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Vorrede (Jahrbücher des Deutschen Reichs unter dem sächsischen Hause)

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Textdaten
Autor: Leopold Ranke
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Titel: Vorrede
Untertitel:
aus: Jahrbücher des Deutschen Reichs unter dem sächsischen Hause. 1. Band. 1. Abt. 1837, S. V-XII
Herausgeber:
Auflage:
Entstehungsdatum: 30. November 1836
Erscheinungsdatum: 1837
Verlag: Duncker und Humblot
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Erscheinungsort: Berlin
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Originalherkunft:
Quelle: Google, Kopie auf Commons
Kurzbeschreibung:
Nochmals abgedruckt in der dritten Auflage der Waitz'schen Jahrbücher, Leipzig 1885, S. VIII-XII
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[V]

Vorrede.

Eine jede Schrift, nicht allein ihr Werth und ihre Bedeutung, sondern in gewissem Sinne ihr Dasein selbst beruht auf dem Verhältniß zwischen Subject und Object, zwischen dem Verfasser und seinem Gegenstand. Wie alle Kritik zuletzt die Aufgabe haben wird dies Verhältniß zur Anschauung zu bringen, so sind in der Regel schon die Vorreden bestimmt es anzudeuten, direct oder indirect auszusprechen.

Indem ich eine Arbeit in dem Publicum einführe, die von mehreren jungen Männern hauptsächlich auf meine Veranlassung unternommen worden ist, habe ich wohl die Verpflichtung sowohl von dem einen als von dem andern, sowohl von dem Gegenstand als von den Verfassern ein Wort vorauszuschicken.

Jedermann weiß, wäre es auch nur durch den Meßcatalog, wie viel in unserer Deutschen Geschichte gearbeitet wird. Alle Bibliotheken und Archive werden durchsucht, nicht allein neue Urkunden in großer Zahl, sondern auch dann und wann neue [VI] Quellenschriften zu Tage gefördert: eine allgemeine kritische Sammlung der Denkmale unserer Geschichte ist in Gedeihen und Fortschreiten: eine Menge einzelner Untersuchungen über mehr oder minder wichtige Fragen sind in Gang gebracht; vornehmlich hat diese Thätigkeit, wiewohl zunächst durch die allgemein vaterländischen Tendenzen der Freiheitskriege angeregt, doch vermöge einer besondern Eigenthümlichkeit des Deutschen Wesens eine Richtung auf das Locale und Provinzielle genommen: allenthalben haben sich Vereine für die Erforschung der Geschichte und der Alterthümer einzelner Landschaften gebildet, wo sie über ungemeine Kräfte gebieten; das Studium der Deutschen Sprache und Literatur, das erst seit Kurzem eine wissenschaftliche Grundlage empfangen, bildet ein belebendes und in allen Richtungen förderndes Element; so geschieht es, daß der durch die Bemühungen früherer Epochen zusammengebrachte Stoff sich täglich vermehrt.

Da ist es nun, wie man mir gern zugeben wird, nothwendig von Zeit zu Zeit stille zu stehn und wenn nicht das Ganze — was eine beinahe übermenschliche Ausdauer und Anstrengung erfordern würde — doch eine oder die andere Periode mit frischem Eifer zu revidiren, ihre Geschichte in jedem ihrer Momente nach den neu aufgefundenen Ergebnissen oder nach dem Standpunkte, auf den uns die heutige Forschung stellt, umzuarbeiten.

Vor allen andern ist aber ohne Zweifel der Zeitraum unserer alten Könige und Kaiser aus dem Sächsischen Hause einer solchen Durcharbeitung bedürftig. Eine Epoche welche für die [VII] Bildung und Weltstellung des Deutschen Reiches eine unermeßliche Bedeutung hat. Wer kann in Norddeutschland wohnen, wer kann nur den Harz bereisen ohne bei jedem Schritte an dies mächtige Geschlecht erinnert zu werden. Aber großentheils ist demselben auch die Vereinigung aller Deutschen Stämme zu Einem Reiche und dessen Verbindung mit Italien zuzuschreiben. Für uns Norddeutsche fällt an dieser Stelle das totale einheimische Interesse mit einem allgemein Deutschen, ja welthistorischen unmittelbar zusammen. Dennoch ist diese Epoche weder früher von den Reichshistorikern noch auch in neuerer Zeit einer abgesonderten, sie zusammenfassenden Bearbeitung gewürdigt worden.

