Wenn die Schwalben heimwärts zieh’n
„Das ist ein merkwürdiger Klingelzug!“ sagte der alte urgemüthliche Musiktheoretiker Fink, als er in der Mitte der dreißiger Jahre mit dem eben von Düsseldorf nach Leipzig gekommenen Mendelssohn-Bartholdy an der Thomasschule vorüberging und nach der Thür wies, die dicht am Weg nach dem auf die Promenade führenden sogenannten Thomaspförtchen liegt. „Hier, eine Treppe hoch,“ ließ sich Fink weiter vernehmen, „wohnten seit
Jahren die Cantoren der alten Thomana. An diesem eisernen Klingeldraht hat Sebastian Bach, haben seine Söhne, haben Doles, Hiller und Schicht gezogen, ja, selbst Mozart, als er einmal bei Doles Quartier genommen.“ Mendelssohn lächelte und sagte: „Auch der alte wackere Zelter, als er mich im Jahre 1821 bei Schicht einführte und ich dem Tonsetzer vom ‚Ende des Gerechten‘ hier in der Thomaskirche eine Probe von der Fertigkeit meines damaligen Orgelspieles ablegen mußte“
Bei diesen Worten spielte ein Lächeln um seine feingeschnittenen Lippen, sein schönes, schwarzes, feuriges Auge blickte empor nach der Wohnung, wo so unsterbliche Werke der Tonkunst entstanden. Noch einmal fiel sein Blick auf den Klingelzug, der im nämlichen Moment hastig von der Hand eines Jünglings ergriffen wurde. Die Thür, durch einen Tritt von oben geöffnet, sprang auf, mit ihr aber zugleich das Herz des Eintretenden, der, freudig erregt, doch ehrfurchtsvoll im Eingang stehen blieb und still nach dem berühmten Tonsetzer hinsah, den er zum ersten Mal in der Nähe erblickte. Die anderen Beiden schritten durch das Thomaspförtchen der Allee und dem Vordergebäude des auch außerhalb Leipzigs bekannten Reichel’schen Gartens zu, wo sich Mendelssohn einlogirt hatte.
Hätte Letzterer geahnt, daß der Jüngling, welcher an der Cantorwohnung die Klingel zog, dereinst einmal auch ein Liedercomponist und Capellmeister werde, er hätte ihn vielleicht einer näheren Beschauung gewürdigt, und der gemüthliche Fink mit der ewig heiteren Stirn hätte ihm sicherlich recht innig die Hand gedrückt.
Der junge Thomaner war Franz Abt. In der Provinz Sachsen und zwar in der Fabrikstadt Eilenburg als der Sohn eines Pfarrers, der selbst ein ausgezeichneter Musiker war, am 21. December 1819 geboren, sollte er sich auf der berühmten Thomasschule in Leipzig zur späteren Universitätsbildung vorbereiten. Bekanntlich pflegt diese Anstalt seit alter Zeit mit besonderer Vorliebe die Musik, namentlich den Gesang, und so fand die große Liebe, die Abt zur Musik hegte, eine reiche Nahrung, ja sie wurde zur Leidenschaft. Er schwankte denn auch, ob er sich nicht ganz der Tonkunst widmen sollte, allein er fühlte sich seiner Mutter gegenüber verpflichtet, nach einem sogenannten Brodstudium zu greifen, und ließ sich als Studiosus der Rechte in Leipzig immatriculiren. [326] Ein Jahr lang folgte er dem Collegienzwang, aber sich mit Justinian und Tribonian auf einen vertrauten Fuß zu stellen wollte ihm trotz seines sonst eminenten Talentes nicht gelingen. Institutionen und Pandecten sagten ihm weniger zu, als die Harmonielehre, die er bei Cantor Weinlig zu studiren begonnen hatte.
