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Vernünftige und Christliche Gedancken über die Vampirs/Vorrede

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Textdaten
Autor: Johann Christoph Harenberg
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Titel: Vernünftige und Christliche Gedancken über die Vampirs ...
Untertitel: Vorrede an den vernünftigen und christlichen Leser.
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Erscheinungsdatum: 1733
Verlag: Johann Christoph Meißner
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Erscheinungsort: Wolfenbüttel
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Quelle: Digitalisat des Göttinger Digitalisierungszentrums bzw. bei Commons
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Vorrede an den vernünfftigen und Christlichen Leser.

[5] ES trat zu Anfange dieses Jahrs derjenige Bericht aus Servien ans Licht, welchen ich §.2. beygebracht habe. Die wöchentlichen Zeitungen erwehnten auch zu einigen mahlen der Blutsaugers oder Vampirs. Aus der Erzählung stund so viel abzunehmen, daß an den türckischen Grentzen der gemeine Wahn unter dem Volcke im schwange gehe, daß einige abgestorbene Menschen, so albereits begraben worden, des Nachts die Lebendigen beschweren, ihnen die Lufft-Röhre zusammen ziehen und auf der Brust das Bluht aussaugen. Die Umstände zeigen zugleich, daß diejenigen, so über dergleichen Erwürgung und Aussaugung klagen, niemand [6] in sichtbarer Gestalt gesehen, von dem sie dergleichen Ungemach erlitten hätten. Vielmehr lehret die Erfahrung, daß die beängsteten in einer Kranckheit stecken, so den Uhrsachen, wodurch sich ein Stichfluß eräuget, gar ängslich scheinet. Der Anfang des Ubels hat sich von dem Fleische der Hämel oder Schaffe angesponnen. Man komt daher von selbsten auf die Muhtmassung, daß eine ansteckende Seuche, wodurch das Bluht beklemmet und die Phantasey in Unordnung gebracht wird, die Uhrsache solches Ubels sey. Wenn nun das verdickte Geblühte bey Leuten, so ohnedem sich an den häuffigen Gebrauch des Opii gewehnet haben, von aussen keine Ausdünstung und Gemeinschafft mit der Lufft hat, und die Persohnen in solchem Zustande sticken, auch hurtig begraben werden; so läst sich leichtlich begreiffen, warum sie langsam verwesen, und zwar in einem Lande, wo man unter der Erde allerley Es-wahren und Geträncke auf eine lange Zeit vor der Fäulniß und Verwesung verwahren kan. Wenn nun das Geblühte seine ausdehnende Krafft annoch eine gute Zeit behält, weil keine Lufft von aussen hinzukomt und die Schweislöcher albereits in der Kranckheit zugeschlossen gewesen; [7] so kan man leichtlich erachten, daß das leimigte und stockende Bluht nach und nach in eine gelinde Gährung unter der Erde kommen, und sich dadurch mit einer mehrern Flüßigkeit ausbreiten müsse. Diejenige aber, welche in solchen Umständen des Geblühts nicht verstorben sind, sind auch der Verwesung eher fähig, wie sich auch solches in der That also befunden hat. Es giebt an jeden Orten annoch viele überbliebene Reste von alten und fortgepflantzten leeren Meinungen. Unter dieselbe ist ausser Zweifel auch das gemeine Gerüchte zu rechnen, da man in den Gedancken stehet, als ob die verstorbene Leichnahme oder die Seelen derselben aus den Gräbern zurückkämen, und ihren Feinden durch häfftige Erwürgung den Tod zu wege brächten. Es ist dieser Wahn bey Jüden und Christen, bey Griechen und Lateinern, bey Ungarn, Pohlen, Teutschen und andern Völckern seit undencklichen Zeiten her aufbehalten, und als eine himmlische Wahrheit von einem auf den andern fortgebracht. Dieses habe durch unterschiedene Exempel in $.1. 2. 3. 4. 