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Volkswitz in der Sprache

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Textdaten
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Autor: Dr. Söhns
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Titel: Volkswitz in der Sprache
Untertitel:
aus: Die Gartenlaube, Heft 7, S. 224, 226
Herausgeber: Adolf Kröner
Auflage:
Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1890
Verlag: Ernst Keil’s Nachfolger in Leipzig
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Erscheinungsort: Leipzig
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Originalherkunft:
Quelle: Scans bei Commons
Kurzbeschreibung:
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Volkswitz in der Sprache.

Daß sich der Volkswitz von jeher besonders gern in allerlei theils gelehrten, theils ungelehrten, theils gesuchten, theils ungesuchten Wortverdrehungen ergangen hat, ist bekannt: schon Fischart, Hans Sachs, Martin Luther und besonders der von Schiller in der Wallensteinschen Kapuzinerpredigt nachgeahmte Ulrich Megerle, genannt Abraham a Santa Clara, haben darin Hervorragendes geleistet. Da wurde „Alchimisterei“ zu „Allkühmisterei“ gewandelt, „Philosophus“ zu „Philosaufaus“, die „Xanthippe“ sehr hübsch zur „Zanktippe“, der „Notar“ zum „Notnarr“, das „Fundament“ zu „Untenamend“, die „Provision“ oder „Profession“ zur „Brotfression“, der „Professor“ zum „Brotfresser“ und der „Jesuiter“ endlich zum „Jesuwider“.

Spätere Zeiten haben diese Verdrehungswitzeleien wacker fortgesetzt. Da wurde die „Cigarre“ zur „Zieh-jarre“, der „Potsdamer“ zum „Potsdämlichen“, der „Civilverdienstorden“ zum „Zuvielverdienstorden“, die „Aprikose“ zur „Appelkose“, das „Räucherkerzchen“ zum „Räucherkätzchen“, „radikal“ zu „rattenkahl“, „Tribüne“ sehr anschanlich zur „Treppine“, der „Trainsoldat“ zum „Tränksoldat“, „Janitscharenmusik“ zur „ganzen Scharenumsik“, „Gasbeleuchtung“ zur „Gassenbeleuchtung“, der „Kanarienvogel“ zum „Kanaillenvogel“, der „Apotheker“ zum „Abdecker“, der „Rentier“ zum „Rennthier“, die „Gouvernante“ hübsch zur „Jungfer Nante“, der „Dragoner“ zum „Trojaner“, „Champagner“ zu „Schlampagner“, „Rheumamatismus“ sehr gut zum „Reißmatismus“, „Rothkehlchen“ zum „Rothkäthchen“, das „Bologneserhündchen“ zum „Polonaisenhündchen“, die „mediceische“ Venus zur „medicinischen“, die thüringische Stadt „Apolda“ zu „Apollo“ (in dem bekannten Studentenliede vom Knaster, „den uns Apollo präparirt“), die „Frieden von Nymwegen und Ryswyk“ zu Frieden von „Nimmweg und Reißweg“, der Sieg bei Le Mans zum großen Siege bei „Lehmanns“ und endlich der „Koloradokäfer“ zum „Kohlrabikäfer“. Und von welchen Ungeheuerlichkeiten könnte erst der Apothekenbeflissene erzählen! Was fordert man nicht alles an seinem Verkaufstisch und dabei alles Ernstes und einfältigen Gemüthes, da der im Worte liegende Verdrehungswitz durchaus nicht von jedem verstanden wird! Der eine will „umgewend’ten Napolium“ (unguentum Neapolitanum), ein anderer verlangt nach einem „Ochsenkruzchenpflaster“ (emplastrum oxycroceum), ein dritter erstrebt ein „doppeltes Diakonuspflaster“ (Diachylonpflaster), den vierten zieht das Herz zu einer „ollen Pussade“ (Arkebusade), ein fünfter fordert, ein Sohn seiner Zeit, hartnäckig sein „Sektenpulver“ (Insektenpulver), ein sechster seufzt wehmüthig nach einer „kalten Quinte“ (Koloquinthe) und der umstürzlerisch gesinnte siebente endlich heischt gebieterisch das „Kaputöl“ (Kajaputöl). Wieder einen andern zieht es unwiderstehlich zur „spitzen Lenore“ (species lignorum), zur „feinen Grete“ (foenum graecum) oder endlich zum „Lottenpflaster“ (Melilotenpflaster), während der Unglücklichste zum äußersten Mittel, dem „Rhinocerosöl“ (Ricinusöl) zu greifen entschlossen ist. Jeder Apotheker, jeder Droguenhändler, jeder Kaufmann kann die kleine Auswahl um bedeutende Witzblüthen vermehren, jeder Leser darüber näheres lesen in Andresens „Deutscher Volksetymologie“ (Heilbronn, Henninger). Aber mit der Andresenschen Zusammenstellung ist die Anzahl dieser Verdrehungswitze, die gewiß zum Theil auch Worterklärungs- und ableitungsversuchen ihre Entstehung zu danken haben, bei weitem nicht erschöpft, kann nicht erschöpft sein, denn jeder Tag gebiert neue, und während wir die folgenden, unseres Wissens bisher noch nicht zusammengestellten jüngsten Kinder des Volkswitzes einer kurzen Musterung unterziehen, erzeugen sich bereits andere, noch jüngere, ungeahnte in dem fruchtbaren Boden des Volkshumors, der dann selbstverständlich seinen Muthwillen besonders an der großen Zahl unserer Fremdwörter übt, ohne übrigens daneben das sich bietende heimische Wort völlig zu verschonen. [226] Gelehrten Ursprung verräth es, wenn der Studio das Faß „schlucksessive“ ((successive)) leert, wenn man den „Gymnastiker“ zum „Gumminastiker“, den „Oekonom“ zum „Mistiker“ und mit Anklang an den Johanniter zum „Guaniter“, den „Millionär“ zum „Millioneser“[1] macht und in Anlehnung an „Diphtheritis“ die „Dichteritis“ geschaffen hat; wenn man vom Geistlichen sagt, er „marmorirt“ (memorirt), wenn man von einem „Periculum“ oder gar „Pericles in Morea“ (periculum in mora, es ist Gefahr im Verzuge) spricht, wenn man die „Matrikuarbeiträge“ in „Makulaturbeiträge“, die litterarischen Studien des Musensohnes böswillig in „Liter–aturstudien“ verwandelt, und wenn man sich endlich eine „Ferdinanda“ (Veranda) erbaut, auf welche eine „Lawendeltreppe“ hinaufführt. Gelehrten Ursprungs ist auch das unvermeidliche „massive“ Mitglied (für passiv), die „Prasseltation“ auf der Kegelbahn (der hohe Wurf, bei dem alles zusammenprasselt, besonders thüringisch), der allbekannte und sehr ansprechende Jupiter „Mammon“ (statt Jupiter Ammon) und die scherzhafte Auslegung des wissenschaftllchen Namens der Wiesensalvei (Salvia pratensis) zu „Salvia (als Name aufgefaßt), braten Sie’s!“ Nur ein Gelehrter konnte endlich zuerst „Orchideen“ feiern (Orgien), seinen „Kaukasus“ (von kauen) nicht in Ordnung finden und seinen „Lag“ im Spiel, das heißt das, was ihm liegt, seinen „Lago maggiore“ nennen.

