Wilhelm Löhes Leben (Band 3)/Tod und Begräbnis
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Noch bis ein halbes Jahr vor seinem Tode versuchte es Löhe, ab und zu zu predigen. Sein Zustand blieb im allgemeinen gleich, nur daß das fortschreitende Leiden allmählich auch die edleren Organe, Herz und Gehirn, ergriff. Da war es Wohlthat, daß Gott die Tage des Elends verkürzte und dem Leben ein Ziel setzte, ehe die Krankheit einen Verfall nicht nur der leiblichen, sondern auch der geistigen Kräfte herbeiführte. Gott hat hierin seinen Wunsch, daß er keine unnütze Last des Erdbodens werden möge, gnädig erhört und andern den schmerzlichen Anblick erspart, die Geistesleuchte Löhes erlöschen, das Leben dieses reichen Geistes zu einem bloßen Vegetieren herabsinken zu sehen. So blieb er doch, trotz seiner Schwachheit, allerdings getragen durch die schonende Rücksichtnahme seiner Umgebung, der Mittelpunkt seines Lebenskreises; der Hirtenstab des Pfarrers und der Herscherstab des Rektors glitt nicht aus seinen Händen, und wenn auch das Getriebe des gesamten Anstaltswesens infolge des mangelnden Eingreifens des Leiters sich verlangsamte, da und dort auch Stockungen eintraten, so blieb doch sein bloßer Name für die Anstalten ein Faktor von solchem moralischen Werte, daß Übelstände dieser Art nicht so schwer ins Gewicht fielen. Es ist ihm nicht begegnet, was so manchem andern, daß sein Lebenswerk bei seinen Lebzeiten sich von seiner Person loslöste; erst der Tod war seine völlige Entlassung aus Amt und Beruf, die Stunde des nunc dimittis.
Gott wirds machen,
Daß die Sachen
Gehen, wie es heilsam ist.
Nach Tisch, als er sich eben zu kurzer Ruhe in seinen Stuhl zurückgelehnt hatte, rührte ihn die Hand des Todes. Er verlangte noch zu Bette gebracht zu werden, aber kaum war dies geschehen, so griff er mit beiden Händen nach dem Haupte und ließ sie dann über das Angesicht herabgleiten. Ein Schlaganfall hatte ihn getroffen, aus dessen Betäubung er nicht mehr erwachte: besinnungslos und regungslos lag er bis zum Nachmittag des folgenden Tages. Wie führt der HErr doch Seine Knechte so ganz anders durch das Todesthal als wir es meinen. Wir würden für Glaubensmänner und Gotteshelden einen Ausgang des Lebens erwarten, strahlend und herrlich wie ein majestätischer Sonnenuntergang. Aber des HErrn Wege sind andre gerade bei denjenigen, die man zu den Großen im Reiche Gottes zählen darf. Wie viel großartiger war doch auch Luther an dem Tage von Worms als auf seinem Sterbebette, wo von der Glorie des Bekenntnisses, von dem freudigen Trutz des über Welt und Tod triumphierenden Glaubens wenig wahrzunehmen war. Aber es genügt, wenn von Seinen Knechten gesagt werden kann, was der Apostel Paulus von sich sagen durfte, als er vor den Pforten der Ewigkeit stand: Ich habe Glauben gehalten.