5. dargethan. Man hat nicht gnug gehabt, diese grausamen Erwürgungen den Todten beyzumessen; man hat auch hinzugesetzet, [8] daß einige lebendige die Gestalt der Wölffe annehmen und die andern Menschen erwürgen. Die erste Meinung ist so alt, daß man sie annoch über die Zeit der geschriebenen Bücher hinaussetzen muß. Denn albereits zu den Zeiten Mosis hat man den Leichnahmen und Seelen in den Gräbern sonderbahre Würckungen über die lebendigen zugeschrieben: Und die Dido (a)[1] drohet dem Aeneae, ihrem Geliebten, daß sie ihn, wenn sie gestorben, plagen und verfolgen wolle. Virgilius, der diese Geschichte also erdichtet, hat sich alzeit nach den alten Meinungen der Griechen, so bey dem Homero (b)[2] vorkommen, gerichtet, und seinem Gedichte die Glaubwürdigkeit, so viel möglich war, gegeben. Die andere Meinung von den Wehrwölffen komt albereits bey dem Herodoto vor, welcher fünfhundert Jahr vor der Geburt Christi gelebet hat. Einige haben annoch hinzugefüget, daß die bösen Seelen der Leichnahme und die Teufels den andern todten Leichnahmen schaden können. Die Juden schneiden die vier Zipfel von den Todten-Leibach, damit der gestorbene nicht anfan[9] gen solle daran zu käuen und den lebendigen Schaden zu thun: ferner geben sie dem Todten ein scharffes Messer in die Hand, mit den Worten: Wehre dich. Wenn dannenhero dergleichen jämmerliche Mord-Geschichte unter einem Volcke sonderlich bekant sind, so fallen diejenigen, so in der Phantasey verrücket werden, so fort auf dergleichen wunderbare Uhrsachen, um die Seuche aufs kürtzeste nach ihrem Uhrsprunge zu erklähren. Es ist dieses eine gemächliche und leichte Art zu philosophiren. Denn man kan den schweresten Knoten und denen Würckungen, so viel unterschiedenes in sich fassen, und demnach viele Aufmercksamkeit samt vielen Schlüssen nach sich ziehen, mit einem einzigen Hiebe abhelffen. Es kan seyn, daß es solche böse Geister gibt, welche dergleichen Seuchen durch Anwendung natürlicher Mittel hervorbringen. Allein mir deucht, man schliesse alzufreygebig, wenn man aus den Exempeln der heiligen Schrifft, in welchen den Engeln und Geistern die Erweckungen des Sturms, des Erdbebens, der tödtenden Würmer und allerley Kranckheiten zugeschrieben werden, einen algemeinen Satz aufbauen will, daß alle Kranckheiten, alle Stürme, und Erd[10] bebens von den Engeln unmittelbahr gewürcket heissen sollen. Der alte Helmontius unterstund sich, alle Erdbebens den Würckungen der Engel zu zuschreiben, wegen des Exempels bey dem Matth. XXIIX. Allein es haben so wohl die Gottesgelehrten als Naturkündiger diese Meinung, sofern sie für algemein ausgegeben wird, als eine ungegründete Dichtung verworffen. Die Erscheinungen und Würckungen der Engel gehören nicht zum ordentlichen Laufe des Reichs der Natur; sondern zu den ausserordentlichen Bevestigungen des Reichs der Gnaden. Man kan dieses von selbst wahrnehmen, wenn man sich auf die Geschichte der gegründeten göttlichen Lehren und der Regierung GOttes über die Frommen, auch wieder die Feinde derselben, besinnet, wie dieselbe in der heiligen Schrifft verzeichnet stehet. Ich sehe bey der Historie der Vampirs nichts, welches zur Bekräfftigung der göttlichen Wahrheiten, oder Beschützung der Gläubigen insonderheit diensam sey. Es findet sich auch in den beygebrachten Berichten nicht, daß ein gequälter oder die Umstehenden einen Geist gesehen haben. Und ob sie gleich dergleichen erblicket hätten, so stünde es dennoch sehr dahin, ob die Erhaltung des [11] Bluhts in den todten Cörpern und die empfundene Würgung, oder Ertödtung, demselben zuzuschreiben gewesen. Ich habe im hellen Mittage a. 1708. 