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Ueber die bevorstehende Freiheit der Ehsten und Letten

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Autor: Gustav Reinhold Georg von Rennenkampff
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Titel: Ueber die bevorstehende Freiheit der Ehsten und Letten
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Erscheinungsdatum: 1820
Verlag: J. C. Schünmann
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Erscheinungsort: Dorpat
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Quelle: UB Tartu und Commons
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[1]
Ueber
die bevorstehende Freiheit
der Ehsten und Letten,
von
G. v. Rennenkampff,
Mitglied der Einführungs-Commission.




Mit Approbation der Allerhöchst verordneten Einführungs-Commission.




Dorpat, 1820.
Gedruckt bei J. C. Schünmann,
Universitäts-Buchdrucker.


[2] Der Druck dieser Schrift wird unter der Bedingung bewilligt, daß vor der Herausgabe sieben Exemplare vorschriftsmäßig an die Bücher-Censur der Kaiserlichen Universität Dorpat eingesandt werden.

     Dorpat, den 6. März 1820.

          Collegienrath u. Ritter Gustav Ewers, Censor.


[3] Alle Ehsten und Letten sollen mit Weib und Kindern ganz frei werden. Dieses weiß in unserm ganzen Lande jeder Mensch, ein Jeder denkt und spricht davon, jeder freut sich darauf; allein nur sehr wenige von allen diesen Leuten wissen, was es ist, worüber sie sich freuen: denn fast Niemand kann einen deutlichen Begriff vom Zustande der allgemeinen Freiheit machen, weil sie Allen fremd ist. Jeder vernünftige Ehste und Lette wird gewiß fragen: wie wird unser Leben in der Freiheit seyn? Das heißt, welche [4] Rechte werden wir dann haben, welche Pflichten sind uns dann auferlegt, und haben wir als freie Leute auch noch Jemandem zu gehorchen? Er wird fragen: wie und wann werden wir frei? Wem haben wir die Freiheit zu verdanken? – Gewiß thut jeder vernünftige Ehste und Lette diese Frage, und er hat recht, sie zu thun; denn jeder Mensch muß wünschen, zu wissen, was aus ihm in Zukunft werden kann und werden wird.

Ich will es versuchen, diese Fragen zu beantworten, vorher aber nur ein Wort darüber, daß der Wunsch der Gutsherren, den Leibeigenen die Freiheit zu geben, schon sehr alt ist.

Die Erbherren auf den Gütern haben nämlich schon vor vielen Jahren, und sehr oft wiederholt darüber berathschlagt, allen ihren Erbleuten die Freiheit zu geben, weil sie als Christen wünschten, alle Menschen wie ihre Brüder und Mitbrüder behandeln zu können, und damit daß denn, wenn irgend ein Herr oder dessen Aufseher einen Knecht hart behandelt, dieser nach beendigter Dienstzeit denselben verlassen und sich einen [5] bessern suchen könne. Schon zu der Zeit, als dieses Land noch unter polnischer Herrschaft stand, also ehe es zu Schweden gehörte, wollte man die Leibeigenschaft aufheben; allein es war unmöglich; denn sowohl die Letten als Ehsten waren noch zu unwissend und sorglos, um als ein freies Volk, das für sich selbst sorgt, sich selbst überlassen werden zu können. Dieses geschahe vor beinahe drittehalb hundert Jahren; und so oft auch seit der Zeit manche gute Herren den Vorschlag einer allgemeinen Freilassung auf den Landtägen machten, so konnte er doch wegen derselben Ursachen immer nicht ausgeführt werden.

Manche Herren ließen einzelne ihrer Leute mit ihren Familien frei; allein wie selten hatten sie die Freude, diese Leute, die sie zum Versuch einzeln freigelassen hatten, als arbeitsame gute Menschen nach mehreren Jahren wieder zu sehen; fast immer fanden sie sie verarmt, lüderlich, und häufig nur vom Betruge ihrer ehemaligen Mitbrüder, der Bauern, lebend. Wie hätten die Herren vor Gott und ihrem Gewissen es verantworten können, wenn sie allen ihren Bauern [6] die Freiheit gegeben, und sie auf diese Art sich selbst überlassen hätten, da diese armen Leute wie unmündige Kinder sich in keiner Lage zu helfen wußten, und sich immer nur darauf verließen, daß ihre Herren für sie denken, für sie handeln, für sie sorgen sollten. Selbst der Landesherr konnte es bis jetzt nicht erlauben, daß diese unmündigen Kinder durch ein allgemeines Freiwerden sich selbst überlassen und ins Verderben gestürzt würden; diese mußten erst vorbereitet, erst mündig werden. Gott selbst befreite auf wunderbare Weise die Israeliten aus der Knechtschaft, um sie in das verheißene Land zu senden; und dennoch lies er sie viele Jahre hindurch in den Wüsten herumirren und immer vergeblich suchen, bis sie dazu fähig, dazu würdig waren, in das gelobte Land zu ziehen, in welchem sie so lange blieben, als sie thaten, was Gott gefällig war.

