Vom Kaukasus zum Persischen Meerbusen/Babylon
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Babylon.
Die alten Bewässerungskanäle. Khan Mahmudiysch. Die Koloquinte und die Hämmel. Die Ebene. Khan Mahauil. Babil. Die Prophezeiung des Jeremias. El Kasr. Amran. Verschwinden Babylons. Hilleh. Die Gärten von Hilleh und der veränderte Lauf des Euphrat. Birs-Nimrud. Der Nahr-Hindyeh. Ibrahim-Khalil. Rückkehr nach Baghdad.
Kaum waren wir angenommen, so veranstalteten wir auch schon einen Ausflug nach Babylon. Einer der Patres und der Chorbischof Basilius (den wir von Rom aus kannten) begleiteten uns.
Von Baghdad nach Hilleh führt der immer südlich gehende Weg durch eine Ebene, die außerordentlich fruchtbar wäre, wenn die alten Bewässerungskanäle, deren Spuren man an manchen Orten verfolgen kann, noch im Betrieb wären. Gewöhnlich lag der Boden dieser Kanäle über der Erde und die Wände waren hohe Dämme, wodurch die Öffnung der Abzugskanäle außerordentlich leicht wurde. Diese Art der Kanaleinrichtung ist noch in Italien gebräuchlich, besonders in der Umgegend von Pisa.
Dem Anscheine nach könnte man mit sehr wenig Mühe die Mehrzahl dieser alten Kanäle in Stand setzen und so der Landwirtschaft wieder ganze Provinzen öffnen.
Wir nahmen ein Nachtlager im Khan Mahmudiysch, um den sich einige Häuser erheben. Diese Station auf dem Wege nach Kerbela ist sehr besucht.
Die arabischen Katerdschis sind hinsichtlich ihrer Langsamkeit hundertmal schlimmer als die kurdischen.
Das Wetter war herrlich; obwohl die Luft während des ganzen Tages kalt blieb, so übten doch die Sonnenstrahlen eine durchdringende Wirkung aus.
Die Ebene ist mit kriechenden Koloquinten bedeckt; zu meinem großen Erstaunen sah ich, wie die Schafe die weichern Teile dieser schrecklich bittern und giftigen Melone verzehrten.[1]
Diese Hämmel sind überhaupt merkwürdig; sie sind klein von Gestalt, besitzen aber als Ersatz übermäßig große Ohren, so daß sie beim Weiden diese unschönen Anhängsel ungefähr zehn Zentimeter über den Boden schleppen.
In der Ebene sieht man zuweilen einmal eine Antilope, sowie bei den Sümpfen Pelikane und Kraniche. Gegen Abend bot sich uns das Schauspiel, einen außerordentlich großen Zug Vögel zu sehen, die sich in der Ferne damit belustigten, tausend verschiedene Bogen zu beschreiben, so daß sie bei jedem Wechsel der Richtung in dem Sonnenlichte metallisch glänzten. Während des ganzen Nachmittags brachte die Sonne an der einförmigen Oberfläche der Wüste fortgesetzt Luftspiegelungen hervor.
Gegen vier Uhr erreichten wir den Khan Mahauil, den ein Palmenbusch umgiebt und der nahe an einem alten, tiefen Bewässerungskanal liegt. Dieser Kanal ist ausnahmsweise in der Erde ausgehöhlt.
Der Khan ist wie die meisten auf dem Wege von Baghdad zu den schiitischen Heiligtümern von Kerbela und Mesched-’Ali von einigen großmütigen Personen erbaut worden. Er hat die Form eines Rechtecks; von außen ist er einer Festung ähnlich, da er keine Öffnung hat als den großen Eintrittsportikus, der von einem Turme überragt wird.
Durch diesen Portikus gelangt man in einen großen Hof, den die Logierräume des Khans vollständig umgeben. Die Logierräume für den Sommer liegen an dem Hofe selbst. Es sind Nischen, Hütten, die nach vorne zu offen sind. Gewöhnlich sind sie drei Meter breit und auch eben so tief; sie liegen ein Meter über dem Boden und endigen in Spitzbogen.
Zwischen diesen Hütten und den äußeren Mauern liegen die Logierräume für den Winter und die Ställe. Das Ganze besteht aus einem großen Korridor, welcher der Länge nach den Khan durchzieht und einige Luftlöcher in dem Gewölbe hat. Der Korridor selbst dient auch als Stall und hat an beiden Seiten Nischen, die denen des Hofes ähnlich sind. Freilich ist es ein wenig dunkel hier, aber es ist warm, und dies Obdach wäre ganz gut. Wenn nur die nach Mesched-’Ali reisenden Pilger keinen solchen Heidenlärm verursachten. Der ganze Khan zeigt einen strengen Stil, aber doch einen guten Geschmack seitens seiner Erbauer.
