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Wien auf dem Lande

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Textdaten
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Autor: Balduin Groller
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Titel: Wien auf dem Lande
Untertitel:
aus: Die Gartenlaube, Heft 30, 32, S. 491–494, 524–526
Herausgeber: Ernst Ziel
Auflage:
Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1880
Verlag: Verlag von Ernst Keil
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Erscheinungsort: Leipzig
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Originaltitel:
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Quelle: Scans bei Commons
Kurzbeschreibung:
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[491]
Wien auf dem Lande.
Von Balduin Groller. Mit Illustrationen von J. J. Kirchner.
I.

Wien ist im Hochsommer nicht zu Hause; es ist ausgegangen, ausgeflogen, ausgezogen, man könnte fast meinen ausgestorben. Und doch ist Wien wahrlich eine Stadt, in welcher es sich auch im Sommer sehr wohl existiren läßt, eine Stadt, die auch in sanitärer Beziehung vor vielen Großstädten so Manches voraus hat.

Durch eine großartig angelegte Wasserleitung bezieht sie ein klares, gesundes, erfrischendes Trinkwasser direct von den nur wenige Meilen entfernten Hochgebirgsquellen; Reservoirs für frische, stärkende, würzige Luft hat sie gleich vor der Thür an dem unvergleichlichen Prater, und im Hause selbst, um im Bilde zu bleiben, an dem Stadtpark, diesem köstlichen, funkelnden Smaragd an dem „Ringe“ Wiens; ferner an den weitläufigen Gartenanlagen längs der Ufer des Donaucanals und der Wien, an dem schattigen, düftereichen Schwarzenberg-Garten, dem Belvedere- [492] und dem vornehmen Volksgarten, dem Rathhauspark mit seinen stark besuchten Kinderspielplätzen, dem majestätischen Augarten, endlich an dem Liechtenstein- und dem Schönbornpark. Auch die Plätze vor der Votivkirche, dem akademischen Gymnasium mit dem jüngst enthüllten Beethoven-Denkmal und dem Polytechnicum, endlich der Rudolphs-Platz – sie alle präsentiren sich als freundliche und einladende Gartenanlagen. Dazu ist die Stadtvertretung unablässig bemüht, Raum zu schaffen für neue Gärten im Innern der Stadt. Zwei ehedem kahle Plätze, der Börsen- und der Schlickplatz, sind allein in diesem Jahre mit dem jungen Lenze zu einer neuen schönen Blüthenexistenz erwacht – und trotz alledem und alledem ist es nach der Meinung des Wieners nicht möglich, den Sommer in Wien zu verbringen. So schafft sich der Reichthum seine Bedürfnisse. Ja, der Reichthum! Aber nicht der allein; denn in der That: all diese Gartenjuwele und die ganze imposante und freundliche Ringstraße, die auch nur eine prächtige Doppelallee ist – sie wollen nur wenig bedeuten im Vergleiche zu der wahrhaft einzig schönen Umgebung Wiens.

Hätt' man's nicht, so thät' man's nicht; und: läge Einem diese Umgebung in all ihrer berauschenden Schönheit nicht so dicht vor der Nase, man müßte dann eben auch ohne sie existiren können. So aber geht es absolut nicht; man kann unmöglich den Sommer über in Wien bleiben – und damit Basta!

Wenn im jungen Jahr der Schnee schmilzt und die ersten Grashalme neugierig die Spitzen hervorstrecken, dann beginnt die große Suche nach den Sommerwohnungen, und die Suche dauert fort bis tief in den Sommer hinein, bis Mitte Juli, wo die Schulferien beginnen. Viele Familien sind genöthigt, so lange in der Stadt zu verbleiben, weil die Schulbehörden für die Kinder keinen Dispens vom Schulbesuch ertheilen, es müßte denn sein, daß ein ärztliches Zeugniß producirt würde, welches die unumgängliche Nothwendigkeit der Luftveränderung für den Petenten bestätigt. Solche Zeugnisse sind wohl erfahrungsmäßig nicht allzu schwer zu erlangen; allein es verdient doch constatirt zu werden, daß die meisten Eltern einerseits es ehrlich wünschen, daß ihre Kinder etwas lernen, und andererseits schon aus pädagogischen Gründen Bedenken tragen, „falsches Zeugniß“ zu geben. Andere Eltern wieder schicken ihre Kinder mit dem Fiaker vom Lande herein in die Schule und lassen sie auf dieselbe Art abholen. Das ist nun freilich ein sehr kostspieliges Auskunftsmittel und daher auch nicht eben häufig. Häufiger dagegen ist es, daß die jungen Staatsbürger Eisenbahn, Omnibus und Tramway benützen, um zur Schule zu gelangen, und es ist nicht uninteressant, zu beobachten, mit welcher Sicherheit und Selbstständigkeit die bildungsbeflissene Jugend sich auf diesen kurzen Reisen bewegt, auf welchen sie hinreichend Gelegenheit hätte, die schönsten Confusionen anzurichten. Sie brauchte zu diesem Zwecke unter den zahllosen Wagen nur den unrichtigen zu besteigen.

