Zu den „lyrischen Gedichten“
[269]
In seiner Abhandlung „Über die Volkssprache" hat Dante das II. Buch vom 8. Kapitel an Betrachtungen über die Kanzonen gewidmet. Wahrscheinlich sollten sich daran weitere Abhandlungen über andere Formen der Dichtung anschließen, die aber nun fehlen, da das Werk unvollendet geblieben ist.
Über die Unterschiede der verschiedenen Dichtformen und den Vorzug der Kanzonen wurde schon weiter vorn die Anschauung Dantes angeführt. Über die Kanzone selbst sagt er dann im 8. Kapitel: „daß die Kanzone eine tragische Verbindung gleicher Stanzen ist ohne Responsorium von Reimen . . . Was wir aber so nennen, ist eine tragische Verbindung, denn wenn diese Verbindung auf komische Weise geschieht, so nennen wir sie verringernd Kantilene.“ – II, 9: „Es ist zu wissen . . . daß das, worin die ganze Kunst der Kanzone besteht, Stanze genannt wird, das heißt eine geräumige Wohnstätte oder ein Behältnis der ganzen Kunst . . . Die ganze Kunst der Kanzone scheint in drei Stücken zu bestehen: erstens in der Einteilung des Gesanges, sodann in der Beschaffenheit der Teile und drittens in der Zahl der Verse und Silben: des Reims aber erwähnen wir nicht, weil er nicht zur eigentümlichen Kunst der Kanzone gehört. Denn es ist erlaubt, in jeder Stanze die Reime zu erneuern und sie zu wiederholen nach Gutdünken, was, wenn der Reim zur eigentümlichen Kunst der Kanzone gehörte, nicht erlaubt sein würde. Daher können wir hier sagen: die Stanze sei eine mit gewissem Gesang und gewisser Beschaffenheit begrenzte Zusammenziehung von Versen und Silben.“ – II, 10: „So sagen wir, daß jede Stanze gefügt ist, um eine gewisse Tonweise aufzunehmen; aber in der Art scheint Verschiedenheit stattzufinden, weil einige eine einzige fortlaufende Tonweise haben, bis zu Ende fortschreitend, das heißt ohne Wiederholung einer Modulation und ohne Teilung (Teilung nennen wir eine Ausweichung von einer Tonweise in die andere) . . . Teilung kann nicht anders stattfinden, als wenn Wiederholung einer Tonweise eintritt, entweder vor der Teilung oder nachher oder von beiden Seiten her . . . Siehe nun, Leser, welche Freiheit denen gegeben ist, welche Kanzonen dichten . . . so wirst du finden, daß das, was wir sagen, bloß vermöge der Würde des Ansehens bewilligt sei. Hieraus kannst du nämlich erhellen, wie die Kunst der Kanzone in der Teilung des Gesanges besteht.“
[270] Vierzehn seiner Kanzonen gedachte Dante in seiner Schrift „Das Gastmahl“ auszudeuten und zu analysieren, um seine Leser damit zu „bewirten“. Aber auch diese Schrift blieb unvollendet und gelangte bloß zu vier Abhandlungen, von denen die erste eine Einleitung bildet, die drei andern sich mit je einer Kanzone beschäftigen. Aus der für seine Anschauungen wesentlichen Einleitung seien folgende Stellen angegeben, die z. T. auch allgemein-bedeutsam sind:
I, 1: „Wenn ich nun bei dem gegenwärtigen Werke, das ,Gastmahl‘ genannt ist und es nach meinem Willen auch sein soll, männlicher zu Werke gehe als in dem ,Neuen Leben‘, so beabsichtige ich nicht, von jenem in irgendeinem Teile etwas hinwegzunehmen, sondern vielmehr ihm durch das Gegenwärtige zu Hilfe zu kommen, indem ich einsehe, daß so wie jenes angemessenerweise feurig und leidenschaftlich, dieses gemäßigt und männlich zu sein sich geziemt. Denn anders ziemt es sich zu sprechen und zu handeln in dem einen Lebensalter als in dem anderen . . . In jenem Werke sprach ich nämlich von der Zeit vor dem Eintritt in mein Jünglingsalter, welches in diesem bereits vorüber ist; und sofern meine wahre Absicht eine andere sein dürfte als die, welche die genannten Kanzonen äußerlich darstellen, so beabsichtige ich sie durch eine allegorische Erklärung darzustellen nächst der Betrachtung des Wortsinnes, so daß die eine und die andere Weise denen, die zu diesem Gastmahl eingeladen sind, schmecken wird.“ – I, 2: „Auch habe ich die Absicht, den wahren Sinn dieser Kanzonen darzulegen, den man durch niemand erfahren kann, wenn ich ihn nicht auseinandersetze, weil er unter der Gestalt der Allegorie verborgen ist, und dies wird nicht bloß sehr erfreulich zu hören sein, sondern auch eine geschickte Anweisung geben, auf diese Weise selbst zu reden und fremde Schriften zu verstehen.“
