Gerda
„und soll ich sagen: Wärst du nie geboren! dann wühlte heute nicht so tief das Leid –
Nein, süßes Kind! Du bleibst mir unverloren auf alle Zeit!”
Durch des Fensterladens Spalte
Bricht des Morgens grauer Schein,
Wo am Bettchen Wacht ich halte
Bei dem kranken Töchterlein.
Dieses Tags ihr Herzchen bricht?
Oder ob sich aufwärts wende
Neu der Pfad zum holden Licht?
Aus der Feigheit, die zum bösen
Kann, wie bald, ein Kind dich lösen,
Wenn es bang ums Leben ringt.
Wieder glänzt in wachem Traume
Jede Frucht dir süß und voll –
Nie ihr Händchen brechen soll!
Wenn die Bahn von dünnem Eise
Unterm Stahlschuh klagend singt,
Ob wohl noch ihr Blut die Kreise
Wenn der Lenzwind küßt die Rose,
Die noch schüchtern vor ihm flieht,
Ob der Traum vom eig’nen Lose
Durch die zarte Seele zieht?
Wogt das Saatfeld grün und dicht,
Ob sie dann durch blonde Locken
Den Cyanenkranz sich flicht?
Herbst im Schmuck von goldnem Laube!
Sie noch schneiden wird die Traube,
Jauchzend in der Winzer Schar?
Auch die höchste Liebesstunde
Wird vielleicht ihr noch beschert:
Der allein des Lebens werth!
Was dir selbst am Reiz des Lebens
In der müden Hand zerrinnt,
Wie so werth als Ziel des Strebens
Aus dem schwülen Krankenzimmer,
Aus dem Dunkel, halb erhellt
Von des Nachtlichts mattem Flimmer,
O wie farbig strahlt die Welt!
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Hüllt sanft sich dir in Flor,
Der Straßen rauhe Töne
Vernimmt nur leis dein Ohr.
Will dich ein Lüftchen fächeln,
Es schwand dein süßes Lächeln
Selbst bei der Mutter Kuß.
Du nimmst mit dürren Lippen
Vom Arzt den bittern Trank –
Wardst du schon lang zu krank.
Die heiße Lust am Leben
Ward in den Adern still,
Und du fügst dich ergeben,
Du bist von uns geschieden,
Eh noch der Tod dich nahm –
Du lösest dich in Frieden,
Und uns zerreißt der Gram.
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Ruhst Lilie du im weißen Mädchenkleid,
Und leis entfärbt sich schon die zarte Hülle,
Dem unerbittlichen Zerfall geweiht!
O könnt’ ich nur dich vor dem Moder retten,
Und dürft ich dich, solang du schön noch, betten
Mit Vaterarmen auf den Flammenherd!
Die Gluthen lösten rasch die jungen Glieder,
Du stiegst, ein Wölkchen, auf zu Licht und Luft,
Und hauchtest neu in junger Blumen Duft.
In kleiner Urne könnten wir vereinen,
Was dann als Erdenstaub von dir noch blieb –
Auf reine Asche fromme Thränen weinen,
Umsonst! Du sollt nicht frei zum Aether lodern,
Gereinigt von der heil’gen Flamme Schwall!
Dein Los ist, in dem feuchten Grund zu modern,
Und spät erst kehrst du wieder in das All!
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Du freie Schweizererde, nimm sie wieder,
Aus deren Schoß ich sie empfing,
Verzehr’ in Staub den Bau der holden Glieder,
An dem mein Blick mit Wonne hing.
Und schön auch ist, geliebtes Kind, die Stätte,
Wo du im jungfräulichen Bette liegst!
Die Alpen grüßen fern in stolzer Kette,
Die du so gern mit mir erstiegst.
Wohl spreitet heut’ ob all den kleinen Hügeln
Der Schnee nur noch das reine Bahrtuch aus,
Doch kehrt der Lenz nun bald auf blauen Flügeln
Und schmückt dir bunt das enge Haus.
Und lieb ist’s dann, dem Fall des Bachs zu lauschen
Im tiefen Grund durch blum’ge Wiesenflur:
Er spricht mit Flüstern bald und bald mit Rauschen
Vom ew’gen Leben der Natur.
Im Fichtenhain, der dir das Grab beschattet,
Weht frischer Duft vom weißen Schlehenhag,
Wo sich des Finken frohem Schmettern gattet
Der süßverliebte Amselschlag.