Wiens Umgebung ist herrlich, das ist unbestritten, aber es ist auch nicht zu bestreiten, daß das Landleben für einen geplagten Wiener Familienvater seine zahlreichen und sehr bedenklichen Schattenseiten hat. Zunächst kommt der Kostenpunkt in Betracht; oft beträgt der Miethzins für die Landwohnung nicht weniger, als der für die Stadtwohnung; der Preis der ersteren ist natürlich sehr verschieden und hängt von der Größe, Ausstattung, Lage und nicht zum wenigsten von der Beschaffenheit des zu ihr gehörigen Gartens ab. Hat das Sprüchwort: „Zweimal ausziehen ist soviel wie einmal abbrennen“, Recht, dann brennt ein großer Theil der Wiener Familien jährlich einmal ab. Denn der Auszug auf's Land und die Rückkehr ist ein doppeltes Ausziehen unter erschwerenden Umständen. Wechselt man innerhalb der Stadt die Wohnung, so weiß man, daß der Möbelwagen über ein großstädtisch gepflegtes Pflaster zu fahren hat und daß er selbst im ungünstigsten Falle doch kaum mehr als eine Stunde unterwegs sein wird. Anders ist es aber, wenn er über Land geht. Da kann er, den Launen der Witterung ausgesetzt, auch einen halben Tag und noch mehr auf der Reise sein, ehe die mit ihrer heiklen Last naturgemäß nur bedächtig Schritt für Schritt dahintrollenden Pferde am Ziele anlangen. Und wenn sie dann angekommen sind, geht das große Jammern an; der sorgsamen Hausfrau blutet das Herz, und dem Manne regt sich die Galle. Vom schönen Salontisch oder dem werthgehaltenen Wäschkasten, dem Stolz der Hausfrau, ist die Politur weggewetzt; an dem Divan ist gerade in der Mitte das Tuch durchgerieben, und vom Kinderbett ist ein Fuß abgeschlagen. Das pflegt die Regel zu sein, gewissermaßen der feste Punkt, an welchen sich die übrigen kleineren und abwechselungsreicheren „Malheure“ Krystallen gleich ansetzen. Daß unter Gypsfiguren und Blumenstöcken Verheerungen angerichtet werden, das ist am Ende noch natürlich; daß aber unter den vorsichtshalber zwischen die Wäsche gepackten Glassachen es immer just die Oelflasche sein muß, die zerschlagen wird, das ist doch schon etwas wunderbarer. Und die volle Oelflasche muß mit; wer anderer Ansicht ist, mag's nur einer sparsamen Hausfrau sagen, wenn er die Courage hat. Auf dem Lande ist Alles theuer, es muß also von Allem ein großer Vorrath mitgenommen werden, und selbst wenn das nicht gethan wird – man kann doch die Reste der Vorräthe nicht in der leeren Stadtwohnung zurücklassen!

War der Wagen nicht gut gedeckt, so geschieht es wohl, daß die Strohsäcke, Matratzen und Polster vom Regen gründlich durchnäßt ankommen, was dann immer höchst erbarmungswürdig anzuschauen ist. Vielgestaltig, wie der Tod, ist auch das tückische Unglück, das bei jeder Straßenbiegung auf die Siebensachen eines armen in die Sommerfrische hinausziehenden Wieners lauert; doch da nützt keine Klage – es muß ja sein, und Jahr für Jahr zieht ja doch ganz Wien wieder hinaus.