So wie man aber an ein solches Werk geht, so zeigt sich auch, wie schwer es ist. Von den allgemeinen Gesichtspunkten und Ideen, die dem Fleiße seinen innern Antrieb geben, wird man sehr bald auf die speciellsten, gerade heraus zu sagen, trockensten Untersuchungen verwiesen. Ueber Otto den Großen sind wir wohl von aufmerksamen und fähigen Zeitgenossen mit einiger Ausführlichkeit und Zuverlässigkeit unterrichtet, obgleich auch da noch unendlich viel zu untersuchen bleibt; aber nicht allein über den Vater, sondern auch über den Sohn und den Enkel dieses Kaisers und ihre Zeit finden wir trotz so viel emsiger Nachforschungen nur fragmentarische Nachrichten, an sich selbst dürftig und von zweifelhaftem Werth, überdieß lückenhaft, abgerissen und unter einander in Widerspruch. Es wäre unzulässig und unfruchtbar, Nachrichten dieser Art ohne Weiteres zu allgemeinen Combinationen zu benutzen. Fürs erste ist unstreitig [VIII] eine kritisch haltbare Zusammenstellung derselben, eine fortlaufende Sichtung des Ueberlieferten zu unternehmen. Führt eine solche auch nicht überall, ja vielleicht seltener als man glauben sollte, zu unbezweifelten Ergebnissen, so ist es doch schon ein Gewinn dieß zu erfahren, zu sehen wie weit unsere Kenntniß reicht und wieviel uns doch eigentlich unbekannt ist. Vielleicht wird uns eine glückliche Entdeckung einmal unerwartet weiter bringen. Auf jeden Fall kann eine allgemeine Ansicht über die Wirksamkeit dieser Fürsten nur auf einer genauen Ergründung der einzelnen Momente beruhen.

Eben diese Ergründung und Durchforschung ist es nun was wir hier beabsichtigen. Persönlich gefaßt und subjectiv hat dieß Unternehmen folgenden Ursprung.

Ein Universitätslehrer wird sehr bald gewahr, daß er zwei verschiedene Classen von Zuhörern vor sich hat: Solche die sich zu ihrer Bildung oder um ihrer künftigen Laufbahn willen die Wissenschaft im allgemeinen anzueignen, sich darin zu befestigen suchen, und Andere welche Neigung haben und Beruf in sich fühlen an der Fortbildung der Wissenschaft einmal selber thätigen Antheil zu nehmen. Die Vorlesungen nun können, dünkt mich, sehr wohl für Beide zugleich eingerichtet sein. Auch den Ersten ist es nützlich von dem Apparat der Gelehrsamkeit, der erforschenden Thätigkeit einen Begriff zu bekommen; für die Zweiten ist es nothwendig die Totalität ihrer Disciplin einmal zu überschauen, um sich nicht von vorn herein in dem Detail einzelner Untersuchungen zu verlieren: Beiden kann es nicht anders als förderlich werden, sey es die folgerichtige Entwickelung [IX] des Gedankens oder die innerlich zusammenhängende Darstellung der Thatsachen, die sich vor ihren Augen vollziehen soll, aufmerksam zu begleiten. Jedoch reichen die Vorlesungen nicht vollkommen aus. Namentlich für die zweite, so viel minder zahlreiche Classe ist noch eine nähere Einführung in die eigentlich gelehrte Seite, Anleitung zu eigener Thätigkeit wünschenswürdig, wie man denn auch seit geraumer Zeit bald in den Seminarien unter öffentlicher Autorität, bald aus persönlichem Antrieb in freien Uebungen hierauf Bedacht genommen hat.

Auch mir hat es seit dem Beginn meiner Universitätswirksamkeit Vergnügen gemacht historische Uebungen anzustellen. Mehr als einmal hatte ich das Glück junge Männer von Talent und Eifer daran Antheil nehmen zu sehen. Allmählig giengen Arbeiten ein, welche selbst nicht ohne eine gewisse Bedeutung für die Gelehrsamkeit waren, schwierige Punkte auf eine neue Weise beleuchteten, und indem sie die bisherige Kenntniß erweiterten, wohl nicht unwürdig gewesen wären dem gelehrten Publicum vorgelegt zu werden. Jedoch konnte ich mich nicht entschließen, zur Herausgabe zerstreuter Aufsätze mitzuwirken. Der Ehrgeiz, der sich mit einer ersten Schrift, mit dem Eintritt in die literarische Welt verbindet, muß auf einen würdigen und bedeutenden Gegenstand gerichtet werden. Auch schien es mir rathsamer die gemeinschaftliche Bearbeitung eines größern Werkes, wodurch zugleich etwas Wesentliches geleistet, wie wir Deutsche uns ausdrücken, vielleicht eine Lücke ausgefüllt würde, zu veranlassen, als nur etwa eine Probe unserer Thätigkeit zu geben, woran der Welt wenig liegen konnte. Es kam [X] nur darauf an, einen geeigneten Stoff zu finden, an welchem sich zugleich Mehrere in freier Verbindung versuchen könnten. Auch ein solcher bot sich uns gleichsam von selbst dar.

Die philosophische Facultät der Universität Berlin stellte im Jahre 1834 auf meine Veranlassung eine historische Preisfrage über das Leben und die Thaten König Heinrichs I. Mehrere Mitglieder unserer Gesellschaft bewarben sich darum. Einem von ihnen ward der Preis zu Theil, doch auch unter den übrigen Arbeiten gab es sehr anerkennungswerthe: eine andere erhielt das Accessit[1]. Im Ganzen fielen diese Versuche über Erwarten gut aus.

