Unter dem Krummstabe
Unter den Städten Deutschlands ist die alte Juvavia, wenn nicht eine der schönsten, gewiß eine der interessantesten. Man muß nur so einmal beim Morgengrauen eines Frühlingstages von Berchtesgaden abgereist sein und nun, wenn die Sonne hell emporsteigt, sich der Stadt nähern. Der Untersberg, dessen seltsame Form die Phantasie des Volkes von jeher so sehr beschäftigt, daß sie in ihn bald den Kaiser Karl den Großen, bald ein ganzes Volk von Zwergen versetzt, der Berg mit den blutrothen Marmorwänden will das Auge noch immer festhalten; eine ganze Kette beschneiter Bergriesen schließt sich ihm an. Doch ein Bild von sanfterem Reize läßt den Wanderer bald nur immer vor sich schauen. Aus den weiten grünen Wiesenmatten, aus welchen ein zarter weißer Dunst aufschwebt, um gleich wieder zu zerfließen, tauchen Wäldchen von Ahornen, Buchen, Linden auf, grüne Anhöhen beschränken bald da, bald dort den Blick, nun steigt ein mächtiges Schloß empor und hebt sich mit seiner gelbgrauen Fronte gegen den blauen Himmel ab. Das ist Hohensalzburg. Ein ganzes Geschwader von Krähen, das die Risse und Schornsteine des halbverfallenen Baues verlassen, setzt sich in diesem Moment in Bewegung, zieht kreischend über unsere Köpfe hinweg und seltsame Schatten flattern und huschen über den hellgrünen Plan. Nun zeigen sich Alleen und Avenuen, dahinter glänzende Kuppeln, alte Thürme, neugeweißte Häuser und nach einigem Gepolter über ein schlechtes Pflaster setzt uns der Wagen auf dem Residenzplatz ab.
Ja, auf dem „Residenzplatz“, denn Salzburg hält seine Erinnerungen als Hauptstadt eines geistlichen Fürstenthums fest. An diese Zeit erinnert die ganze Architektur dieses Platzes, erinnern die hohen, vielstöckigen Häuser mit den italienisch platten Dächern, erinnern der majestätische Residenzbau, die Domkirche, vor allem aber der Hofbrunnen. Dieser Brunnen, den Erzbischof Guidobald von Thun um’s Jahr 1668 vom Italiener Antonio Dario ausführen ließ, galt schon im vorigen Jahrhunderte für das schönste Werk dieser Art im ganzen deutschen Reiche; er ist, vom flüssigen Element belebt, wirklich imposant. Vier ungeheure Flußpferde bäumen sich nach den vier Weltgegenden und sprühen das Wasser aus Maul und Nüstern, vier Atlanten tragen keuchend eine riesige überfließende Muschel, oben spritzt ein Triton jauchzend den Wasserstrahl in die Luft. Die Muschel, die Atlanten, die Pferde, alle sind weißer Marmor und Monolithen. Der Cicerone sagt uns, daß das untere Wasserbehältniß, die Stufen nicht mitgerechnet, hundertsiebenundsiebzig Fuß im Umfange habe. Doch wenn schon die Größe imponirt, das Kunstwerk wirkt ganz besonders durch seine Eigenthümlichkeit. Bei der Auszierung eines erzbischöflichen Palastes waren die vollbusige Amphitrite mit ihren üppigen Gesellschaftsdamen nicht vorführbar, die Composition mußte einen ausschließlich männlichen Charakter haben und ihre Wirkung ist nun die einer durch nichts gemilderten Strenge. Doch wenn man beim Eintritt in die Stadt auf den Prunk, den Reichthum, den starren Glanz ihrer Vergangenheit aufmerksam gemacht werden sollte, so war eine passendere Einführung nicht denkbar.