Endlich verstummt der Jammer; der Aerger setzt sich; man richtet sich ein. Der Flieder duftet zu den Fenstern herein, die Luft ist so gut und so frisch, der Wald und die Berge grüßen vertraut herüber, das Grün ist so saftig – dafür kann man schon Manches in den Kauf nehmen; nur ist das manchmal recht, recht viel. Mit der Einrichtung beginnen auch die Mißhelligkeiten; man beginnt Dinge zu bemerken, auf welche man bei der Aufnahme der Wohnung nicht gerechnet hatte. Im Hause nebenan wohnt ein Schlosser, ein Klempner oder ein Faßbinder, und es wird den ganzen Tag gehämmert, daß Einem, wenn schon nicht Hören und Sehen, so doch gewiß das Hören vergeht. Noch ist Mama mit dem Auspacken beschäftigt, und schon kommt ein Kind schreiend hereingelaufen, weil es von den Kindern des bäuerlichen Gutsherrn durchgeprügelt worden ist. Merkwürdig: von diesen Kindern war auch nichts wahrzunehmen, als die Wohnung aufgenommen wurde. Freilich giebt es auch vornehme Hausherren, Villenbesitzer, die ihren Miethsparteien, wenn es gerade Differenzen giebt, nicht mit bäuerlicher Grobheit entgegenkommen; dafür nehmen hier die Differenzen numerisch zu. Diese Herren halten etwas auf ihre Gärten; sie dulden nicht, daß die Kinder der Parteien sich auf den Rasenplätzen tummeln; sie legen der Hausfrau Hindernisse in den Weg, wenn sie das Fest der großen Wäsche zu Hause feiern will, und sie erlauben unter keiner Bedingung, daß die herrliche Natur profanirt werde, indem man Wäsche im Garten zum Trocknen aufhängt.

Zu diesen Annehmlichkeiten kommen vielerlei andere. „Unsere biederen Landleute“ beweisen ihren Ruf auch in der Umgebung Wiens. Gemüse und alles Grünzeug, das sie berufsgemäß in die Stadt hinein auf den Markt führen, verkaufen sie ihren Sommerparteien entweder gar nicht, oder zu weit höheren Preisen, als sie in der Stadt dafür verlangen; so kommt es, daß alle an Ort und Stelle producirten Victualien theurer sind, als in der Stadt. Das ist absurd, aber es ist so, und man kann sich demgemäß das Lamento der malträtirten Wiener Hausfrauen denken. Aber auch alle Händler und Kaufleute, der Greisler, wie der Milchmann und der Fleischer, sie haben doppelte Tarife, einen billigen für die Eingeborenen und einen besonderen und besonders theueren für die Eingewanderten. Diese müssen es büßen, daß sie nicht auch im Winter da wohnen, indem sie dafür diese beträchtliche ausgleichende Steuer bezahlen.

Man wohnt im Allgemeinen in unbequemen, schlechteren, ja oft auch ungesünderen Wohnungen, als in der Stadt. Der Comfort, die Behaglichkeit, die Wohnlichkeit, die man zu Hause hat, ist auf dem Lande, wo man sich doch nur gleichsam ein Nomadenzelt aufschlägt, nicht zu erreichen. Die Zimmer sind weniger hoch und weniger luftig, als in den Stadthäusern, und dazu sehr häufig feucht, sodaß die Sommerfrische bei schlechtem Wetter, welches auf dem Lande doch noch etwas ganz Anderes bedeuten will, als in der Stadt, geradezu zu einer Poenitenz werden kann. Man ißt schlechter, man trinkt schlechter, man wohnt schlechter, man ist tausend Unannehmlichkeiten ausgesetzt – und man zieht doch auf's Land. [493] Ein Familienvater übernimmt mit der Villeggiatur ein wahres Martyrium; er selbst hat von der Sommerfrische nur Plagen und Kosten.


Hütteldorf.


In aller Gottesfrühe muß er aufstehen, um bei Zeiten in sein Amt, sein Bureau, sein Geschäft, sein Atelier, seine Werkstatt zu gelangen; den Tag über ist er in seinem Berufe thätig, um Abends wieder heimzureisen. Zu den bereits erwähnten Auslagen kommt für ihn speciell noch die Bestreitung der anstrengenden täglich zweimaligen Fahrt, und dann die besondere Auslage für seine Verköstigung in der Stadt. Aber er trägt gern all die Lasten, im Vollbewußtsein seines Martyriums, weil – trotz alledem und alledem die Landluft ein Segen für Weib und Kind ist.


