit des Eigenthums. Er wurde nicht von dem Egoismus des Gewerbes befreit, er erhielt die Gewerbfreiheit.
Die Constitution des politischen Staats und die Auflösung der bürgerlichen Gesellschaft in die unabhängigen Individuen – deren Verhältnis das Recht ist, wie das Verhältniss der Standes- und Innungsmenschen das Privilegium war – vollzieht sich in einem und demselben Akte. Der Mensch, wie er Mitglied der bürgerlichen Gesellschaft ist, der unpolitische Mensch erscheint aber nothwendig als der natürliche Mensch. Die droits de l’homme erscheinen als droits naturels, denn die selbstbewusste Thätigkeit concentrirt sich auf den politischen Akt. Der egoistische Mensch ist das passive, nur vorgefundne Resultat der aufgelösten Gesellschaft, Gegenstand der unmittelbaren Gewissheit, also natürlicher Gegenstand. Die politische Revolution löst das bürgerliche Leben in seine Bestandtheile auf, ohne diese Bestandtheile selbst zu revolutioniren und der Kritik zu unterwerfen. Sie verhält sich zur bürgerlichen Gesellschaft, zur Welt der Bedürfnisse, der Arbeit, der Privatinteressen, des Privatrechts, als zur Grundlage ihres Bestehns, als zu einer nicht weiter begründeten Voraussetzung, daher als zu ihrer Naturbasis. Endlich gilt der Mensch, wie er Mitglied der bürgerlichen Gesellschaft ist, für den eigentlichen Menschen, für den homme im Unterschied von dem citoyen, weil er der Mensch in seiner sinnlichen individuellen nächsten Existenz ist, während der politische Mensch nur der abstrahirte, künstliche Mensch ist, der Mensch als eine allegorische, moralische Person. Der wirkliche Mensch ist erst in der Gestalt des egoistischen Individuums, der wahre Mensch erst in der Gestalt des abstrakten citoyen anerkannt.
[207] Die Abstraction des politischen Menschen schildert Rousseau richtig also:
«Celui qui ose entreprendre d’instituer un peuple doit se sentir en état de changer, pour ainsi dire la nature humaine, de transformer chaque individu, qui par lui-même est un tout parfait et solitaire en partie d’un plus grand tout, dont cet individu reçoive en quelque sorte sa vie et son être, de substituer une existence partielle et morale à l’existence physique et indépendante. Il faut qu’il ôte à l’homme ses forces propres pour lui en donner qui lui soient étrangères et dont il ne puisse faire usage sans le secours d’autrui.« (Cont. Soc. liv. II, Londr. 1757, p. 67.)
Alle Emancipation ist Zurückführung der menschlichen Welt, der Verhältnisse, auf den Menschen selbst.
Die politische Emancipation ist die Reduktion des Menschen, einerseits auf das Mitglied der bürgerlichen Gesellschaft, auf das egoistische unabhängige Individuum, andrerseits auf den Staatsbürger, auf die moralische Person.
Erst wenn der wirkliche individuelle Mensch den abstrakten Staatsbürger in sich zurücknimmt und als individueller Mensch in seinem empirischen Leben, in seiner individuellen Arbeit, in seinen individuellen Verhältnissen, Gattungswesen geworden ist, erst, wenn der Mensch seine «forces propres» als gesellschaftliche Kräfte erkannt und organisirt hat und daher die gesellschaftliche Kraft nicht mehr in der Gestalt der politischen Kraft von sich trennt, erst dann ist die menschliche Emancipation vollbracht.
Die Fæhigkeit der heutigen Juden und Christen frei zu werden.
Von Bruno Bauer. (Ein und zwanzig Bogen pag. 56–71).
Unter dieser Form behandelt Bauer das Verhältniss der jüdischen und christlichen Religion, wie das Verhältniss derselben zur Kritik. Ihr Verhältniss zur Kritik ist ihr Verhältniss «zur Fähigkeit frei zu werden.»
Es ergibt sich: «Der Christ hat nur eine Stufe, nämlich seine Religion zu übersteigen, um die Religion überhaupt aufzugeben,» also frei zu werden, «der Jude dagegen hat nicht nur mit seinem jüdischen Wesen, sondern auch mit der Entwicklung der Vollendung seiner Religion zu brechen, mit einer Entwicklung, die ihm fremd geblieben ist.» Pag. 71.