I, 3: „Ich will dem Tadel entgehen) daß meine Schrift bestimmt ist, das Mangelhafte der genannten Kanzonen zu heben, und selbst vielleicht teilweise ein wenig hart sei, welche Härte jedoch, um einem größeren Mangel zu entgehen, und nicht aus Unwissenheit hier gewählt worden ist. Möge es doch dem Lenker der Welt gefallen haben, daß die Ursache meiner Entschuldigung niemals in Erscheinung getreten wäre; denn alsdann würde weder ein anderer gegen mich gefehlt, noch ich ungerechterweise Leiden erduldet haben, – ich meine das Leiden der Verbannung und der Armut. Seitdem es den Bürgern der schönsten und berühmtesten Tochter Roms, Florenz, gefallen hat, mich aus ihrem holden Schoße zu verstoßen, in dem ich geboren und bis zum Gipfel meines Lebens auferzogen worden bin, und in welchem ich zum Heile derselben von ganzem Herzen wünsche, die müde Seele auszuruhen und die mir verliehene Zeit zu beschließen, seitdem bin ich durch fast alle Gegenden, zu denen sich diese Sprache erstreckt, pilgernd und [271] gleichsam bettelnd gewandert und habe gegen meinen Willen die Wunde des Schicksals zur Schau getragen, die man ungerechterweise den Geschlagenen häufig vorzuwerfen pflegt. In Wahrheit, ich bin ein Fahrzeug gewesen ohne Segel und Steuer, verschlagen zu verschiedenen Häfen und Buchten und Ufern durch den trockenen Wind, welchen die schmerzenreiche Armut ausatmet, und bin den Augen vieler Menschen gering erschienen, welche, vielleicht durch ein Gerücht getäuscht, sich eine ganz andere Vorstellung von mir gemacht hatten, vor deren Angesicht sich nicht nur meine Person verringerte, sondern auch jedes meiner Werke, sowohl das bereits vollendete als auch das noch zu vollendende, im Werte sank. Der Grund, warum dies nicht nur mir, sondern allen begegnet, mag hier in der Kürze berührt werden. Vorerst geschieht dies darum, weil man einsehen mag, daß der Ruf die Wahrheit überschritt, dann aber auch darum, weil die Gegenwart über die Wahrheit hinaus den guten Ruf schmälert, der ursprünglich aus wohlwollender Bewegung in dem Gemüte des Freundes erzeugt und aus diesem ans Licht getreten ist (denn das Gemüt des Feindes, wenn es den Samen empfängt, nimmt ihn nicht auf).“ – I, 4: „Ich sage, daß aus drei Gründen die Gegenwart die Person geringer macht, als sie wirklich ist. Der eine von ihnen ist die Kindlichkeit, ich meine nicht des Alters sondern des Geistes; der zweite ist der Neid, und diese beiden sind in dem Beurteiler; der dritte ist die menschliche Fehlerhaftigkeit, und diese ist in dem Beurteilten.“
I, 7: (Zur Begründung, weshalb der Kommentar in der Volkssprache und nicht lateinisch verfaßt ist): „Der lateinische Kommentar würde sich nur an die Gelehrten gerichtet, und die übrigen ihn nicht verstanden haben. Da es nun weit mehr Nichtgelehrte als Gelehrte gibt, so folgt, daß er seinen Befehl nicht so vollständig erfüllt hätte wie die von Gelehrten und Ungelehrten verstandene Volkssprache. Auch hätte er sie Menschen anderer Zunge, Deutschen, Engländern und anderen ausgelegt und also mehr getan als der Befehl besagte. Denn gegen den Willen der Kanzonen, um mich weitläufig auszudrücken, würde er einen Sinn da ausgelegt haben, wohin sie mit ihrer Schönheit sich nicht erstrecken konnten. Und deshalb wisse ein jeder, daß kein durch das Band der Musen verknüpftes Werk aus seiner Sprache in eine andere übertragen werden kann, ohne seine Süßigkeit und seinen Wohllaut zu verlieren.“ – I, 9: „Der Lateinische würde nicht so vielen brauchbar gewesen sein; denn . . . die nichtgelehrten Ausländer würden ihn nicht haben brauchen können und von den Italienern . . . würde unter Tausenden ihn kaum einer vernünftig gebraucht haben: sie würden ihn gar nicht benutzt haben, so sehr sind sie jenem Eigennutz ergeben, der allen Adel der Seele tötet . . . Ihnen zur Schande sei es gesagt, daß sie den Titel der Gelehrten auch gar nicht verdienen; denn sie [272] erwerben sich Gelehrsamkeit nicht zu ihrem Gebrauch, sondern um Geld oder Ehre damit zu gewinnen . . . Das Geschenk dieses Kommentars besteht in der Erklärung der Kanzonen, für welche er gemacht ist, welche die Menschen vornehmlich zur Wissenschaft und Tugend hinführen soll . . .“
