Vernünftige Gedanken einer Hausmutter (16)
Fast möchte sich die Feder sträuben gegen das Niederschreiben des Wortes: Dienstbote. Es klingt recht altmodisch; gemahnt es doch an die Zeiten, wo man noch nichts wußte von „Arbeitnehmern“ und „Arbeitgebern“, wo die Töchter anständiger Bürgerhäuser noch in den „Dienst“ gingen, und nicht in „Condition“, wo auch die jetzigen „Gehülfen“ noch „Gesellen“ hießen, und am Gesindetisch einer größeren Landwirthschaft Jeder und Jede fast eine Ehre darin fand, sich „Knecht“ und „Magd“ eines Gutes nennen zu hören, während diese Worte heutzutage schon beinahe für eine Beleidigung gelten.
Zu jener Zeit, aus der das Wort „Dienstbote“ stammt, war jeder Haushalt ein kleiner Sonderstaat im Staate, ein fest gegliedertes Ganzes, dessen einzelne Ringe sich gegenseitig hielten und trugen, ohne daß einer davon entbehrt werden konnte. Jetzt, wo sich dieses gegenseitige Verhältniß in einem so hohen Grade gelockert hat, daß die Dienstboten, der Schwalbe gleich, aus- und einstreichen in unsern Häusern, daß man sie gleichgültig wechselt, wie einen Rock, jetzt ist es ganz in der Ordnung, daß man für diese neuen Verhältnisse auch neue Bezeichnungen gewählt hat.
„Kindergärtnerin“, „Bonne“, „Stütze der Hausfrau“, „Kochmamsell“, „Beschließerin“ und „Ausgeberin“, „Pferdewärter“ und „Schafmeister“ – es klingt wirklich Alles recht fein und nobel; diese netten Namen verhüllen in anständiger Weise, daß man fremdem Willen zu gehorchen hat, daß man seine Kräfte dazu anwendet, auf ehrliche Weise sein Fortkommen in fremden Diensten zu finden.
Als ob dies eine Schande wäre!
Mit dem Namenswechsel ist aber an der Sache selbst doch nichts geändert, und ob unsere Dienerschaft nun so oder so genannt wird, die Klagen über dieselbe von Seiten der Herrschaften sind durchaus nicht geringer geworden. An den beliebten Kaffee- und Theetischen unserer Hausfrauen bilden sie noch immer ein ebenso unerschöpfliches Gesprächsthema wie vor hundert Jahren. Wollte man sich aber die Mühe nehmen, an den Thüren von Küche, Stall und Dienststuben zu horchen, so würde man dort in gleicher Weise die Kehrseite der Frage erörtern hören; denn auch die Klagen der Dienstboten über ihre Herrschaften sind ein ewig unerschöpfliches Thema. Und wenn wir gerecht sein wollen: jede der beiden Parteien hat in der That oft genug Grund, zu klagen.
Die „vernünftige Hausmutter“ greift in ihren Schilderungen und Betrachtungen nicht hinaus über ihr Gebiet; sie hat nur einfach bürgerliche Verhältnisse im Auge, und läßt jene großen Paläste unberücksichtigt, wo ein ganzes Heer von Dienerschaft einem Haushofmeister unterthan ist und von diesem geleitet wird. Solche Haushaltungen haben natürlich andere Gesetze und Regeln als die unserigen, wenngleich auch dort die bekannte Erfahrung gemacht werden mag, daß man am besten bedient ist, je weniger Dienerschaft man hält. Im Leben des Mittelstandes hat dieser Satz sich häufig bewährt. Wer es haben kann, der halte sich zwei Dienstmädchen, mehr nur dann, wenn etwa ein Kranker oder ein Säugling im Hause ganz specieller Pflege bedarf! Oft erfordert auch der Beruf des Hausherrn einen männlichen Diener, der dann seinen besonderen Pflichtenkreis für sich hat.