12. Maji. einen gantzen Cörper nach menschlicher und mir bekanter Gestalt auf einem Garten gesehen, dem ich nahe gekommen bin, willens mit ihm zu reden, bis ich die Hopfenstangen dadurch hervorschimmern gesehen, so da hinter aufgerichtet waren. Der alte achtzigjährige Mann, den ich zu erblicken vermeinte, und dessen der Garte war, war um gleiche Zeit, welches ich gar nicht wußte, gestorben, und zwar an den natürlichsten Uhrsachen. Ich bitte mir demnach von dem geneigten Leser dieses aus, daß er mich zu keinen Beckerianer oder Thomasianer machen wolle, wenn er befindet, daß ich von der Art der Weltweisheit des Thales abgehe, als welcher alles mit Geistern erfüllete, damit er so gleich einige vorrähtig hätte, wenn eine schwere Sache aus dem Reiche der Natur auf das Tapet gebracht wurde. Wie richtig es sonst mit dem gemeinen Wahn von den Vampirs (a)[3] beschaf[12] fen sey, läßt sich daher leicht abnehmen, da eine Frau in Servien gebeichtet hat, daß sie von ihren todten Mann, der ein Vampir gewesen, eines Kindes genesen sey. Es werden andere Weiber bey andern Völckern bedauren, daß dieser Wahn nur in den Grentzen des Servien Landes seine Lagerstäte aufgeschlagen. So aber jemand die vorgelegte Geschichte von den Bluhtsaugers (§. 2.) ohne die Beyhülffe der Geister nicht völlig auflösen kan oder will, demselben lasse seine Freyheit zu dencken ungekräncket. Es wird mir erlaubet seyn, daß ich aus dem wenigen Umständen, so mir von dem Vampirs bekant geworden, weiter nichts schliesse, als sich wegen des Zusammenhangs mit andern Erfahrungen und gegründten Wahrheiten will thun lassen. Es wurden mir die Berichte von den Vampirs, so bald sie kund wurden, von einer gar hohen und Fürstlichen Persohn gnädigst zugeschicket, und mir theils erlaubet theils befohlen, mein unterthänigstes Gutachten von den Uhrsachen solcher wunderlichen Würckungen anzuzeigen. Ich [13] habe dem gnädigstem Befehle so fort in tiefstem Respeckte ein unterthänigstes Gnügen gethan. Allein bis daher habe die Herausgebung meiner Gedancken aufs feyerlichste von mir abgelehnet. Ich meinte dazu viele Uhrsachen zu haben. Denn ich hoffte anfänglich, daß man mit der Zeit mehrere Exempel und gleiche Geschichte von mehrern Umständen zu Handen bekommen würde, daraus man viel sicherer etwas gewisses schliessen könte. Nechst diesem war ich begieriger, mich hiedurch von andern belehren zu lassen, als andere zu unterrichten. Es kam auch bald darauf heraus Curieuse und sehr wunderbare Relation, von denen sich neuer Dingen in Servien erzeigenden Blut-saugern oder Vampyrs, aus authentischen Nachrichten mitgetheilet und mit historischen und philosophischen reflexionen begleitet von W. S. G. E. a. 1732. 8. 9. Bogen. Der Verfasser ist ein gelehrter und wohlbelesener Mann, der in der Weltweisheit, Artzney-Wissenschafft und Gottesgelahrheit sich nicht unerfahren bezeiget. Die Schreibart desselben ist munter und mit vielerley Historien ausgeschmücket. Die Meinung desselben fält dahin aus, daß er die Erwürgung und Aufbe[14] haltung des gesunden und klahren Geblühts in den vampirischen Cörpern der Würckung der bösen Geister zuschreibet, so sich lieber an einem als andern Orte aufzuhalten belieben. Jedoch giebt er auch viele Anleitung, wodurch man die Meinung errahten und entdecken kan, welcher der Herr Verfasser zugethan zu seyn scheinet. Ich habe ferner von dieser Materie gelesen die Actenmäßige und umständliche relation von den Vampiren oder Menschensaugern, so a. 1732. 8. zu Leipzig zum Vorschein gekommen. Der Uhrheber der Schrifft hat sich nicht genennet. Die Meinung desselben geht dahin, daß die Luft ein sonderbahrer Geist sey, der sich in das menschliche Beblühte verwandele, und die Wohnung der Seele, wie auch der guten und bösen Geister sey. Dis zu erweisen, beziehet er sich auf die Schrifft-Stellen Gen. IX. 4,5. Iob. XXIV. 12. Lev. XVII. 10,14. woselbst gemeldet wird, daß das Leben des Leibes im (umlauffenden) Bluhte bestehe. Ferner beliebet demselben zu glauben, daß vermittelst des algemeinen Weltgeistes, oder der Luft, die Geister mit einander Unterredung halten können. Den Umgang mit den guten Geistern nennet er sympathiam; den Umgang mit den bösen beti[15] telt er antipathiam. Diesem Luft-Geiste legt der Verfasser einen subtilen Cörper bey, welcher bey der Ausfahrung