Wenn wir uns nun diese Erzbischöfe aus alter Zeit etwas näher rücken wollen, da müssen wir z. B. in dem so außerordentlich interessanten städtischen Museum vor dem Bildnisse des Erzbischofs Wolf Dittrich Halt machen. Er regierte zu Anfange des siebenzehnten Jahrhunderts. Ein finsterer, bärtiger Mann im Harnisch, wie ein zorniger Mars. Seine Geliebte ist die schöne Salome Alt, für die er das nahe Schloß Mirabell erbaute. Er hatte mit ihr mehrere Kinder. Sein Werk ist der alte Marstall, für hundertunddreißig Pferde bestimmt. Von jeher nach der Propstei von Berchtesgaden lüstern, machte Erzbischof Wolf Dittrich 1611 einen Einfall in das Ländchen unterhalb des Watzmanns; der Propst von Berchtesgaden jedoch, bairischer Prinz, sammelte seine Mannen, fiel bald über Salzburg her und Wolf Dittrich floh nach Kärnthen. Er wurde eingeholt, zuerst in der Festung Werfen eingekerkert, dann zurückgebracht. Er starb 1612 in einem Kerkerloch der Burg Hohensalzburg und liegt auf dem St. Sebastiansfriedhofe in der Gertrudscapelle begraben.
Dieses Hohensalzburg, das die Stadt überragt, ist das, was man mit dem herkömmlichen Ausdruck „eine ehrwürdige Veste“ bezeichnet. Aber es ist etwas Eigenes um die Ehrwürdigkeit des
[157][158] Alters bei schrecklicher Vergangenheit und blutigen Thaten. Schon die Bezeichnungen: Schlangenrondell, Giftthurm, Thurm des heimlichen Gerichts, flößen kein sonderliches Behagen ein, und wer z. B. in Regensburg bereits die Torturkammern mit ihrem gräßlichen Apparat und die heimlichen Verließe, die schaurigen Oubliettes mit ihren Fallthüren gesehen, der schenkt sich gern die Wiederholung solcher Eindrücke. Die Rundsicht von den oberen Galerien dieses Schlosses soll prachtvoll sein, da aber der Eintritt nicht ohne Förmlichkeiten stattfinden kann, ziehen wir den Blick vom Mönchsberg vor.
Weniger rauh und düster sind die Bilder, die wir von den Erzbischöfen Salzburgs zu Anfang des achtzehnten Jahrhunderts erhalten. Da folgen auf einander: Graf Thun, Graf Harrach, Freiherr von Firmian. Graf Thun ließ in Salzburg sieben Kirchen bauen „und hinterließ trotzdem Geld im Schatze“. Graf Harrach lebte prächtig und machte Schulden, „es ging Alles stets in Freuden zu“. So der alte Kryßler in seinem Buche: Neueste Reisen 1729. Leopold Eleutherius Freiherr von Firmian war sparsam, an seiner Marschallstafel speisten täglich blos sechszehn bis achtzehn Personen, aber er unterhielt, theils in der Stadt, theils auf seinen Lustschlössern, zweihundertundfünfzig Pferde, was für einen Apostel Dessen, der auf einer Eselin Füllen ritt, ganz genug sein mag. Im Marstall am Mönchsberg fraßen sämmtliche Pferde aus marmornen Krippen und Eleutherius Firmian rühmte sich, „daß dergleichen selbst in Versailles nicht zu sehen sei“. In der Sommerreitschule wurden Thierhetzen gehalten, damals ein äußerst beliebtes Vergnügen. Diese Reitschule, ein in den Felsen eingehauenes Amphitheater mit drei Reihen von Galerien, ist äußerst sehenswerth. Von der ersten Reihe aus sahen die Hofleute und die begünstigten Damen der Stadt zu. Es wird unter ihnen so manche Adelheid von Walldorf gewesen sein. …
Seine erzbischöflichen Gnaden waren ein großer Liebhaber der Jagd, sein Schwestersohn, Graf von Arco, war Oberjägermeister. In Belvedere stand ein herrliches Fasanenhaus. Seine liebste Landwohnung war in Hellbrunn. Da gab es einen Garten mit allerlei Wasserkünsten, Teichen, Bassins, in deren hellen Wassern Forellen und Saiblinge schwammen und mit Lebern von Ochsen und Kälbern gespeist wurden. Die Wasser trieben allenthalben kleine Mühlen, oder auch Figuren von Scheerenschleifern und Töpfern. Trat man in die oder jene Grotte, wurde man mit dem „Vexirwasser“ übergossen.