Zwischen zwei Dienstboten kann die Arbeit gut getheilt werden, während ein Dritter nur dazu da ist, um von den beiden andern als Aschenbrödel benutzt zu werden. Viele sehr anständige Familien begnügen sich in den jetzigen theuren Zeiten wohl auch mit nur einem Mädchen, und finden es nicht unter ihrer Würde, bei den feineren Arbeiten selbst thätig zuzugreifen. Ja, einigen unter ihnen wird diese Selbstthätigkeit zu einer so lieben Gewohnheit, daß sie dieselbe selbst dann nicht missen mögen, wenn sich ihre Verhältnisse verbessert haben.
Eine meiner Verwandten hatte einen jungen Officier geheirathet und sich im Anfang ihrer Ehe recht knapp behelfen müssen. Sie hielt stets nur ein Dienstmädchen. Als aber ihr Mann später Oberst wurde, fragte man sie:
„Nicht wahr – jetzt wirst Du Dir doch ein Stubenmädchen nehmen? Jetzt wirst Du nicht mehr selbst die Betten machen wollen?“
„O, gewiß will ich das,“ lachte die fröhliche, rüstige Frau, „denn als Obristin will ich erst recht gut schlafen, und das kann ich nur, wenn ich mein Bett selbst geordnet habe.“
Nach meiner Erfahrung kann man die brauchbaren, braven Mädchen einfacher Haushaltungen in zwei große Hälften scheiden, in Gutmüthige und in Selbstbewußte.
Die Schaar der Gutmüthigen besteht meist aus Mädchen vom Lande, die ein paar derbe Fäuste und den allerbesten Willen, sonst aber nicht viel mitbringen. Anspruchslos und bescheiden, stets guter Laune, sind diese Personen willig zu jeder Arbeit; ja, wenn du einer Solchen früh Morgens das Programm der Tagesarbeit entwirfst, so wird sie meistens noch einige Vorschläge mehr anbringen. Du sagst vielleicht zu deiner „Auguste“:
„Diesen Nachmittag kannst Du die Wäsche rollen.“
„Vorher möchte ich aber noch die Fenster putzen,“ meint sie.
„Wie war es gleich mit der Lampe?“ fragst du weiter, „wann sollte sie fertig werden?“
„Sie ist heute fertig; ich will sie nachher abholen, wenn ich die Wäsche gerollt habe. Es sind ohnedem auch noch Stiefel zum Schuhmacher zu tragen, die nehme ich dann gleich mit.“
Die Frau ist ganz entzückt über den guten Willen ihres Mädchens; aber ach! Wenn sie des Abends die Arbeit controllirt, ist die Wäsche vielleicht nicht zur Hälfte zusammengelegt, an Rollen noch nicht zu denken. „Mit dem Fensterputzen bin ich nur im Salon fertig geworden,“ berichtet das Dienstmädchen, „aber ich putze die anderen morgen früh bei Zeiten,“ fügt sie eifrig hinzu. [63] „Und die Lampe, und die Stiefel?“
„O, das besorge ich Alles morgen früh mit beim Einkaufen.“
Die Hausfrau kann ruhig darüber sein, daß Beides auch – übermorgen noch nicht besorgt sein wird. Will sie aber anfangen zu schelten, so zeigt sich das Mädchen ganz zerknirscht von Reue; sie bittet demüthig um Vergebung, ja es kommt ihr nicht darauf an, noch spät am Abend mit verweinten Augen den Rest der Wäsche fertig zu legen. Man kann ihr nicht gram sein; sie hat so guten Willen und ist immer in athemloser Geschäftigkeit. Die Arbeit geht ihr, wie man zu sagen pflegt, zwar nicht „aus der Hand“, aber dieser Fehler ist eine Folge ihres zu guten Willens, ihrer zu großen Gutmüthigkeit.
Alle Hausgenossen benützen ihre Bereitwilligkeit, und so wird sie beständig hin und her gesprengt durch hundert verschiedene Befehle. Wohl hat sie nie schlechte Laune und macht keine Ansprüche, aber niemals auch ist ihre Küche sauber aufgeräumt und sie selbst nett angezogen; nie ist eine Arbeit zur bestimmten Stunde gethan.