Purkersdorf.


Wo also ist Wien zu finden, wenn es im Sommer ausgeflogen ist? Ja, wo? Das ist leicht gefragt, und auch leicht beantwortet, wenn man sich mit der Antwort: In der Umgebung Wiens, begnügt. Die Zahl der bekanntesten und populärsten Ortschaften in der Umgebung Wiens, die mit Vorliebe von dem Wiener zu Sommerfrischen gewählt werden, beträgt wohl an hundert, allein man greift schwerlich zu hoch, wenn man noch weitere hundert Ortschaften annimmt, die ebenfalls den Wienern Sommerasyle bieten, die jedoch, weil sie etwas abseits von der großen Verkehrsstraße liegen, weniger bekannt und weniger frequentirt sind, als die hundert ersterwähnten Ansiedelungen. Es giebt reizend gelegene Dörfchen kaum eine Stunde von Wien entfernt, die höchstens fünf bis zehn Sommerparteien beherbergen. –


Mödling-Klause.


Meister J. J. Kirchner, einer der geschicktesten, jedenfalls der fruchtbarste unter den deutschen Landschaftszeichnern – hat er doch seiner großen Jugend schon vor mehreren Jahren das Fest seines tausendsten Holzstockes gefeiert – hat sich nun kürzlich, mit seinem Skizzenbüchlein bewehrt, aufgemacht, um eine Reihe der beliebtesten Sommerfrischen der Wiener für die „Gartenlaube“ aufzunehmen. Uns sei es gestattet, zu diesen Bildern kurze Commentare zu liefern.


Baden.


Wir beginnen mit Hütteldorf. Hütteldorf gilt, und mit Recht, für einen der fashionablesten Sommersitze. Es hat eine prächtige Lage und ist gerade eine Meile von Wien entfernt, daher mit der Westbahn, auf welcher es von Wien aus die zweite Station ist, in kaum einer Viertelstunde zu erreichen. Stündlich kommt und geht ein Localzug, und Omnibusse, die allerdings eine gute Stunde brauchen, um die Meile zurückzulegen, verkehren in Zwischenräumen von je einer halben Stunde. Hütteldorf hat, wie fast alle Sommerfrischen, ein gutes Kaltbad, zu welchem das Wienflüßchen das Wasser liefert; es weist eine Fülle von reizvollen Gärten und zierlichen Villen auf; es bildet ein Centrum, von welchem aus in aller Bequemlichkeit die schönsten und lohnendsten Ausflüge gemacht werden können, und es hat – last not least – ein weit berühmtes Brauhaus, wo gar köstlicher Stoff geschänkt wird. An schönen Sonntagnachmittagen pilgern denn auch immer Tausende von Wienern hierher, um sich an der herrlichen Gottesgabe, die hier frisch vom Zapfen läuft, zu erlaben; wenn dann spät Abends die letzten Züge heimwärts gehen, pflegt es ein gewaltiges Gedränge zu geben, und es wird bei dieser Gelegenheit so mancher schwere Haarbeutel verfrachtet, ohne daß dafür eine Ueberfracht bezahlt würde.


Kalksburg.


Die höchstgelegene Villa auf der Abbildung, mit dem schlanken Thürmchen, das weit hineinlugt in das Land, ist die sogenannte „Villa Dietz“. Ihr Erbauer, der [494] wackere Zimmermeister Dietz, der im Jahre 1873 die Zimmerarbeiten für die Wiener Weltausstellung besorgt hatte, ist schon seit mehreren Jahren todt. In seinem Testamente hatte er in wahrhaft fürstlicher Weise eine Reihe von Wohlthätigkeits-Instituten bedacht; das Findelkinderasyl hat er durch sein Legat geradezu vor dem Untergange gerettet. Darum sei denn auch in Ehren seiner Erwähnung gethan.