Der Domherren gab es unter Erzbischof Firmian zweiundzwanzig mit ungeheuern Dotationen, es waren sämmtlich Grafen des heiligen römischen Reichs. Er selbst hatte die Bischöfe von Freising, Regensburg, Passau, Brixen, Gurk, Chiemsee, Seccau und Lavant unter sich, seine jährlichen Einkünfte wurden auf achthunderttausend Gulden geschätzt.
Wir haben uns bei diesem Erzbischof Leopold Eleutherius Firmian etwas aufgehalten, weil er als der Bedrücker und Verfolger der Protestanten Salzburgs seinen Platz in der Geschichte hat. Unter seiner Regierung, 1729 bis 1733, wanderten, um den Leiden zu entgehen, die sie von ihm zu erdulden hatten, dreißigtausend brave Menschen aus und trugen ihre Thätigkeit in andere deutsche Länder, auch bis nach Holland und England; die Geschichte ihrer Leiden und ihrer Auswanderung ist bekannt. Die Volksmenge des Fürstenthums aber sank darnach auf einhundertundneunzigtausend herab und man kann sagen, daß von dieser Zeit an der Verfall der Stadt datire.
Und mögen das nun manche Leute für äußerst kindisch halten, ich gestehe, daß alle diese Erinnerungen schon nach wenig Stunden Aufenthalts in der schönen Stadt an der schönen, grünen Salzach mir die Romantik des Ortes verleiden. Wie berauscht komme ich jedesmal an, ich fühle, daß ich auf einem entzückenden Erdenflecke stehe, aber alle diese Klöster, Kirchen, Capellen und Kreuzgänge mit dem aus ihnen strömenden Weihrauchduft, die uralten Holzstiegen, aus deren Schatten Crucifixe hervortauchen, diese Lichter aus den geöffneten Kirchenpforten wirken bald ganz unleidlich auf meine Nerven. Die Namen Mönchsberg, Capuzinerberg, Nonnenthal, Lorettogasse beunruhigen mich; doch da seh’ ich auch eine Hexenthurmgasse und sie führt vermuthlich zum alten Hexenthurm, dem Verließ für Zauberer und Hexen, von denen die letzte hierorts vor etwas mehr als hundert Jahren – 1750 – verbrannt wurde. Ach, der gespenstige Spuk des Mittelalters ist fürchterlich – ich mache wohl bald, daß ich fortkomme und ihn nicht mehr sehe.
Das alte Erzbisthum ist freilich verweltlicht, die Revenuen des Salzburger Erzbischofs, des Nachfolgers Derer, die vom Kaiser Ew. Liebden titulirt wurden und die auf den Reichstagen den ersten Sitz auf der geistlichen Fürstenbank hatten, stehen jetzt sogar denen des Erzbischofs von Olmütz oder Prag nach; sie betragen kaum mehr als zwölftausend Gulden. Seine Eminenz selbst kann mich weder einkerkern, noch torquiren lassen, wie in der guten alten Zeit, noch ausweisen, wie im „Jahrhundert der Aufklärung“ geschah – und dennoch ist die alte erzbischöfliche Zeit in Salzburg doch noch zu lebendig, als daß ich da leben möchte. Ueber den Geist der Duldsamkeit, der dort zu Hause, hat mich eine erbauliche Geschichte selbst nahe berührt.