I, 11: „. . . Die zweite unserer Volkssprache feindselige Klasse von Menschen bedient sich einer boshaften Entschuldigung: viele wollen für Meister lieber gehalten werden als es sein, und um diesen Ruf nicht zu verlieren, geben sie dem zu ihrem Gewerbe nötigen Stoffe oder den Werkzeugen die Schuld . . . Aus ähnlichen Ursachen setzt man jetzt die italienische Sprache herab . . . Die dritte Klasse der Widersacher unserer Volkssprache wird von Begierde nach eitlem Ruhm geleitet: viele glauben, wenn sie Werke in fremder Sprache schreiben und letztere empfehlen, sich berühmter zu machen als durch Abfassung von Schriften in ihrer Muttersprache. Ohne Zweifel ist es ein Zeichen von guten Anlagen, eine fremde Sprache wohl zu erlernen; aber tadelhaft ist es, diese über Gebühr zu erheben, um damit zu prahlen, daß sie derselben mächtig sind . . . Der fünfte und letzte Punkt betrifft die kleinmütige Gesinnung. Wer hohen Mut hat, erhebt sich immer im eigenen Herzen; der Kleinmütige dagegen erniedrigt sich über Gebühr . . . Vermöge dieser Feigheit würdigen viele ihre Muttersprache herab und legen nur der fremden Wert bei . . .“ – I, 12: „Von allen Ländern ist jedem Menschen das Land am nächsten, wo er sich aufhält, weil er damit am meisten verbunden ist. Und so ist die Muttersprache jedem das nächste, insofern sie ihm am engsten und allein verknüpft ist, noch ehe irgendeine andere sich ihm näherte, und nicht allein an und für sich, sondern auch zufällig verknüpft, insofern sie ihn mit den nächsten Personen, nämlich mit den Eltern, den Mitbürgern und seinem Volke verbindet. Und dies ist die Muttersprache, welche einem jeden das Nächste, ja Allernächste ist . . .“
Zu der Kanzone „Die ihr im Geist den dritten Himmel leitet“ ist im Anhange zum „Neuen Leben“ das Wesentliche zu dem hierüber im „Gastmahl“ Gesagten schon angeführt worden.
Große Teile seines Kommentars beziehen sich auf den Aufbau der Himmel, die schon in der Einleitung zum „Himmelreich“ skizziert war. Auch diese will er allegorisch verstanden wissen und sagt darüber II, 14: „Unter dem Himmel verstehe ich die Wissenschaft, unter den Himmeln die Wissenschaften, wegen drei Ähnlichkeiten, welche die Himmel mit den Wissenschaften haben, hauptsächlich wegen der Ordnung und der Zahl, worin sie übereinzukommen scheinen . . . Eine weitere Ähnlichkeit ist, daß der eine und der andere erleuchtet. Denn jeder erleuchtet die sichtbaren Dinge; und so erleuchtet jede Wissenschaft die denkmäßigen. Und noch eine Ähnlichkeit ist, daß sie Vollkommenheit bringen in die [273] vorliegenden Dinge: . . . Der Himmel der Sonne kann verglichen werden mit der Arithmetik . . . Der Himmel des Mars kann verglichen werden mit der Musik . . . Der Himmel des Jupiter kann verglichen werden mit der Geometrie . . .“ – II, 15: „Der gestirnte Himmel kann verglichen werden mit der Physik . . . Der kristallinische Himmel hat ziemlich deutliche Vergleichspunkte mit der Moralphilosophie . . . Der empyreische Himmel ist wegen seines Friedens der göttlichen Wissenschaft ähnlich . . .“
Zu der Kanzone „Minne, die in der Seele“: III, 1: „Wie in der vorigen Abhandlung erzählt wurde, nahm meine Liebe Anfang aus der Minne einer Frau, welche Minne nachher, da sie mein Leben für ihre Glut empfänglich fand, nach Art des Feuers aus einem kleinen Funken zu einer großen Flamme entzündete, so daß nicht nur beim Wachen, sondern auch im Schlafen das Licht von ihr in meinen Geist geleitet wurde. Und wie groß das Verlangen war, das Minne mir einflößte, sie zu sehen, ließe sich weder sagen noch begreifen. Und nicht allein war ich nach ihr so sehnsüchtig, sondern auch nach allen denjenigen Personen, die ihr einigermaßen nahestanden entweder durch Vertraulichkeit oder durch einige Verwandtschaft. O in wie vielen Nächten, wenn die Augen anderer Personen geschlossen im Schlafe ruhten, schauten die meinen unverrückt in der Wohnstätte meiner Minne. Und wie ein vervielfältigter Brand doch nach außen sich zeigen will, weil es ihm unmöglich ist, verborgen zu bleiben, kam ein Wille über mich, von Minne zu sprechen, den ich durchaus nicht hemmen konnte. Und obwohl ich wenig Macht hatte für mein Vorhaben, näherte ich mich Minne doch, entweder auf deren Willen oder vermöge meines Dranges, insoweit zu mehreren Malen, daß ich überlegte und bemerkte, es gäbe, um von Liebe zu sprechen, keine schönere und ersprießlichere Rede als die, in der man die Person lobte, die man liebte. Und bei dieser Erwägung leiteten mich drei Gründe, von denen der eine die eigene Liebe zu mir selbst ist, welche die Ursache ist von jeder anderen, sowie jeder einsieht, daß es keine erlaubtere und gefälligere Art gibt, sich selbst Ehre zu machen, als wenn man seinen Freund ehrt; denn sintemalen unter Unähnlichen Freundschaft nicht stattfinden kann, setzt man, wo man Freundschaft sieht, Ähnlichkeit voraus, und wo man Ähnlichkeit voraussetzt, trifft Lob und Tadel gemeinschaftlich. Und aus diesem Grunde können zwei wichtige Regeln hergeleitet werden: die eine ist, nicht zuzugeben, daß ein Freund sich irgend fehlerhaft zeige, weil man hiernach keine gute Meinung von dem faßt, dessen Freund er ist; die andere ist, daß niemand seinen Freund öffentlich tadeln darf, weil er sich