Im Frühjahr 1838 hatte der Studiosus juris denn in aller Stille Opus 1 fertig gemacht, Compositionen, die jedenfalls nicht im Sinne des sonst liebenswürdigen, aber doch etwas pedantischen Cantors der Thomasschule waren. Abt hatte sechs Tänze componirt, und er ging nun auf eine Verleger-Entdeckungsreise aus. Diese Rundreise wurde gewöhnlich mit einbrechender Dunkelheit angetreten, damit die Schamröthe im Antlitz nicht so sichtbar sei, wenn abschlägliche Antwort erfolge. Endlich – Land! Land! – Wilhelm Alexander Künzel unterm Fürstenhause in der Grimmaischen Straße biß an, und am Ostersonnabend, den 14. April 1838, war der wichtige Tag, wo Abt seinen Namen zum ersten Mal gedruckt sah und noch dazu mit großer fetter Schrift. Im Leipziger Tageblatt prangte folgende Annonce:
- „Freunden der Musik wird hierdurch ergebenst angezeigt, daß heute sechs neue Contretänze für Pianoforte, componirt von Franz Abt, die Presse verlassen haben und zu dem Preise von 8 Groschen bei Unterzeichnetem zu bekommen sind.
Für Franz Abt war das Osterfest zugleich ein Auferstehungsfest, eine Himmelfahrt seiner höchsten Gefühle. Die Tänze wurden zwar nur spärlich gekauft, etliche davon aber wurden bei dem Beginn der Gartenconcerte für Orchester arrangirt, was schon Muth einflößte. Die Musikchöre von Hauschild und Lopitzsch brachten sie in zwei damals sehr beliebten Vergnügungsorten der Leipziger, der „großen Funkenburg“ und dem „Thonberg“, zu Gehör.
Unterdessen war auch ein Walzer entstanden, den der berühmte Posaunist Queißer für gut befunden und der in einem Donnerstags-Concert im Garten des Hotel de Prusse zur Ergötzlichkeit des Publicums vorgetragen werden sollte. Mit welcher Erwartung lauschte Abt, als die Tonkunstwerkstätte beisammen, der Dinge, die da kommen sollten! Sein Herz pochte fast noch mehr, als die große Trommel. Der Walzer gefiel, die jungen Damen rührten unter den Tischen ihre Füße und Füßchen, man applaudirte und sogar einzelne Bravos erschallten.
Dies genügte für den Augenblick vollkommen. Junge angehende Dichter und Componisten schenken der Sache aber erst Vertrauen, wenn sie die Meinung des Publicums Schwarz auf Weiß lesen, und schon den zweiten Tag darauf strahlte dem Walzer die „Sonne von Austerlitz“ hinten auf der letzten Seite des Leipziger Tageblattes. Da war für Mit- und Nachwelt unterm 23. Juni 1838 inmitten eines verlaufenen Jagdhundes und einer Einladung zu Fladen und Stachelbeerkuchen Folgendes zu lesen:
„Das vereinigte Stadtmusikchor wird recht sehr gebeten, uns den so ausgezeichneten Walzer von Franz Abt ‚Epheuranken‘ baldigst wieder in einem Concert hören zu lassen.
Der ausgezeichnete Walzer – eine öffentliche Aufforderung zur Wiederholung! Abt traute kaum seinen Augen, er starrte die Annonce an, wie Dorfmusikantens Junge die Doppelgriffe. Sein Verleger Künzel schwamm in Wonne; er warf dem achtzehn und ein halb Jahr alten Componisten aus Respect gleich den „Herr Musikdirector“ an den Hals und acquirirte die ausgezeichneten „Epheuranken“, die ihm fortan zu Goldlack und Tausendgüldenkraut werden sollten.
„Auch dieses!“ rief Abt, „und noch ein Lied dazu.“ – Was war es für ein Lied? Jedenfalls ist es jetzt gänzlich dem Gedächtniß seines Erzeugers entschwunden, ebenso wie seine sechs Contretänze und die Epheuranken, welche er – „ein Werdender wird immer dankbar sein“ – dem Stadtmusikchor zu Leipzig gewidmet. Unter der Devise: „Gefälligst zu beobachten“ wurden Letztere vom Verleger mit Riesenlettern angezeigt. Aber nicht etwa so billig wie die sechs Contretänze, nein, die Epheuranken kosteten zehn Groschen.
Bald darauf kam auch das Lied. Die Bekanntmachung lautete:
Gedicht von G. Hammer. Für eine Singstimme mit Begleitung des Pianoforte oder der Guitarre, componirt von Franz Abt.
Der Zufall fügte es, daß gleichzeitig Breitkopf und Härtel den Clavierauszug von Lortzing’s komischer Oper: „Czar und Zimmermann“ anzeigten. Auf diesen neu auftauchenden Operncomponisten blickte Abt freudig; in seine Nähe zu kommen, mit ihm bekannt zu werden, war sein innigster Wunsch. Dieser ging in Erfüllung und zwar in der in jenen Tagen viel genannten Restauration von Haring in der Hainstraße, wo vor Beginn der Theatervorstellung sich Schauspieler, Sänger, Schriftsteller und Tonkünstler versammelten. Zu diesen gesellte sich öfters auch der Dichter und Romanschriftsteller. Karl Herloßsohn, welcher zu jener Zeit den „Komet“ redigirte. Der gute „Hadschi“, wie Herloßsohn scherzweis von seinen Freunden genannt wurde, hatte wohl keine Ahnung, daß der bescheiden in der Ecke bei einem Krug Wernsgrüner Bier sitzende junge Mann nach wenigen Jahren eines seiner Gedichte für Gesang setzen werde, das sich als Volkslied einbürgern und so große Sensation erregen sollte.[WS 1]
Es war jene Zeit, wo Theater und Musik der rothe Faden waren, der sich durch das Leben zog. Auch die literarische Welt Leipzigs kannte kaum andere Interessen. Gemüthlich und harmlos saßen während des Sommers im Rosenthal bei Kintschy die Schriftsteller und Componisten zusammen. Der Roman neben der Novelle, das romantische Lied neben der komischen Oper, die Publicistik neben der Kritik. Alle in trauter Harmonie, Domino spielend, plaudernd, sprudelnde Heiterkeit, überschäumende Lust in der Runde. Ebenso im Café national, am Markt, wo Mittags von ein bis zwei Uhr die jüngeren Buchhändler einsprachen und auf der „kleinen Börse“ ihren Kaffee tranken. Gleiches bei Zill im „Tunnel“, wo in den Abendstunden der Liedercomponist Karl Zöllner an seinem Stammtisch erschien, während in den Sommermonaten an der langen Tafel des Einganges die fremden, Engagement suchenden Schauspieler saßen, die meist in barocker Kleidung einhergingen und sich durch gebranntes lockiges Haar, große Siegelringe und Jambenton vor andern Menschenkindern auszeichneten. Es war ein lustiges Künstlervölkchen und Abt bewegte sich mitten darin, er hatte es sogar schon bis zum Dirigenten des philharmonischen Vereines gebracht, den ein gewisser Pätzold, auch ehemals Thomaner, gegründet hatte. Die Mitglieder waren durchgängig Studenten.
So vergingen für Abt die Tage, bis er sich im September 1841 verheirathete. Jetzt galt es, eine feste Anstellung zu suchen, die sich für ihn augenscheinlich in Zürich fand, wo zu jener Zeit Frau Charlotte Birch-Pfeiffer die Theaterdirection führte. Der junge Ehegatte sollte bei ihrer Bühne den 1. October als Dirigent des Orchesters in Amt und Brod kommen. Mit seiner kleinen jungen Frau, einem Herzen voll Liebe und darin schlummernder Lieder, viel Anderes belastete ihn nicht, trat er die Reise nach Zürich an.
Mit Eifer und gutem Willen warf er sich in sein neues Amt; seine Wirksamkeit erlosch aber nur zu bald, denn die Direction sah sich genöthigt, im nächsten Mai schon die Bühne zu schließen. Da trat denn für den Musikdirector eine große Generalpause ein, die zum Glück ein bejahrter Engländer ausfüllte, welcher von Abt Gesangunterricht begehrte. John Bull wollte mit Gewalt singen lernen. Er dachte: viel hilft viel, und wünschte, daß ihm der Lehrer täglich drei Stunden widme; Honorar für die Stunde einen Gulden.
Abt schlug ein; er wurde dadurch einer großen Sorge überhoben und die siebenmonatlichen Theaterquälereien hinter sich, verlebte er heiter mit seiner Frau den ersten herrlichen Frühling in der schönen Schweiz. Seine frohe Stimmung wurde noch durch die Anwesenheit des damals schon gefeierten Liedercomponisten Kücken erhöht, der zum Besuch in Zürich verweilte. Es diesem gleich zu thun, sowie dieser im Reich des Liedes zu schaffen, war der Wunsch des jungen glücklichen Gatten, der zum Dichten und Gestalten in Tönen immer die frühen Morgenstunden wählte, wie es schon Vater Haydn gethan. So schuf er sieben Lieder, wozu er den Text aus Herloßsohn’s „Buch der Liebe“ entlehnte. Die zur Composition sich eignenden Gedichte trugen als Ueberschrift die Namen: Agathe, Irene, Pauline, Adelheid, Agnes.
In einer wahren Weihestunde – es war am 14. Mai 1842, ist also vor wenigen Tagen fünfundzwanzig Jahr gewesen – hatte Abt [327] das Lied mit der Ueberschrift „Agathe“ componirt, dessen Anfangsstrophe mit den Worten beginnt: „Wenn die Schwalben heimwärts ziehn.“ Er selbst räumte ihm wohl keine Bevorzugung ein, denn wo ist der poetische Schöpfer, der sagen kann: Das ist das Beste, was ich geschaffen! Gerade das, worauf er weniger Werth legt, findet Anerkennung, wie sich dies besonders bei Componisten auffällig gezeigt hat. Vollkommener Beweis ist u. A. Lortzing’s Czarenlied: „Sonst spielt ich mit Scepter, mit Krone und Stern etc.“ In der Generalprobe vor der ersten Aufführung in Leipzig wurde es gestrichen und noch heute müssen in der ersten Violinstimme, welche damals auf dem Notenpult des Concertmeisters David lag, die mit Rothstift geschriebenen Worte zu lesen sein: „Bleibt weg!“ Der damalige Sänger Richter war dies ganz zufrieden: das Lied sei für den rauhen Czar zu weichlich, zu sentimental, es halte nur die Handlung auf. Erst als der Sänger Ziesche in Berlin damit außerordentliches Furore machte, stutzte man und nur nach vielen Demonstrationen des später auf der Leipziger Bühne als Czar gastirenden Baritonisten Scharpff wurde ihm der Vortrag des Czarliedes gestattet. Das Resultat ist weltbekannt.
„Bücher haben ihre Geschichte“ und – auch Lieder. Hatte sich das in Frage stehende Lied von Seiten seines Schöpfers einer Bevorzugung zu erfreuen, so war es die, daß Abt dabei den Tag der Entstehung angemerkt, was ihm sonst nie in den Sinn kam. Singen des Liedes, Auferstehen, Lebendigwerden, der Wunsch ging dadurch in Erfüllung, daß die im Herbst beim Theater in Zürich engagirte erste Sängerin, Fräulein Agathe Reuß, von Abt ein Lied zum Vortrag begehrte. Bei dem Einblick in die Manuscripte wählte sie ohne Zögern das Lied, welches ihren Vornamen trug: Agathe.
Das Lied, trefflich vorgetragen, gefiel und später sang es noch einmal ein Freund des Componisten, Namens Langeloth, der jetzt in Mannheim lebt. Von Liedern eignen sich indeß für die Oeffentlichkeit nur die oberflächlichen und gefälligen, die dem Publicum nichts zu rathen geben, sondern seiner bequemen Genußsucht schmeichelnd entgegen kommen; gute, innig empfundene Lieder müssen eigentlich dem Privatvortrage, dem häuslichen Kreise vorbehalten bleiben. In weite Räume hineingesungen, oft vor ungeweihten Ohren, wird ihnen, wie einem lyrischen Gedicht voll zarter Empfindung, der Duft der Weihe abgestreift. Für sie hat nur das einzelne Gemüth, nur der Familienkreis gleichgestimmter Seelen die nöthige Empfänglichkeit.
Dies Alles erwogen wohl auch die Vortragenden, namentlich Agathe Reuß, später verehelichte Gaudelius, welche vor einigen Jahren zu Altona starb und deren Name mit Achtung vom Componisten genannt wird, denn sie war ja die erste Sängerin seines Schwalbenliedes. Es liegt dieses Gefühl der Achtung tief in jeder Künstlerseele. Gleich wie der Mensch in späteren Tagen so gern seiner ersten Liebe gedenkt, denkt der Dichter an Diejenigen, welche zuerst seinen Schöpfungen Leben einhauchten.