Die „Selbstbewußte“ ist von alledem das Gegentheil. Ihr darf man überhaupt nur selten eine bestimmte Arbeit zuertheilen. Sie macht nur das, was sie will, und zu der Zeit, wo es ihr am besten paßt. Höchstens noch darf sich die Hausfrau gestatten, schüchtern zu fragen: „Heute wirst Du wohl die Wäsche rollen?“ „Weiß nicht, es ist noch nicht Alles trocken,“ antwortet das Mädchen in ziemlich brummigem Tone.
Die Frau geht fort, etwas ärgerlich über das vorlaute Wesen der Magd, der zu widersprechen sie doch nicht den rechten Muth hat. Am Abend aber findet sie die ganze Wäsche nicht nur gerollt, nein auch schon gebügelt vor. In der spiegelblanken Küche sitzt das Mädchen mit Näharbeit beschäftigt, so ruhig und gleichgültig, als hätte sie nicht in den wenigen Nachmittagsstunden außer dem Rollen und Bügeln auch noch das Putzen und Scheuern der ganzen Küche vollbracht.
Die Frau sieht es und freut sich darüber. Sie ist durstig und möchte gern noch ein Glas frischen Wassers haben. Wird sie das Mädchen wohl schicken, es zu holen? O, beileibe nicht! Sie nimmt selbst das Glas und geht damit hinaus an den Wasserhahn. Es ist nicht Hausbrauch, daß um zehn Uhr Abends noch Wasser geholt wird, und sie wagt es nicht, dem Mädchen solch eine außergewöhnliche Anstrengung zuzumuthen.
Die „Selbstbewußte“ ist stets flink, sauber, zuverlässig, aber sie macht, wie schon gesagt, nur was sie will, und der kleinste Querbefehl trübt ihre Laune auf halbe Tage hinaus. Wenn sie Gemüse zuputzt, so ist es nicht denkbar, daß sie abgerufen werden könnte, um einen Gang zu machen; wenn sie „Waschtag“ hat, so können ihretwegen ruhig Herr und Frau und Kinder verhungern; sie weicht nicht von ihrem Troge, bis das letzte Stück Wäsche fertig ist. Eine Mahnung, die Semmel bei einem andern Bäcker zu holen, die Milch in einem andern Gefäß abzukochen, als sie gerade für passend hält, wäre ebenso fruchtlos, wie der Versuch, ihr Einhalt zu thun, wenn sie sich für einen bestimmten Tag das große Scheuerfest vorgenommen hat. Still und geduldig fügt man sich in ihre Tyrannei, bis dieselbe doch einmal gar zu arg wird; da endlich faßt man den heroischen Entschluß, ihr doch zu kündigen. Der „Erste“ des Monats ist da. Mit Herzklopfen steht die Hausfrau auf; sie hat schon die ganze Nacht nicht geschlafen und sich hundertmal überlegt, mit welchen Worten sie die beabsichtigte Kündigung einleiten soll. Alles, womit das Mädchen sie in der letzten Zeit ärgerte, hat sie sich in’s Gedächtniß zurückgerufen, um sich zur nöthigen Höhe der Entrüstung hinauf zu schrauben. Jetzt schreitet sie in die Küche, gepanzert in ihrem Innern, jede Muskel schlagfertig. Da tritt ihr die Magd entgegen, ein blüthenweißes, duftiges Häubchen in der Hand:
„Was? Gnädige Frau sind schon auf? Wie schade! Gerade wollte ich das Morgenhäubchen heimlich hinein legen; ich weiß doch, daß es gnädige Frau gern recht bald haben wollten, da hab’ ich es nicht zur Wäscherin getragen, sondern gleich selbst garnirt.“
„Ja, aber Minna – wann denn?“ stammelt die Frau, in allen ihren Maßnahmen erschüttert, „wann hast Du denn das gemacht?“
„Na, gestern Abend,“ triumphirt das Mädchen, „just um ein Uhr Nachts war ich fertig.“
Die Frau steht verblüfft da. Soll sie jetzt ihre schön ausgedachte Rede halten? Unmöglich! O Minna, du Pfifficus, du hast es gar wohl gewußt, daß heute der „Erste“ ist, und mit Hülfe deines Kalenders hast du dir abermals den Sieg gesichert.
