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Zur Geschichte der öffentlichen Leihhäuser

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Titel: Zur Geschichte der öffentlichen Leihhäuser
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aus: Die Gartenlaube, Heft 47, S. 783–786
Herausgeber: Ernst Ziel
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Erscheinungsdatum: 1881
Verlag: Verlag von Ernst Keil
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Erscheinungsort: Leipzig
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Quelle: Scans bei Commons
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Zur Geschichte der öffentlichen Leihhäuser.

Millionen Kranker finden alljährlich in den öffentlichen Krankenhäusern Heil und Pflege; Millionen fleißiger Arbeiter legen von Woche zu Woche ihre Ersparnisse in den öffentlichen Sparkassen nieder; Millionen Kaufleute benutzen tagtäglich die zahlreichen Wechselbanken, aber diese Millionen Menschen gehen in diesen für die Cultur so wichtigen und unentbehrlichen Anstalten aus und ein, ohne zu wissen, wie dieselben entstanden, und ohne zu ahnen, welcher Kämpfe und Umwälzungen es bedurfte, bis alle diese Werke der Vorsorge und Humanität zur allgemeinen Anerkennung gelangten. Jahr aus Jahr ein drängen sich auch in den düsteren Räumen der öffentlichen Leihhäuser schaarenweise die „Enterbten der Gesellschaft“, all die Armen und Elenden, welche das harte Unglück schwer geprüft hat, oder die ihr eigener Leichtsinn unter die Proletarier sinken ließ, aber in den breiten Volksmassen weiß kaum einer, wie und wann das Leihhaus, diese große Creditbank der Unbemittelten, begründet wurde, und so dürfte ein Blick auf die Geschichte des Leihhauses hier von einigem Interesse sein.

Das für den Handel und Wandel so überaus wichtige Creditwesen hat selbst in unserer fortgeschrittenen Zeit keineswegs eine endgültige Regelung gefunden. Noch vor Kurzem bildeten reine Creditfragen den Gegenstand eifriger Agitation in den weitesten Volksschichten und das Ziel heftiger Kämpfe im deutschen Reichstage. Die Beschaffung eines gesunden Credits für die große Masse der kleinen Gewerbetreibenden wird noch heutzutage von dem auf Selbsthülfe beruhenden Genossenschaftswesen angestrebt, welches mit gegnerischen Principien manchen harten Strauß auszufechten hat. Creditfragen bewegten auch tief das volkswirthschaftliche Leben früherer Jahrhunderte, und mitten unter den heftigsten Zuckungen socialer Gestaltungen des Mittelalters wurde die Idee des Leihhauses geboren.

Abgesehen von geringen Ausnahmen, war in der alten Welt das Creditgeschäft unzertrennbar mit dem Pfandleihgeschäfte verbunden, das heißt, wer damals Geld borgen wollte, der konnte eine Anleihe nur gegen die Stellung eines Unterpfandes erlangen, und diese Ordnung der Dinge ging auch auf die sich neugestaltende christliche Welt über. So verpfändeten im Mittelalter weltliche und kirchliche Fürsten ihre Kronen und Insignien, die Städte ihre Ländereien und Stifte, die Ritter ihre Rosse und Rüstung, die städtischen Patricier ihre Kostbarkeiten und die Handwerker ihre geringfügigen Werthsachen. In dieses Geschäftsleben brachte nun die christliche Kirche eine zwar ideale und menschenfreundliche, aber durchaus unberechtigte und daher auf die Dauer unhaltbare Neuerung hinein: sie verbot den Christen das Zinsennehmen, da es dem Geiste der christlichen Lehre widerspräche, und gestattete es nur den Juden, um deren Seelenheil sie sich nicht kümmerte.

Dieser widersinnigen Gesetzgebung hatte man denn auch zu verdanken, daß das Pfandleihgeschäft bald fast ausschließlich in die Hände der Juden überging und ein Privilegium derselben wurde. Was in Folge dessen geschah, ist allgemein bekannt: die Juden wurden reich, und die fanatisirte Volksmenge suchte durch die berüchtigten Judenverfolgungen sich ihrer Schulden kurzer Hand zu entledigen. Später ersann man noch ein königliches Privilegium der Schuldencassation, welches in der Regel die Städte dem Könige abkauften. Auf Grund eines solchen Privilegiums mußten die Juden die sämmtlichen in ihrem Besitz befindlichen Pfänder und Schuldscheine der städtischen Behörde abliefern, und auf der Magistratur durften dann die Schuldner ihre Pfänder gegen die Hälfte oder ein Viertel der den Juden zugesagten Schuld einlösen, welche Summe die Stadtbehörde für sich behielt, während die Juden bei diesem Handel leer ausgingen.