Fahren wir von Hütteldorf eine Station weiter, so sind wir in Weidlingau. „In Weidlingau, da ist der Himmel blau“, singt der Barde des Wiener Orpheums, und ganz Wien singt es mit ihm. Dann noch eine Station weiter, und wir sind in Purkersdorf. Um mit der Eisenbahn hierhin zu gelangen, dazu bedarf es schon einer halben Stunde. Dafür gehört Purkersdorf zu den schönsten Ortschaften des Wienthales; es steckt tiefer in den Bergen des Wienerwaldes, als Hütteldorf, und liegt daher auch malerischer. In historischer Beziehung wäre zu bemerken, daß der freundliche Ort vor zweihundert Jahren viel von den Türken zu leiden hatte, die im Jahre der Belagerung Wiens hier die Kirche zerstörten und auch sonst wie Vandalen hausten.

Noch stärker als die Westbahnstrecke wird die Südbahnstrecke von den Wienern während des Sommers frequentirt. Es sind wahrhaft kolossale Menschenmassen, welche die Südbahn täglich mit erstaunlicher Präcision befördert. Da geht es, die kleineren Stationen nicht mitgerechnet, nach Liesing, mit einer ebenfalls beliebten, sehr exportfähigen Bierbrauerei, nach Mödling, Baden, Vöslau etc. Mödling ist die jüngste Stadt des Reiches; daß es Stadt geworden, hat es zu nicht geringem Theile der Energie seines schneidigen Bürgermeisters Schöffel zu verdanken. Mit Mödling verbunden ist die kleine, aber überaus malerische Ansiedelung „Klause“, die eine wahrhaft romantische Verbindung mit dem womöglich noch romantischeren Brühl (Vorder- und Hinterbrühl) bildet. Die Fürsten Liechtenstein, die hier ausgedehnte Besitzungen haben, waren von jeher darauf bedacht, durch eine wahrhaft großartige Munificenz die romantische Natur dem Publicum möglichst bequem zugänglich zu machen. Sie haben Wege gebaut und die bewaldeten Berge zu großen Parkanlagen mit wunderbaren Spaziergängen eingerichtet. Das Bildchen Kirchner's giebt, so klein es ist, doch recht wohl einen Begriff von den hier zusammengedrängten Naturwundern.

Einen der hervorragendsten Plätze unter den Sommerfrischen der Wiener, wenn nicht den hervorragendsten, nimmt die Stadt Baden ein, die von Wien aus mit der Eisenbahn in einer Stunde zu erreichen ist. Die Anzahl der Sommergäste hier ist mit zehntausend nicht zu hoch angegeben. Diese Beliebtheit verdankt Baden seinen warmen, schwefelhaltigen und sehr heilkräftigen Quellen, deren Existenz nachweisbar schon den Römern bekannt war. Der Ort wurde bereits vor vierhundert Jahren zu einer Stadt erhoben, ist in stetigem Aufblühen begriffen, hat eine wohlhabende Bürgerschaft und erfreut sich als Bad einer internationalen Beachtung. Im Sommer wird es, trotz der nicht unbeträchtlichen Entfernung von der Hauptstadt, fast als eine Vorstadt von Wien betrachtet, an das es die verschiedenartigsten Interessen und nahen Beziehungen knüpfen. Eine eingehende Schilderung Badens, das in historischer, culturgeschichtlicher, balneologischer und landwirthschaftlicher Hinsicht so viel des Interessanten aufweist, liegt nicht in der Tendenz dieses Aufsatzes, der ja nur ungefähr andeuten soll, wo Wien sich im Sommer eigentlich befindet – zum Theil also, und nicht zum schlechtesten, in Baden.

Das letzte Bild auf unserem heutigen Tableau zeigt den Lesern Kalksburg, das zu dem ferneren Umkreise der Gegenden des Wienerwaldes gehört und das, obschon es nicht direct an der Eisenbahn liegt, doch von der Stadt aus in einer Stunde erreicht werden kann. Kalksburg ist ein uralter Ort und hat schon, wie ich im guten Glauben einem „verläßlichen Führer“ nacherzähle, im zwölften Jahrhundert seine Rolle gespielt. Gegenwärtig wird das finstere Mittelalter nur durch eine bekannte Jesuitenschule repräsentirt, die hier von den im Jahre 1855 eingewanderten Jesuiten errichtet worden ist und die sich insbesondere in den klerikalen Kreisen einer sehr lebhaften Beachtung und Unterstützung zu erfreuen hat.