[208] Bauer verwandelt also hier die Frage von der Judenemancipation in eine rein religiöse Frage. Der theologische Scrupel, wer eher Aussicht hat, selig zu werden, Jude oder Christ, wiederholt sich in der aufgeklärten Form, wer von beiden ist emancipationsfähiger? Es fragt sich zwar nicht mehr: macht Judenthum oder Christenthum frei? sondern vielmehr umgekehrt, was macht freier, die Negation des Judenthums oder die Negation des Christenthums?
«Wenn sie frei werden wollen, so dürfen sich die Juden nicht zum Christenthum bekennen, sondern zum aufgelösten Christenthum, zur aufgelösten Religion überhaupt, d. h. zur Aufklärung, Kritik und ihrem Resultate, der freien Menschlichkeit.» P. 70.
Es handelt sich immer noch um ein Bekenntniss für den Juden, aber nicht mehr um das Bekenntniss zum Christenthum, sondern zum aufgelösten Christenthum.
Bauer stellt an den Juden die Forderung, mit dem Wesen der christlichen Religion zu brechen, eine Forderung, welche, wie er selbst sagt, nicht aus der Entwicklung des jüdischen Wesens hervorgeht.
Nachdem Bauer am Schluss der Judenfrage das Judenthum nur als die rohe religiöse Kritik des Christenthums begriffen, ihm also eine «nur» religiöse Bedeutung abgewonnen hatte, war vorherzusehen, dass auch die Emancipation der Juden in einen philosophisch-theologischen Akt sich verwandeln werde.
Bauer fasst das ideale abstrakte Wesen des Juden, seine Religion als sein ganzes Wesen. Er schliesst daher mit Recht: «Der Jude gibt der Menschheit nichts, wenn er sein beschränktes Gesetz für sich missachtet, wenn er sein ganzes Judenthum aufhebt.» P. 65.
Das Verhältniss der Juden und Christen wird demnach Folgendes: das einzige Interesse des Christen an der Emancipation des Juden ist ein allgemein menschliches, ein theoretisches Interesse. Das Judenthum ist eine beleidigende Thatsache für das religiöse Auge des Christen. Sobald sein Auge aufhört religiös zu sein, hört diese Thatsache auf beleidigend zu sein. Die Emancipation des Juden ist an und für sich keine Arbeit für den Christen.
Der Jude dagegen um sich zu befreien, hat nicht nur seine eigne Arbeit, sondern zugleich die Arbeit des Christen, die Kritik der Synoptiker und das Leben Jesu etc. durchzumachen.
«Sie mögen selber zusehen: sie werden sich selber ihr Geschick bestimmen; die Geschichte aber lässt mit sich nicht spotten.» P. 71.
Wir versuchen die theologische Fassung der Frage zu brechen. Die [209] Frage nach der Emancipationsfähigkeit des Juden verwandelt sich uns in die Frage, welches besondre gesellschaftliche Element zu überwinden sei, um das Judenthum aufzuheben? Denn die Emancipationsfähigkeit des heutigen Juden ist das Verhältniss des Judenthums zur Emancipation der heutigen Welt. Dies Verhältniss ergiebt sich nothwendig aus der besondern Stellung des Judenthums in der heutigen geknechteten Welt.
Betrachten wir den wirklichen weltlichen Juden, nicht den Sabbaths Juden, wie Bauer es thut, sondern den Alltagsjuden.
Suchen wir das Geheimniss des Juden nicht in seiner Religion, sondern suchen wir das Geheimniss der Religion im wirklichen Juden.
Welches ist der weltliche Grund des Judenthums? Das praktische Bedürfniss, der Eigennutz.
Welches ist der weltliche Kultus des Juden? Der Schacher. Welches ist sein weltlicher Gott? Das Geld.
Nun wohl! Die Emancipation vom Schacher und vom Geld, also vom praktischen, realen Judenthum wäre die Selbstemancipation unsrer Zeit.
Eine Organisation der Gesellschaft, welche die Voraussetzungen des Schachers, also die Möglichkeit des Schachers aufhöbe, hätte den Juden unmöglich gemacht. Sein religiöses Bewusstsein würde wie ein fader Dunst in der wirklichen Lebensluft der Gesellschaft sich auflösen. Andrerseits: wenn der Jude dies sein praktisches Wesen als nichtig erkennt und an seiner Aufhebung arbeitet, arbeitet er aus seiner bisherigen Entwicklung heraus, an der menschlichen Emancipation schlechthin und kehrt sich gegen den höchsten praktischen Ausdruck der menschlichen Selbstentfremdung.