Aber alle diese radicalen Maßregeln halfen wenig zur Besserung der socialen Zustände. Kaum hatte man die Juden aus der Stadt gejagt, so machte sich bald die Nothwendigkeit des Credits für den Gewerbetreibenden fühlbar, und die „Geldleute“ wurden wieder in die Stadt geladen. Der Wucher wurde alsdann selbstverständlich von Neuem und um so ärger getrieben.

Unter solchen Kämpfen und gewaltsamen Erschütterungen der Rechtszustände reifte allmählich die Erkenntniß, daß man das Creditbedürfniß auf andere, billigere Weise befriedigen müsse und daß das aus idealen Gründen erlassene Verbot des Zinsennehmens in das praktische Leben nicht gut hineinpasse. Laut und offen durfte zwar diese Meinung nicht hervortreten: denn das Verbot war dogmatischer Natur, und – der Scheiterhaufen drohte. Mit der Zeit wurde jedoch die Kirche mit diesem widersinnigen Dogma selbst fertig; denn um die Mitte des fünfzehnten Jahrhunderts kam ein angesehener italienischer Franziskanermönch und Arzt, Barnabas Interamnensis, auf den Gedanken, eine öffentliche Anstalt zu begründen, in welcher auf Pfänder Anleihen gegeben wurden. Die Idee an und für sich war nicht neu; denn schon im heidnischen Rom hat der Kaiser Augustus aus den dem Staate anheim gefallenen Gütern der Verbrecher eine Casse errichten lassen, in welcher Jeder, der den doppelten Werth versetzte, umsonst Geld leihen konnte.

Aber Barnabas Interamnensis hatte bei der Ausführung dieses Planes mit größeren Schwierigkeiten zu kämpfen, als die römischen Kaiser. Wiewohl die Beschaffung des nöthigen Anlagekapitals dem feurigen Prediger, der an die Nächstenliebe der Reichen appellirte, leicht gelungen war, so sah er wohl voraus, daß die von ihm geplante Anstalt bald eingehen müßte, wenn in derselben das Geld umsonst vorgeschossen würde. Die Unterhaltungskosten der Anstalt müßten ja alsdann in wenigen Jahren das gesammte Anlagecapital verschlingen. Doch der gebildete Mönch wußte auch, daß die Dogmen vor dem heiligen Stuhl zwar unwiderlegbar, aber mit guten Gründen wohl dehnbar sind, und er eröffnete getrost das erste Leihhaus zu Perugia mit der Bestimmung, daß diejenigen, welche aus der Anstalt Geld auf Pfänder liehen, soviel an Gebühren zahlen müßten, wie die Unterhaltung der Anstalt kostete.

Gegen diese Neuerung erhob bald der den Franziskanern feindlich gesinnte Dominikanerorden eine Anklage vor dem heiligen Stuhl. Da wußte Barnabas den Papst zu überzeugen, daß die Gebühren keine Zinsen seien, sondern nur eine gerechte Zahlung von Seiten derjenigen, welche die Vortheile der Anstalt genössen und welche dadurch auch verpflichtet wären, die Unterhaltungskosten derselben zu decken; im Uebrigen wäre sein Unternehmen nur ein Werk der Nächstenliebe und dem Geiste des Christenthums durchaus entsprechend.

In Rom war man überhaupt froh, aus der unerquicklichen und unhaltbaren Angelegenheit des Zinsenverbots auf diese Weise endgültig herauszukommen, und der Papst ertheilte dem neuen Leihhause seinen Segen. Durch die Predigten der Franziskanermönche wurden diese Leihanstalten bald in Italien verbreitet und unter dem Namen montes pietatis (fromme Banken) allgemein bekannt.

Während auf diese Weise in den romanischen Ländern die Leihhäuser als ein Resultat socialer Kämpfe gewissermaßen öffentlich

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Im Leihhause.0 Nach dem Oelgemälde von L. Bokelmann.