[524]
II.

Unser Ziel ist Hietzing. Wie wir dahin kommen? Ganz einfach. Wir besteigen auf der Ringstraße in Wien einen Pferdebahnwagen und fahren, wenn an der Stirnseite des Wagens eine grüne Scheibe angebracht ist, bis nach Penzing, der Endstation der Tramway. Hatte die Scheibe eine andere Farbe, dann fahren wir mit dem Wagen nur bis zur Bellaria am Burgring und steigen dort um in einen Wagen, der sich durch seine grüne Scheibe und durch die grünen Stirnbänder der Pferde für unseren Zweck empfiehlt. In Penzing angelangt, überschreiten wir eine kleine Kettenbrücke, die sich über das Wienflüßchen streckt, und wir sind in Hietzing. Gehen wir von der Brücke noch hundert oder zweihundert Schritt geradeaus weiter, so haben wir den richtigen Augenpunkt für unser Bild gefunden. Wir stehen auf dem Hauptplatze von Hietzing. Es vergeht keine Minute, ohne daß wir hier einen Omnibus nach der Stadt fahren oder von dieser kommen sähen. Der Verkehr ist ein außerordentlich reger und starker; Hietzing gehört zu Wiens nothwendigsten Bedürfnissen; es ist jedenfalls die bequemste Sommerfrische, die sich denken läßt.

So wie man aus dem westlichen Thore des Schönbrunner Parkes heraustritt, steht man auf dem Hauptplatze von Hietzing, dessen bedeutsame Zier ein ehernes, vom verstorbenen Meixner, dem Schöpfer des Albrecht-Brunnens und so mancher anderen plastischen Zierde Wiens, geformtes Standbild des unglücklichen Kaisers Max von Mexico bildet. Das Denkmal macht in seiner frischen, grünen Umgebung einen mehr freundlichen, als großartigen und weihevollen Eindruck.

Hinter dem Denkmal steht die Kirche, ein einfacher gothischer Bau. In derselben befindet sich ein Bild, das angeblich den Namen des Ortes erklärt. Es ist die Darstellung einer Sage, nach welcher bei einem Einfalle der Türken mehrere Wiener Bürger durch ein Gnadenbild der Madonna, das ehedem an einem Baume aufgehängt war, und das sich gegenwärtig ebenfalls in der Kirche befindet, gewarnt worden sein sollen. Das Bild soll gerufen haben: „Hüet’s eng!“ (Hütet euch!) Es dürfte gerathen sein, dieser Ableitung nicht allzuviel Vertrauen zu schenken.

Dem Denkmal gegenüber, auf unserem Bilde jedoch nicht mehr ersichtlich, steht ein altberühmtes Wirthshaus „Dommager’s Casino“. Die Gartenconcerte daselbst locken immer ein sehr zahlreiches und elegantes Publicum aus Wien heraus. Die gut gepflegte Fahrstraße führt zunächst zu dem triumphbogenförmigen Portal, das der Leser auf dem Hintergrunde des Bildes noch ohne Mühe entdecken wird. Das ist der Zugang zu einem im großen Stile angelegten Belustigungsort, zu Schwender’s „Neue Welt“. An schönen Sommernachmittagen und Abenden giebt es da Militärmusik, Gesang, Theater, Seiltänzer, Gymnastiker, wohl auch Luftschiffer, und zum Schluß auch Feuerwerk, kurz Alles, was des Menschen Herz, und natürlich auch was sein Magen begehrt. Die „Neue Welt“ war ehemals ein herrschaftlicher Park, und sie gehört noch heute zu den schönsten und größten Parkanlagen in der Umgebung Wiens.

Daß nach den Ereignissen des Jahres 1866 der gewesene König von Hannover Hietzing zu seiner Residenz machte, ist allgemein bekannt. Die hannoversche Colonie hat sich hier sehr bald wohl und heimisch gefühlt. – Vor dem Portal zur „Neuen Welt “ theilt sich der Weg. Die eine Zinke der Wegegabel führt nach Lainz, Speising, Mauer, die andere nach Unter- und Ober-St. Veit, Haking etc. – durchwegs belebte Sommerfrischen.