Ja das Spiel! Natürlich hat es eine ganze Reihe von Volkswitzen unserer Art geboren: nur „einen Monument“, und wir werden sie der Reihe nach „destilliren“ lassen.

Nur einige andere zuvor, die nicht durchaus gelehrter Abstammung zu sein brauchen: aus „melancholisch“ machte Fischart zuerst „maulhenkolisch“ (so noch heute in der Lausitz) und unsere Zeit „melankatholisch“, aus dem vom Trinker viel gebrauchten „Pröstchen“ (prosit) wurde das scherzhafte „Pröbstchen“, aus unbestimmten, einer ungewissen Zukunft überlassenen Dingen wurden die an das Wort „rathen“ (d. h. errathen) angelehnten „Rathhaussachen“, die doch scheinbar auch die bekannte Thatsache andeuten, daß die Väter der Stadt in allen „zwei- bis dreifelhaften“ Dingen klüger sind, wenn sie vom Rathhause kommen, als vorher, da sie in düsteres Schweigen eingehüllt der Sitzung zuschritten. Auf gewisse Dinge kann man ruhig „Gips“ (Gift) nehmen, beim Abschiede dem Freunde zurufen: „Leben Sie so wohl, – als auch!“ und dann „befriedricht“ von dannen gehen. Natürlich entgegnet der andere darauf: „Wöhler!“, das geht mit dem besten „Wilhelm“ (Willen) nicht anders. Der Leser erkennt in den letzten Beispielen sofort Berliner Kinder, zu denen unter anderen auch der öfter begegnende „Handschuster“ (Handschuhmacher), das bekannte „Nashorn“ (Nase), die beliebte „Behauptung“(Hut), der „Schneiderkarpfen“ (Hering) und endlich der „Schnutenfeger“ (Barbier) gehören.

