Zum Inhalt springen

Wilhelm Löhes Leben (Band 2)/Verhandlungen mit der theologischen Fakultät in Erlangen

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
« Löhes Lage nach dem Schluß der Generalsynode Johannes Deinzer
Wilhelm Löhes Leben (Band 2)
Die Petitionen an das Kirchenregiment »
fertig
Fertig! Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle Korrektur gelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Für eine seitenweise Ansicht und den Vergleich mit den zugrundegelegten Scans, klicke bitte auf die entsprechende Seitenzahl (in eckigen Klammern).
|
Verhandlungen mit der theologischen Fakultät in Erlangen.
 Löhe antwortete den beiden Professoren Hofmann und Thomasius in einem an beide gemeinsam gerichteten Briefe vom 7. April 1849. Dieses Antwortschreiben Löhes darf, da es eine ausführliche| Darlegung der Beweggründe enthält, die ihn zum Austritt bestimmten, hier wohl ausführlich mitgeteilt werden.


 Verehrte und teure Freunde!

 Ihre freundlichen Schreiben vom 29. und 30. März habe ich richtig erhalten und sage Ihnen beiden meinen aufrichtigen Dank. Ich habe mehrfach daran gedacht, mich mit Ihnen ins Benehmen zu setzen; aber die Gewißheit, daß Sie, was meine Seele drängt und preßt, nicht als dringend und pressend anerkennen würden, daß Sie auf einem anderen Standpunkt stehen, hat mich abgehalten. Ich kann und darf Ihnen aber bezeugen, daß ich mit niemand in der Welt lieber einig wäre als mit Ihnen und den Brüdern in Nürnberg und Fürth.

 Sie haben ganz richtig gehört, daß ich, von anderen nicht zu reden, im Begriffe bin einen Schritt zu thun, welcher, wie gering er auch für das Ganze sein mag, für meinen eigenen Lebenslauf von der größten Wichtigkeit ist. Glauben Sie aber, daß er nicht plötzlich geschieht. Ich trage seit Jahren eine jammernde Gewißheit mit mir herum, und das letzte Jahr hat, was lange im Reifen war, vollends zur Reife gebracht. Der Apfel fällt vor der Reife nicht ab vom Baume.

 Welchen Schritt zu thun ich mich nun genötigt glaube, sehen Sie richtig, aber die Gründe warum? verfehlt Ihr beiderseitiges Schreiben. Ich bin Landpfarrer, habe eine ziemliche Anzahl von Gemeinden kennen gelernt, ehe ich Pfarrer wurde, und stehe nun bald zwölf Jahre in meiner hiesigen Gemeinde. Mein Lebenslauf bringt es mit sich, daß ich die Versunkenheit der Gemeinden und die Notwendigkeit der Zucht erkennen mußte. Aller es ist nicht zunächst die Zucht, welche mich aus der Landeskirche vertreibt. Ich weiß, daß eine Trennung um der Zucht willen doch immer nur mit Unrecht den Vorwurf des Schismas tragen würde; denn es| handelt sich nicht wie früher von einem besonderen Fall oder von einer besonderen Anwendung der Zucht; sondern es ist gar keine Zucht da, wenn man sie nicht in der Predigt sucht, und nicht bloß keine Zucht, sondern auch trotz der ausdrücklichen Befehle des HErrn und seiner Apostel auch kein Wille, kein Mut, fast kein Gewissen dafür. Der Beschluß der letzten Synode in dem Betreff ist mir schauerlich. Indes es ist nicht die Zucht, welche mich vertreibt, wenn Sie es nicht zur Zucht rechnen wollen, daß man Bekenntnistreue überwache.
.
 Die Verfassung ist es wieder nicht. Ich finde die Synodalbeschlüsse in Anbetracht des Summepiskopats geradezu gegen den 28. Artikel der Augsburgischen Konfession („Man soll die zwei Regiment, geistlich und weltlich nicht in einander mengen und werfen.“) anlaufend und sehe in Guerikes Symbolik pag. 574, daß auch andere die Theorie des 28. Artikels durch die Praxis der Kirche als zu Schanden geworden erkennen. Ich bin überzeugt, daß die Synode von 1849 bei ihrer eigenen freien Wahl des Joches aus Mangel an Vertrauen zu dem ewigen Helfer gesündigt hat, wie, wenigstens mir bekannt, keine andere. Mir klingt hiegegen selbst das Wort aus Jesu Mund strafend Matth. 20, 25. („Ihr wisset, daß die weltlichen Fürsten herrschen und die Oberherren haben Gewalt. So soll es nicht sein unter euch.“) Ich kann mich der Ueberzeugung nicht erwehren, daß es eine durch den Verlauf der Zeit der lutherischen Kirche zum greifen nahe gelegte Wahrheit ist, daß nur auf die eigene freie Wahl der Einzelnen, auf die von Gott geschenkte Freiwilligkeit zum Guten, eine rechte Kirchenverfassung gebaut werden könne. Exempla docent. Indes weder dies, noch die üble Mischung des demokratischen, aristokratischen und monarchischen Elements der ganzen beliebten Verfassung würde mir eine Freudigkeit geben, den Schritt zu thun, den ich vorhabe, – und noch weniger die mir beigelegte Lust zum Organisieren, für welche| sich kaum ein Wirkungskreis finden dürfte. Was mich treibt, ist die offenbare Gemeinschaft mit Irrlehrern, in der ich bleiben muß, wenn ich bei der Landeskirche bleibe. Daß Irrlehrer genug in Amt und Würden stehen, auch in Dekanaten und Aemtern, werden Sie nicht leugnen. Ebenso werden Sie mir zugeben, daß weder Wille noch Kraft vorhanden ist, auch nur die auffallendsten Beispiele zu entfernen. Wir haben Irrlehrer, gegen welche aller Ernst unserer Symbole wie durch einen Schluß a minori ad majus anzuwenden ist.

 „Cavere omnes christiani debent, ne fiant participes impiae doctrinae, blasphemiarum et injustae crudelitatis papae. Ideo papam cum suis membris tanquam regnum antichristi deserere et execrari debent, sicut et Christus jussit. (Matth. 7, 15. Cavete a pseudoprophetis.) Et Paulus jubet, impios doctores vitandos et execrandos esse, tanquam anathemata (Gal. 1, 8. Tit. 3, 10.) Et II. Cor. 6, 14. ait: Ne sitis consortes infidelium, quae est enim societas lucis et tenebrarum?

 Dissidere a consensu tot gentium et dici schismaticos grave est. Sed auctoritas divina mandat omnibus, ne sint socii et propugnatores impietatis et injustae saevitatis.“ Art. Smalc. ed. Müller p. 336 f.

 „Constat mandatum Dei esse, ut fugiamus idololatriam, impiam doctrinam et injustam saevitiam. Ideo magnas, necessarias et manifestas causas habent omnes pii, ne obtemperent papae. Et hae necessariae causae pios consolantur adversus omnia convicia, quae de scandalis, de schismate, de discordia objici solent.“ ibid. p. 339 f.