damit selbst ins Auge schlägt, wenn man obigen Grund recht betrachtet. Der zweite Grund war das Verlangen der Dauer dieser Freundschaft; woher zu wissen ist, daß, wie der Philosoph im 9. Buch der Ethik sagt, bei der [274] Freundschaft von Personen ungleichen Standes zur Erhaltung derselben eine Ausgleichung zwischen ihnen stattfinden muß . . . Deshalb, indem ich mich für geringer halte als jene Frau und mich von ihr mit Wohltaten überhäuft sehe, bemühe ich mich, sie zu loben nach meiner Fähigkeit . . . Der dritte Grund war eine Regel der Vorsicht . . . Ich bedachte, daß ich von vielen künftig vielleicht getadelt werden möchte wegen meines Leichtsinnes, wenn sie hörten, daß ich meine erste Liebe gewechselt hätte. Daher, um diesen Tadel zu beseitigen, gab es kein besseres Mittel als zu sagen, wer jene Fraue sei, die mich so verwandelt hatte; denn durch ihre bekundete Vortrefflichkeit kann man sich eine Vorstellung machen von ihrer Kraft, und aus der Einsicht ihrer übergroßen Kraft wird man entnehmen, daß jede Beständigkeit der Seele vor ihr veränderlich, und deshalb mich nicht für leicht und unbeständig halten. Ich unternahm es daher, jene Frau zu loben, und wenn auch nicht so, wie es ihr zukäme, doch wenigstens soviel ich vermöchte.“ (Vgl. auch III, 2 S. 258.)
III, 15: „Hier (am Ende) kann man den wahren Sinn der gegenwärtigen Kanzone bestimmen. Tatsächlich kann man den letzten Vers, der zur Tornata gemacht ist, durch die Worterklärung ganz leicht darauf zurückführen . . . Wo zu wissen ist, daß von Anfang diese Philosophie mir von seiten ihres Leibes (das heißt der Weisheit) stolz erschien, – denn sie belachte mich, soweit ich ihre Überredungen noch nicht verstand, – und mißgelaunt , weil sie mir nicht das Auge wandten, das heißt, weil ich ihre Beweisführung nicht begreifen konnte. Und von diesem allen war die Schuld auf meiner Seite.“
Zur Kanzone „Die süßen Minnelieder“: IV, 1: „Die Liebe, nach der einstimmigen Meinung der Weisen . . . ist dasjenige, was den Liebenden mit der geliebten Person verbindet . . . und da die verbundenen Sachen sich natürlich ihre Eigenschaften untereinander mitteilen in soweit, daß das eine sich ganz in die Natur des andern verwandelt, so geschieht es, daß die Leidenschaften der geliebten Person übergehen in die liebende Person, so daß die Liebe der einen sich der andern mitteilt und ebenso der Haß und das Verlangen und jede andere Leidenschaft. . . Daher ich, nachdem ich der Freund geworden dieser Frau, die oben in meiner wahrhaften Auseinandersetzung genannt ist, anfing zu lieben und zu hassen, je nachdem sie liebte oder haßte. Ich fing daher an, die Nachstreber der Wahrheit zu lieben und die Nachstreber des Irrtums und der Falschheit zu hassen, wie sie es macht. Aber sofern jede Sache an sich zu lieben ist und keine zu hassen außer wegen Beimischung des Bösen, so ist es vernünftig und gerecht, nicht die Sachen sondern das Böse der Sachen zu hassen und Sorge zu tragen, es davon zu trennen. Und wenn hiernach irgend jemand strebt, so strebt meine Gebieterin danach am meisten, das Böse von den Sachen zu trennen, was die [275] Ursache des Hasses ist; denn in ihr ist alle Vernunft, und in ihr ist ursprünglich die Würdigkeit. Und indem ich ihr nachfolgte in der Tätigkeit sowie in der Leidenheit, soviel ich konnte, verabscheute und tadelte ich die Irrtümer der Leute, nicht zur Schande und zum Makel der Irrenden, sondern der Irrtümer, welche ich durch Tadel mißfällig zu machen glaubte . . . und unter diesen Irrtümern tadelte ich einen am meisten . . .: dies ist der Irrtum über die menschliche Güte, insofern sie von der Natur in uns gepflanzt ist, und welche man Adel nennen muß; der durch üble Gewohnheit und durch Mangel an Überlegung so sehr befestigt war, daß fast aller Meinung hiervon verfälscht war . . . wodurch die Guten in niedriger Verachtung standen und die Bösen geehrt und erhört wurden. Und sintemal meine Herrin ihre lieblichen Mienen gegen mich ein wenig verändert hatte . . . so ließ ich, gleichsam in ihrer Abwesenheit weilend, mich darauf ein, in Gedanken die menschliche Schwäche hinsichtlich des gesagten Irrtums zu betrachten . . . Unter meiner Gebieterin aber verstehe ich immer diejenige, welche in der vorhergehenden Kanzone besprochen ist, das heißt jenes kraftvollste Licht, die Philosophie, in deren Strahlen die Blumen hervortreiben und befruchten den wahrhaften Adel der Menschen . . .“
(IV, 4 behandelt das kaiserliche Ansehen im Sinne der weiter vorn gebrachten Ausführungen der Schrift „Über die Monarchie“.)