Doch wir wollten zum Spiel übergehen, und zwar besonders zu dem allmählich epidemisch gewordenen Skat! Da spielt der eine „Kairo“, der andere meint ziemlich sinnlos: „Karo ist ein Hundename, die Einwohner heißen Karotten!!“ Das richtige „Carreau“ wird im allgemeinen ängstlich gemieden. Ein zweiter spielt Pique und sieht sich daher veranlaßt, zu sagen: „Picus der Specht!“ worauf der andere unausbleiblich mit Ruhe und Sicherheit einfällt: „Aurora, die Waldschnepfe!“ „Piccolomini!“ sagt der glühende Schillerverehrer. „Rötchen liegt bei Waltersdorf!“ ruft der die rothe Farbe Ausspielende, und „Treff-lich schön singt unser Küster!“ jubelt der glückliche „Eckernsolobesitzer“. „Solo?“ Meist begegnet es als „Soolei“, indessen ist auch das freundlich fragende „Sölchen?“ nicht ungebräuchlich. „Turnips“ oder „Turko“ ruft man dem andern zu, wenn man tourniren will, „Null aufs Pferd“, oder auch wohl witzloser „aufs Roß“ nennt man das „Null ouvert“-Spiel, und als einen „Perser“ kennzeichnet der Student im fidelen Bierskat das Spiel, welches an sich („per se“) „rumgeht“. „Rum, rümmer, am rümmsten!“ jubelt sodann der Chor, und das italienisch angehauchte Opferlamm lispelt ein entsagungsvolles „futschikato“. Das kommt davon, wenn man nicht Lehre annimmt: „raus mit der Zicke (Zehn) auf den Teichdamm!“ hatte ihm sein „Ede“ (meist als Abkürzung von Eduard gefaßt, eigentlich = französisch „aide“ Mitspieler, Gehilfe) mahnend zugerufen, – vergebens – vorbei, geendet ist das Spiel und kostet 3 „Silbermorgen“ (= -groschen) und 6 „Fähndriche“ (Pfennige). Was Duselmeier aber in letzter Zeit auch überall für haarsträubendes Pech gehabt hat! Am Abend vorher hat er auf der Kegelbahn zum Entsetzen aller, die mit ihm auf derselben „Portion“ (Partie) waren, regelmäßig seinen „Porus“, oder, wie andere meinen, seinen „Borax“ geworfen, unter dem man nun freilich weder den aus der Geschichte Alexanders des Großen bekannten indischen Fürsten Porus, noch das ebenso bekannte borsaure Natron zu verstehen hat, sondern einfach den Mittewurf, bei welchem die Kugel die Mitte der Kegel durch„bohrt“ hat. Und wenn er dabei wenigstens noch „Kuhrand“ (Courant), d. h. nur die meist 6 zählenden mittelsten drei Kegel geworfen hätte! So aber hatte er in seinem Mißgeschick einen mehr getroffen, oder, um mit den Worten seiner Mitspieler zu reden, „Kuhrand mit Agio“ geworfen.

Ja, ja: nicht einmal die Poesie ist sicher vor diesem vor nichts zurückschreckenden Volkswitze. Da deklamirt der übermüthige Knabe mit Würde: „Muth zeiget auch die Muhme Lack“ (der Mameluck), da steht der glückschwelgende Tyrann Polykrates bei ihm zwar auch stil- und würdevoll auf seines Daches Zinnen, aber nur „als Schaute (Scheltwort = Schote) mit vergnügten Sinnen“; da zählt der abgebrannte Glockenvater zwar auch die Häupter seiner Lieben, „doch sieh, es sind statt sechse sieben“, da liegt Uhlands guter Kamerad zu seinen Füßen, „als wär’s ein Stück Papier“, da wird Agathens „schöner grüner Jungfernkranz“ (aus dem „Schreifritz“) angesungen mit den Worten: „Schöner, grüner, – schön schmeckt der Wein am Rhein, juchheh!“

Und hiermit habe Lied – und unsere kleine Sammlung ein Ende! Der freundliche Leser aber, dem beim Lesen gewiß noch manche andere drollige Ausgeburt des fast in jedem Gebiete menschlichen Wissens und menschlicher Thätigkeit üppig wuchernden Volkswitzes eingefallen ist, soll höflichst gebeten sein, dem Verfasser Mittheilung davon zu machen, sei es, daß er sich dabei geradenwegs an ihn oder an die Redaktion wendet. „Ent – oder weder!“ Dr. Söhns.     



  1. Heine sagte einmal, Rothschild behandle ihn „famillionär“.