Um nun nach Dornbach zu gelangen, müssen wir Tramway, Omnibus oder Fiaker benutzen; eine Eisenbahnverbindung steht uns hier nicht zu Gebote. Der Weg nach Dornbach führt durch Hernals, einen der volk- und industriereichsten Vororte von Wien. Allsonntäglich ergießt sich ein gewaltiger Menschenstrom nach Dornbach, der noch immer mächtig genug bleibt, auch nachdem er beträchtliche Menschenfluthen in Hernals zurückgelassen hat. In Hernals wird nämlich ein ganz besonderer Saft credenzt, der „höchste Heurige“, ein junger Wein von rebellischem, äußerst

[525]

Dornbach.

Heiligenstadt.

Hietzing.

Kahlenberg.

Klosterneuburg.

[526] stürmischem Charakter. Hernals hat nicht gerade ein Privileg auf den Heurigen, der in derselben Qualität auch anderwärts geschenkt wird, aber eine Laune der öffentlichen Meinung und wohl auch geschickter Industrialismus hat dem Hernalser Heurigen zum Ruhmespreise verholfen. Der Heurige ist nichts Anderes, als der österreichische Landwein, der seine erste Jugend austobt; er ist von jungfräulicher Herbigkeit und vollführt doch sehr tolle Streiche – es ist ihm nicht zu trauen.

Dornbach zeichnet sich durch eine große Anzahl koketter Villen und schöner Gärten aus; dennoch könnte es die vielen Menschen, die da zusammenzuströmen pflegen, nicht beherbergen. Es bildet nur den Knotenpunkt für einen großen Transitoverkehr von Naturschwelgern, die von Dornbach aus nach allen Richtungen hin kürzere oder längere Ausflüge unternehmen und die dann nach erledigtem Naturgenuß von Neuwaldegg, vom Galizinberg oder sonst woher aus der Umgebung wieder in Dornbach zu gemeinsamer Rückkehr nach Wien zusammentreffen.

Muß Dornbach noch zu den Sommerfrischen des Wiener Waldes gezählt werden so gehört Heiligenstadt zu dem engsten Umkreis der Donaugegenden um Wien. Heiligenstadt ist ein Bade-Ort mit rühmend anerkannter Heilquelle gerade vor den Thoren Wiens, kaum eine halbe Stunde von der Stadt entfernt. Die schönste Zierde und die wichtigste Anziehungskraft des Ortes ist das Bad, das sich inmitten eines freundlichen Parkes befindet. Von Heiligenstadt aus ist nach den Sommerfrischen Nußdorf, Döbling, Grinzing und Sievering nur ein Katzensprung.

Ziehen wir den Kreis der Donaugegenden um Wien nur etwas weiter, und wir werden den Kahlenberg, und noch etwas weiter Klosterneuburg berühren. Der Kahlenberg ist förmlich ein Wahrzeichen von Wien, er gehört so gut zu dem Bilde Wiens, wie der Stephans-Thurm, und wie dieser ist er von allen Seiten sichtbar und kenntlich als einer der hervorstechendsten und charakteristischsten Züge der Physiognomie Wiens. Er gehört nicht eben zu den Bergriesen; er hat eine Seehöhe von etwas über 1500 Fuß; berücksichtigt man, daß die Donau am Fuße des Leopolds-Berges, des nächsten Nachbarn des Kahlenberges, in einer Höhe von etwa 500 Fuß über dem Meeresspiegel dahinfließt, so wird man auf dem Gipfel des Kahlenbergs weder Gletschereis noch auch nur Edelweiß suchen wollen. Der Aufstieg ist an sich ein angenehmer und leichter, allein er ist ganz bequem gemacht worden durch zwei in der Periode des volkswirthschaftlichen Aufschwunges entstandene Eisenbahnen, welche die Ausflügler in wenigen Minuten auf den Gipfel des Berges brachten. Eine dieser Bahnen freilich ist von den Stürmen des Jahres 1873 einer zarten Blume gleich geknickt worden, allein die andere besteht noch und wird sich als ein wirkliches Bedürfniß wohl auch für die Folge halten.