Dort die Kastanie senkt der Wurzeln Fülle,
Dich liebevoll umarmend, in die Gruft,
Die Wurzel streift an die zerfall’nde Hülle,
Der Wipfel schwankt in sonn’ger Luft.
Sie will dein schwindend Leben noch behüten,
Sie lockt dich – ein Atom von deinem Staub
Ringt sich ans Licht in ihren weißen Blüthen
Und wallt beglückt im Frühlingslaub.
An dieses Baumes Fuß will ich mich setzen,
Wenn fern verlischt der Alpe Rosenglühn,
Und mit dem Abendthau der Thränen letzen
Die Blumen, die dein Grab umblühn.
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Aber nicht aus dem Moder der Grüfte
Zaubr’ ich auf ewig dein Bild mir empor!
Nein, im Glanze der himmlischen Lüfte
Schwebst du mir über die Gipfel empor.
Hoch im Gebirg, wo dein Füßchen so gerne
Sprang durch die Blumen der sonnigen Au,
Strahlt mir vom Aether aus endloser Ferne
Deines Auges entzückendes Blau.
Wenn von summenden Bienen umflogen
Weiß in Blüthen pranget der Strauch,
Küßt mich sanft in des Duftes Wogen
Deines Mündchens belebender Hauch.
Wenn der Föhn mich zärtlich umschmeichelt,
Träum’ ich von dir, mein holdseliges Kind,
Wie so gern mir die Wange gestreichelt,
Ach, dein Händchen, so warm und so lind.
Und wenn sanft der Gipfel sich röthet
Und in den Thälern die Nacht schon blaut,
Hör’ ich, wenn mir die Amsel flötet,
Deines Stimmchens holdtröstenden Laut.
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Ich ruhe still – der Tag ist fast verblichen,
Und seine Müh’ und Sorgen bin ich los;
Da kommst du leichten Füßchens hergeschlichen,
Und setzest dich auf meinen Schoß.
Den Arm wie ernst mir um den Hals geschlagen.
Das Köpfchen an die Wange mir gelehnt,
So flüsterst du: o Vater, laß das Klagen.
Den Gram, der stets nach mir sich sehnt.
In Liebe hab’ ich selig mich gefunden,
Die voll ich gab und voll empfing;
Nun stillt auch ihr die tiefen Herzenswunden,
Da ich in Frieden von euch ging!
Wohl mocht’ ich gern an eurer Brust erwarmen.
Doch flüchtig eilte vorwärts Jahr um Jahr –
Bald riß die Welt mich fort aus euren Armen,
Und anders ward ich als ich war.
Dir und der Mutter darf ich jetzt mich gatten,
So oft es eure Sehnsucht mir gebeut;
Ich hör’ euch auch im tiefen Reich der Schatten –
Ruft mich, so bin ich da wie heut!
Und nun leb’ wohl! Du hauchst es, und ich wähne
Zu fühlen, wie dein Bild dem Arm entweicht –
Die Nacht umfängt mich, still noch fließt die Thräne,
Doch muthig wieder schlägt das Herz und leicht.
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Ich stand an deinem Grab mit bangem Weinen,
Da hab’ ich’s in der Stille dir gelobt:
Nicht Bitterkeit soll mir das Herz versteinen,
So wild der Schmerz auch drinnen tobt!
Zu Deines Herzens Höh’n will ich mich schwingen,
Denn du warst gütig wie das Morgenlicht,
Und wo du andern konntest Freude bringen,
Du scheutest Sorg’ und Arbeit nicht.
Die Liebe, die ich dir nicht durfte spenden,
Du sendest sie als Liebe mir zurück;
Ich will sie treulich auf die Menschheit wenden,
Und leidend bau’n an fremdem Glück.
Das Gold, das ich in manches Jahres Streben
Mit harter Faust für dich erwarb,
Es rolle hin, da mir mit deinem Leben
Nun auch die Sorge für dich starb!
Vielleicht ein ander Kind wird noch gerettet
Vom Gut, das einst dein eigen sollte sein,
Und weil du liegst im dunkeln Grab gebettet,
Tanzt es im frohen Sonnenschein. [1]
Dann lebst auch du ja fort! Auf späten Wegen
Geht lächelnd noch dein Schatten durch die Welt,
Von deinem kurzen Dasein thaut ein Segen,
Der sanft auf Mutterherzen fällt.
- ↑ Gottfried Kinkel hatte zum Gedächtniß seines Lieblings dem Begründer der Ferienkolonien, Pfarrer Bion, eine namhafte Gabe zugewendet.