Die „Gutmüthige“ und die „Selbstbewußte“, Beide bleiben sie meistens längere Zeit in einem Dienste. Die Erstere behält man aus Mitleid immer wieder, und die Letztere versteht es, sich so unentbehrlich zu machen, daß man sich stets auf’s Neue ihrer Alleinherrschaft im Hause fügt. Pfiffig wie sie ist, studirt sie genau den Charakter ihrer Herrschaft und weiß die kleinen Schwächen jedes einzelnen Familiengliedes zu benutzen. Sie erkundigt sich zehnmal am Tage mit bedauernder Miene nach den Zuständen der nervösen Dame des Hauses; sie legt dem Herrn pünktlich und genau jeden Gegenstand, den er braucht, an den dazu bestimmten Ort; sie öffnet ihm die Hausthür, ehe er noch die Glocke gezogen hat. Den erwachsenen Töchtern bringt sie die Neuigkeiten der Stadt nach Hause, und den Sohn benachrichtigt sie rechtzeitig, wenn Damenbesuch da ist, damit er geräuschlos in sein Zimmer verschwinden kann, statt in den Rachen der Besucherinnen zu fallen. Den Kindern hilft sie bei ihren Weihnachtsarbeiten für die Eltern oder steckt ihnen heimlich ein Butterbrod zu. Ein solcher „Tresor“, wie man dergleichen Unicum zu nennen pflegt, dient am liebsten allein in einem Hause, da er sich selten mit Nebendienstboten vertragen kann. Solch ein Mädchen ist auch fast immer ein Erbstück der Familie, etwa die Amme des ältesten Kindes oder gar die Amme der jungen Hausfrau selbst. Sie ist mit der Geschichte der Familie vertraut bis in die kleinsten Falten und kennt jedes Geräth im Hause, jedes Stück Wäsche viel genauer, als die Besitzerin dieser Dinge selbst.
Kommt aber solch ein „Tresor“ doch einmal in einen andern Dienst, so ergiebt es sich meistens, daß man dort durchaus nicht ebenso zufrieden mit ihm ist. Ich habe überhaupt ein entschiedenes Mißtrauen gegen solche lebendige Familienerbstücke.
Keiner Herrschaft möchte ich gerathen haben, meine alte „Strieglermutter“ in den Dienst zu nehmen, nachdem sie in unserem Hofe durch siebenundzwanzig Jahre gedient und sich dort als Factotum so unentbehrlich gemacht hatte, daß man sich unsere Wirthschaft gar nicht hätte vorstellen können ohne die „Strieglern“. Eigentlich war sie ihres Zeichens Garten- und Waschfrau. Aber sie hatte auch andere Aemter: war eine Kuh krank, so mußte sie bei derselben wachen; fuhren wir in’s Theater, so blieb sie bei den Kindern – zu deren größtem Jubel und Entzücken; denn so schöne Geschichten wie die alte „Strieglern“ konnte Niemand erzählen. Gab es einen Geldbrief zu besorgen, oder einen besonders delicaten Auftrag mündlich zu bestellen, wer anders als sie hätte der Bote sein können?
Wenn diese Frau später zu einer andern Herrschaft gekommen wäre, so hätte sie gewiß nur die stehende Redensart solcher Familienerbstücke im Munde geführt: „Bei uns wurde das anders gemacht; unsere Herrschaft machte es so und so“, etc. Unmöglich hätte sie sich in ein anderes Regiment fügen können, und so ist es am besten, daß sie an dem Orte blieb, wo ich ihr lebenslängliche Wohnung mit Gärtchen für den Rest ihrer Tage gesichert hatte.