| So war auch bei Löhes Sterben nichts von all der Herrlichkeit zu spüren, mit der er selbst durch Gebet und Trost der Schrift so manches Sterbelager zu verklären, so manches Siech- zum Siegesbette zu wandeln wußte. Nicht einmal einer Äußerung dessen, was innerlich in ihm vorgieng, war er mehr fähig, regungslos, wie der Welt schon entrückt, ganz in das verborgene Innenleben der Seele zurückgezogen, lag er da. Ein tiefer, feierlicher Sterbensfriede war um ihn her. Recht einfach und gering war deshalb auch der seelsorgerliche Dienst an seinem Sterbebette: er beschränkte sich auf die Fürbitte für die im Todeskampf ringende Seele. So manches Mal hatte Löhe in Leichenpredigten die Frage aufgeworfen, ob es wünschenswert sei, bei klarem Bewußtsein zu sterben; immer aber die Frage dahin beantwortet, daß man dies ruhig der Fügung Gottes überlassen könne, daß ihm für seine Person nicht so viel daran liege, daß er darum bete; genug, wenn der Tod uns, ob wachend oder schlafend, nur in Jesu Wunden finde. Es sei überhaupt ein seltner Fall, daß der Todesaugenblick den Menschen bei ganz wachen Sinnen antrete; in der Regel gehe dem Tod wie dem Schlafe ein Zustand vorher, den die Theosophen richtig als turba bezeichneten: eine Verwirrung, ein Hinabsinken des Geistes unter die Bewußtseinsschwelle. So war es bei ihm; er wurde träumend durch die Todespforten geführt. Als die letzte Not begann, sang man das Lied: O Lamm Gottes etc., unter dessen Klängen er, wie einst seine Mutter, zu verscheiden gewünscht hatte, und betete die Sterbelitanei. Endlich, um die fünfte Nachmittagsstunde des 2. Januar (1872) kam die Erlösung, da die Seele aus dem bereits verfallenen Tempel ihres Leibes gieng. Nur um Weniges hatte Löhe das 63. Jahr, das große Stufenjahr, überschritten. Ein brennendes und scheinendes Licht der lutherischen Kirche des 19. Jahrhunderts war erloschen.Der folgende Tag war der Tag des Epiphanienfestes, das durch Löhe der Neuendettelsauer Gemeinde seit Langem zu einem Tag der Gaben und Opfer – nach dem Vorgang der Weisen – geworden war. Die Predigt in der Dorfkirche hatte auf Bitten Prof. v. Zezschwitz übernommen, der, indem er der Gemeinde das Bild ihres entschlafenen Hirten in meisterlicher Weise vor Augen stellte, einem allgemein gefühlten Mangel des Begräbnistages abhalf.
Wir heben aus der Predigt die hieher gehörigen Stellen aus.
„Zwei Gedanken – sagte Zezschwitz – treten in dem Festevangelium Matth. 2 hervor. Der eine ist: Das Licht der Weihnachten wird scheinend in der Heidenwelt. Der andre: Für die Gabe, die Gott der Menschheit in der Christnacht geschenkt hat, bringt diese ihr Opfer: Gold, Weihrauch und Myrrhen.“ Diese beiden Gedanken führte er nun aus, indem er sie nach der ihm eigenen Gabe wie Brillanten in immer wechselndem Licht erstrahlen ließ und zugleich in sinniger Weise das Gedächtnis seines entschlafenen Freundes in die Gedanken des Epiphaniasfestes verwob.
„Jeder treue Hirte – sagte er – der der Gemeinde die Wege zu Jesu zeigt, ist ein Stern, der (wie der Stern die Weisen zu dem neugebornen Weltheiland) zur Sonne leitet. So sagt ja auch die Schrift: „Die Lehrer werden leuchten wie des Himmels Glanz, und die, so viele zur Gerechtigkeit weisen, wie die Sterne immer und ewiglich.“ Hier ein scheinender Stern, dort ein leuchtender Stern in Herrlichkeit – das ist euer Hirte, so dürft, so müßt ihr ihn ansehen. Laßt ihn euch scheinen zur Freude.| Seht ihn, euren lieben, alten Leitstern, wie er euch grüßt, seine alte Gemeinde.Aber er hat euch nicht blos geleuchtet als ein Stern, er war auch ein Priester, der euch anführte zum Opfer. Ihr habt einen großen Lehrer gehabt, aber er war mehr als ein Lehrer, er war ein Priester in einer Zeit, wo es allenfalls noch Lehrer, wenn auch wenig gegründete, wenn auch wenig solche, denen der Geist die Zunge regt, aber kaum noch Priester gibt. Er war eine priesterliche Seele. Das erste Opfer, das viel höher steht als das Gabenopfer, das ist das Opfer des Odems, das Lobopfer, das der inbrünstigen Seele entströmt. Denkt ihr da nicht an ihn, den Mann, der auf Kanzel und Altar nicht walten konnte, ohne daß sein Odem ausströmte wie eine Flamme? Das war keine Manier, keine angenommene Art bei ihm. Es war die Flamme der Seele, die sich entweder opferte im Beruf gegen die Gemeinde, oder Gott sich opferte im Amte.