Aus dieser Unmündigkeit, welche bis zu unserer Zeit fortdauert, würden die Ehsten bald haben treten können, wenn sie nur ihre Kinder gewissenhafter in die Schulen geschickt hätten, um Gottes Gebote und ihre eigene [7] Pflichten als Menschen und Christen kennen zu lernen, und, um gescheute Leute zu werden, die selbst denken, und selbst für sich sorgen können, und die da wissen, wie sie sich selbst durch das Leben helfen sollen. Ich glaube nicht, daß mir irgend ein gescheuter Bauer einwenden werde: seine Mitbrüder hätten nicht soviel, ihre Kinder in der Schule unterhalten zu können. Rechnet jeder Vater zusammen, was er auf Hochzeiten, Kindtaufen und Beerdigungen verzehrt, was er in den Krügen und auf den Märkten mehr ausgiebt und verschleudert, als nothwendig ist, und um wie viel er sich im Verkauf seiner Produkte blos deswegen übervortheilen läßt, weil er in der Schule nicht rechnen gelernt hat, und daher gewöhnlich mehr Maaß und Gewicht hergeben muß, als ihm angerechnet wird; so muß er leicht einsehen, daß dies weit mehr beträgt, als alle Unkosten der Schule, die seine Kinder zu gescheuten Leuten machen kann.

Weil es Gottes Gebot ist, daß jeder Mensch, so weit seine Kräfte reichen, für die Glückseligkeit und die Vervollkommnung seiner Nebenmenschen sorge, besonders der ihm anvertrauten [8] Unterthanen, so haben einige Herren ununterbrochen alle Mühe dahin gerichtet, die Ehsten und Letten auch noch auf anderm Wege zur Mündigkeit zu bringen, d. h.: sie dazu fähig zu machen, freigelassen zu werden. Diese ehrwürdigen Herren machten auf den Landtägen ihren Mitbrüdern, nämlich den übrigen Gutsherren, Vorschläge zum Besten der Bauern, die Jeder gern annahm; denn Jeder wünschte das Gute, Jeder wünschte das Glück der Bauern. Es wurde festgesetzt, daß in Zukunft nicht der bloße Wille des Herrn oder dessen Aufseher bestimmen dürfe, wie viel ein Bauerwirth an Arbeiten und Abgaben für sein Gesinde zu entrichten haben solle, sondern das Gesetz solle es bestimmen, und so bestimmen, daß der Bauer nicht gedrückt werde und auch der Herr bestehen könne. Es wurde bestimmt, daß es nicht mehr dem bloßen freien Willen des Aufseher überlassen bleiben solle, den Knecht zu immer schwererer Arbeit anzustrengen; auch daß der Herr und sein Aufseher nicht nach freiem Gutachten einen Hausvater, der die Achtung seiner Knechte genießen soll, strafen dürfe, sondern daß nur allein der Richter nach Urtheil und Gesetz eine Strafe über ihn verhängen [9] dürfe. Es wurde festgesetzt, daß auch die Hauszucht, welche dem Herrn nie genommen werden kann, von ihm nicht dürfe übertrieben und kein Mensch zu hart oder ohne es verdient zu haben, dürfe gestraft werden; auch daß der Herr, der gegen dieses Verbot sündige, sich der von den höhern Richtern zu bestimmenden Strafe zu unterwerfen habe. Was alle Gutsherren als recht und gut anerkannt hatten, wurde sodann unserm Herrn und Kaiser vorgestellt, damit er nach seiner Weisheit bestimmen möge, was Gesetz seyn solle.