Die gewöhnlichen bunt bekritzelten Dienstbücher unserer Stuben- und Küchenmädchen, die für jedes Jahr mehrere gefüllte Seiten von Zeugnissen aufzuweisen haben, sind mir stets sehr verdächtig. Am liebsten nehme ich ein Mädchen aus braver, solider Familie, die noch gar nicht gedient hat, aber zu Haus überall tüchtig mit zugreifen mußte; denn in den bei uns üblichen Zeugnissen ist ja überhaupt nichts weiter zu berücksichtigen, als die Dauer des Dienstes; einen Tadel schreibt ja Niemand hinein. So lange die Herrschaften sich nicht entschließen, genauere Atteste auszustellen, werden die Dienstbücher nicht mehr Werth für sie haben, als ein polizeilicher Aufenthaltsschein. Und doch ist solches Angeben der Wahrheit ein schwierig Ding. Ich habe es ein einziges Mal versucht, werde es aber für alle Zukunft bleiben lassen. „Ist ehrlich gewesen, aber sehr nachlässig,“ schrieb ich einer Küchenmagd in’s Buch. In Folge dessen hatte ich dreimal an Amtsstelle zu erscheinen und mußte eine lange schriftliche Erklärung über die gerügten Vernachlässigungen abgeben. Nun, das Verzeichniß des zerbrochenen Geschirres, der angebrannten Suppen etc. war lang genug, um dem Herrn vom Gericht zu imponiren – mein Attest blieb daher auch unverändert stehen. Aber an diese stundenlangen Zeugenverhöre will ich denken, so oft ich wieder die Feder ansetze zu einem Dienst-Attest.
[64] Ich meine übrigens, in das Gesicht und auf das ganze Gebahren eines Mädchens muß man mehr sehen, als in ihre Zeugnisse. Dann muß vor Allem nach der Familie gefragt oder mündlich Nachfrage gehalten werden bei der letzten Herrschaft. Das sind die einzigen Vorsichtsmaßregeln, die man ergreifen kann – sie werden selten ganz trügen.
Hat man aber einmal ein Mädchen in’s Haus genommen, deren Aeußeres und Herkommen Vertrauen einflößt, dann zeige man ihr auch Vertrauen! Viele Frauen klagen: „Nicht das Geringste kann man stehen lassen vor dieser Näscherin.“ Eben weil jede Kleinigkeit weggeschlossen wird, so glaubt das Mädchen in seinem Recht zu sein, wenn sie dasjenige verbrauchte, was nicht verschlossen wurde. Wenn Du sie aber daran gewöhnst, selbst Speisereste aufzubewahren, nachdem sie den ihr gebührenden Theil davon empfangen hat, so wird Dein Mädchen solches Vertrauen meist zu würdigen wissen.
Aehnlich verhält es sich auch mit dem Vertrauen in wichtigeren Dingen. Nur ein Dienstbote, vor dem man mit peinlicher Sorgfalt jedes Familienereigniß geheim hält, den man energisch ausschließt von allen Interessen seiner Herrschaft, nur ein solcher wird an den Thüren horchen und das dort Erlauschte weiter klatschen. Wenn ich irgend ein Vorkommniß im Hause geheim halten will, so ist gewiß das Erste, daß ich es meinem Dienstmädchen erzähle mit der Anempfehlung, die Sache nicht weiter zu sagen. Wie stolz, wie geehrt fühlt sich das Mädchen durch solches Vertrauen! Wenn sie brav und rechtschaffen ist, so wird sie das Geheimniß ihrer Herrschaft hüten wie ihr eigenes. Das ihr anvertraute Geheimniß ist ein Heiligthum für sie, aber was sie erhorcht oder errathen hat, fühlt sie sich nicht verpflichtet, heilig zu halten.
Ein Dienstbote, der das Vertrauen seiner Herrschaft genießt, wird sich überdies bald genug den nöthigen Tact aneignen, um nicht störend in die intimen Beziehungen des Hauses einzugreifen. Er wird es bemerken, daß das Gespräch bei seinem Eintritte stockt, und deshalb die im Zimmer nöthige Verrichtung so rasch als möglich erledigen. „Wie der Herr, so der Knecht“, es giebt kein wahreres Sprüchwort.