Eine Stunde ungefähr nachdem wir den Khan verlassen hatten, kamen wir am Fuße des Tell-el-Kreni, eines ziemlich bedeutenden Hügels, der viel durchforscht ist, vorbei. Bald bemerkten wir einen großen Schutthaufen, einen wahren Hügel. Auf einmal rief Hyvernat: „Hier ist Babylon! Wir gehen schon länger als zwei Stunden an den Ruinen Babylons vorbei.“ Wir glaubten, er wolle sich mit uns einen Scherz erlauben und fragten, wo wir denn auch nur die Spur einer Ruine, seitdem wir Tell-el-Kreni passiert hatten, gesehen hätten.
Und dennoch hatte Hyvernat recht – wir aber dachten an die Prophezeiung des Jeremias: „Unter der Last des göttlichen Zornes wird Babylon keine Einwohner mehr haben; es wird in eine Einöde umgewandelt werden; wer immer nach Babylon kommen wird, wird von Staunen ergriffen werden und über das Unglück lachen.“ (L. 13) „Und Babylon wird nur aus Gräbern bestehen; es wird die Wohnung wilder Tiere werden, erstaunen wird man über sie und spotten, weil die Stadt keine Einwohner mehr haben wird.“ (LI. 37).
Es ist unbegreiflich, daß von dieser außerordentlich großen Stadt, deren Wälle eine wirkliche Provinz einschlossen, die ungefähr 500 Quadratkilometer groß war (also beinahe viermal so groß als die Bodenfläche Londons), nur so wenig übrig geblieben ist; die Sache wird erklärlich, wenn man bedenkt, daß die Häuser der Armen aus Erde gebaut waren und deshalb leicht zusammenfielen; der Euphrat aber, den kein Damm später mehr in seinen Ufern zurückhielt, wird durch seine Überschwemmungen bald das Ganze geebnet haben; bloß die Paläste, die auf ihren künstlich angelegten Hügeln standen, blieben von dem Wasser verschont; allmählich aber fielen auch sie in Trümmer und bildeten die heute noch sichtbaren Hügel.
Der erste dieser Hügel, Babil, ist ein sehr großer Schutthaufen, der ohne Zweifel die Trümmer des Tempels oder der Pyramide des Belus deckt. Man sieht daselbst noch einige Mauerstücke, besonders solche, die die Ecken eines großen Saales bildeten, wahrscheinlich des Zentral-Saales.
Die Ziegelsteine, die wir fanden, trugen das Siegel Nabuchodonosors, sie sind würfelförmig und ungefähr zweimal so dick wie unsere modernen Ziegel. In diesem Bauwerk waren sie mit Asphalt verkittet; da aber der reine Asphalt nicht widerstandsfähig genug war, so hat man auf die Asphaltschicht noch eine Matte oder eine Lage von Rohr oder Palmfasern gelegt. Wir sahen eine solche Matte auf einem Teil einer frisch eingestürzten Mauer.
Um elf Uhr verließen wir diese Ruinen, wo jeder interessante Gegenstand seit Jahrhunderten schon verschwunden ist, und die nichts Anziehendes haben als ihre unsagbare Melancholie und die Erinnerungen, die sie wecken.
El Kasr ist ein anderer Hügel benannt, der die Trümmer eines Palastes Nabuchodonosors enthält; hier starb Alexander der Große (323); etwas weiter befindet sich der Hügel Amran, wohin man die hängenden Gärten verlegt. Dies ist alles, was von Babylon geblieben ist. Ganz gewiß kann man beim Besuchen dieser Schutthaufen von der Eitelkeit der menschlichen Dinge reden, wenn man bedenkt, welche riesenhafte Bauwerke der eiserne Wille und der Hochmut eines einzigen Menschen, Nabuchodonosors, hier aufgeführt hatten.