 Wenn wir, nämlich die paar armen Leute, die nun eben ihrem Gewissen nicht mehr anders zu raten wissen, die Stelle 2. Kor. 6, 14 mit ihrem Μὴ γίνεσθε ἑτεροζυγοῦντες ἀπίστοις und Διὸ ἐξέλθετε auf unsere Lage allein anwenden würden, müßten wir sicher den| Vorwurf des Fanatismus hören. Nun aber haben unsere Symbole dieselbe Anwendung, wie eben gezeigt. Auch das ἐκκλίνατε, welches sich Röm. 16, 17. 18 in Bezug auf die findet, welche neben der apostolischen Lehre (παρὰ τὴν διδαχήν, ἣν ὑμεῖς ἐμάθετε) zwiespältige und ärgerliche Lehre wollen wuchern lassen, und andere dergleichen lautredende Stellen wenden wir nicht allein auf unsere Lage an. Ich bitte Sie, in den sub voto remiss. angelegten Blättern die Stellen aus Nagels Aufsatz zu lesen, denen ich völlig beistimme.
.
 Was ist hier zu erwidern für unseren Fall? Schrift und Symbole, Treue gegen Jesum und die Kirche, die mehr besagt als diese jammervolle Landeskirche, dringen. Wir werden und müssen immer Heuchler, Maulchristen und Böse haben, wir werden durch kein Mittel die Kirche hier auf Erden zum völligen Abbild jener Kirche machen können. Aber eine „societas ejusdem evangelii et doctrinae (Apol.) eine congregatio, in qua evangelium recte docetur“ (August.) kann und soll und muß sie sein, oder sie wird für ihre Kinder und die draußen nichts sein und nichts leisten. Sie ist, „societas fidei et spiritus sancti in cordibus, quae tamen habet externas notas, ut agnosci possit, videlicet puram doctrinam evangelii et administrationem sacramentorum consentaneam evangelio Christi (Apol. art. 4). Ihre Einigkeit besteht nicht in anderem, aber „in doctrina ejus que articulis omnibus, et in vero sacramentorum usu sit inter ecclesias consensus.“ Form. conc. Ep. art. X. Vergleiche Guerickes Symbolik p. 540, wo auch Luthers Dringen auf Einstimmigkeit in allen Artikeln (auf das rechte quia) nachgewiesen ist. Eine publica doctrina, zu der man sich halten kann oder auch nicht, neben welcher (παρά) andere Lehren und Lehrer geduldet werden, mit der sich Bekenntnistreue trösten, während andere Glieder derselben Kirche sie mit Füßen treten, ist ein Recht, welches ruht und| nichts nützt. Entweder muß die Zahl der Abweichenden excommuniziert werden, oder man muß von ihnen weichen, wenn ihrer zu viele und mächtige sind. Die Sünde ist nicht bei denen, welche dem apostolischen Gebote und dem Grundsatz der Symbole nachfolgen, sondern bei denen, die es nicht thun und vielleicht mit allem Fleiße andere vor dem Gehorsam als vor der Sünde warnen.

 Diesen Sätzen und Schlüssen weiß ich mich nicht zu entziehen. Treue gegen Jesum und die Kirche drängt mich. Aber nicht minder die Liebe zu den Tausenden von armen Schafen, die Christus mit seinem Blute erkauft hat, und die von falschen Lehrern verführt und zum ewigen Verderben gebracht werden. (Die zwei letzten Seiten der Vorrede zu den Schmalkaldischen Artikeln reden in diesem Stücke auch für mich ganz vernehmlich.) Warum redet man so viel von Liebe und denkt nicht an die Liebe zu Jesu armen Schafen? So drängt mich auch die Liebe zu denen, welche draußen sind, von denen keiner sehen kann, was die lutherische Kirche ist, da sie in allen Stücken zerspalten und nicht einmal in der Lehre einig ist.

 St. Pauli Verharren in und Verhalten zur Synagoge trifft nicht. Wir haben es mit Gemeinden zu thun, denen die Briefe Pauli, nicht sein Verhältnis zu einer ausgestorbenen Kirche Norm sein muß. Weit entfernt, daß wir ungehorsam wären, erachte ich vielmehr, daß der Gehorsam die Ausscheidung verlange. Du, teurer Hofmann, meinst, es werde uns Katholizität[1] mangeln. Ich denke aber, auch wenn unserer nur zwei wären, haben wir eine wahre Gemeinschaft mit den Brüdern in Preußen, Nassau und Amerika, dazu mit denen allen, welche vor uns ernstlich kirchlich gewesen sind. Was für eine Katholizität wäre denn bei einem Verharren| in der Kirchengemeinschaft mit Irrlehrern (denn solche sind ja genug bei uns), deren Sünden wir nach 2. Joh. 11 teilhaftig wären?

 Was die Verwirrung anlangt, die entstehen kann, so kommt sie nicht von denen, die Gottes Wort gehorchen, sondern sie wird von denen veranlaßt, welche alles anwenden, um die unklaren verwirrten Gewissen mit aller Macht in ihrem Mißbehagen zu erhalten und ihnen den Schritt derer, welche Treue und Liebe üben wollen, als Sünde, Schisma und Abfall vorzustellen. Eliä Antwort an Ahab ist eine wahre Antwort. Uebrigens ist die Zahl derer, von denen ich überzeugt bin, daß sie an dem Schritte teil nehmen, sehr klein, und es ist ihr entschiedener Wille, durch Sanftmut und Nachgeben in äußerlichen Dingen Frieden zu halten. Der Friede Abrahams und Lots ist nicht Jesu Friede, aber doch ein Friede, der unter solchen Umständen wert und teuer ist. – Ich meinerseits werde vor jedermann anerkennen was nur anerkannt werden kann und darf; mein ganzer Sinn, mein ganzer Wille geht auf Liebe auch zu denen, die mein Thun verwerfen und mich für das Wenige, was ich anbetend thue, hassen werden.

 Die Gedanken von der Konfirmation, welche von Ihnen, teure Freunde, und von Professor Höfling ausgesprochen wurden, sind sehr schön. Aber Sie werden sie viel weniger noch durchführen, so lange es so steht, als den einfachen Gehorsam gegen Jesu Wort. Sammelte Gott bei uns, wie anderwärts – und es scheint allenthalben bevorzustehen – neue bekenntnistreue Gemeinden, so würden wir Ihre treuen Schüler sein, und das ausführen, was Sie fanden. Für diese Zustände scheinen mir die Vorschläge völlig unpraktisch.