So entstand denn diejenige Verfassung, welche den Bauern seit dem Jahre 1804 das Recht gab, aus ihrer eigenen Mitte Richter zu wählen, die nicht bloß nach allgemeinen Gesetzen richten, sondern auch nach dem alten Herkommen, darnach, was ein Bauer selbst für Recht und Unrecht hält, nicht allein die deutschen unterrichteten Herren. So entstanden die Gesetze, nach welchen jeder Herr sein Land mußte messen und abschätzen lassen, es koste was es wolle, und nach denen es strenge untersagt wurde, die Bauern, welche das Land nicht verlassen durften, zu hohern Pachtarbeiten und Abgaben zu zwingen, als billig war, und die gesetzlichen [10] Wackenbücher vorschrieben. So entstand auch das Gesetz, daß keinem Hausvater oder Wirthe seine Wirthschaft durfte genommen werden, wenn er nicht durch Lüderlicheit oder Unvermögen unfähig wurde, derselben vorzustehen. Durch diese vor 15 bis 16 Jahren bestimmte Verfassung, welche die Gutsherren durch ihre Bitte an den Monarchen veranlaßten, hat unser allergnädigster Kaiser dem Lande eine unendlich große Wohlthat erzeigt, eine Güte, für welche sein Vaterherz den Segen des Himmels gewiß genießt.

So hörten die Ehsten und Letten schon auf, ganz und gar Leibeigene zu seyn; denn ihre Pflichten sowohl, als ihre Rechte, waren nun von den Gesetzen bestimmt, nicht mehr von der bloßen Willkühr ihrer Herren. Ganz frei durfte man sie damals indessen doch noch nicht lassen. Dadurch, daß nun die Ehsten und Letten in manchen Stücken für sich selbst zu sorgen angeleitet wurden, fingen sie in den meisten Gegenden an, ordentlicher und betriebsamer zu werden. An vielen Orten suchten sie selbst ihre Kinder besser zu unterrichten, oder in gute Schulen zu senden, um klüger und verständiger zu werden, und um sie dazu fähig [11] zu machen, die Stelle eines Richters in höherer Behörde vielleicht ein Mal besetzen zu können. So haben die Ehsten und Letten sich der Mündigkeit genähert, und die Gutsherren konnten hoffen, ihnen die Freiheit schenken zu dürfen, ohne sie dadurch einer großen Gefahr auszusetzen.

Was viele Gutsherren wünschen, das wünschte auch unser Kaiser, und so geschahe es denn, daß auf dem Landtage im Sommer 1818 sich die Gutsherren dahin entschieden, daß sie allen ihren Bauern und Erbleuten die Freiheit geben wollten. Unser allergnädigster Kaiser, dem darüber der Herr General-Gouverneur vorgestellt hatte, erlaubte es auch, und schrieb den Gutsherren vor, eine Verfassung und Gesetze für das Volk zu dessen Freiheit zu entwerfen; er selbst aber würde darüber entscheiden, was Gesetz bleiben solle. Unser gnädiger Kaiser hat darüber entschieden, und in wenigen Jahren dürfen die hiesigen Herren alle ihre Leibeigenen ganz frei sprechen. Dasselbe trift auch alle Livländischen Kronsbauern.

Als leibeigen standen ehemals die Ehsten und Letten ausschließlich unter der Willkühr [12] ihrer Herren, welche über ihre ganze Lebensart, über ihre Arbeiten, ihren Lohn und ihre Strafen entschied, kurz über alles dasjenige, über welches ein Vater bei seinen unmündigen Kindern entscheidet. Durch die Gesetze, welche die Bauern seit funfzehn Jahren kennen, sind sie freilich wohl aus diesen willkührlichen Bestimmungen ihrer Herren getreten, allein sie können doch noch nicht wie freie Leute nach eigenem Willen über sich und ihren Dienst bestimmen. Auch das wird in Zukunft ganz anders seyn. Nirgend wird die Willkühr anderer Leute Bestimmungen über die Bauern treffen, überall wird das Gesetz entscheiden und gegenseitige Uebereinkunft oder Kontract wird festsetzen, was jeder Mensch heilig und treu zu halten verbunden ist. Dazu sind aber Gesetze nöthig, und diese so abzufassen, daß sie das Landvolk wirklich glücklich machen, und zugleich keinem andern Menschen ein Unrecht zuzufügen verstatten, das ist eine Arbeit, die viel Zeit und Nachdenken erfordert. Es ist aber nicht allein nothwendig, daß jeder Mensch geduldig und ruhig warte, bis daß die neuen Gesetze erscheinen, sondern auch, [13] daß er bis dahin gehorsam und fromm dasjenige thue, was die Gesetze ihm jetzt vorschreiben, damit er nicht in Strafe verfalle, und noch wohl gar den Schutz, die Ruhe und Begünstigung verliere, die die Gesetze demjenigen zusichern der sich ihnen mit christlicher Frömmigkeit unterwirft.

