Wislicenus’ neuestes Buch
[720] Wislicenus’ neuestes Buch: die Bibel, findet bei der Kritik und im Publicum überall die glänzendste Aufnahme. „Der durch seinen hervorragenden Antheil an den freireligiösen Bewegungen unserer Zeit bekannte Verfasser,“ sagt die in Hamburg erscheinende Zeitschrift „das neue Hamburg“, „steht mit seinem Buche auf dem Boden der Wissenschaft, vor der die Bibel eine Erscheinung der Geschichte, ein Glied in der Kette der menschlichen Geistesentwickelung ist, in welcher Eigenschaft sie keine Ausnahmestellung einnimmt, sondern ebenso wie andere Bücher dem Urtheile des denkenden Menschen unterliegt.“
Wer Erörterungen religiöser Dinge von diesem Standpunkte aus überhaupt nicht vertragen kann, wer sich ihnen mit keiner andern Stimmung und Gesinnung nähern mag, als einer blind und kritiklos glaubenden, der bleibe von der Lectüre des Wislicenus’schen Werks fern, denn sie würde ihm wahrscheinlich doch nichts nützen, ihn andrerseits viel eher durch das Gefühl, einer unwiderleglichen Wahrheit waffenlos gegenüber zu stehen, kränken und erbittern. Wer es aber mit Lessing’s Satze hält: „Der Buchstabe ist nicht der Geist,“ der wird sich der reich gespendeten Belehrung erfreuen, die er aus der vorliegenden Schrift, die durch Scharfsinn, Gelehrsamkeit und Fleiß gleich ausgezeichnet ist, davonträgt. Es versteht sich von selbst, daß ein Mann wie Wislicenus seinen ernsten Gegenstand in der würdigsten Form und Sprache behandelt, daß er nirgends etwa durch eine frivole Darstellung Aergerniß giebt.
Möge das Buch in recht viele Kreise eindringen und dort statt der Gleichgültigkeit gegen religiöse Angelegenheiten oder gar noch schlimmeren Verhaltens gegen sie ein sicheres Wissen verbreiten, denn welcher Denkende wäre nicht mit diesem Ausspruche des Verfasser’s einverstanden: „Wissen ist geistige Gesundheit, Freude, Freiheit und Macht.“