 Meine teuren Freunde! ich bitte Sie, stellen Sie sich mit mir auf den Standpunkt des Wortes Gottes und der Symbole, und, wenn es möglich ist, so widerlegen Sie mich, und ich will| Ihnen immer danken und öffentlich bekennen, daß ich fehlte. Wenn ich aber (der ich ja auch Männer, welche nicht in unserem Falle sind und lange genug in Gemeinden gewirkt haben, um zur Entschiedenheit die Rücksicht zu finden, gefragt habe,) im Rechte bin, so helfen Sie selbst das thun was recht ist und Ihr geachtetes Beispiel wird Hunderte anziehen und ihnen auf den rechten Weg helfen, während mein Name und Beispiel viel Vorurteil zu überwinden hat. Darf ich aber auch auf Ihren Beifall nicht hoffen, so wollen wir wenigstens zusammen helfen, zusammen raten, daß das Unvermeidliche in bester, stillster, würdigster Form geschehe. Ich bin mit Ihnen beiden zu jeder Besprechung in dem Sinne bereit und will gern an einem dritten Ort mit Ihnen zusammen raten, am liebsten vor dem Mittwoch nach Quasimodogeniti, an welchem ich mit einigen andern den endlichen Entschluß fassen will.

 Was ich von der Generalsynode denke, liegt gedruckt bei. Voraus ist die Petition gedruckt.

 Es ist mir weh und leid, an so teure Brüder einen Brief dieser Art haben schreiben zu müssen. Aber was soll ich thun? – Wäre ich ganz allein, giengen nicht etliche Freunde und eine Anzahl meiner Gemeindeglieder mit mir, welche den Fall ganz begreifen; ich legte mein Amt nieder in der Stille und gienge, wenn sie mich aufnähmen, zu den Brüdern in Preußen. Das geht nun nicht. – Ach daß ich Ihnen nachgehen dürfte, daß Sie den Weg vorangiengen, mit welcher Lust würde ich Ihnen folgen. Ich habe einen Zeugen über den Wolken, daß ich in keinem Stück das Meine suche und nichts will, als was Gott will. Ich kann nicht sehen, daß ich fehle, so will ich freudig thun, was mir als sein heiliger und guter Wille erscheint.

 Ich bin ganz nahe zu Ihnen getreten; die Sache und meine herzliche Liebe leidet keine andere Sprache. Leider mußte ich etwas| schnell schreiben und bitte: deuten Sie mein Schreiben im Einzelnen zum besten.
Jesus sei mit Ihnen und mit Ihrem 
W. Löhe, 

 Neuendettelsau,
am Osterabend 7. April 1849.


 Hofmann und Thomasius erklärten sich sofort zu einer mündlichen Besprechung mit Löhe bereit, die denn auch am 16. April, dem Montag nach Quasimodogeniti, im Hause v. Tuchers zu Nürnberg stattfand. Ueber das Resultat derselben berichtet Löhe in einem Briefe an Dr. Petri in Hannover vom 26. April 1849: Als ich am Sonntag Quasimodogeniti (beim Sakrament) unter dem Agnus den HErrn anrief, das Herz meiner Freunde in Erlangen zu neigen, wunderte ich mich über mein Gebet, so wenig hoffte ich. Ich gieng am Montag Morgen in der Erwartung nach Nürnberg, daß ich am Donnerstag frei und ledig von allen lang getragenen Qualen heimkehren würde. Ebenso gieng es mehr als einem von meinen Amtsbrüdern und namentlich einer Anzahl Nürnberger Laien, welche in der Passions- und Osterzeit nicht zum Sakramente gehen konnten, weil sie nicht in Gemeinschaft mit offenbaren Lästerern Christi geglaubt werden wollten. Es kam aber anders. Müller und v. Tucher hörten zu, und ich wunderte mich selbst beständig, in welchem Maße der HErr die Herzen meiner Freunde neigte. Ich sah zwar auch einen zeitlichen Grund; aber es war dennoch Christi Gegenwart merklich. Namentlich Hofmann trat mir auf eine Weise bei, die ich mit seinen theologischen Ueberzeugungen gar nicht recht zu vereinigen wußte. Kurz, beide wollten eine Eingabe der theologischen Fakultät veranlassen, in welcher gefordert würde:

1) daß jeder zum ersten male geprüfte Kandidat an Eides statt einen Revers unterschreiben sollte, daß er die Bekenntnisse mit Gottes Wort verglichen und gefunden habe, daß alle in den| sämtlichen Symbolen befindlichen Artikel der christlichen Glaubens- und Sittenlehre dem göttlichen Worte gemäß seien, und daß er sich selbst für verbunden achte, ihnen gemäß zu lehren.
2) daß erklärt würde, die Ghillanyaner in Nürnberg, oder wo sie seien, könnten als zur lutherischen Kirche gehörig nicht angesehen, ihnen also auch das Sakrament nicht gereicht werden.

 Sonst wurde beschlossen im Falle einer günstigen Antwort vom Oberkonsistorium zusammenzustehen, damit alle Widersprüche gegen die obigen zwei Hauptsachen (Einheit und Zucht in der Lehre) abgethan würden. Im Falle verneinender Antwort vom Oberkonsistorium wollten die (Erlanger) Freunde zu keinem Austritt verbunden sein. Ich meinte, wenn sie dann an der Spitze aller Bekenntnistreuen, deren so viele auf die Autorität der Fakultät sehen, ernstere Schritte gegen das Oberkonsistorium thun wollten und wegen der Abendmahlsgemeinschaft alsdann das Nöthige geschehe: so wollte ich beantragen, daß wir andern kräftig mit ihnen giengen. Zwar gab’s keine recht helle Antwort, aber ich war schon über dies Resultat erstaunt, auf einmal die Fakultät an der Spitze einer Eingabe ans Oberkonsistorium zu sehen, welche einige als letztes Mittel uns, dem armen verachteten Häuflein, angeraten hatten... Als die Erlanger Freunde weggiengen und ich mit Tucher allein war, sprachen wir beide vom Oberkonsistorium wenig Hoffnung aus, fanden es aber sehr bedeutend, die Fakultät in Hauptsachen mit uns eins zu wissen. Möglicherweise könnte sich hiemit die ganze Lage der Sache ändern.“