Wir erkennen also im Judenthum ein allgemeines gegenwärtiges antisociales Element, welches durch die geschichtliche Entwicklung, an welcher die Juden in dieser schlechten Beziehung eifrig mitgearbeitet, auf seine jetzige Höhe getrieben wurde, auf eine Höhe, auf welcher es sich nothwendig auflösen muss.
Die Judenemancipation in ihrer letzten Bedeutung ist die Emancipation der Menschheit vom Judenthum.
Der Jude hat sich bereits auf jüdische Weise emancipirt. «Der Jude, der in Wien z. B. nur tolerirt ist, bestimmt durch seine Geldmacht das Geschick des ganzen Reichs. Der Jude der in dem kleinsten [210] deutschen Staate rechtlos sein kann, entscheidet über das Schicksal Europa’s.
Während die Korporationen und Zünfte dem Juden sich verschliessen, oder ihm noch nicht geneigt sind, spottet die Kühnheit der Industrie des Eigensinns der mittelalterlichen Institute.» (B. Bauer, Judenfrage, p. 14.)
Es ist dies kein vereinzeltes Faktum. Der Jude hat sich auf jüdische Weise emancipirt, nicht nur, indem er sich die Geldmacht angeeignet, sondern indem durch ihn und ohne ihn, das Geld zur Weltmacht und der praktische Judengeist zum praktischen Geist der christlichen Völker geworden ist. Die Juden haben sich in so weit emancipirt, als die Christen zu Juden geworden sind.
«Der fromme und politisch freie Bewohner von Neuengland, berichtet z. B. Oberst Hamilton, ist eine Art von Laokoon, der auch nicht die geringste Anstrengung macht, um sich von den Schlangen zu befreien, die ihn zusammenschnüren. Mammon ist ihr Götze, sie beten ihn nicht nur allein mit den Lippen, sondern mit allen Kräften ihres Körpers und Gemüths an. Die Erde ist in ihren Augen nichts andres, als eine Börse, und sie sind überzeugt, dass sie hienieden keine andere Bestimmung haben, als reicher zu werden, denn ihre Nachbarn. Der Schacher hat sich aller ihrer Gedanken bemächtigt, die Abwechslung in den Gegenständen bildet ihre einzige Erhebung. Wenn sie reisen, tragen sie, so zu sagen, ihren Kram oder Komptoir auf dem Rücken mit sich herum und sprechen von nichts als von Zinsen und Gewinn, und wenn sie einen Augenblick ihre Geschäfte aus den Augen verlieren, so geschieht dies bloss um jene von Andern zu beschnüffeln.»
Ja, die praktische Herrschaft des Judenthums über die christliche Welt, hat in Nordamerika den unzweideutigen, normalen Ausdruck erreicht, daß die Verkündigung des Evangeliums selbst, dass das christliche Lehramt zu einem Handelsartikel geworden ist, und der bankerotte Kaufmann im Evangelium macht, wie der reichgewordene Evangelist in Geschäftchen. «Tel que vous le voyez à la tête d’une congrégation respectable a commencé par être marchand; son commerce étant tombé, il s’est fait ministre; cet autre à débuté par le sacerdoce, mais dès qu’il à eu quelque somme d’argent à la disposition, il a laissé la chaire pour le négoce. Aux yeux d’un grand nombre, le ministère religieux est une véritable carrière industrielle.» (Beaumont, l. c. p. 185, 86.)
Nach Bauer ist es ein lügenhafter Zustand, wenn in der Theorie [211] dem Juden die politischen Rechte vorenthalten werden, während er in der Praxis eine ungeheure Gewalt besitzt, und seinen politischen Einfluss, wenn er ihm im détail verkürzt wird, en gros ausübt.» (Judenfrage, p. 14.)
Der Widerspruch, in welchem die praktische politische Macht des Juden zu seinen politischen Rechten steht, ist der Widerspruch der Politik und Geldmacht überhaupt. Während die erste ideal über der zweiten steht, ist sie in der That zu ihrem Leibeignen geworden.
Das Judenthum hat sich neben dem Christenthum gehalten, nicht nur als religiöse Kritik des Christenthums, nicht nur als inkorporirter Zweifel an der religiösen Abkunft des Christenthums, sondern eben so sehr, weil der praktisch-jüdische Geist, weil das Judenthum in der christlichen Gesellschaft selbst sich gehalten, und sogar seine höchste Ausbildung erhalten hat. Der Jude, der als ein besonderes Glied in der bürgerlichen Gesellschaft steht, ist nur die besondere Erscheinung von dem Judenthum der bürgerlichen Gesellschaft.