der Seele und dem Absterben des sichtbahren Leibes seine sympathie oder antipathie fortsetze. Von den abgeschiedenen Luft-Geistern, so in der antipathie stehen, sollen, wie der Verfasser vorgiebt, die Lebendigen unter der Zulassung GOttes ausgesogen werden. Am artigsten scheinet es zu klingen, wenn der besagte Weltweise den Spruch Iob. VI. 4. zum Berweisthum dessen anführet. Hierauf folget eine fernere Ausführung, worin alle Umstände der Vampirs aus diesem erdichteten und Paracelsischen Gründen erklähret werden. Wenn man die Erfahrung, einige richtige Art zu schliessen, und den rechten Wort-Verstand der Bibel gelten läst; so fallen zugleich die Einfälle des besagten Herrn Verfassers über einem Haufen. Daher mit gutem Grunde wieder diese Schrifft ans Licht getreten ist des Herrn Gottlob Heinrich Vogts kurtzes Bedencken von denen Actenmäßigen relationen wegen deren Vampiren oder Menschen- und Vieh-Aussaugern, ingleichen über das davon in Leipzig herausgekommene raisonnement vom Welt-Geiste a. 1732. 8. Leip[16] zig. Man erkennet aus der kurtzen Schrifft, daß der Verfasser in der Artzeney-Kunst wohl erfahren und von guten Geschmack sey. Dieses erhellet auch unter andern daher, daß er den erdichteten Welt-Geist mit sonderbahrer Deutlichkeit aus dem Circul der Weltweisen verbannet hat. Es wird sich Gelegenheit zeigen, in unserer Abhandlung den so beschrienen WeltGeist der Paracelsisten, Böhmisten und Guhtelianer näher zu beleuchten. Der Herr Vogt erkläret die erlittene Bluht-Aussaugung von einem Gifte, welches durch das Essen von einem vergifteten Viehe entstanden und durch den Umgang nachhero von einem angesteckten Menschen auf den andern, der gleicher Säfte gewesen fortgepflantzet worden sey.

Es ist mir ausser dieser Schrift annoch eine andere zu Gesichte gekommen, nemlich PVTONEI besondere Nachricht von den Vampiren, so zu gleicher Zeit an eben dem Orte ans Licht getreten ist. Der Herr Verfasser stehet in den Gedancken, daß die Nachrichten von den hungarischen Bluhtsaugers nicht volständig, noch gehörig eingerichtet seyn angesehen, kein erfahrner Artzt oder Naturkündiger dabey gewesen, auch keiner einen Bluhtsaugen[17] den Geist gesehen habe. Daß man eine genauere und umständlichere Untersuchung in Servien hätte machen können und sollen, ist wohl ausser allen Zweiffel. Ausser diesen sind vermuhtl. annoch einige andere Schriften gleiches Inhalts herausgegeben, welche ich aber bis daher nicht gelesen. Des Eudori Bericht von einigen Schriften, die Vampyren betreffend, ist in einen kurtzen Auszug gebracht in der auserlesenen Theologischen Bibliotheck P. LXII. art. 4. und in den gelehrten Zeitungen dieses 1732ten Jahrs n.50. p. 450. angezeiget worden. Man hat sich schon längst über der künftigen Ausführung dieser Materie, welche der Herr President der Leopoldinischen Geselschaft, der Herr Doctor und Professor I. W. BAIER zu Altorf auf allergnädigstes Ansinnen Ihro Allerdurchlauchtigsten Käyserlichen Majestät übernommen hat, gefreuet. Es wird sich dieser hochberühmte Mann um mehrere Nachrichten und Erfahrungen bemühen und derselben fähig werden, auch dannenhero etwas gründliches der gelehrten Welt vorlegen können. Wenn diese meine Schrift und vorhabende Abhandelung kein gäntzliches Genügen schaffen wird; so wird der [18] geneigte Leser dennoch die Bemühung des Verfassers und die tieffste Ehrfurcht desselben gegen eine hohe Persohn zum besten ausdeuten. Ich empfehle mich demselben und diese geringe Arbeit.

Gandersheim am 24. Sept.
1732.

  1. (a): VIRGILIVS Aen. IV. v 385. Sqq.
  2. (b): EVERHARDVS FEITHIVS Antiqq. Homer. L.I. c.17.
  3. (a): Es läßt sich vermuhten, daß das Wort zusammen gesetzet sey aus aiμa Bluht draus Vam geworden, und piren, das ist, be[12] gierig nach einer Sache trachten. Aus במ dham ist aiμa die adspiratio wird offt ins V verwandelt e.g. έσπέρα vespera.