Das durch die Propheten verfluchte Babylon fiel nicht wie Ninive durch eine barbarische Eroberung. Es starb gleichsam eines langsames Todes. Nachdem Cyrus sich der Stadt im Jahre 538 bemächtigt hatte, verschonte er Stadt und Einwohner. Den ersten tiefgehenden Schlag versetzte Xerres 518 der Stadt, als er, um eine Empörung der Babylonier zu dämpfen, die Wälle zerstören und viele Einwohner umbringen ließ. Alexander wollte Babylon zur Hauptstadt der Welt machen; aber sein daselbst erfolgter Tod wurde das Signal zur endgültigen Zerstörung der Stadt; denn die Seleuciden bauten ihre Hauptstadt Seleucia an den Tigris, einige Stunden nördlich von Babylon.
Eine Wohnung der alten Hauptstadt wurde nach der andern verlassen. Da die Einwohner nach einander und aus freiem willen Babylon verließen, so nahmen sie auch ihre Reichtümer mit, wodurch es sich auch erklärt, daß die Nachgrabungen bis heute nur eine verhältnismäßig geringe Anzahl interessanter Gegenstände zu Tage gefördert hat.
Ich will keine Beschreibung dieser ungeheuer großen Stadt versuchen, weil diese archäologische Arbeit bereits von andern geliefert worden ist, und ich ziehe es deshalb vor, den Leser auf die Beschreibung der Ausgrabungen zu verweisen.[2]
Große Wälder von Palmbäumen fassen die Ufer des Euphrat nach dem Verlassen des Hügels El Kasr ein. Bei Hilleh bilden sie eine reizende Oase.
Hilleh liegt auf dem rechten Ufer des Euphrat; die Ziegel der Paläste des großen Königs Nabuchodonosor, des Königs der Könige, haben beinahe alles Material zum Bau der Stadt geliefert, und man kann daselbst Zimmer sehen, deren Parkettplatten oft großartig den pompösen Titel des babylonischen Monarchen ankündigen.[3]
Hilleh ist eine interessante Stadt, besonders durch den regen Verkehr, der in den Bazars herrscht. Hier ist der Eingang zur großen arabischen Wüste; deshalb ist Hilleh eine Grenzstadt in des Wortes eigenster Bedeutung, wo die seßhaften und nomadischen Araber zusammenstoßen, und wo der türkische Beamte höchst ungern gesehen wird. Die Stadt hat 6000 bis 8000 Häuser.[4]
Hilleh ist von großen, fruchtbaren Gärten umgeben, deren Existenz heute aber leider in Frage gestellt ist. Um sich Babylons zu bemächtigen, leitete Cyrus den Euphrat für kurze Zeit in den Kanal von Hindiyeh; seit drei Jahren aber ist das Wasser des Flusses wieder in den Kanal geleitet, so daß der eigentliche Euphrat um die Hälfte kleiner geworden ist. Selbstverständlich hat die türkische Regierung keine Eile, um den Fluß in sein Bett zurückzuweisen. Je länger damit aber gewartet wird, um so schwieriger wird das Unternehmen. Ich würde mich gar nicht wundern, wenn Hilleh allmählich mehr und mehr an Bedeutung verlieren und verschwinden würde, wie Kufa und noch viele andere Städte dieser Gegend verschwunden sind.
Ausflug nach Birs-Nimrud. Von Hilleh aus bedarf es eines Marsches von zwei guten Stunden um Birs-Nimrud zu erreichen, das von weitem schon am Horizonte der einförmigen Ebene sich kühn abhebt.
Birs-Nimrud ist das alte Borsippa ; seine Ruinen bilden zwei große Hügel mit achteckiger Grundfläsche. Der eine scheint ehemals ein außerordentlich großer Palast gewesen zu sein; heute nimmt eine kleine Moschee – Ibrahim Khalil – die Spitze dieses Trümmerhügels ein.
Der andere Hügel trug den berühmten Turm von Borsippa, eines der ältesten Baudenkmäler Chaldäas, in dem man die Ruinen des biblischen, babylonischen Turmes erblicken will. Nabuchodonosor hat in Keilschrift das Geschichtliche dieses Turmes und die Beschreibung der riesenhaften Arbeiten hinterlassen, die er ausführen ließ, um ihn aus den Trümmern zu erheben und ihm neuen Glanz zu verleihen.