Wer nur fühllose Maschinen als Dienerschaft wünscht, der wird sie bald genug haben; er darf aber auch dann von diesen Automaten nicht mehr verlangen, als daß sie die tägliche Aufgabe richtig abschnurren; er darf nicht erwarten, daß sie in entscheidenden Momenten das Maß ihrer Pflichten freudig überschreiten, um der Herrschaft ihre Liebe und Anhänglichkeit zu bezeigen.
Gute und treue Dienerschaft muß man sich selbst erziehen; sie wächst nicht in den Vermittelungsbureaux heran. Zwischen Vertrauen und Vertraulichkeit aber ist noch ein großer Unterschied, und nur das erstere sollen unsere Dienstboten von uns genießen. Hier ist die Klippe, die am schwersten zu umschiffen, die Grenze, die am schwersten einzuhalten ist. Durch würdig ernstes Vertrauen gewinnen wir uns die Herzen unserer Dienerschaft; durch läppische Vertraulichkeit geben wir uns selbst in ihre Hände. So wie ein Kind niemals, selbst in den Momenten zärtlichster Hingabe nicht, vergessen darf, daß es Vater und Mutter vor sich hat, nicht gleichstehende Gespielen, so darf auch ein Dienstbote – selbst wenn er seit vielen Jahren im Haus wäre – nie seine dienende Stellung zur Herrschaft vergessen. Dieses Bewußtsein braucht kein drückendes zu sein; es ist im Gegentheil ein erhebendes.
Einen Dienstboten, wie er sein soll, kann das Vertrauen seines Herrn nur um so mehr erheben, je tiefer er sich an Bildung unter demselben stehen fühlt, und dieses Vertrauen wird ihn sicher weit mehr befriedigen, als jene leichtfertige Vertraulichkeit, die er bei seines Gleichen überall finden kann, also nicht erst bei der Herrschaft zu suchen braucht.
Von einem Dienstboten, den man in dieser Weise vertrauensvoll an sich herangezogen hat, muß man dann aber auch etwas verlangen können. Man darf nicht nur verlangen, daß er das ihm Anbefohlene pünktlich ausführt, nein, man muß auch darauf halten, daß er selbst etwas sieht. Ich kenne eine Dame, welche ihrem Stubenmädchen klingelt und, wenn dasselbe eingetreten ist, nur die drei Worte zu ihr sagt: „Sieh Dich um!“ oder: „Was fehlt denn auf dem Tisch?“
Immer muß das Mädchen selbst finden, was sie versäumt hat. Es ist ein klein wenig Grausamkeit bei diesem Vorgehen, das gebe ich zu; denn das arme Ding steht dann wie mit Blut übergossen da und läßt in tödtlicher Verlegenheit die Blicke rundum schweifen. Weiß sie doch nicht, ob das, was sie sehen soll, ein Spinnengewebe an der Zimmerdecke oder ein Schmutzfleck auf dem Boden ist! Aber gerade die kleine Strafe dieser Verlegenheit ist recht wirksam, und jene Dame hat stets sehr accurate Dienstleute.
Einem braven und anstelligen Mädchen sollte man auch die Eintheilung der Arbeit zum größeren Theil selbst überlassen. Sobald sie lange genug im Hause ist, um einen Ueberblick über die gesammte ihr zufallende Arbeit gewonnen zu haben, ist sie selbst auch diejenige, die sich ihre Zeit am besten eintheilen kann, und erspart sie durch kluge Zeitbenutzung ab und zu ein Stündchen, so sei die Hausfrau nicht so grausam, ihr zur Ausfüllung desselben eine besondere, neue Arbeit zu dictiren. Es ist ein falsches Princip, zu sagen: „Meine Dienstboten müssen von sechs Uhr früh bis acht Uhr Abends arbeiten.“ Es muß heißen: „Meine Dienstboten haben dies und das zu vollenden; ob sie damit um sechs Uhr fertig sind oder bis in die Nacht hinein arbeiten, das ist ihre Sache.“
Faule und unordentliche Dienerschaft, vor Allem aber Lügner, würde ich nie im Hause behalten. Da ist, wie das Sprüchwort sagt, „der erste Aerger der beste“. Die angelobte Reue und Besserung hat meistens nur kurze Zeit Bestand, und man thut später doch, was man besser sogleich gethan hätte.
