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Zum Stehen verwünscht

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Textdaten
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Autor: Brüder Grimm
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Titel: Zum Stehen verwünscht
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aus: Deutsche Sagen, Band 1, S. 310 - 312
Herausgeber:
Auflage: 1. Auflage
Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1816
Verlag: Nicolai
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Erscheinungsort: Berlin
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Originalherkunft:
Quelle: Google, Commons
Kurzbeschreibung:
Eintrag in der GND: [1]
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Bearbeitungsstand
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[310]
230.
Zum Stehen verwünscht.
Prätorius Weltbeschr. I. 659-661.


Im Jahr Christi 1545. begab sichs zu Freiberg in Meißen, daß Lorenz Richter, ein Weber seines Handwerks, in der Wein-Gasse wohnend, seinem Sohn, einem Knaben von vierzehn Jahren, befahl, etwas eilend zu thun; der aber verweilte sich, blieb in der Stube stehen und ging nicht bald dem Worte nach. Deßwegen der Vater entrüstet wurde und im Zorn ihm fluchte: „ei stehe, daß du nimmermehr könnst fortgehen!“ Auf diese Verwünschung blieb der Knabe alsbald stehen, konnte von der Stelle nicht kommen und stand so fort drei ganzer Jahre an dem Ort, also daß er tiefe Gruben in die Dielen eindrückte, und ward ihm ein Pult untergesetzt, darauf er mit Haupt und [311] Armen sich lehnen und ruhen konnte. Weil aber die Stelle, wo er stand, nicht weit von der Stubenthüre und auch nahe am Ofen war, und deshalb den Leuten, welche hineinkamen, sehr hinderlich, so haben die Geistlichen der Stadt auf vorhergehendes fleißiges Gebät ihn von selbem Ort erhoben und gegenüber in den andern Winkel glücklich und ohne Schaden, wiewohl mit großer Mühe, fortgebracht. Denn wenn man ihn sonst forttragen wollen, ist er alsbald mit unsäglichen Schmerzen befallen und wie ganz rasend worden. An diesem Ort, nachdem er niedergesetzt worden, ist er ferner bis ins vierte Jahr gestanden und hat die Dielen noch tiefer durchgetreten. Man hatte nachgehende einen Umhang um ihn geschlagen, damit ihn die aus- und eingehenden nicht also sehen konnten, welches auf sein Bitten geschehen, weil er gern allein gewesen ist und vor stäter Traurigkeit nicht viel geredet. Endlich hat der gütige Gott die Strafe in etwas gemildert, so daß er das letzte halbe Jahr sitzen und sich in das Bett, das neben ihn gestellt worden, hat niederlegen können. Fragte ihn jemand, was er mache, so gab er gemeinlich zur Antwort, er leide Gottes Züchtigung wegen seiner Sünden, setze alles in dessen Willen und halte sich an das Verdienst seines Herrn Jesu Christi, worauf er hoffe selig zu werden. Er hat sonst gar elend ausgesehen, war blaß und bleich von Angesicht, am Leibe gar schmächtig und abgezehrt, im Essen und Trinken mäßig, also daß es zur Speise oft Nöthigens bedurfte. Nach Ausgang [312] des siebten Jahrs ist er dieses seines betrübten Zustandes den elften September 1552 gnädig entbunden worden, indem er eines vernünftigen und natürlichen To­des in wahrer Bekenntniß und Glauben an Jesum Christum selig entschlafen. Die Fußstapfen sieht man auf heutigen Tag in obgedachter Gasse und Haus, (dessen jetziger Zeit Severin Tränkner Besitzer ist), in der obern Stube, da sich diese Geschichte begeben, die erste bei dem Ofen, die andere in der Kammer nächst dabei, weil nachgehender Zeit die Stuben unterschieden worden.