Wie wird der Zustand der Leibeigenen sein, wenn sie frei geworden sind?

Dadurch daß der Herr seinen Leibeigenen die Freiheit gibt, ist ihm auch die Verbindlichkeit abgenommen, seine bisherigen Unterthanen in allem zu versorgen, und für sie verantwortlich zu seyn. Der Lette und Ehste wird wie jeder freie Mann selbst bestimmen können, wo und wie er leben will; also muß er selbst die Sorge für seine Existenz und für seine Zukunft tragen.

Wie der erwachsene Sohn aus dem Hause seines Vaters tritt, oder der Aufzögling aus dem Hause seines Pflegevaters, und sich selbst sein künftiges Leben bestimmt, selbst für seine Nahrung und Erwerb sorgt, so [14] wird der Lette und Ehste aus der Leibeigenschaft oder Vormundschaft seines bisherigen Herrn treten, und über sein künftiges Leben selbst bestimmen. Eben so wie der mündig gewordene Sohn oder Aufzögling nicht mehr darauf rechnen darf, daß sein Vater oder Pflegevater auch dann noch, wann er sich von ihm getrennt, und bereits seine eigene Wirthschaft angetreten hat, für jedes seiner Bedürfnisse sorge; eben so kann der mündig und frei gewordene Leibeigene auch nicht mehr erwarten, daß sein bisheriger Herr sich seiner Versorgung unterziehe, und bei öffentlichen Zahlungen und Leistungen für ihn verantworte. Der freie Mensch erwirbt für sich selbst und seine Familie, er muß sich also auch selbst helfen. Es glaube aber Niemand, daß deswegen der Bauer von seinem Herrn und dessen Hülfe verstoßen sei. Wie der gehorsame gute Sohn, auch wenn er längst schon das väterliche Haus verlassen hat, immer noch dem Herzen seines Vaters theuer bleibt, und in jedem Unglück bei ihm Trost und Hülfe findet, so weit die Kräfte des Vaters reichen, wenn er nur jederzeit ein liebevoller, guter Sohn geblieben [15] ist; eben so wird auch der Bauer, wenn er längst schon seines bisherigen Erbherrn Vormundschaft verlassen hat, dennoch ihn und jeden Gutsherren theilnehmend und hülfreich finden, so bald er nur selbst der Theilnahme und Hülfe sich würdig gemacht hat. Also fordern kann der freie Bauer vom Herrn in Zukunft nie eine Unterstützung, allein was er nicht fordern kann, wird er in reichem Maaße erhalten, wenn er sich die Liebe des Gutsherren zu erwerben gewußt hat. So wie einen unbilligen Herrn die Bauern fliehen werden, und sich scheuen, mit ihm in Verbindung zu treten; so wird der lüderliche widerspenstige Bauer auch schwerlich ein Unterkommen finden. Allein wie zum guten Herrn jeder Bauer gern hinziehen wird, so wird auch der fromme dienstfertige Bauer immer und leicht einen Dienst finden, und einen liebevollen guten Herrn. Das Betragen und die Gesinnungen des Bauern werden daher, wie bis jetzt, so auch in Zukunft, auf die Gesinnungen des Grundherrn gegen ihn von wesentlichem Einflusse sein.

Der Bauer wird künftig, so wie jetzt, die Richter, die über ihn richten sollen, zum [16] Theil selbst, und aus seines Gleichen wählen, und hat er sich das Zutrauen seiner Mitbrüder und der höhern Richter erworben, hat er Kenntnisse, ist er gewissenhaft, gerecht und thätig: so kann er zu großen Ehren gelangen.

Der freie Ehste und Lette kann auch Landbesitzer werden, wenn er das Vermögen dazu hat, sich ein Stück Land oder eine ganze Wirthschaft zu kaufen. Durch die neue bevorstehende Verfassung kann also mancher Bauer die frohe Hoffnung haben, das Gesinde, welches schon seine Vorfahren bewirthschafteten, das Land, welches schon seine Eltern ernährte, die Felder und Wiesen, die er selbst als Kind mit den Heerden durchzog, und die er als Mann bearbeitete und aberndtete, wenn der Gutsherr es verkaufen will, als sein Eigenthum zu kaufen, und sich und seinen Nachkommen dadurch ein eigenes Grundstück zu sichern. Hat er sich durch Sparsamkeit, Ordnung und Fleiß ein Vermögen gesammelt, so wird ihm die Freude, sein eigenes Grundstück besitzen zu können, reicher Lohn werden, für alle ausgestandene Mühe, für manchen Genuß, den [17] er sich versagte, bloß um einst ein Mal Gesindes-Eigenthümer werden zu können.