 Bei solchen hoffnungsreicher gewordenen Aussichten konnte auch die am 18. April stattgehabte Versammlung der Gesinnungsgenossen Löhes nicht anders, als sich auf nochmaliges Warten zu verlegen und entscheidende Beschlüsse hinauszuschieben. Löhe teilte seine Vereinbarung mit den Professoren Hofmann und Thomasius der Versammlung mit und es gelang ihm dadurch – wenn auch, wie er| selber sagt, mit einiger Mühe – die ungeduldigeren unter seinen Freunden, die zum Austritt drängten, zur Aufschiebung ihres Entschlusses bis auf erfolgte Antwort des Oberkonsistoriums zu bewegen.
.
 Indessen erwies sich Löhes Hoffnung auf ein einmütiges Zusammengehen und Zusammenwirken mit der theologischen Fakultät bald als Täuschung. Den beiden Professoren Hofmann und Thomasius lag wohl daran, einen Bruch innerhalb der Landeskirche zu verhüten, aber sie waren weit davon entfernt, Löhes kirchliche Ueberzeugungen und Bestrebungen im Einzelnen zu teilen. Löhe sollte bald die Erfahrung machen, in welche herbe Dissonanz die so hoffnungsreich eingeleitete Verständigung mit der theologischen Fakultät in Erlangen sich auflösen würde. Zunächst war es für ihn eine betrübende Ueberraschung, aus einem Brief Hofmanns vom 22. April 1849 Kunde zu erhalten von einem der theologischen Fakultät aufgetauchten Kompetenzbedenken. Hofmann benachrichtigte Löhe, daß die Fakultät, weil sie als Körperschaft in keinem amtlichen Verhältnisse zum Oberkonsistorium stehe, Anstand nehme, eine Eingabe des verabredeten Inhalts an dasselbe zu richten, dagegen sei sie bereit, zu einer von Löhe und seinen Gesinnungsgenossen an das Oberkonsistorium zu richtenden Eingabe ein Gutachten zu geben. Löhe war damit nicht einverstanden. Er meinte, die Fakultät gehöre an die Spitze einer solchen kirchlichen Bewegung. Viele, die bei ihren Entschließungen auf Autoritäten zu sehen gewohnt seien, würden bei solchem Vorgang den Mut der Nachfolge finden. Auch für die Stellung der Fakultät werde es von Bedeutung sein, wenn die einzige Landeskirche, welche einer Rekonstruktion auf rechter Basis noch einigermaßen fähig erscheine, durch sie neu gegründet werde. Zwar würde das verachtete Häuflein, zu dem er gehöre, nötigenfalls auch allein vorgehen und seinen kleinen Beitrag zum Bau Zions geben; aber der Erfolg würde notwendig ein bedeutenderer sein, wenn die theologische Fakultät die Leitung der Bewegung in die| Hand nähme. Im ersteren Falle würde er mit seinen Gesinnungsgenossen als eine verachtete Minorität weichen müssen; im andern Falle werde es wohl auch eine Minorität geben, aber eine solche, die ihr Recht innerhalb der Landeskirche behaupten könne. Deshalb wünschte er, die Fakultät möge nur getrost den verabredeten Weg einer Eingabe an das Oberkonsistorium beschreiten, v. Tucher trug im Namen und Auftrag des Löheschen Kreises diesen Wunsch den beiden Professoren Hofmann und Thomasius vor, indem er bat, die Fakultät möge sich durch Kompetenzbedenken nicht irren lassen, ihrem Worte wohne eine große moralische Kraft bei; ihre Eingabe solle nicht die Form einer Petition, sondern etwa die einer Denkschrift erhalten, keineswegs aber ein bloßes Gutachten sein, da ein Gutachten nur ein unbeteiligter Dritter, welcher außer den Streitsteilen stehe, zu geben vermöge, und als solchen die theologische Fakultät doch gewiß sich selbst nicht werde ansehen wollen.

 Hierauf erwiderte Hofmann in seinem und Thomasius Namen, daß sie beide nach Löhes Wunsch sofort eine selbständige Fakultätseingabe beantragen wollten, wiewohl ihnen die Widerlegung ihrer dagegen geltend gemachten Bedenken unzureichend scheine. Gleichzeitig aber wollten sie beide auf das bestimmteste erklären, daß sie bei ihren Verhandlungen mit Löhe nur von dem Wunsche beseelt gewesen seien, eine in ihren Augen unberechtigte Abtrennung von der Landeskirche womöglich dadurch zu verhüten, daß sie zu der Abstellung desjenigen mitwirkten, was die Gewissen am meisten beunruhigen könnte.

 „Wir bleiben – so schließt der Brief – fortwährend der Ueberzeugung, daß unsere Kirche nicht aufgehört hat, eine lutherische zu sein und auch so lange nicht aufhört es zu sein, als in ihr das lutherische Bekenntnis zu Recht besteht. Wir treten nicht für Löhes Sache voran, sondern scheiden diese fortwährend von der Sache der lutherischen Kirche, die allein die unsre ist.“

|  Gemäß dem hier gegebenen Versprechen richteten nun die Professoren Hofmann und Thomasius am 6. Mai eine Eingabe an die theologische Fakultät zu Erlangen, in der sie zunächst über ihre Verhandlungen mit Löhe berichteten und ihre Ansicht dahin aussprachen, daß sie die beiden Forderungen, von deren Gewährung Löhe sein Verbleiben in der Landeskirche abhängig mache, (s. p. 318.) für wohlbegründet erachteten, da die Tendenz derselben keine andere sei als die, dem Rechtsbestand des Bekenntnisses auch praktische Folge zu geben. Deshalb und weil ihnen viel daran liege, den von ihnen nicht gebilligten, in jedem Fall aber höchst beklagenswerten Austritt Löhes aus der Landeskirche zu verhüten, ersuchten sie die theologische Fakultät, sich folgende Anträge anzueignen und dem Oberkonsistorium zur Durchführung zu empfehlen:
1) den Antrag auf Einführung einer strengeren Verpflichtungsform für die in den Dienst der Kirche eintretenden Kandidaten etwa in folgender Fassung: „Ich erkläre hiemit vor Gott, daß ich durch ernstliche Prüfung erkannt habe, daß die in den sämtlichen Bekenntnisschriften der lutherischen Kirche bezeugten Thatsachen des christlichen Glaubens und Lebens mit der heiligen Schrift übereinstimmend bezeugt sind, und gelobe demgemäß im Dienste der Kirche allezeit zu lehren und zu handeln.“
2) den Antrag auf Erlassung einer kirchenregimentlichen Erklärung des Inhalts, daß diejenigen, welche sich zu den in der Ghillanyschen Adresse ausgesprochenen Irrlehren und Lästerungen bekennen, wofern sie nicht von ihnen abtreten, für solche angesehen werden müßten, die sich selbst aus der Gemeinschaft der evangelisch-lutherischen Kirche ausgeschlossen haben.“
 Die theologische Fakultät eignete sich durch Stimmenmehrheit diese Anträge an und Professor Dr. Höfling verfaßte, als derzeitiger Dekan, eine vom 12. März 1849 datierte Eingabe an das Oberkonsistorium, welche Löhe durch die eingeflochtene Kritik seiner Person| und seines Thuns schmerzlich berührte und ihm mehr wie eine Preisgebung als wie eine Vertretung seiner Sache erschien. Die Eingabe bezeichnet Löhe als das „Haupt der Unzufriedenen und den Führer der separatistischen Bewegung“, seine „Beleuchtung der Beschlüsse der bayerischen Generalsynode von 1849“ als ein „einseitiges, vorurteilsvolles, höchst beklagenswertes Manifest“, die Unterredung der beiden Professoren mit ihm als einen „äußersten und letzten Versuch, die geflissentliche Vornahme (!) eines ungerechtfertigten Bruchs in unsrer Kirche zu verhindern.“ Seine Beurteilung der bayerischen Landeskirche war in der Fakultätseingabe als „eine höchst irrtümliche und befangene“ hingestellt, wenn auch zugestanden wird, daß hinsichtlich der beiden Punkte, auf welche sich die mit Löhe vereinbarten Anträge der Professoren Hofmann und Thomasius bezogen „allerdings noch manches zu wünschen übrig sei“. Wir geben im Anhang unter Nr. 2 diese Eingabe in extenso wieder. Für ihre Beurteilung wird man allerdings den Umstand nicht außer Betracht lassen dürfen, daß der Verfasser jener Eingabe sich durch die einschneidende, teilweise auch ihm vermeinte Kritik der Beschlüsse der Generalsynode von Seiten Löhes persönlich verletzt gefühlt und diese Verstimmung sich unwillkürlich auch dem aus seiner Feder geflossenen Schriftstück mitgeteilt haben mag.
.
 Löhe verhehlte den beiden ihm befreundeten Professoren nicht, wie weh ihm die Eingabe der theologischen Fakultät gethan habe, durch die er nun vereinsamter dastehe als zuvor; er sah sich auch genötigt zu erklären, daß die dort gegebene Darstellung seines mit ihnen in Nürnberg gepflogenen Gespräches in einzelnen Punkten nicht seinem Sinne entspreche. Befremdlich und Mißtrauen erregend war ihm namentlich die Abänderung der mit den beiden Professoren vereinbarten Verpflichtungsformel, die nun nach dem Vorschlag der Fakultät einfach dahin lauten sollte, daß der zu verpflichtende Ordinand die lutherischen Bekenntnisschriften „in| allen Artikeln des christlichen Glaubens“ mit der Schrift übereinstimmend befinde, während man sich doch vorher über den zwar trivialen aber gemeinverständlichen Ausdruck „in allen Artikeln der christlichen Glaubens- und Sittenlehre“ geeinigt habe. Er fragt, ob nur zufällig oder absichtlich vom Leben keine Rede sei? (Es lag ihm nämlich daran, konstatiert zu sehen, daß auch sein Verlangen nach Zucht und Ordnung des Lebens ein bekenntnismäßiges sei). Schließlich erklärt er sich bereit, auch fernerhin Frieden zu halten und Liebe zu üben, auch mit Freuden pater peccavi zu sagen, wenn er mit göttlichen Gründen überwiesen würde.