Das Judenthum hat sich nicht trotz der Geschichte, sondern durch die Geschichte erhalten.
Aus ihren eignen Eingeweiden erzeugt die bürgerliche Gesellschaft fortwährend den Juden.
Welches war an und für sich die Grundlage der jüdischen Religion? Das praktische Bedürfniss, der Egoismus.
Der Monotheismus des Juden ist daher in der Wirklichkeit der Polytheismus der vielen Bedürfnisse, ein Polytheismus, der auch den Abtritt zu einem Gegenstand des göttlichen Gesetzes macht. Das praktische Bedürfniss, der Egoismus ist das Prinzip der bürgerlichen Gesellschaft und tritt rein als solches hervor, sobald die bürgerliche Gesellschaft den politischen Staat vollständig aus sich herausgeboren. Der Gott des praktischen Bedürfnisses und Eigennutzes ist das Geld.
Das Geld ist der eifrige Gott Israels, vor welchem kein andrer Gott bestehen darf. Das Geld erniedrigt alle Götter des Menschen, – und verwandelt sie in eine Waare. Das Geld ist der allgemeine, für sich selbst constituirte Werth aller Dinge. Es hat daher die ganze Welt, die Menschenwelt, wie die Natur, ihres eigenthümlichen Werthes beraubt. Das Geld ist das dem Menschen entfremdete Wesen seiner Arbeit und seines Daseins und dies fremde Wesen beherrscht ihn, und er betet es an.
[212] Der Gott der Juden hat sich verweltlicht, er ist zum Weltgott geworden. Der Wechsel ist der wirkliche Gott des Juden. Sein Gott ist nur der illusorische Wechsel.
Die Anschauung, welche unter der Herrschaft des Privateigenthums und des Geldes von der Natur gewonnen wird, ist die wirkliche Verachtung, die praktische Herabwürdigung der Natur, welche in der jüdischen Religion zwar existirt, aber nur in der Einbildung existirt.
In diesem Sinn erklärt es Thomas Münzer für unerträglich, «dass alle Kreatur zum Eigenthum gemacht worden sei, die Fische im Wasser, die Vögel in der Luft, das Gewächs auf Erden – auch die Kreatur müsse frei werden.»
Was in der jüdischen Religion abstrakt liegt, die Verachtung der Theorie, der Kunst, der Geschichte, des Menschen als Selbstzweck, das ist der wirkliche bewusste Standpunkt, die Tugend des Geldmenschen. Das Gattungsverhältniss selbst, das Verhältniss von Mann und Weib etc. wird zu einem Handelsgegenstand! Das Weib wird verschachert.
Die chimärische Nationalität des Juden ist die Nationalität des Kaufmanns, überhaupt des Geldmenschen.
Das grund- und bodenlose Gesetz des Juden ist nur die religiöse Karrikatur der grund- und bodenlosen Moralität und des Rechts überhaupt, der nur formellen Riten, mit welchen sich die Welt des Eigennutzes umgibt.
Auch hier ist das höchste Verhältniss des Menschen das gesetzliche Verhältniss, das Verhältniss zu Gesetzen die ihm nicht gelten, weil sie die Gesetze seines eigenen Willens und Wesens sind, sondern weil sie herrschen und weil der Abfall von ihnen gerächt wird.
Der jüdische Jesuitismus, derselbe praktische Jesuitismus, den Bauer im Talmud nachweist, ist das Verhältniss der Welt des Eigennutzes zu den sie beherrschenden Gesetzen, deren schlaue Umgehung die Hauptkunst dieser Welt bildet.
Ja die Bewegung dieser Welt innerhalb ihrer Gesetze ist nothwendig eine stete Aufhebung des Gesetzes.
Das Judenthum konnte sich als Religion, es konnte sich theoretisch nicht weiter entwickeln, weil die Weltanschauung des praktischen Bedürfnisses ihrer Natur nach bornirt und in wenigen Zügen erschöpft ist.
Die Religion des praktischen Bedürfnisses konnte ihrem Wesen [213] nach die Vollendung nicht in der Theorie, sondern nur in der Praxis finden, eben weil ihre Wahrheit die Praxis ist.