[786] Wohlthätigkeitsanstalten bildeten, wie dies schon ihre Benennung andeutet, verdankten sie ihren Ursprung in England und in den Niederlanden weltlichen, rein kaufmännischen Einflüssen. Wie in der Ostsee einst die Hansastädte die Träger und Vermittler des Handels waren, so beherrschten das westeuropäische Handelsgebiet im Mittelalter die Italiener, das einzige Volk, welches damals den Welthandel betrieb. Schon im Anfange des dreizehnten Jahrhunderts ließen sich italienische Kaufleute in den englischen und niederländischen Städten nieder und wurden dort von den Behörden begünstigt, weil sie den Handel in’s Land brachten. Ihre angesehensten Firmen waren die Caorcini, Caturcini, Cavarcini, Bardi und Amanti, welche von der einheimischen Bevölkerung im Allgemeinen Longobarden oder Lombarden genannt wurden. Neben dem Handel betrieben sie in ausgedehnter Weise auch das Pfandleihgeschäft und hielten zu diesem Zwecke in den größeren Städten „Contore“, in welchen Pfänder zu geringen Preisen gegen unmäßige Zinsen als Versatz angenommen wurden; denn durch ihren regen Verkehr mit den orientalischen Völkern hatten sie sich von der Bedeutung des Geldes und von dem Zinsennehmen Begriffe gebildet, die von der damaligen christlichen Anschauung durchaus abwichen. Das päpstliche Verbot des Zinsennehmens wußten sie übrigens in schlauer Weise zu umgehen, indem sie sich die Provision im Voraus als Geschenk bezahlen ließen, aber gleich den Juden wurden auch die Langobarden, sobald sie den Wucher zu arg trieben, aus dem Lande gejagt, um nach kurzer Zeit auf Grund neuer Privilegien in dasselbe zurückzukehren. Seit dem vierzehnten Jahrhundert mußten sie für ihre „Contore“, welche man „Lombarde“ nannte, eine Steuer an die Obrigkeit entrichten, bis im Jahre 1611 der Magistrat der Stadt Amsterdam beschloß, das Pfandleihprivilegium den Italienern zu entziehen und die Leitung des Geschäftes selbst zu übernehmen. Drei Jahre hierauf wurde auch tatsächlich ein städtisches Leihhaus in Amsterdam eröffnet, welchem Beispiele bald andere niederländische Städte folgten.

Den ersten Anlauf zur Begründung eines Leihhauses in Deutschland nahm die Stadt Nürnberg, die schon im Jahre 1498 vom Kaiser Maximilian dem Ersten eine urkundliche Erlaubniß zur Anlegung einer öffentlichen Pfandleihanstalt erhielt. Der gemeinnützige Plan wurde von den Nürnbergern jedoch erst im Jahre 1618 verwirklicht, während inzwischen der Augsburger Magistrat bereits im Jahre 1591 das Pfandleihprivilegium den Juden entzog und 30,000 Gulden zum Anlagecapital eines Leihhauses bewilligte. Im Jahre 1607 wurde in der genannten Stadt die erste deutsche Leihhausordnung bekannt gegeben.

Da brachen die fortwährenden Kriegswirren herein, in welchen der Wohlstand des deutschen Volkes für lange Zeiten zu Grunde ging, und die Stürme des Dreißigjährigen Krieges vernichteten auch die ersten Leihhäuser Deutschlands. Wir begegnen ihnen in unserer Culturgeschichte wiederum erst um die Mitte des siebenzehnten Jahrhunderts, in welchem neben communalen auch private Pfandleihanstalten unter staatlicher Aufsicht begründet wurden.

Die Errichtung der heute bestehenden deutschen Leihhäuser. fällt dagegen erst in den Anfang unseres Jahrhunderts und ist zum großen Theil dem bahnbrechenden Vorgehen der preußischen Regierung zu verdanken. In jener Zeit gelangte auch die in England in’s Leben gerufenen Sparkassen zur allgemeinen Verbreitung, und von nun an reichten sich die beiden Wohlfahrtsanstalten zum gemeinsamen Wirken die Hand. Schon im Jahre 1840 bestanden in vierzig preußischen Städten Leihhäuser, welche ihre Capitalien von den communalen Sparcasse bezogen, vor allen andern deutschen Staaten zeichnete sich aber auf diesem Gebiete Sachsen aus, in welchem bereits in dem dritten Decennium dieses Jahrhunderts Dresden, Leipzig und Chemnitz mustergültige öffentliche Leihhäuser aufzuweisen hatten.

Die Entwickelung des Pfandleihwesens überhaupt ist indessen in Deutschland keineswegs als abgeschlossen zu betrachten. Noch vor wenigen Jahren mußten gegen die wuchernden privaten Pfandleihanstalten neue Gesetze und Verordnungen erlassen werden, und auch auf diesem Gebiete treten sich die beiden unversöhnlichen volkswirtschaftlichen Principien der Freiheit und des Schutzes feindlich entgegen.

So viel aber steht fest, daß man die wohltätige Wirkung der öffentlichen, unter staatlicher oder communaler Aufsicht stehenden Leihhäuser heutzutage allgemein anerkannt hat und nicht gesonnen ist, ihre Existenz und Organisation zu bekämpfen.