Der Vater eines meiner Freunde, ein würdiger alter Herr, den ich lieb hatte, war von seinem Arzte nach Venedig geschickt worden, starb aber auf der Reise in Salzburg. Was war natürlicher, als daß man ihn in Salzburg begrabe? Aber der alte Herr war ein Jude gewesen; in den katholischen Kirchhof konnte er selbstverständlich nicht hineinkommen, der Sohn ließ im Anzeigeblatt inseriren, daß er dreihundert Gulden für ein Grundstück auf einem Felde oder in einem Garten geben wolle. Sogleich verbot man ihm, seinen Vater hier begraben zu wollen, er solle ihn fortschaffen. Ein Professor der medicinischen Facultät an der Salzburger Hochschule, der kein Landeskind war, nahm sich, über so viel Intoleranz empört, des jungen Mannes an. Er wies in einer Zuschrift an das erzbischöfliche Consistorium nach, daß ein kaiserlicher Soldat jüdischer Confession in Salzburg gestorben und dort auch begraben worden sei. Die Antwort erfolgte: „Man wisse das, es sei leider aus Irrthum geschehen und werde sich nicht wiederholen, der Fall werde der einzige bleiben.“ Unter freiem Himmel, in einem Wagen, mußte der Leichnam im Sarge bleiben, bis ein Kutscher gefunden wurde, der ihn auflud und bis Prag führte. Dies trug sich im Jahr 1853 zu.
Und da es nun Abend geworden, besuchen wir noch den uralten, so unendlich pittoresken Friedhof von St. Peter, unfern der Domkirche. Es ist der, in welchen uns das beiliegende Bild versetzt. Welch’ überraschend schöner Anblick ward mir zu Theil! Oben die drohenden Mauern und Thürme der alten Veste, zur Linken über den Dächern und Kuppeln der Stadt die Gipfel der nahen Berge; unmittelbar vor uns die Nagelfluewand des Mönchsbergs. Längs dieser laufen Bogengänge mit Familiengräbern, deren Denkmäler bis in das vierzehnte Jahrhundert zurückgehen. Marmorne Basreliefs, ganze Figuren, Epitaphien! Links erhebt sich die düstere Margarethenkirche aus dem Jahr 1485, seitab steht die Katharinencapelle mit dem Grab des heiligen Vitalis und, an die Felswand hingebaut, die Kreuzcapelle. Von dort führt eine in den Stein gehauene Treppe in die Einsiedelei des heiligen Einsiedlers Maximin, welcher hier mit andern frommen Brüdern gewohnt und beim Einfall der Heruler (478) den Martertod gefunden haben soll. Abermals nichts als Capellen, Heilige, Marterplätze, Kreuze, und darunter – auf dem kleinen Raume – haben die Jahrhunderte das aufgehäuft, was von uns übrig bleibt: mit Rasen und Blumen bedeckten Staub. Die letzten Sonnenblicke glänzen auf den Votivtafeln, der halbverwitterten Vergoldung der Kreuze, den welken Blumenkränzen. Hier liegt Michael Haydn, der Bruder des Tondichters der „Schöpfung“, begraben. Doch was will Michael Haydn in der Stadt bedeuten, wo Mozart das Licht gesehen?
Diesem Friedhof widmete Lenau die schönen Verse, über welche, was selten bei ihm, der Schimmer eines Auferstehungsglaubens hinspielt:
O schöner Ort, den Todten auserkoren,
Zur Ruhestätte für die müden Glieder!
Hier singt der Frühling Auferstehungslieder,
Vom treuen Sonnenblick zurückbeschworen.
Wenn alle Schmerzen auch ein Herz durchbohren,
Dem man sein Liebstes senkt zur Grube nieder,
Doch glaubt er leichter hier: wir seh’n uns wieder,
Es sind die Todten uns nicht ganz verloren.
Der fremde Wandrer kommend aus der Ferne,
Dem hier kein Glück vermodert, weilt doch gerne
Hier, wo die Schönheit Hüterin der Todten.
Sie schlafen tief und sanft in ihren Armen,
Worin zu neuem Leben sie erwarmen;
Die Blumen winken’s, ihre stillen Boten.