IV, 12 (Über die Unvollkommenheit der Reichtümer usw.): „Immer versprechen die falschen Verräter, in gewisser Anzahl versammelt, wenn man wohl acht hat, jeden Durst und jede Leere hinwegzunehmen und Sättigung und Fülle herbeizubringen; und dies tun sie im Anfang jedem Menschen . . . nachdem sie aber gesammelt sind, erwecken sie statt Sättigung und Erfrischung unerträglichen Durst für die fiebernde Brust und statt Genüge zeigen sie neue Grenze, d. h. größere Menge dem Verlangen und hiermit große Furcht und Bekümmernis jenseits des Erworbenen . . . Und was anderes bedroht und vernichtet täglich die Städte, die Landschaften, die einzelnen Personen so sehr wie das neue Sammeln von Hab und Gut bei jemandem? Dies Sammeln entschleiert neue Begierden, zu deren Ende man ohne Beeinträchtigung eines anderen nicht gelangen kann . . .“ (Vgl. auch die vorletzte Kanzone S. 98, bes. S. 100 ff.)
Die erste Kanzone ist vor Beatrices Tod entstanden und aus jeder Zeile spricht Dantes leidenschaftliche Sorge.
Die folgende Kanzone entstand nach ihrem Tode und schildert den Kampf der Erinnerung mit dem neuaufkeimenden Gefühl. Die ersten Zeilen der zweiten Strophe gelten Beatrice.
Die dritte Kanzone gilt der neuen Geliebten. Mit der „Schwester“, einer von ihm öfters gebrauchten Wendung, ist in diesem Falle die weiterhin folgende erste Ballade gemeint: „Die ihr so viel zu [276] künden wißt“, zu deren Inhalt die Kanzone in Widerspruch zu stehen scheint.
Die vierte Kanzone über den wahren Adel enthält eine Entsagung wegen der Grausamkeit seiner Geliebten. Denn der wahre Adel wohnt, wie Krafft anknüpfend an ein deutsches Sprichwort kurz den Inhalt der Kanzone zusammenfaßt, „nicht im Geblüte, sondern im Gemüte“. Mit dem Kaiser ist Friedrich II. gemeint, mit der Freundin in der letzten Strophe die Adligkeit.
Die fünfte Kanzone wehklagt über die Macht der Minne, oder, im Sinne des „Gastmahls“, über die Leiden vergeblicher Hoffnung nach Wissenschaft.
In einigen Handschriften folgen noch eine Tornata und eine Schlußstrophe, die aber, wenn sie auch von Dante herstammen dürften, wohl nicht zu dieser Kanzone gehören und vielleicht Schlußstrophen verlorengegangener Dichtungen Dantes bilden. Ich lasse die beiden hier in Kannegießers Übersetzung folgen. Mit den erwähnten drei minder Schuldigen scheinen Guelfen gemeint zu sein.
Mein holdes Lied, weil, wenn du nach mir artest,
Du also nicht von Grolle
Wirst voll sein, wie es zukommt deinem Wert,
Möcht’ ich dich bitten, daß du dich verwahrtest,
Du Süße, Liebevolle,
Vor falscher Weis’ und Bahn, die dich entehrt.
Denn dich ein Ritter hält und dein begehrt,
Bevor du seinem Wunsche dich ergeben,
Mußt du für dich ihn zu gewinnen streben;
Und kannst du’s nicht, wohl, so verlasse jenen.
Der Gut’ ist nur des Guten Schlafgefährt’;
Doch mancher schließt sich, wie wir’s oft erleben,
Der Schar an, der nur rein’gen muß sein Leben
Vom bösen Ruf, den andre Zungen tönen.
Gesell’ in Geist und Kunst dich nicht den Bösen,
Denn wehe, wer sich die Partei erlesen!
Zuerst in unsrer Heimat nun verfüge
Zu den drei minder Schuld’gen dich, mein Lied!
Zween grüße, doch den dritten sei bemüht
Zu trennen erst von frevelhafter Bande.
Sprich: „Gute führen nicht mit Guten Krieg“;
Bevor mit Bösen ihm der Sieg entblüht,
Sprich: „Torheitsvoll ist, wer sich nicht entzieht
Scham fürchtet nur, wem banget vor dem Bösen,
Denn dieses fliehn heißt Besseres erlesen.“
Die sechste Kanzone wird von vielen Auslegern in die Zeit verlegt, als seine Liebe noch Beatrice galt. Dagegen spricht aber unter anderem der Hinweis, daß die Besungene an die Stelle einer anderen getreten sei.