 Hierauf erwiderte Hofmann in einem Briefe vom 13. Juni 1849, daß er und Thomasius sich bewußt seien, den Sinn ihrer Unterredung mit Löhe nach bestem Wissen und Gewissen getreu wiedergegeben zu haben. Die Form der Verpflichtung so zu fassen wie Löhe vorgeschlagen, habe man sich in der Fakultätsberatung nicht entschließen können, da es sich für eine wissenschaftliche Körperschaft nicht gezieme, eine weder durch das Herkommen gerechtfertigte, noch wissenschaftlich zu rechtfertigende Verpflichtungsform zu beantragen. Glaubens- und Sittenlehre sei ein Schulsystem, und Artikel der Sittenlehre gebe es überhaupt nicht. Den von ihnen gewünschten Ausdruck „Thatsachen des christlichen Glaubens und Lebens“ hätten sie nur um seiner Unbräuchlichkeit willen fallen lassen. Er fürchte, Löhe sei gegen jedermann und jegliches mißtrauisch geworden und werde dieser gewiß nicht apostolischen Sinnesweise nicht eher ledig werden, als bis sich sein Herz aus der Enge einer möglichst eingeschränkten und unwandelbaren Kirchengemeinschaft wieder zu der Kirche erhoben haben werde, welche dazu geschaffen worden sei, die Welt selig zu machen. Wenn Löhe behaupte, noch nicht mit göttlichen Gründen widerlegt worden zu sein, so möge er ihm erlauben zu sagen, daß es eben nicht bloß des Widerlegens, sondern auch des Ueberführens bedürfe, was oft allzu schwer halte etc.

|  Dies war das Ende des Versuchs Löhes, sich in der für ihn zur Lebensfrage gewordenen kirchlichen Angelegenheit mit der theologischen Fakultät in Erlangen zu verständigen: Verstimmung beiderseits und größere Entfremdung der Gemüter als vorher. Hier hat die beklagenswerte Spannung zwischen der theologischen Fakultät in Erlangen und Löhe, hier auch die zunehmende Vereinsamung des Lebensganges Löhes ihren Grund, welche erst im letzten Jahrzehnt seines Lebens, als er vorzugsweise dem Gebiet der christlichen Liebesthätigkeit seine Kraft zuwandte, einer allgemeineren Anerkennung wich.
.
 Wie viel leichter als solcher Widerspruch von Brüdern ließen sich jene plumpen und pöbelhaften Angriffe in öffentlichen Blättern verschmerzen, deren Gegenstand Löhe damals war! So berichtete z. B. die Mittelfränkische Zeitung vom 30. April 1849 ihren Lesern, daß „der pietistische Chorführer, Pfarrer Löhe, der seinerzeit in einer von ihm in Nürnberg gehaltenen Predigt schon in dem trüben Blick der Ochsen den Beweis der Erbsünde habe finden wollen, die Absicht habe, über die Unterzeichner der Ghillanyschen Adresse den kleinen Kirchenbann auszusprechen. Er mache es den Nürnberger Geistlichen zum Vorwurf, in der Sache viel zu lax verfahren zu sein. Die meisten Geistlichen Nürnbergs hätten seine Zumutungen mit Entrüstung abgelehnt, nur zwei seien bereit, darauf einzugehen und hätten sich zu diesem Zweck eine Abschrift der Liste der Unterzeichner jener Petition von Ansbach kommen lassen. Falls sie ihr Vorhaben aber ausführen wollten, so sollten sie wissen, daß sie die längste Zeit in Nürnberg Geistliche gewesen seien.“ Das von pöbelhaften Kraftausdrücken strotzende Pamphlet schließt mit folgendem nicht mißzuverstehenden freundschaftlichen Wink: „Wenn aber ein so arroganter Bursche von seinem Dorfe in unsre Stadt gelaufen kommt, um 800 Bürger in den Bann zu erklären, so möchte man ihm wohl vor dem Thore ein Bündel Heu vorwerfen und ihn| umkehren, damit er wieder nach Hause trollt. Er mag sich vorsehen, daß die Sache nicht einmal übel verstanden wird.“

 Löhe schrieb mit Bezug auf diesen Angriff an seinen Freund Bauer, damals Katechet in Nürnberg: „Daß wir in der Mittelfränkischen zusammengescholten werden um Christi willen, freut mich. Der Feind war gut unterrichtet; ich meine aber, es war ein Simei, den der HErr schelten hieß. Der HErr wird uns Gefolge des weinenden David wieder in die heilige Stadt führen. Sein Name sei gepriesen.“ –

 Mitte Mai war die Fakultätseingabe an das Oberkonsistorium abgegangen. So wenig freundlich sie auch in Ton und Haltung für Löhe war, so war doch die Thatsache, daß die theologische Fakultät der Landeskirche die beiden Hauptgravamina Löhes sich in gewissem Maß zur Vertretung angeeignet hatte, immerhin von Bedeutung. Auch für Löhe war – gegenüber den ihn oft zur Last gelegten Separationsgelüsten – das Bewußtsein beruhigend, erst alle geordneten Mittel und Wege zur Abstellung der landeskirchlichen Übelstände versucht zu haben, ehe er den äußersten Schritt thun wollte, den er freilich für unvermeidlich hielt. Er spricht sich selbst in einem an Dr. Petri gerichteten Brief vom 2. Juni 1849 folgendermaßen aus: „Was Ihre in Ihrem letzten Brief geäußerten Bedenken anlangt, so habe ich, was gegen mich sein soll, nicht gleich verstanden. Ich denke aber, Ihre Meinung ist, es käme nicht auf die augenblicklichen Zustände der Landeskirche, sondern auf das bestehende Recht und die Möglichkeit an, es vermöge der von Gott geschenkten Mittel durchzuführen. Ist es das, so kann ich ruhig sein; ich habe dann nicht gefehlt, sondern all mein Thun geht darauf aus, innerhalb der Landeskirche das Recht wiederherzustellen. Deshalb wendete ich mich an die Generalsynode, deshalb beruhigte ich mich mit der Teilnahme der Fakultät zu Erlangen und ihrer versprochenen Eingabe ans Kirchenregiment. Generalsynode, Fakultät| und Kirchenregiment sind um Hilfe angegangen, doch wohl nur, die augenblicklichen Zustände von oben herab durchs Amt zu verbessern. Es ist auch mir nach allen Seiten hin das Angenehmste, wenn auf dem Wege Hilfe kommt. Kein Bau von klein auf, so lange noch eine Hoffnung der Reparatur ist. Wie sollte ich anders denken, der ich weiß, wie vereinzelt ich mit meinen Freunden stehe, und wie nachteilig unserm Namen und unsern gesamten Lebensbedingungen der andere Weg sein würde. – Aber freilich, Vermeidung eines Bruches um jeden Preis – das billige ich nicht... Die Generalsynode hat geantwortet. Die Fakultät hat geantwortet. Das Oberkonsistorium wird antworten. Wenn nun alles zusammen, gleich dem Strauß, die Köpfe in den Sand steckt, um das Verderben nicht zu sehen, und nach dem Grundsatz verfahren wird: „Wer ist, der uns sollt meistern?“ so weiß ich nicht, wen ich noch fragen, was ich noch versuchen soll. Ein römischer Summepiskopus, ein annoch gemischtes Kirchenregiment (wenn gleich die reformierte Oberkonsistorialratsstelle ledig ist), eine unierte Generalsynode, unierte Dekanate z. B. München, unierte (auch formal unierte) Gemeinden, eine Fakultät, welche bei lutherischem Bekenntnis sich gegen Konsequenzen verwahrt (Th. reicht Schweizer und unierten Studenten, die er kennt und kennen muß, das Sakrament), die Nürnberger Geistlichen gegen Exkommunikation der Lästerer von des HErrn göttlicher Majestät, kaum daß drei einen seelsorgerlichen Einfluß versuchen wollen; in Nürnberg, Fürth etc. Rongeianer, welche zum deutschkatholischen Abendmahl („Zweckessen“ nennen sies) gehen, noch in kirchlichem Verband mit der lutherischen Kirche, nirgends Lehreinigkeit – und doch kein Wille, die Uebel abzustellen; nicht bloß keine Vereinigung mit uns Verachteten, sondern überhaupt kein Ernst, so weit ich sehen kann! – – Ich kann nur meinen Kopf in meine Hand legen und mich besinnen, wie auch sonst treffliche Männer das alles nicht bloß tragen, sondern mitmachen und| verteidigen können. Wissen Sie Rat, einem Gewissen wie dem meinen zu helfen, nicht es zu beschwichtigen, ich will es (Ihnen) ewig danken.“

 Wie aus diesem Brief ersichtlich, hatte Löhe jetzt nur noch wenig Hoffnung auf Erfolg der Fakultätseingabe beim Oberkonsistorium. Der entscheidende Schritt war dadurch allerdings noch einmal hinausgeschoben, doch machte sich Löhe mit dem Gedanken des Austritts immer vertrauter. Auch manche seiner außerbayerischen Freunde glaubten, daß seines Bleibens in der Landeskirche nicht mehr lange sein könne. Zwar Dr. Huschke meinte, der Bruch, der innerlich vorhanden und unheilbar sei, müsse erst noch zum Ausbruch kommen, sonst sei eine Frühgeburt zu fürchten, die zwar ein partus perfectus, aber ein kümmerlicher, ohne rechte Lebenskraft, sein würde. Besonders um der vielen einfältigen Seelen willen müsse man handfeste, klare Thatsachen als Grund der Lossagung haben, nicht zu viel erst zu Folgerndes.“ Ehlers dagegen teilte Löhe in einem Brief vom 14. Mai 1849 die Nachricht mit, daß man Seitens des Oberkirchenkollegiums bei einer vorläufigen Besprechung über die Abgrenzung der Sprengel ihn bereits als Superintendenten ins Auge gefaßt habe. Löhe hatte nämlich in dem wahrscheinlichen Fall eines ungünstigen Bescheids des Oberkonsistoriums auf die Eingabe der theologischen Fakultät bereits die Absicht kundgegeben, sich der separierten lutherischen Kirche in Preußen anzuschließen.