Das Lobopfer der Lippen, das Dankopfer der Seele: das ist das rechte, das größte Opfer. Die Gaben sind nur das Holz, der Odem der Seele ist das Feuer, das über dem Holze lodert. Dieses Opfer der Lippen, die den Namen des Herrn bekennen, hat er geopfert lebenslang. Und wie wird er es nun droben opfern in Vollkommenheit. Er hat einmal gesagt, hier auf Erden sei ihm die Gabe des Singens versagt, aber droben wolle er ein Hauptsänger sein. Und wie wird er droben singen in vollem Chor: „Ich freue mich eine große Freude, sehr groß“ (Matth. 2, 10). Dieses Lobopfer ist schon ein Selbstopfer im heiligsten Sinn, wie wir arme Menschen es eben hier bringen können, wo wir selbst den Leib noch nicht in unsrer Gewalt haben und an ihm tragen, wie an einer fremden Last. Doch nicht blos das Opfer des Odems, auch das Opfer des Leibes und Lebens hat er gebracht: der Mann, wie ich noch keinen gesehen habe,| der immer Priester blieb auch im gewöhnlichen Leben bei aller auch ihm beiwohnenden Schwachheit. Er hat sich geopfert im Amte, hat sich bis zur letzten Stunde verzehrt im Priesterdienst seines Gottes. Alle, die einst das heilige Amt auf sich nehmen wollen, dürfen getrost auf diese Stätte sehen und lernen was es heißt: sich im Dienste Gottes opfern.
Einige Jahre nach seinem Tode erhob sich über Löhes Grab, von den Seinen gesetzt, ein einfacher Denkstein, der außer seinem Namen und den Namen der in der gleichen Gruft mit ihm begrabenen Angehörigen keine andere Inschrift trägt als die Worte des dritten Artikels:
Ich glaube eine Gemeinschaft der Heiligen,
Vergebung der Sünden,
Auferstehung des Fleisches
Und ein ewiges Leben.
Das Eigentümliche an der Persönlichkeit Löhes erkennt jener Artikel treffend „in dem innigen Bund eines spezifisch religiösen Lebenstypus mit einer genialen Naturanlage; die Kehrseite davon, daß Löhe ungeachtet seiner außerordentlichen Begabung weniger als andere durch die Schule der Reflexion und der theologischen Vermittlung hindurchgegangen war, findet er in der ungebrochenen Kraft, der frischen Ursprünglichkeit, der Tiefe und Fülle, in der die christliche Wahrheit schon in dem Jüngling sich spiegelte“ –. „Jene Begabung – heißt es dort weiter – verlieh zugleich dem, was er sagte, den Stempel des Originalen und des in der Form Vollendeten. Löhe eignete eine ungewöhnliche Macht der Sprache; eine eigentümliche Hoheit, ein edles Pathos, ein poetischer Hauch war über das, was er schrieb, ausgegossen. Vilmar sagte: seit Goethe habe niemand mehr ein so schönes Deutsch geschrieben wie Löhe.“
Zusammenfassend entwirft dann der Verf. jenes Artikels zum Schluß von Löhe in einigen großen Pinselstrichen folgendes Bild:
„Löhe ist groß als Prediger, er zählt zu den größten des Jahrhunderts. Es tritt aus seinen Predigten ebenso die unmittelbar quellende Kraft einer tief in Gottes Wort eingetauchten originalen Persönlichkeit, als dialektische Abrundung, erhabener Schwung und liturgische Feier entgegen. Es ist bewundernswürdig, wie aus dieser geistlichen Naturfülle, auch wo die Predigt Sache des Moments war, der Strom der Rede sich oft krystallhell im sichersten Bette ergoß. –
Groß ist Löhe ferner als Liturg; man hat mit Recht von einer liturgischen Majestät Löhes gesprochen: Löhe war ein Mann des Gebets und Opfers. – – Er ist durch seine Agende für weite Kreise ein Wecker und Wiederhersteller liturgischen Sinnes und liturgischer Ordnung geworden.
| Am größten war Löhe ohne Zweifel als Seelsorger; gerade nach dieser Seite muß man ihm eine charismatische Begabung nachrühmen. Löhe hatte von Haus aus eine seltene Macht über die Gemüter. In seelsorgerlichem Umgang war diese Gewalt seiner Persönlichkeit übrigens mit väterlicher Milde, mit der Gabe auf die Individualität und das besonderste Bedürfnis einzugehen gepaart. – – In der Privatbeichte, die er mit großer Weisheit handhabte, hat er für viele eine reiche Quelle seelsorgerlicher Beratung und Tröstung geöffnet. Unermüdlich war Löhe an Kranken- und Sterbebetten. Die Macht des Gebets und der Fürbitte durften er und andere dabei reichlichst erfahren.Löhe war auch einer der bedeutendsten kirchlichen Schriftsteller des Jahrhunderts. – Seine Schriften sind aus den Erfahrungen des geistlichen Amtes hervorgewachsen, dienen praktischen Bedürfnissen und sind dabei fast immer von einem größeren, kirchlich idealen Hintergrund getragen. – –
Groß war endlich Löhes schöpferisches und organisatorisches Talent; diese Gaben liegen ja klar vor aller Augen. Große und immer neue Konzeptionen begegneten sich in ihm mit einem bewundernswerten Überblick über das Ganze und der Fürsorge für das Einzelne und auch Kleine. – – Sein außerordentlicher Schönheitssinn lieh dem, was er schuf, stets die edle Form, welche auch ferner Stehende anzog und mit Bewunderung erfüllte.
Löhe war eine kirchliche Persönlichkeit im großen Stil. – – In einer höheren und höchsten Interessen vielfach abgewandten Zeit war er ein gottbegnadeter Zeuge des HErrn, ein mächtiger Prediger des Glaubens und der Liebe in Wort und That. Die Kirche, deren leuchtende Zierde er gewesen, wird seiner nicht vergessen.“
Ein kurzes Schlußwort sei dem Verf. noch gestattet. Es ist da und dort der Tadel gefällt worden, daß seine Darstellung des Lebens Löhe die nötige Kritik vermissen lasse. Daß seine persönliche| Stellung zu dem von ihm pietätsvoll verehrten Mann sein Urteil und den Ton des Ganzen beeinflußt habe: diese Möglichkeit will der Verf. gerne einräumen. Indessen dürfte das ein allgemein menschliches Loos, und der Geschichtsschreiber nicht zu finden sein, dessen Urteil über Personen und Sachen durch den Standpunkt, den er ihnen gegenüber einnimmt, nicht eine subjektive Färbung erlitte. Mit Absicht idealisieren wollte der Schreiber dieser Biographie nicht. Er ist kein Freund der römischen Weise, Heiligengestalten auf Goldgrund zu malen. Er versteht es, wenn Luther sich freut, an den Heiligen Gottes im Alten und Neuen Testament Spuren menschlicher Schwachheit, ja auch Fehl und Sünde zu entdecken.Der Verfasser ist zu Ende. Es hat lange gewährt, bis er diese Biographie zum Abschluß führen konnte. Die alten Freunde Löhes, denen er die ersten Bände derselben darreichen durfte, haben die Vollendung des Ganzen nicht mehr erlebt. Niemanden ist dies leider als ihm selbst. Gesteigerte Last der Berufsarbeit und persönliche Erlebnisse ernster Art haben oft längere Unterbrechungen veranlaßt, nach welchen die fallengelassenen Fäden oft mühsam erst wieder aufgesucht und angeknüpft werden mußten. Der vorliegende letzte Halbband bot insonderheit Schwierigkeiten eigentümlicher Art; das Quellenmaterial floß hier spärlicher, eine für die früheren Abschnitte höchst ergiebige Quelle: Löhes Briefe an seine Freunde fand der Biograph für diesen Zeitraum fast versiegt. Das Zusammentragen und -fügen der einzelnen Bausteine zum Ganzen war oft mühsame Mosaikarbeit. Möge – dies ist der Wunsch des Verfassers – das Ganze trotzdem den Eindruck eines Ganzen aus Einem Gusse machen. Weiter hat er zu seiner Entschuldigung nichts zu sagen. Sein Trost ist, daß er ja nicht blos für Löhes Zeitgenossen schrieb, sondern auch der Nachwelt einen Dienst damit thun wollte, daß er die Gestalt Löhes, der ja zu den großen Erscheinungen im Reiche Gottes in diesem Jahrhundert gerechnet werden muß, für die Erinnerung fest gehalten hat. Es würde ihm Lohn genug sein, wenn er hoffen dürfte, auch durch diese Arbeit dazu beigetragen zu haben, daß Löhe durch sein Wort und Beispiel „wiewohl er gestorben ist, doch noch redet“. Ebr. 11,4.
- ↑ Chrysostomus macht die Bemerkung: Stephanus habe in seinem Sterben des Menschen Sohn zur Rechten Gottes nicht sitzen, sondern stehen gesehen, wie zu seinem Beistand erhoben.
- ↑
Se nascens dat in socium,
Convescens in edulium,
Se moriens in pretium,
Se regnans dat in praemium. - ↑ In den „Fliegenden Blättern“ des Rauhen Hauses wurde seiner Zeit diese Äußerung Löhes dahin misverstanden, als sei seine Thätigkeit auf dem Gebiet des Diakonissentums nicht dem reinen Motiv der barmherzigen Liebe entquollen, sondern mit kirchenpolitischen Tendenzen versetzt gewesen. Das ist ein Irrtum. Löhe wollte, wie aus dem ersten Capitel dieses Halbbands für jedermann deutlich hervorgeht, mit der Stiftung des Vereins für weibliche Diakonie und hernach der Diakonissenanstalt nichts anderes als an seinem Teile dazu helfen, daß die lutherische Kirche den Beweis ihres Glaubens in guten Werken, namentlich in den gottgesegneten Werken der inneren Mission und Diakonie des 19. Jahrhunderts, nicht länger schuldig bleibe. Allerdings wurden die Anstalten der Barmherzigkeit, wie sie nach und nach in immer reicherem Kranze erblühten, für Löhe auch insofern von Bedeutung, als (wie D. v. Stählin mit Recht sagt), „durch dieselben seine kirchlichen Ideale eine annähernde Verwirklichung fanden und sein schaffender Geist in ihnen überhaupt zur Ruhe kam.“ Doch dies war nicht die Absicht ihrer Gründung, sondern Folge ihres Daseins.
- ↑ Freilich einer Reihe von Behauptungen und Urteilen, die sich dort finden, vermag der Verfasser nicht zuzustimmen. 1. Die S. 720 sich findende Äußerung, daß Löhe (thatsächlich) „ein großer Apologet des Landeskirchentums sei, dessen Schwäche, dessen Stärke aber auch eine gewisse Weite sei“, sieht der Verfasser als ein Paradoxon an, das als solches cum grano salis genommen sein will. 2. Wenn S. 719 behauptet wird, daß Löhe thatsächlich über das Maß der in seinem „Gutachten in Sachen der Abendmahlsgemeinschaft“ gemachten Zugeständnisse „zu noch weiteren Konzessionen fortgegangen sei“, so ist dem Verfasser kein Fall bekannt, der der Behauptung zum Beweis diente. Gegen diese und eine ähnliche auch beleglose Behauptung Wangemanns darf der [333] Verfasser auf Band II, 2, 524–529, der eine Darlegung Löhes über seinen konfessionellen Standpunkt aus den letzten Jahren seines Lebens enthält, verweisen. 3. Eine Äußerung Löhes, daß er bereit sei, „jedem gläubigen reformierten Pfarrer seine Kanzel einzuräumen,“ ibid. ist dem Verf. nie zu Ohren kommen. So absolut und unverclausuliert will sie sich zu Löhes strengen Ansichten über Kanzelgemeinschaft nicht reimen. 4. Auf die Bemerkung (S. 719 und 720), daß Löhe das Sacrament fast über Gebühr erhoben habe etc., läßt sich im Raum einer Anmerkung nicht antworten. Hier nur so viel. Löhe fand von Anfang an ein gewisses Mißverhältnis zwischen dem anerkennenswerten Eifer, mit welchem von Beginn der Reformation an für die reine Abendmahlslehre gestritten wurde, und der tatsächlichen Geltung und Wertschätzung des Sakraments im christlichen und kirchlichen Leben. Und doch soll es nach lutherischer Doktrin Höhepunkt des einen (unio mystica), wie Mittelpunkt des andern sein. Löhe wollte als Mann der Kirche die Anerkennung in der Theorie in die Erfahrung und Praxis des Lebens überführen. Wenn er in seinen späteren Lebensjahren einmal von seinem Fortschritt „von einem dogmatischen zu einem sakramentalen Luthertum“ sprach, oder erklärte, „früher sei ihm Luthertum so viel gewesen als Bekenntnis zu den Symbolen von A–Z, jetzt berge sich ihm das ganze Luthertum in das Sacrament,“ so wolle bei dieser doch nicht kritisch abgewogenen Äußerung nicht vergessen werden, daß er im Sakrament auch den Brennpunkt aller reformatorischen Lehren, insonderheit der von der Rechtfertigung und Heiligung fand, den großartigen Fortschritt also, den die Reformation nach Seite der Heilserkenntnis brachte, von dem Kleinod des reinen und unverfälschten Sacramentes, das wir ebenso der Reformation verdanken, nicht schied, sondern beides zusammenschaute. Wer in Dettelsau lebte und Zeuge davon war, wie reichlich die Verkündigung des Wortes Gottes in der Gemeinde im Schwange gieng, wird trotz einzelner übertrieben lautenden Äußerungen Löhes den Eindruck nicht bekommen haben, als ob das Gnadenmittel des Worts ungebührlich hinter dem des Sacraments zurückgestellt würde. Allerdings das Sacrament war für Löhe das Kleinod der luth. Kirche, der Edelstein in dem goldenen Ring ihrer Wahrheit, der Magnet, der, wie er glaubte, der luth. Kirche auch eine Anziehungskraft für Draußenstehende verleihen könne. – Auf andere Ausstellungen ist in diesem Halbband geantwortet.
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