Die siebente und achte Kanzone gelten der Grausamkeit der Geliebten. Die achte Kanzone ist eine Sestine, in der an Stelle des Reimes die Wiederholung bestimmter Worte tritt, die sich in immer neuer Reihenfolge reimartig gegenüberstehen. Abgesehen von der an letzter Stelle hier noch aufgeführten zweiten Sestine findet sich Ähnliches in der folgenden neunten Kanzone in den Schlußzeilen der einzelnen Stanzen.
Die neunte Kanzone schildert mit besonderer Eindringlichkeit das Absterben von allem rings umher; nur die Liebe gewinnt immer neu an Kraft. In der ersten Strophe wird die Zeit bestimmt: Venus ist schon unsichtbar, der frostverstärkende Saturn steht in seinem Wendekreis, auf der anderen Erdhälfte (Str. 2) ist jetzt Sommer. Die sieben kalten Sterne (Str. 3) sind die Sterne des Bären, mit des Widders Kraft (Str. 4) ist der Frühling bezeichnet.
Zur zehnten Kanzone vgl. den Brief an Malaspina.
Während die vorhergehenden Kanzonen sich inhaltlich deutlich aneinander anschließen, nimmt man von der 11. Kanzone vielfach an, daß sie, worauf schon die weniger konzise Sprache hinweist, zu dem Zyklus des „Neuen Lebens“ gehört. Sie schildert den Widerstreit zwischen der Erinnerung an die verlorene Vergangenheit und der Sehnsucht nach Rückkehr in die Vaterstadt. Der Gruß der Geliebten soll ihm Trost bringen.
Die 12. Kanzone ist ein kunstreicher, aber vielleicht weniger gefühlvoller Hymnus an Minne.
Die 13. Kanzone ist ein Gegenstück zur vierten und behandelt die wahre Ritterlichkeit.
Die 14. gilt als Krone italienischer Kanzonen und klagt über die Mißachtung edler Tugenden. Die Deutung der drei Frauen steht nicht fest; wahrscheinlich sollen die verschiedenen Arten des Rechtes, das natürliche, das positive und das christliche Gesetz der Liebe und Gnade gemeint sein.
Die 15. Kanzone warnt die Frauen vor der verderbten Männerwelt. Die letzte (nach Wittes Zählung 20.) ist wieder eine Sestine.
Die Echtheit der 16. Kanzone nach Wittes Zählung ist vielfach angezweifelt, besonders deshalb, weil sie in einem Kodex, der sonst Dante [278] genügend kennt, als „Von einem Florentiner“ bezeichnet ist. Da sie aber recht wohl die Gedankengänge des verbannten Dante zum Ausdruck zu bringen scheint und in vielen Handschriften unter seinem Namen aufgeführt wird, soll sie hier in Wittes Übersetzung folgen:
O Vaterstadt, zu triumphieren würdig,
Erzeugerin der Guten,
Mehr als die Schwester hast du Grund zu trauern.
Fühlt wer der Deinen rechte Liebe für dich,
So muß das Herz ihm bluten,
Sieht er in dir die Greueltaten dauern.
Wir sind die Bösen schnell in deinen Mauern,
Zu deinem Mißgeschick sich zu verschwören!
Mit scheelem Blick betören
Dein Volk sie, Falsches ihm statt Wahren weisend.
Erhebe glühend der Gedrückten Mut,
Und der Verräter Blut
Begehre dein Gericht; damit, dich preisend,
Wie jetzt dir schimpflich, Gnade bei dir wohne,
Und, alles Gute nährend, dich belohne.
Du herrschest glücklich in der schönen Jugend,
Als deine Kinder wollten
Auf Tugenden als ihre Säulen bauen.
Des Ruhmes Mutter, Wohnort jeder Tugend,
Wo feste Treu gegolten,
Warst du beseligt mit den sieben Frauen.
Nun kann ich solch Gewand an dir nicht schauen!
Gehüllt in Trauer und voll Bruderwürger
Entbehrst du gute Bürger,
Du Friedensfeindin, feig und doch hochmütig!
Entehrte du, der Zwietracht Nährerin,
Im kriegestrunk’nen Sinn
Strafst, wie Verräter, du, die, edelmütig,
Der Lilie Banner mieden, den verwaisten.
Die dich zumeist geliebt, beugst du am meisten.
Die geilen Wurzeln, welche deine Blume
Beschmutzen und berauben,
Vertilg’ und laß dich nicht von Mitleid beugen.
Die Tugend führ’ aufs neu’ zum Siegesruhme,
Daß der erstorbne Glauben
Und die Gerechtigkeit den Thron besteigen.
Laß von Justinian den Weg dir zeigen;
Verbesserte Gesetze,
Daß Erd’ und Himmel ihnen Lob gewähren.
Verleih’ von deinem Reichtum, Ehr’ und Lohn
Dem liebevollsten Sohn;
Und laß Unwürd’ge nicht dein Gut verzehren,
Damit die Klugheit und die andern Schwestern
Dir beistehn und du aufhörst sie zu lästern.
Ein jeder Stern, verfährst du also, spendet
Dir seine Kräfte mächtig.
Dann wirst du ruhmvoll und geehrt regieren,
Dann nennt dein Name, der dich jetzt nur schändet,
„Die Blühende“ mit Recht dich,
Weil deine Kinder dich in Liebe zieren;
Heil denen, die ihr Los zu dir wird führen.