Hierauf machte ich nun den vorgerücktern Mitgliedern der Gesellschaft, die schon nahe daran waren die Universität zu verlassen und dieß seitdem beinahe sammtlich gethan haben, die sich auch bereits entweder an der Preisfrage selbst oder doch an verwandten Stoffen versucht hatten, den Vorschlag ihren Fleiß nicht länger zu zerstreuen, sondern eine gemeinschaftliche Bearbeitung des Sächsischen Zeitraums zu unternehmen. Herr Waitz, dem der Preis zuerkannt worden, wollte seine Schrift über Heinrich I zu dem Ende Deutsch umarbeiten; von den Uebrigen übernahm ein Jeder die Bearbeitung Einer Regierung. Nur die Geschichte Ottos des Großen fanden wir zu umfassend, als daß sie Einem allein hätte anvertraut werden können; sie ward nach den zwei Perioden in die sie zerfällt, vor und nach dem ersten italienischen Zuge, zwei Bearbeitern aufgetragen. Einige Unfälle und Widerwärtigkeiten gab es auch hier, doch kamen wir darüber hinweg. Dann ward muthig an das Werk gegangen; [XI] alle Arbeiten wurden wechselseitiger Durchsicht und Beurtheilung unterworfen; wenigstens so viel darf ich versichern, daß es an Eifer und Fleiß nicht gefehlt hat.

Unsere Absicht konnte nun aber nicht seyn eine eigentliche Geschichte dieses Zeitraums zu Stande zu bringen. Die Beschaffenheit der Quellen macht dieß, wie gesagt, an und für sich außerordentlich schwierig, unmöglich aber wäre es für sechs junge Männer, zwar von gleichem Bestreben, aber doch von verschiedenartigem Geist. Wir haben daher diesen Anspruch auch gleich auf dem Titel vermieden. Unsere Absicht geht lediglich auf jene kritische Durcharbeitung und Sichtung der vorhandenen Nachrichten, die, wie berührt, hier ohnehin das zunächst Nothwendige ist, auf die Feststellung der Thatsachen nach ihrer chronologischen Folge. Eine solche ließ sich auch durch Verschiedene erreichen.

Und so treten wir denn mit der ersten Abtheilung, mit jener von der philosophischen Facultät gekrönten Arbeit von G. Waitz[2] über die Regierung Heinrichs I hervor. Wir hatten die Absicht ihr eine Abhandlung über die frühern Besitzthümer und das territoriale Emporkommen des Ludolfinischen Geschlechtes [3] voranzuschicken; aber das Hauptwerk, auf welches eine Erörterung dieser Entwicklung zu gründen wäre, Falke's Codex traditionum Corbejensium[4], hat sich so unzuverlässig erwiesen, daß wir ehe wir der Sache noch anders beigekommen sind, nicht mehr darauf zu bauen wagen. Ueberhaupt haben alle diese Corveyischen Schriften unsere Aufmerksamkeit viel beschäftigt. Eine ausführliche Kritik derselben, namentlich des Chronicon Corbejense, [XII] wird in den, Beilagen erscheinen[5]. Dann werden die Kenner beurtheilen, ob wir mit Recht oder mit Unrecht uns enthalten haben es zu benutzen.

In dem ersten Bande wird noch die Geschichte Ottos I, in dem zweiten die Geschichte der drei übrigen Sächsischen Kaiser abgehandelt werden: die berührte Beilage wird eine Kritik sämmtlicher Quellen enthalten.

Ich brauche kaum ausdrücklich zu versichern, da es die Arbeiten selbst zeigen werden, daß sie mit vollkommener Selbständigkeit verfaßt sind. Ich bin nicht gesonnen, alle Behauptungen oder gar alle Urtheile, die darin vorkommen, zu unterschreiben: aber eben so entfernt bin ich auch, mir das Lob anzumaaßen, das die Verfasser verdienen möchten. Jeder Lehrer weiß, daß das Beste was er leistet doch nur in einem indirecten Einflusse besieht, bei dem ein glückliches Naturell und eine eigenthümliche wissenschaftliche Richtung den freiesten Spielraum behalten.

Uebrigens ist die Arbeit in jedem Theile im besten Zuge. Möge uns zur Vollendung derselben die Gunst des Publicums nicht fehlen.

30 Nov. 1836.

L. Ranke.

Anmerkungen (Wikisource)

  1. „Bei wissenschaftlichen Preisbewerbungen erhält die Arbeit das Accessit, welche der preiswürdigen als zunächst stehend erklärt wird.“ Herders Conversations-Lexikon. Freiburg im Breisgau 1854, Band 1, S. 26.
  2. Georg Waitz
  3. Liudolfinger
  4. Johann Friedrich Falke: Codex Traditionum Corbeiensium, Leipzig 1752
  5. Siegfried Hirsch und Georg Waitz, Kritische Prüfung der Echtheit und des historischen Werthes des Chronicon Corbejense, Berlin 1839.