Da heißt es eben: wechseln, immer wieder wechseln, bis man eine Person erlangt hat, die ehrlich und aufrichtig ist und mit gutem Willen und Fleiß an die Arbeit geht. Ist aber eine solche gefunden, dann sei sie auch danach gehalten! Wenn ein gutes Mädchen bei Euch nicht gedeiht und nicht Stand hält, dann seid Ihr selbst daran schuld, verehrte Hausfrauen und Mitschwestern.
Ich sehe Euch im Geiste leise den Kopf schütteln. Ihr mögt es nicht gern geschehen lassen, daß man den Spieß herumdreht und Euch selbst als die Schuldigen hinstellt. Aber dieser Weg ist in jeder mißlichen Sache der einzig richtige zur Abhülfe. Zuerst muß man immer fragen: „Trage ich selbst keinen Theil an der Schuld?“ ehe man den Stab bricht über Andere, und es ist seltsam, daß auf diese Frage meistens ein rasches, entrüstetes: „O nein!“ zu erschallen pflegt, das sich aber bei näherer Beleuchtung oft in ein beschämt demüthiges „Ja – vielleicht doch!“ verkehrt.
So ist es auch in der leidigen Dienstbotenfrage, bei der die Schuld häufiger als sonst irgendwo auf beiden Seiten liegt, wenn unsere Frauen klagen: „Es giebt keine braven Dienstleute mehr“, und die dienende Classe seufzt: „Es giebt keine guten[WS 1] Herrschaften mehr“.
Gar komisch war mir die Klage einer Hausfrau, die da sagte: „Sowie man ein braves Mädchen hat – Schwupp, heirathet sie Einer weg. Warum nur nicht lieber die unordentlichen heirathen? Es wäre doch wohl weniger schade um sie.“
Das macht eben: die Männer haben den unbegreiflichen Geschmack, lieber nach den braven und fleißigen Mädchen zu greifen.
Es ist eine schöne, milde Ansicht, daß jeder Mensch sich bessern kann und daß man also Nachsicht haben soll, vorzüglich mit Dienstleuten, aber in der Praxis ist diese Ansicht nur auf einen bestimmten Kreis von Fehlern anwendbar. Nachlässigkeit, unbeholfenes Wesen, ja sogar Unsauberkeit läßt sich zuweilen bei den Dienstboten bessern, aber Frechheit, Betrügerei, Verstocktheit, Lügen- und Launenhaftigkeit niemals! Wer also die Humanität nicht so weit treiben will, aus seinem Heim eine Besserungsanstalt zu machen, der handelt klüger, wenn er Dienstboten so schnell als möglich entläßt, an denen sich einer der obigen Charakterfehler gezeigt hat.
Und nun die Moral von meiner Plauderei? Das Geschlecht der braven, treuen Dienstboten ist nicht ausgestorben, und wer da sucht, der wird auch heute noch finden. Ader er soll das „Gefundene“ dann auch werth und warm halten – nicht in blinder Schwäche, nicht in läppischer Vertraulichkeit, aber in freundlich theilnehmender Weise, ganz ähnlich der Art, die zwischen guten Eltern und braven Kindern herrscht. Ein Dienstbote aber, der solch eine Herrschaft gefunden hat, soll auch seinerseits Alles aufbieten, um sich deren Vertrauen und Zufriedenheit zu erhalten; denn was auch trügerische Verheißungen ihm vorspiegeln mögen von höherem Lohne, mehr Freiheit u. dergl. m. in anderen Häusern, er hat das Beste gefunden, was es geben kann, nächst der eigenen Heimath, so oft ist er sogar bei einer guten Herrschaft noch sicherer geborgen, als im eigenen Elternhause.
Anmerkungen (Wikisource)
- ↑ Vorlage: gute