Dann wirst du, höchsten Lobes wert, auf Erden
Ein Vorbild allen werden.
Doch, leihst du neuen Fährmann nicht dem Nachen,
So wisse, daß vermehrter Sturm und Tod
Dir in den Wellen droht,
Zu den vergangnen schweren Ungemachen.
So wähle denn, ob Haufen frecher Diebe
Dir mehr genehm ist oder Bruderliebe.
Geh hin, mein Lied, weil dich die Liebe leitet,
Geh hin mit Selbstvertrauen
In meine Vaterstadt, um die ich bange.
Wie wenig Schein der Guten Licht verbreitet,
Wirst du dort häufig schauen,
Sie selbst gedrückt und nah dem Untergange.
Sie rufe an: „Ihr seid’s, die ich verlange,
Ergreift die Waffen, und erhebt sie wieder,
Die sterbend liegt danieder.
Denn Crassus, Kapaneus und Simon stellen
Ihr nach, zu denen Sinon sich, der log,
Und Mahmud, der betrog,
Jugurth’, Aglauros, Pharao gesellen. –
Dann werde ich zu ihren besten Söhnen
Und flehe, bis sie sich mit ihr versöhnen.
Auch die Echtheit der 17. Kanzone (nach Wittes Zählung) ist umstritten aber immerhin anerkannt genug, daß ich sie hier im Anhange in Wittes Übersetzung folgen lasse. – Das Original verwendet nach einer damaligen Sitte oder vielmehr Unsitte nebeneinander die [280] provençalische, lateinische und italienische Sprache, immer von jeder Sprache eine Zeile, die in regelmäßigem Wechsel einander folgen. Übrigens hat Dante im Purgatorium (Ges. 26) auch einmal solche Sprachmischung verwendet.
O falsches Lächeln, warum täuschest du
Mein Augenpaar, und was hab’ ich gesündigt,
Daß du betrogen mich in solcher Art;
Den Griechen wäre schon mein Wort verkündigt. –
Die Damen wissen’s all, und Ihr dazu,
Betrug und Ehre waren nie gepaart. –
Ach, dessen Herz, der harrt,
Ihr wißt, wie fern ihm bleiben Freud’ und Frieden.
Ich lebe hoffend, niemand achtet mein;
O Gott, wie bittre Pein,
Welch ein vernichtend Los ist dem beschieden,
Der wartend seines Lebens Zeit verdarb
Und nie die kleinste Blüte sich erwarb.
Zuerst, o weiches Herz, verklag’ ich dich,
Um zweier Augen Blick, wer sollt’ es denken?
Verirrt'st du dich aus des Gesetzes Hage.
Mich aber freut’s, das schon beim Schwerterschränken
Der Pöbel aus dem Schmutz bellt wider mich. –
Des Todes bin ich; ob der Treu beklage,
Die ich im Herzen trage,
Ich, daß ich Strafe leide ohne Grund. –
Auch sagt Sie nicht, ich sei Ihr zu geringe.
Drum mein Klage bringe
Ich laut an wider Sie; denn Ihr ist’s kund,
Daß, wenn mein Herz an andre Liebe dächte,
Die Untreu sich an ihm am schwersten rächte.
Gewiß hat dieses Weib ein Herz von Stein
Und so viel Rauheit, daß sie gleicht den Bären,
Wenn sie des Knechts sich nicht erbarmen mag.
Sie wird, will sie mir Hilfe nicht gewähren,
(Amor, du weißt’s) Schuld meines Todes sein.
Nicht hält die Hoffnung mehr mein Leben wach;
Drum weh mir Amor, ach,
Gestattet sie mir nicht aus gutem Herzen,
Ihr heitres Angesicht aufs neu’ zu sehn
(O Gott, wie ist sie schön !);
Doch fürcht ich: nein, gedenk’ ich meiner Schmerzen.
Doch denkt sie nie an meiner Liebe Lohn.
Du kannst, mein Lied, die ganze Welt durchwandern,
Denn in drei Sprachen kleidet’ ich dich ein,
Daß meine herbe Pein
In jedem Volk und Lande werd’ erzählet;
Vielleicht erbarmt sich dann auch, die mich quälet.
Die Balladen bedürfen nach dem Vorhergehenden wohl kaum einer Erklärung. Die letzte der hier angeführten ist von mir in der Schlegelschen Übersetzung gebracht worden, das Übrige in meiner Bearbeitung.
Von den zweifelhaften Balladen mögen hier (zum Vergleich) drei der in manchen Sammlungen enthaltenen in Karl Wittes Übertragung folgen:
O frische junge Rose,
O holde Frühlingslüfte!
Am Bach durch Wiesendüfte
Geh’ ich und jubl’ und singe,
Daß euer Lob erklinge rings im Grünen.
Eu’r schönes Lob und Preisen
Sei freudig uns gesungen
Von Alten und von Jungen
Zu Hause wie auf Reisen.
Euch weihen Vögelzungen
In viel verschiednen Weisen
Bei jeder Stunde Kreisen
Aus Blüten Huldigungen.
Schon ist die Zeit gekommen,
Mit Liedern allerenden
Gebührend Lob zu spenden
Der Hoheit, die erlesen
In euch, o Engelswesen uns erschienen.