Dichter und Componisten in frischer, frommer Jugendzeit halten jeden kleinen Erfolg für einen Sieg; sie werden kühner in ihren Hoffnungen, Wünschen und Verlangen. Jetzt galt es einen Verleger für die sieben Lieder aufzufinden, einen renommirten Verleger, eine namhafte Musikalienhandlung. Der Componist schickte sie zuerst an Friedrich Hofmeister nach Leipzig. Sie wurden zurückgesendet. Das Manuscript wanderte zu Schott nach Mainz. – Retour. Abt dachte: „Das Wandern ist des Müllers Lust,“ warum nicht auch die eines Liedermanuscriptes, das wiederum gehörig geschnürt und verpackt in die Welt ging. Wenigstens ein halbes Dutzend Briefe mit „ganz ergebener Diener“ gingen anfragend hinaus. Man las die Unterschrift: Abt! – Wer ist denn das? Höchstens kannten die Empfänger Bürger’s Abt von Sanct Gallen, von dem Abt in Zürich aber hatten sie noch keine Silbe gehört. So irrten die sieben Lieder durch Deutschland; man floh sie wie die sieben Todsünden, die Schwalben zogen wieder heimwärts, das heißt: nach Zürich. Nirgends konnten sie ihr Recht finden, weil – der Componist noch keinen Namen hatte.
Da brütete denn der arme Tondichter oft in dumpfer Betäubung so vor sich hin, bis sich endlich Göpel in Stuttgart fand, der die Lieder in sein Sammelwerk „Orpheon“ aufnahm und die „Schwalben“ zuerst veröffentlichte. Weil aber dieses Lied nur in dieser Sammlung und nicht einzeln zu erlangen war, gingen doch ungefähr drei Jahre in’s Land, ehe es sich Bahn brach. Dann aber zog es mit Riesenschritten durch die Welt.
Die berühmte Sängerin v. Marra ließ sich ein Bühnenstück „Angela“ schreiben, in welchem sie das Schwalbenlied als wirksame Einlage benutzte, und noch vor einigen Jahren, als die Wiener Hofopernsängerin Tietjens zu London gastirte, erzählte sie dem in der Themsestadt zum Besuch verweilenden Abt, daß jenes Lied das erste gewesen, welches sie bei Beginn ihrer Studien gesungen habe. – Es war damals das stereotype Lied der Harfenmädchen, es ertönte am Piano im Salon wie aus den Leierkasten und die musikalischen Wanderchöre hielten es fest auf allen Messen und Jahrmärkten.
Schreiber dieser Zeilen erinnert sich noch des Momentes, als zu Leipzig während einer Ostermesse in der Hainstraße die Melodie des Liedes von Meßmusikanten geblasen wurde und zwar nahe an dem Hause, wo der Dichter wohnte. Der gute Herloßsohn suchte zwei Viergroschenstücke aus seiner Westentasche zusammen und senkte sie freudig in das Notenblatt des geldeinsammelnden Clarinettisten. Aus Dankbarkeit wurde das Lied von der Straßencapelle wiederholt und ein wehmüthiger Zug spiegelte sich in des Dichters Antlitz. Er gedachte vielleicht der einsam nächtlichen Stunde, wo er in Erinnerung an ein geliebtes Wesen die Worte auf ein Stückchen Papier niedergeschrieben. Jene Worte, in Töne gekleidet, umkreisten jetzt den Erdball.
Das Schwalbenlied reihte sich in seinen Erfolgen an das berühmte „Marlborough s’en va-t-en guerre“, das bis in das Serail drang und daselbst, auf dem Leierkasten gedreht, die Odalisken ergötzte. Es erinnerte in seinem Weltlauf an Weber’s: „Wir winden dir den Jungfernkranz“, das nach den Wäldern Südamerika’s drang, und wie dereinst Lichtenstein, als er Anfangs dieses Jahrhunderts unter den Hottentotten herumreiste, von Georg Nägeli’s: „Freut euch des Lebens“ überrascht wurde, so auch ertönte das Lied: „Wenn die Schwalben heimwärts zieh’n“ tief in Rußland und Schweden, ja selbst in Californien und Australien. An seinem Sang erkannten sich deutsche Landsleute oder es wurde von Einzelnen zur Erinnerung an das Vaterland angestimmt, denn:
„Stehst Du fern im fremden Lande
Einsam und verlassen da:
Nur ein deutsches Lied gesungen,
Und die Heimath ist Dir nah.“