Das geräumige Gebäude auf der Höhe des Berges ist ein Hôtel, ebenfalls eine Schöpfung des modernen Geistes der Association. Das Schlößchen neben dem Hôtel ist ein Stein gewordener Künstlertraum. Maler Felix hat sich hier auf felsiger Höhe vor wenigen Jahren ein Künstlerheim erbaut, wie es anmuthiger und prächtiger nicht gedacht werden kann. Der Bewohner des Schlosses sieht die schimmernde Vindobona zu seinen Füßen liegen; sein Auge folgt dem Laufe des mächtigen Donaustromes und verliert sich in wonniger Träumerei in die in Luft und Nebel und Sonnenglanz daliegenden Auen; es ist eine Aussicht von märchenhafter Schönheit. Das war ein schöner, ein künstlerischer – aber ein unpraktischer Gedanke, sich da anzukaufen und zu bauen. Der glänzende Bau verschlang ungeheure Summen. Eine Fahrstraße wurde in den Stein gehauen, und zahllose Marmorquadern mußten den Berg hinauf geschleppt werden – es war eine Sisyphusarbeit. So wacker der Künstler auch schaffte, er war in materieller Hinsicht doch den mächtigen Anforderungen nicht gewachsen. Um sein Kleinod vor störender, prosaischer Nachbarschaft sicher zu stellen, hatte er alle angrenzenden Grundstücke zusammenkaufen müssen, welche er sämmtlich zu einem herrlichen Parke vereinigte. Eingerichtet war das Schlößchen in fürstlicher, mehr, in wahrhaft künstlerischer Weise. Und als dann Alles in wunderbarer Pracht fertig war, da gehörte es nicht mehr dem Künstler, sondern seinen Gläubigern. Der Mann, der ein Feenschloß auf die Bergesspitze gezaubert hatte, ging arm aus demselben hinaus. Ein arabischer Schimmel mit rosenrothen Nüstern, ein Thier von unvergleichlicher Schönheit, hatte ihn hinaufgetragen – zu Fuße stieg er zu Thal, ernst und still, ein ruinirter Mann. Doch nein, mit seinem Kopfe und seiner Hand ist man kein ruinirter Mann. Felix begann auf's Neue; er arbeitete mit eisernem Fleiße, und bald dürfte er wieder so weit sein – vielleicht ist er es wirklich schon – um abermals auf's Neue Pläne zu neuen Feenschlössern auszudenken.

Das letzte unserer Bilder stellt Klosterneuburg vor, eine überaus freundliche Stadt an der Donau, die von Wien aus mit der Eisenbahn in einer halben Stunde zu erreichen ist und die ihrer gesunden und malerischen Lage wegen von vielen Wiener Familien mit besonderer Vorliebe zur Sommerfrische erwählt wird. Das mächtige Gebäude unseres Bildes stellt das hochangesehene Stift dar, das eine Fülle von historischen und künstlerischen Kostbarkeiten birgt. Die Stiftsherren haben hier seit langen Jahrhunderten die ihnen zugefallene, nicht unwichtige Culturmission bis auf den heutigen Tag getreulich erfüllt. Sie haben Künste und Wissenschaften mit Liebe gepflegt und um die Hebung der Landwirthschaft sich unvergängliche Verdienste erworben. Insbesondere aber sind sie als die Begründer des rationellen Weinbaues in Oesterreich zu betrachten. Der Klosterneuburger Stiftskeller erfreut sich eines festwurzelnden und weitreichenden Ruhmes und einer Popularität, die bisher noch niemals erschüttert worden ist. In diesem Keller befindet sich auch das berühmte große, neunhundertneunundneunzig Eimer haltende Faß, das den Anlaß zu einer oft geschilderten und oft abgebildeten Volksbelustigung, dem „Fasselrutschen“, geboten hat. Die heiter gestimmte Menschheit findet nämlich in diesem Keller eine ganz besondere Freude daran, das Faß, zu dessen Höhe eine Treppe führt, zu besteigen, um sich dann auf der andern Seite unter großem Halloh und Juchhe hinuntergleiten zu lassen. Da purzelt denn Alles, auch Frauen und Kinder, über und durch einander, und je toller es hergeht, desto größer die Freude. Im Ganzen ist der „Jux“ ziemlich harmlos, „a rechte Hetz“ – und die rechte Hetz kann auch nur von fröhlichen und harmlosen Naturen vollführt und genossen werden.