Eu’r engelgleiches Prangen,
O holdeste der Frau’n,
Läßt mich auf Glück vertraun
In diesem Glutverlangen.
Es geben sich, im Schau’n
Der Schönheit Eurer Wangen,
Natur und Kunst gefangen.
Unglaublich ist sie traun!
Die Damen nennen Göttin
Euch unter sich mit Wahrheit;
Erzählt wird Eure Klarheit
Wer wird Natur zu meistern sich erkühnen?
Eu’r zart holdselig Kleid
Schuf über Menschen Weise
Der Himmel zum Beweise,
Daß Ihr die Herrin seid.
So bleibt mir denn, o Speise
Der Augen, nimmer weit,
Daß Gottes Herrlichkeit
Sich freundlich mir erweise.
Und scheint es Euch anmaßlich,
Daß ich nur Euch ergeben,
Wollt mir die Schuld nicht geben.
Denn das sind Amors Werke,
Dem zu begegnen Stärk’ und Maß nichts dienen.
In einer weisen Botin Pilgertracht
Mach eilig dich, Ballade, auf; berichte
Der schönen Herrin, an die ich dich richte,
Wie schwach der Gram mein Leben schon gemacht.
Von meiner Augen Los sollst du beginnen,
Die, schauend einst die englische Gestalt,
In Sehnsuchtskronen pflegten zu erglänzen.
Jetzt, wo Ihr Anschaun sie nicht mehr gewinnen,
Bedräuet sie so sehr des Tod’s Gewalt,
Daß sie zwei Marterkronen rings umkränzen.
Weh’ mir! nach welchem Ziel, zu welchen Grenzen
Send’ ich zu ihrer Lust sie aus? – Dem Tode nah
Triffst du mich an, bringst du nicht Trost von da,
Wo sie verweilt. – Ballade, habe Acht!
Weil du gewahrst, wie jung du bist und schön,
Wie deine Blicke Amors Flammen schüren,
Ließ’st grausam du zum Stolze dich verführen.
Wohl hast in Härte du dich überhoben,
Weil du bemüht, mir Tod zu geben, bist.
So, glaub’ ich, tust du nur, um zu erproben,
Ob Amors Kraft zu töten fähig ist.
Weil du vor Andern mich gefangen siehst,
Läßt du durch meine Schmerzen dich nicht rühren. –
O möchtest je du seine Macht verspüren!
Auch die Sonette bedürfen kaum einer Erläuterung. Die im ersten genannten Persönlichkeiten sind, wie sich aus dem Vorangehenden [283] ergibt, Guido Cavalcanti, seine Freundin Johanna nebst Beatrice und einem gewissen Lappo, dessen Identifizierung nicht feststeht.
An Dantes andern Freund, Cino da Pistoja, sind die Sonette 17 und 18 („Ich hatte, glaubt’ ich“ und „Nicht einen find’ ich hier“) gerichtet. Cinos Antworten lauten:
O Dante, seit aus meinem Vaterland
Mich Acht und Bann auf Pilgers Pfad verstießen,
Und fern der höchsten Wonne ich mußt’ büßen,
Die je geformt der Himmelswonne Hand,
Zog ich in Tränen hin von Land zu Land!
Mich Armen wollte selbst der Tod nicht grüßen;
Und fand ich etwas, ähnlich nur der Süßen,
Klagt’ ich mein Weh, wie es mein Herz empfand.
Nicht erstem mitleidlosem Joch entglitten,
Noch fester Hoffnung (die so leicht entbindet)
War je mein Mut, da Hilfe mir entschwunden;
Dieselbe Lust ist’s, die mich löst und bindet,
Und glich sich Schönheit, hab’ ich oft gelitten,
Daß wechselnd ich mich vielen Frau’n verbunden.
Nicht hör’ ich, Dante, irgendwo erklingen
Das Heil, das allwärts in Vergessenheit
Versank und floh seit so geraumer Zeit,
Daß Feindesmächte Donnerlaut vollbringen.
Und durch die große Wandlung in den Dingen
Wird dem kein Lohn, der sich dem Heile weiht,
Dem, wie du weißt, Gott selbst die Macht verleiht,
Im Reiche der Dämonen einzudringen.
Ist so das Gute allerorts vertrieben
Aus dieser Welt, wohin du immer ziehst,
Dann will durch dich ich Freud’ und Lust empfangen:
Drum laß, mein Bruder, der von Leid umfangen
(Bei jener Herrin fleh’ ich, die du siehst!),
Nicht ab vom Dichten, wenn du treu geblieben.
Die Sonette an Cino sind natürlich in der Verbannungszeit verfaßt.
Die Erklärung des etwas vorangehenden Sonetts „Siehst du nach Tränen“ ist strittig. Wahrscheinlich ist es an Kaiser Heinrich VII. gerichtet. Der Flüchtende ist der Papst, der nach Avignon ging, der Wüterich – der König von Frankreich, sein Gift – die Habsucht.
Um Beispiele für die geistlichen Dichtungen zu geben, die Dante zugeschrieben werden, mögen hier, in Kannegießers Übersetzung, das „Vater Unser“ und das „Ave Maria“ aus dieser Gruppe folgen: