Wer bin ich von Natur, wenn ich mein Innres prüfe?
des Menschen.
Wer bin ich von Natur, wenn ich mein Innres prüfe?
O wie viel Greul läßt mich mein Herze sehn!
Es ist verderbt; darum verbirgt mirs seine Tiefe,
Und weigert sich, die Prüfung auszustehn.
Und diesen Schritt, wie oft verwehrt mirs ihn!
Voll Eigenlieb und Stolz will sichs nicht strafbar nennen,
Der Reu entgehn, doch nicht den Fehler fliehn.
Wahr ists, ich find in mir noch redendes Gewissen,
Ich kann mein Auge nie der Tugend ganz verschließen,
Und oft scheint mir ein Stral von ihrem Licht.
Doch schwaches Licht, das mir den Reiz der Tugend zeiget,
Und vom Verstand nicht bis zum Herzen dringt!
Hat sein Gesetz und folgt ihm unbedingt.
Ein Richter in mir selbst stört oft des Herzens Ruhe;
Er klagt mich an. Ich steh erschrocken still,
Und billige nicht mehr das Böse, das ich thue,
Verstellung, die ich doch an meinem Nächsten hasse,
Erlaub ich mir, und halt es für Gewinn,
Wenn ich im falschen Licht mich andern sehen lasse,
Und scheinen kann, was ich mir selbst nicht bin.
Der Seele nie das wahre Glück verleiht;
Doch bleiben sie mein Wunsch; und um beglückt zu werden,
Erring ich mir die Last der Eitelkeit.
Ich weis, wie groß es sey, aus Ueberlegung handeln,
Durch falschen Schein getäuscht, eil ich, ihm nachzuwandeln,
Und Leidenschaft und Irrthum steckt mein Ziel.
Ein gegenwärtig Gut versäum ich zu genießen,
Flieh, was mich sucht, und suche, was mich flieht.
Und ohne Ruh um Ruhe stets bemüht.
Mein Nächster hat ein Recht auf viele meiner Pflichten;
Doch wird dieß Recht so oft von mir entweiht.
Versagt er mir die Pflicht: so eil ich, ihn zu richten;
Nicht Liebe gegen Gott heißt mich dem Nächsten dienen,
Mehr Eigenlieb und niedrer Eigennutz.
Aus ihnen fließt Betrug, Verstellung; und in ihnen
Findt Neid und Haß, und Stolz und Härte Schutz.
Was find ich da für Mängel meiner Pflicht!
Die Wunder der Natur, die Gott zu Lehrern machte,
Stehn vor mir da, und diese hör ich nicht.
Und heißt ihr Anblick mich auf seine Weisheit schließen,
Das Herz bleibt ungerührt, betäubt bleibt das Gewissen,
Und Gott, mein Herr und Vater, unerkannt.
Er schenkt mir so viel Glück. Gebrauch ich seine Güte
Zu meinem Heil; und geb ich ihr Gehör?
Der Dankbarkeit und Liebe destomehr.
Oft sagt mir mein Verstand, daß des Allmächtgen Gnade
Das größte Gut, der Trost des Lebens ist,
Und welche Schulden ich auf mein Gewissen lade,
Und doch, o Gott, wie oft geb ich dieß Glück der Seelen,
Dir werth zu seyn, für kindischen Gewinn,
Für einen Ruhm der Welt, für Lüste, die mich quälen,
Für Eitelkeit, und für ein Nichts dahin!
Ist meine Pflicht. Doch wenn gehorch ich ihr?
Bald bebt mein Herz vor Furcht, und bald ist das Vertrauen,
Das mich beseelt, nur ein Vertraun zu mir.
Dieß ist des Menschen Herz. Wer hat dieß Herz verheeret?
Der Mensch durch eigne Schuld hat seine Würd entehret;
Und beides fiel, sein Herz und sein Verstand.
Doch so verderbt wir sind, so schwach, uns selbst zu heilen:
So steuert Gott doch der Verdorbenheit,
Licht der Vernunft, dem Herzen Reinigkeit.
Und du willst dieser Kraft, o Mensch, dich widersetzen?
Sie beut sich an, du aber wehrest ihr?
Und willst des größten Glücks dich selber unwerth schätzen?