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Warnung und Trost

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Textdaten
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Autor: Carl Ernst Bock
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Titel: Warnung und Trost
Untertitel:
aus: Die Gartenlaube, Heft 50, S. 791–792
Herausgeber: Ferdinand Stolle
Auflage:
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Erscheinungsdatum: 1861
Verlag: Verlag von Ernst Keil
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Erscheinungsort: Leipzig
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Quelle: Scans bei Commons
Kurzbeschreibung:
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Warnung und Trost.
„Der persönliche Schutz“ und das „stärkende Heilverfahren“ von Laurentius.

Es giebt heutzutage eine große Menge von Gemüthskranken, besonders unter den Jünglingen und jungen Männern, welche sich mit dem unglücklichen Wahne das Leben verbittern, daß ihr Körper in Folge früherer, im jugendlichen Leichtsinn begangener Verstöße gegen ihre Gesundheit für’s ganze Leben total ruinirt sei. Diese Kranken, denen eine beklagenswerthe Scham und Scheu vor gebildeten Aerzten innewohnt, sind fast alle durch solche Bücher in ihren jammervollen und oft zur Verzweiflung führenden Zustand gerathen, welche, nachdem der Leser durch haarsträubende Krankengeschichten in Angst und Schrecken wegen seiner Zukunft versetzt worden ist, ein sicherheilendes, aber geheimes und sehr kostspieliges Arzneimittel empfehlen, was aber stets ein ganz billiges und nichtsnutziges Mixtum ist.

Unter diesen Büchern nehmen „der persönliche Schutz“ und unter jenen Arzneimitteln eine mit Hülfe dieses Buches empfohlene „Kräftigungstinctur“ den obersten Rang ein. Beide werden durch einen Hrn. Laurentius in Leipzig vertrieben, und das Verfahren dabei ist folgendes: Nachdem der arztscheue und verzweifelnde Gemüthskranke jenes Buch (dessen Preis 1 Thlr. 10 Sgr. ist und das zur Zeit in der 24. Auflage existirt) durchstudirt und aus den beigefügten, nur mit Buchstaben unterzeichneten Briefen ersehen hat, daß schon manchem ähnlichen Kranken durch das Laurentius’sche Mittel angeblich geholfen worden ist, wendet er sich schriftlich und, wenn sein Brief nicht unbeantwortet bleiben soll (wie auf der letzten Seite des Buches zu lesen ist), mit Beifügung von 3 Thalern an Hrn. Laurentius. Dieser, früher verarmter Buchhändler und jetzt Particular, läßt nun, wie er im Buche sagt, die Mittheilungen des Kranken der gewissenhaftesten ärztlichen Prüfung (zur Zeit eines Hrn. Rathes und Doctors Schmidt) unterwerfen, und es erhält hierauf sehr bald der Patient von jenem Arzte ein Schreiben, worin dieser außer einigen unbedeutenden ärztlichen Rathschlägen ein tonisches Heilverfahren für ganz unerläßlich erachtet. Dieses kräftigende Verfahren besteht nun darin, daß der Kranke 40 Thlr., aber, wie besondere eingeklebte Zettelchen besagen, lediglich an die bekannte Adresse des Hrn. Laurentius, einschicken muß, um die Kräftigungstinctur zu erhalten. Diese läßt denn auch nicht lange auf sich warten, sie kommt aber von Köthen her und muß nun nach den überschickten, theils gedruckten, theils von Hrn. Laurentius geschriebenen und vom Hrn. Dr. Schmidt unterzeichneten Vorschriften (von denen besonders die 8te sehr eigenthümlicher Art ist) verwendet werden. Schafft sie, wie dies stets der Fall, keine Hülfe und sind dem Patienten immer noch nicht die Augen über das Wesen des stärkenden Heilverfahrens aufgegangen, so thut er abermals den Beutel auf, macht noch eine halbe oder wohl gar eine ganze Periode für 20 oder 40 Thlr. durch und geht schließlich, nachdem er nun um 60 oder 80 Thlr. leichter, aber wegen seines Leidens noch nicht erleichtert ist, doch noch zu einem ordentlichen Arzte, um sich sagen zu lassen, daß er ein – war.

Jene 40thälerige Kräftigungstinctur, die allerdings nichts Schädliches, aber auch keine absonderlichen Stärkungsmittel enthält, kann sich für weniges Geld Jedermann selbst mischen, denn sie besteht hauptsächlich aus Eisen und Chinin. Man bereitet sie auf folgende Weise: Man löst 52 Gran Eisen in 1 Unze Salzsäure auf, erwärmt die Auflösung, setzt so lange Salpetersäure in kleinen Mengen hinzu bis sich alles Eisenchlorür in Chlorid verwandelt hat, und filtrirt. Andererseits löst man 60 Gran schwefelsaures Chinin in der nöthigen Menge verdünnter Schwefelsäure auf, vermischt beide Auflösungen, fügt 40 Unzen ordinären weißen Wein und endlich noch so viel Brunnenwasser hinzu, daß das Ganze 100 Unzen wiegt und hat sich so 40 Thlr. verdient. – Doch giebt es auch noch einen andern Weg, um billiger als für 40 Thlr. und zwar mit Ersparniß von 10 Thlr. zu der ganz echten Kräftigungsarznei zu kommen. Man umgeht nämlich die „bekannte Adresse“ des Hrn. Laurentius und wendet sich sofort an den Hrn. Dr. Schmidt (Carolinenstraße Nr. 3), der thut’s für 30 Thlr., ob aber auch wie Hr. Laurentius von Köthen aus, weiß ich nicht. Schon aus dieser enormen Preisermäßigung läßt sich schließen, wie’s um jenes Geheimmittel stehen muß.

Wer sind denn nun aber, und zwar zuvörderst hinsichtlich ihrer Finanzen, die Kranken, welche sich bei Hrn. Laurentius ärztlichen Rath für schweres Geld holen? In der Regel Solche, die ihre Groschen sauer verdienen müssen und sich oft das Nöthigste absparen, um die Summe für das Laurentius’sche Unheilverfahren zu erübrigen. Und wären sie auch noch so arm, niemals wird ihnen, trotz alles Flehens, von den 40 Thlrn. für die erste achtwöchentliche Periode (d. i. nämlich etwa 3 Maß von obiger Flüssigkeit) ein Groschen abgelassen. Höchstens bei Wiederholung der Cur tritt eine Ermäßigung von 10 Thlr. ein. Wohlhabende gehen äußerst selten in die Falle.

Wie sieht es ferner mit dem Krankheitszustande Derjenigen aus, die dem persönlichen Schutzpatrone in die Hände fallen? Die meisten von ihnen sind kerngesunde Leute, die sich ganz unnützer Weise fortwährend mit Gewissensbissen herum quälen und jedes Zwicken im Rücken oder in den Beinen für den Anfang der Nervenschwindsucht und dergleichen halten. Andere sind in der That in Folge von Jugendsünden entweder in der kräftigen Entwickelung ihres Körpers zurückgeblieben oder werden von Beschwerden heimgesucht, die einem geschwächten Nervensysteme ihre Entstehung verdanken. Aber ein hoffnungsloser Zustand ist das durchaus nicht und am allerwenigsten ein Zustand, bei dem von Arzneien Heil zu erwarten steht. Nur ein richtiges diätetisches Verhalten bringt hier Hülfe, und dieses muß durchaus von einem verständigen Arzte, aber nicht etwa brieflich, ohne den Kranken gesehen zu haben, sondern erst nach genauer Untersuchung desselben angeordnet werden.

Nur ganz im Allgemeinen lassen sich folgende Rathschläge ertheilen. Zuvörderst muß natürlich Patient von Schwächungen und Reizungen aller Art absehen, und dahin gehört auch der Mißbrauch [792] des kalten Wassers (in Gestalt von Sitzbädern, Uebergießungen, Abreibungen etc.), sowie der Genuß spirituöser und nervenerregender Getränke (starken Kaffees und Thees). Sodann ist die Kräftigung des Nervensystems durch richtige Ernährung seiner Masse mit Hülfe von passender reizloser, kräftiger Nahrung (ganz besonders durch fette Milch), reiner Luft und Wärme (warmer Bäder) zu erstreben. Was die Körperbewegung betrifft, so kann eine angestrengtere recht leicht schaden, wenn Patient schwach von Musculatur und arm an Blute ist; ebenso verlangt auch die geistige Arbeit eine zweckmäßige Regulirung, und diese versteht nur der Arzt nach dem betreffenden Krankheitszustande einzurichten. Vor allen Dingen suche sich Patient aber aus seinem Trübsinn zu reißen und eine heitere Gemüthsstimmung zu gewinnen.

Den zu häufigen nächtlichen Störungen läßt sich dadurch begegnen, daß man nicht spät Abends, sondern bei Zeiten ißt und trinkt, nur gehörig müde und schläfrig, aber wo möglich zeitig in’s Bette geht, auf hartem, kühlem Lager (mit fester Matratze oder Strohsack und leichter Decke) und nicht auf dem Rücken schläft, das Schlafzimmer den Tag über ordentlich lüftet, zeitig und gleich nach dem Erwachen aufsteht oder sich gewöhnt (durch Gewecktwerden), in der Nacht zu bestimmter Zeit aufzuwachen, um zu uriniren. Der Verdauungsproceß muß stets in Ordnung erhalten werden.

Und nun noch die Bitte: man lasse mich doch endlich einmal mit Anfragen nach dem Laurentius’schen Heilverfahren und mit dem Verlangen nach ärztlichem Rathe auf bloße briefliche Mittheilungen hin in Ruhe.

Bock.