Eine Böschung von erdigem Schutt hat einen großen Teil der Mauern bloß gelegt, welche die ersten lagen dieses stufenförmig aufgebauten Turmes bilden. Auf der Spitze dieser Böschung erhebt sich ein großes, außerordentlich dickes Mauerstück, das ungefähr zehn Meter hoch ist. Diese Mauer ist aus gebrannten Ziegeln aufgeführt, die aber nicht mit Asphalt, sondern mit Mörtel verbunden sind.[5]
Am Fuße dieses Mauerwerks befindet sich eine Anhäufung von Felsen, die sich bei näherer Untersuchung als Bruchstücke von Mauern darstellen, die dem Anscheine nach eine gewaltige Feuersbrunst ausgehalten haben. Die Ziegel sind, ohne das geringste Zeichen eines Sprunges, vollständig gedreht und scheinen geschmolzen zu sein. Ein großer Teil von ihnen ist an der Außenfläche mit einem gewissen Firnis bedeckt. Hyvernat wollte darin auch die Wirkung der Feuersbrunst sehen; ich dagegen kann nicht glauben, daß eine auch noch so starke Feuersbrunst solche Massen von Ziegeln schmelzen kann, sondern ich bin eher geneigt anzunehmen, daß es von dem Einwirken des Blitzes herrührt, der mit Vorliebe die Spitze von Birs-Nimrud sich aussucht.
Bei dem Durchwandern der Ruinen störten wir einen Schakal auf, der aber schleunigst sein Heil in der Wüste suchte, wohin wir ihm noch einige Flintenschüsse nachsandten.
Zum Frühstück ließen wir uns am Ufer des Sumpfes nieder. Der Wechsel in der Richtung des Euphrat hat die Ausdehnung des Sumpfes bedeutend vergrößert, so daß es unmöglich geworden ist, sich direkt von Birs nach Kerbela zu begeben.
Heute beginnt der Sumpf kaum zweihundert Meter von den Ruinen. Vor der Expedition Chesneys war der Nahr-Hindiyeh nicht einmal fünf Meilen lang und seine Ufer waren sieben Meilen von Birs-Nimrud entfernt. Seine Tiefe ist gering, denn einer unserer Führer ging ungefähr ein Kilometer weit hinein – ohne daß ihm das Wasser bis zum Gürtel reichte – um einen Vogel zu holen, den ich verwundet hatte.
Bei dem Besuche des Hügels Ibrahim-Khalil fanden wir das Skelett des Imams des Ortes, der vor drei Jahren ermordet worden war. Die Leiche war von den Schakalen, diesen Totengräbern der Wüste, bis auf die Mischen abgenagt, aber der Schädel war noch gut erhalten, weshalb ich denselben als ein Andenken an den babylonischen Turm mitnahm.
Die Rückreise nach Baghdad ging ohne Hindernis am 18. und 19. Januar vor sich.
- ↑ Ich fragte mich bei Abfassung des Buches noch, ob ich mich nicht getäuscht hätte; dies ist aber ausgeschlossen, da mein Reisejournal vollständig zuverlässig ist.
- ↑ Vergl. Rich, Memoires on the ruins of B. (London 1839) Layard, Discoveries in the Ruins of Niniveh and B. (London 1853) Oppert, Expédition en Mésopamie (Paris 1857–64) Kiepert, Karte der Ruinenfelder von Babylonien (Berlin 1883). Anmerkung des Übersetzers: Besonders empfehlenswert ist die Schrift „Assyrien und Babylonien“ von Dr. Fr. Kaulen. XII u. 286 S. Preis 4 Mark. Freiburg, Herder.
- ↑ Beinahe alle Ziegel tragen die Inschrift:
„Nabu-Kudur-usur, König von Babylon, Erbauer der Pyramide und des Turmes, ich König von Babylon.“ Oppert, Bd. I, 142.
Die Größe dieser Ziegel ist 0,32 : 0,35 : 0,075 m. - ↑ Hilleh, arabisch Hellath-el-feitha (das weite Hellath) wurde von Seiffeddaulet gegen das Jahr 1100 gegründet. Vor dem Ausbruch der Pest 1831, die große Verheerungen anrichtete, zählte die Stadt 30000 Einwohner. (Oppert).
- ↑ Strabo giebt diesem Stufentempel eine Höhe von einem Stadium (185 Meter) und auch dieselbe Länge. Nach Flandrin und Coste hat die Grundfläche eine Ausdehnung von 154 x 194 Metern. Betreffs der gegenwärtigen Höhe der Ruinen sind die Forscher selbst nicht einig. Lenormand (V. 295) und Rich nehmen 71 Meter, Flandrin und Coste 70½ Meter Höhe an, während Oppert sie nur auf 46 Meter schätzt. Das große Stück Mauer ist von einer Strecke zur andern von horizontalen Löchern, die eine Größe von 0,22 x 0,12 Meter haben, durchbohrt. Der Zweck dieser Löcher ist bis jetzt noch nicht bekannt.