 Harleß dagegen (damals Professor in Leipzig), an den sich Dekan Bachmann um Rat gewendet hatte, mißbilligte es, daß Löhe von dem Bescheid des Oberkonsistoriums seinen Entschluß zu bleiben oder zu gehen abhängig machen wolle. Das Oberkonsistorium sei nicht die letzte Instanz, um in Bayern zu erlangen was Rechtens sei. „Zu letzterer Meinung – sagt er – kann man nur kommen von jener verkehrten und verderblichen Voraussetzung aus, nach| welcher man in jener Petition an die Generalsynode sich – für mich und die Sache ein Greuel – auf die elenden Grundrechte berufen hat, die in Bayern nicht einmal Gesetzeskraft haben. Wie es aber jetzt steht, so hat der König von Gottes und Rechtswegen noch Schirmpflicht und Schirmrecht. Wenn daher das Oberkonsistorium billiges Verlangen widerrechtlich abschlägt... und in eklatanter Weise, ohne daß weitere Mahnung und Warnung indiziert ist, seine Pflicht versäumt, so muß man an den König gehen und zwar unmittelbar. Der Inhalt dieser Bittschrift könnte nichts sein als 1) einleuchtende Darstellung der Art, wie das Oberkonsistorium pflichtwidrig handelt und 2) Bitte um Bildung eines neuen Oberkonsistoriums, indem das gegenwärtige unter diesen Umständen alles Vertrauen verwirkt habe... Einen andern Weg sehe ich nicht. Die Alternative von Bleiben oder Gehen muß ich – ich wiederhole es – für mutwilliges Vorgreifen erklären. Ich halte überhaupt diese ganze Art von prickelnder Unruhe, eine neue Kirche machen zu wollen, für ein Fieberprodukt der Zeit, nicht für eine Geburt aus Gott. Ich will lieber wie ein Hund an Lazari Schwären lecken, als den kranken Leib der Kirche liegen lassen und mir in meiner Hütte gleichviel ob geistliches Wohlbehagen oder leibliches Martyrium schaffen.“
.
 Auch von anderer Seite ward Harleß um Vermittlung angegangen und so veranlaßt, zum ersten mal der kirchlichen Bewegung und dem Streit der Parteien innerhalb der bayerischen Landeskirche näher zu treten, zu dessen Beilegung, als einige Jahre später der Bruch unvermeidlich erschien, ihn das Vertrauen des Königs an die Spitze des Kirchenregimentes berief. Ohne Löhes Vorwissen lud nämlich v. Tucher bei Gelegenheit des Missionsfestes im Jahre 1849 Harleß zu einer Besprechung mit Löhe in seinem Hause ein. Löhe, der anfangs unter dem Eindruck des oben mitgeteilten Briefes von Harleß an Bachmann wenig Lust bezeigte, dieser Einladung Folge| zu leisten, war hinterher von seiner Zusammenkunft mit Harleß sehr befriedigt und nannte die Stunde, die er mit ihm im Gespräch verbracht, eine gesegnete.
.
 In der That unterzog sich Harleß der ihm angetragenen Vermittlerrolle. In einem Briefe vom 24. August 1849 teilte er Löhe das Resultat seiner Verhandlungen mit den Professoren in Erlangen mit. „Was ich – schreibt er – von der Schrift der Fakultät halte, habe ich ihnen (den Professoren) entschieden gesagt. Ob das Unrecht anerkannt worden sei, ist freilich eine Frage. Ebenso bezeichnete ich bestimmt die Punkte, worin mir die Synode nicht gethan zu haben scheine, was sie zu thun verpflichtet war, a) in der Gesangbuchssache b) in der Stellung der Reformierten zu unsrer Kirche c) in dem Verhalten gegen Buchers und Muffels Erklärungen d) in der Verhandlung Eurer Eingabe. a) wurde eingeräumt: b) wurde teilweise in Abrede gestellt. Höfling hob namentlich hervor, die Angelegenheit müsse von der nächsten Synode reguliert werden – dies habe er bestimmt hervorgehoben, c) gab Anlaß zu einer Klage gegen Dich. Du hättest wissen können, daß Höfling einen energischen Protest dagegen entworfen habe, den viele unterzeichnet hätten. Er sei zuletzt in den Händen v. Tuchers gewesen. Die wiederholten Mahnungen, die Sache zur Sprache zu bringen, habe der Vorsitzende eskamotiert, indem er immer diese oder jene Gelegenheit als passend bezeichnet habe, ihm die Sache vorzulegen. Es sei nicht der Erlanger Schuld, daß diese Erklärung Höflings und Consorten zuletzt in den Händen Einzelner geblieben und nicht veröffentlicht worden sei. d) die Behandlung Eurer Eingabe sei von dem Wunsche getragen worden, in den Hauptpunkten bei den Verhandlungen selbst die Sache zu erledigen wegen der mißliebigen Stimmung, die man bei vielen gegen die Urheber der Eingabe vorausgesetzt habe.“ Schließlich kommt Harleß wieder auf seinen bereits dem Dekan Bachmann gegebenen Rat zurück, daß| man im Fall eines ungünstigen Bescheids von Seiten des Oberkonsistoriums sich an den König mit der Bitte wenden solle, daß er kraft seines obersten Schirm- und Aufsichtsrechts die bekenntnisuntreuen Mitglieder des Oberkonsistoriums removieren möge.

 Löhe „staunte über diese Verzögerungstheorie“, erklärte sich aber doch auch mit diesem Schritte einverstanden, falls eine größere Anzahl von geachteteren Namen an demselben sich beteiligen würde.