Das Judenthum konnte keine neue Welt schaffen; es konnte nur die neuen Weltschöpfungen und Weltverhältnisse in den Bereich seiner Betriebsamkeit ziehn, weil das praktische Bedürfniss, dessen Verstand der Eigennutz ist, sich passiv verhält, und sich nicht beliebig erweitert, sondern sich erweitert findet mit der Fortentwicklung der gesellschaftlichen Zustände.
Das Judenthum erreicht seinen Höhepunkt mit der Vollendung der bürgerlichen Gesellschaft; aber die bürgerliche Gesellschaft vollendet sich erst in der christlichen Welt. Nur unter der Herrschaft des Christenthums, welches alle nationalen, natürlichen, sittlichen, theoretischen Verhältnisse dem Menschen äusserlich macht, konnte die bürgerliche Gesellschaft sich vollständig vom Staatsleben trennen, alle Gattungsbande des Menschen zerreissen, den Egoismus, das eigennützige Bedürfniss an die Stelle dieser Gattungsbande setzen, die Menschenwelt in eine Welt atomistischer feindlich sich gegenüberstehender Individuen auflösen.
Das Christenthum ist aus dem Judenthum entsprungen. Es hat sich wieder in das Judenthum aufgelöst.
Der Christ war von vorn herein der theoretisierende Jude, der Jude ist daher der praktische Christ, und der praktische Christ ist wieder Jude geworden.
Das Christenthum hatte das reale Judenthum nur zum Schein überwunden. Es war zu vornehm, zu spiritualistisch, um die Rohheit des praktischen Bedürfnisses anders als durch die Erhebung in die blaue Luft zu beseitigen.
Das Christenthum ist der sublime Gedanke des Judenthums, das Judenthum ist die gemeine Nutzanwendung des Christenthums, aber diese Nutzanwendung konnte erst zu einer allgemeinen werden, nachdem das Christenthum als die fertige Religion die Selbstentfremdung des Menschen von sich und der Natur theoretisch vollendet hatte.
Nun erst konnte das Judenthum zur allgemeinen Herrschaft gelangen und den entäusserten Menschen, die entäusserte Natur zu veräusserlichen, verkäuflichen, der Knechtschaft des egoistischen Bedürfnisses, dem Schacher anheimgefallenen Gegenständen machen.
Die Veräusserung ist die Praxis der Entäusserung. Wie der Mensch, so lange er religiös befangen ist, sein Wesen nur zu vergegenständlichen weiss, indem er es zu einem fremden phantastischen Wesen [214] macht, so kann er sich unter der Herrschaft des egoistischen Bedürfnisses nur praktisch bethätigen, nur praktisch Gegenstände erzeugen, indem er seine Produkte, wie seine Thätigkeit, unter die Herrschaft eines fremden Wesens stellt und ihnen die Bedeutung eines fremden Wesens – des Geldes – verleiht.
Der christliche Seligkeitsegoismus schlägt in seiner vollendeten Praxis nothwendig um in den Leibesegoismus des Juden, das himmlische Bedürfniss in das irdische, der Subjectivismus in den Eigennutz. Wir erklären die Zähigkeit des Juden nicht aus seiner Religion, sondern vielmehr aus dem menschlichen Grund seiner Religion, dem praktischen Bedürfniss, dem Egoismus.
Weil das reale Wesen des Juden in der bürgerlichen Gesellschaft sich allgemein verwirklicht, verweltlicht hat, darum konnte die bürgerliche Gesellschaft den Juden nicht von der Unwirklichkeit seines religiösen Wesens, welches eben nur die ideale Anschauung des praktischen Bedürfnisses ist, überzeugen. Also nicht nur im Pentateuch oder im Talmund, in der jetzigen Gesellschaft finden wir das Wesen eines heutigen Juden, nicht als ein abstraktes, sondern als ein höchst empirisches Wesen, nicht nur als Beschränktheit des Juden, sondern als die jüdische Beschränktheit der Gesellschaft.
Sobald es der Gesellschaft gelingt, das empirische Wesen des Judenthums, den Schacher und seine Voraussetzungen aufzuheben, ist der Jude unmöglich geworden, weil sein Bewusstsein keinen Gegenstand mehr hat, weil die subjective Basis des Judenthums, das praktische Bedürfniss vermenschlicht, weil der Konflikt der individuell-sinnlichen Existenz mit der Gattungsexistenz des Menschen aufgehoben ist.
Die gesellschaftliche Emancipation des Juden ist die Emancipation der Gesellschaft vom Judenthum.