 Auch sonst vereinigten sich von verschiedenen Seiten her die berufensten und geachtetsten Stimmen zu der Warnung an Löhe, den Austritt nicht zu übereilen, bevor nicht alle Versuche erschöpft wären, auf dem Wege der Bitte, des Zeugnisses, des Protestes mit Wort und That eine Besserung der landeskirchlichen Zustände herbeizuführen. So schrieb z. B. Petri in Hannover, indem er auf Grund genauerer Informationen seine anfängliche Zustimmung zu Löhes Vorgehen teilweise wieder zurücknahm: „Seitdem sind mir die diametral entgegen lautenden Urteile der Erlanger Zeitschrift... und Kraußolds Brochüre zu Gesicht gekommen, und die Wahrnehmung, daß diese mit Ihnen in einem Glauben stehenden Männer mit ihrem Urteil gleichwohl so wesentlich abweichen... mußte mich zu der Ueberzeugung führen, daß ich vielleicht voreilig geurteilt hätte, daß aber jedenfalls jetzt Dinge und Zustände vorliegen möchten, welche nur dem Genossen derselben die Fähigkeit und Berechtigung des Urteils gäben. Das Urteil, das mir in thesi richtig schien, wurde in hypothesi zweifelhaft... Separationen – ich glaube, daß sie kommen werden; ich kann zuweilen, wenn ich den Wirrwarr an allen Ecken sehe, den Wunsch hegen, daß der Sturm nur erst da und über sein möchte. Allein jeder Tag und jede tiefere Erfassung unserer Zustände begründet mehr die Ueberzeugung: daß diese Separationen der Anfang faktischer Zersetzung unseres Volks beide in kirchlicher und staatlicher Beziehung sind und uns dem Untergange einen bedeutenden Schritt näher führen. Da jammert nun mein| Herz meines Volks und ich zittere vor allem, was mehr nach der Tiefe zieht. Ich kann also auch in der Frage der Separationen nur zustimmen, wenn das Gewissen, nach Gottes Wort unterwiesen, klar und entschieden spricht, und, mein teurer Freund, ich kann die Ansicht, es scheint die Hoffnung, nicht teilen, welche Sie auf die bevorstehenden Separationen gründen möchten. Ich will auch nicht, daß wir eine Kirche haben, welche gleich der römischen alles Heidentum in sich berge, wenn es nur die Form sich gefallen lassen will, aber zwischen diesem Extrem und dem Donatismus ist eine Mitte, in der wir zu allen Zeiten stehen werden. Nur ist es schwer – nein es ist unmöglich, diese Mitte mit Absicht und Plan zu treffen und herzustellen... So bleibt mir nur übrig, Ihnen mein treustes Gebet zuzusichern, aber doch den tiefsten Wunsch zu hegen, daß Sie einen Punkt finden möchten, wo Sie ohne Riß mit unverletztem Gewissen im Dienste Ihres HErrn stehen könnten. Der stehe Ihnen bei mit Rat, und wenns sein muß, mit Trost, und halte uns alle auf einem Sinn gar eben...“
.
 Auch Huschke glaubte, nach Rücksprache mit Harleß und Lektüre der Kraußoldschen Gegenschrift sein auf die Löhesche „Beleuchtung der Synodalbeschlüsse“ gegründetes Urteil über die Zustände der bayerischen Landeskirche modifizieren zu müssen. Nach seiner jetzigen Anschauung und Kenntnis von der Sachlage – meinte er – würde eine Separation unstatthaft, ja Sünde sein. Der kirchliche Kampf müsse nun in einem andern Sinn als bisher geführt werden, nicht „gleichsam mit einem Fuß draußen, sondern in der Absicht, das Haus Gottes, welches wirklich eben dieses ist, von allem Unrat möglichst zu reinigen.“ Gleichfalls unter dem Eindruck der Kraußoldschen Brochüre – doch vorsichtiger – sprach sich Ehlers aus: „Ich meine, die Sehnsucht nach einem vollkommeneren Wesen habe der Unbefangenheit Ihres Blickes Eintrag gethan. Sie sind ja aber des ungeachtet nicht ausgetreten. Sie wollten warten bis die Not| Sie triebe. Nun, das thun Sie auch noch. Ja ich weiß aus Erfahrung, was das Gemüt in solchen kirchlichen Verhältnissen drückt. Aber ich weiß auch aus meiner neueren Erfahrung, daß die landeskirchlichen Zustände in neu ausgeschälten Gemeinden bald wiederkehren, wie es unter uns am Tage ist. Es bleibt eben Unkraut unter dem Weizen und das Verfahren mit dem verschiedenen Unkraut bei aller Freiheit zu verfahren, ein schwieriges und das Gemüt vielfältig gedrückt und beschwert. Jenseits wird das vollkommene Wesen sein, des wir harren, und wie bald werden wir drüben sein!“ Löhe war betrübt über diese Retraktationen von Brüdern, auf deren Urteil er so viel Gewicht legte. Von der Unrichtigkeit seiner Beurteilung der Sachlage vermochten sie ihn freilich nicht zu überzeugen, doch gab er den brüderlichen Bitten und Abmahnungen insofern Gehör, daß er nun erst alle Versuche, auf geordnetem Wege eine Besserung der kirchlichen Zustände in Bayern herbeizuführen, erschöpfen wollte, bevor er den äußersten Schritt thäte.
.
 Es ist die schlagendste Widerlegung des Löhe so oft gemachten Vorwurfes eines „unbändigen Separationsgelüstens“, daß er, trotz seiner Neigung zur Freikirche und trotz seiner Sehnsucht nach Erlösung von allen landeskirchlichen „Sündenbanden“, den abmahnenden Stimmen seiner Brüder die Beachtung nicht versagte, sondern sich zu immer wiederholter Prüfung seiner Entscheidungsgründe verstand, ja mehrmals, wenn eine Hoffnung der Besserung auf anderem Wege auftauchte, den bereits zum Austritt erhobenen Fuß wieder zurückzog. War irgend eine Anerkennung wohlbegründet, so war es diejenige, welche Huschke in einem auf Löhes Wunsch abgegebenen Gutachten diesem zollte: daß er die beiden Abwege, zu welchen ihm die Versuchung nahe lag, den des Separatismus und den der Erschlaffung im Kampfe vor dem Siege, glücklich vermieden habe. Und auch die Anerkennung wird ihm nicht versagt werden können,| daß er auch in der Zeit der größten Schärfung der Gegensätze in seiner Polemik doch nie die Grenzen des christlichen Anstandes verletzt, sondern allezeit darnach gestrebt habe, (um einen seiner Lieblingsausdrücke zu gebrauchen) als ein miles mitis seines Herrn erfunden zu werden. Es war für seine zu raschen Entscheidungen und kräftigen Thaten drängende Natur gewiß keine leichte Aufgabe, sich so lange in der Geduld des Wartens zu üben und die Entscheidung reifen zu lassen, anstatt durch eigenmächtiges Vorgreifen den langsamen Gang der Dinge abzukürzen und die Entscheidung gewaltsam herbeizuführen. Wenn er sich aber auch durch die Warnungen und Abmahnungen seiner Freunde bestimmen ließ, in seinem Vorwärtsgehen ein langsameres Tempo anzuschlagen, so war er doch ebenso entschlossen, durch keine ungöttlichen Beschwichtigungsgründe sein Gewissen einschläfern zu lassen, sondern unentwegt weiter zu kämpfen, bis entweder der Sieg errungen oder der Beweis von der Unverbesserlichkeit der landeskirchlichen Zustände geliefert und damit auch die Berechtigung der ultima ratio des Austritts außer Zweifel gesetzt sein würde. „Alles thun was möglich, um einen Zustand herbeizuführen, bei dem wir in der Kirche bleiben können; wenn wir vergeblich arbeiten, dann gehen und uns anschließen, wo man nicht mit dem Verderben der Landeskirchen gemeinschaftliche Sache macht – das ist der Gedanke“ – schreibt Löhe, am 13. Oktober 1849 an Liesching. Demgemäß handelte er denn auch. Als daher die Antwort des Oberkonsistoriums auf die Fakultätseingabe sich verzögerte, beschloß Löhe mit seinen nächsten Freunden, „nachdem sie die Sache der Kirche lange genug in fremde Hände gelegt hätten, ohne eine Frucht zu sehen, sie nun in Gottes Namen selber wieder anzugreifen.“ So folgte denn nun eine Reihe von Petitionen an das Kirchenregiment, mit welchen die kirchliche Bewegung in Bayern in eine neue Phase eintrat.



  1. Anm. Professor Hofmann hatte nämlich in dem p. 306–307 mitgeteilten Brief geschrieben: Löhe werde im Falle seines Austritts vorübergehende Befriedigung mit dem Verluste der Katholizität seines Werks erkaufen.


« Löhes Lage nach dem Schluß der Generalsynode Johannes Deinzer
Wilhelm Löhes Leben (Band 2)
Die Petitionen an das Kirchenregiment »
Für eine seitenweise Ansicht und den Vergleich mit den zugrundegelegten Scans, klicke bitte auf die entsprechende Seitenzahl (in eckigen Klammern).