Da der Bauer bis jetzt das Gut seines Erbherrn nicht verlassen durfte, so sind die Leistungen und Zahlungen für jedes Gesinde durch die Gesetze bestimmt, damit nicht ein Herr oder Aufseher vom Bauern mehr fordere, als billig ist. Sobald er aber als freier Mensch hingehen kann, wohin er will; sich einen Dienst und eine Lebensart wählen, welche er will, so wird er sich mit seinem Herrn auch nur nach freiem Kontract über seine Pachtzahlung oder seine Arbeitsleistungen vereinigen. Findet der Bauer, daß er für den Bauerhof oder das Gesinde, welches er pachten will, nicht so viel wird zahlen können, als der Grundherr verlangt, so kann er sich bei andern Herren um andere Pachtungen umsehen, und versuchen, ob es ihm gelinge, einen vortheilhaftern Pachtkontract abzuschließen. Nach vollkommen freier Uebereinkunft zwischen Herren und Bauern wird in dem Kontracte genau benannt, auf wie viele Jahre, und für wie viele Arbeit, oder Getreide, oder Geld, oder was es sonst ist, das Land verpachtet wird. Diese benannte Zahlung [18] muß genau geleistet werden: denn wenn der Pächter darin nicht pünktlich ist, oder überhaupt gegen die verabredeten Bestimmungen handelt, so wird er, wenn ihn der Herr verklagt, nach geschehener Untersuchung vom Gerichte, aus dem Gesinde gesetzt, und ihm so viel von seinem Vermögen genommen, daß seine Schuld getilgt und der verursachte Schaden vergütet werden kann. Vor Ablauf der im Kontract bestimmten Pachtjahre darf der Herr weder die Pacht erhöhen, noch auch den Bauer aus seiner Wirthschaft setzen, wenn dieser nämlich seinen Kontract erfüllt hat, oder er muß sich mit ihm vergleichen, und wenn es nöthig ist, ihm Abtrag zahlen. Eben so darf aber auch kein Bauer früher, als bis die Pachtjahre abgelaufen sind, sein Gesinde abgeben, ohne sich mit seinem Grundherrn verglichen und abgefunden zu haben.

So werden auch die Knechte und Dienstbothen sich künftig nur nach gegenseitig freier Uebereinkunft bei einem Gutsherrn oder Wirthen in Dienst verdingen. Sie werden den unbilligen Herrn oder schlechten Wirthen verlassen dürfen, wenn die Zeit um [19] ist, auf welche sie sich durch mündlichen oder schriftlichen Kontract verbindlich gemacht haben, ihm zu dienen, und werden sich einen anderen Herrn oder Wirthen suchen können. Die Richter werden darauf wachen, daß ein jeder Mensch, also der Herr so gut als der Diener, sowohl der Grundherr als der Pächter, dasjenige erfülle, wozu er sich in seinem Kontracte verbindlich gemacht hat.

Alle Vorschriften, Befehle und Strafen, werden die Livländischen Bauern in Zukunft von den Gerichten erhalten, nach Gesetzen, die unser allergnädigster Kaiser gegeben hat, unter denen der Herr eben so gut steht als der Bauer, und die bald Jedermann kennen wird. Der Diener oder Knecht erhält dann nur von seinem Herrn oder Wirthen solche Befehle, wie gegenwärtig der freie Diener sie erhält, nämlich solche, die seinen Dienst betreffen, und die Arbeiten, die vorzunehmen, die Aufträge, die zu bestellen sind, und er ist dann verpflichtet, sie gehorsam und treu auszuführen. Wie jeder Hausvater genau darauf wachen müßte, daß sein Hausgesinde fleißig, treu und fromm sei, [20] denn es ist seiner Leitung anvertraut, und wie er daher auch das Recht haben muß, dann und wann seine Dienstbothen, die seine Befehle nicht gehorchen oder lüderlich oder nachläßig sind, oder sich gar gegen ihn selbst oder seinen Stellvertreter vergehen, sie mit einer väterlichen Strafe zu belegen; so wird auch künftig der Hausherr das Recht haben, seine Diener und Dienerinnen, wie bisher, mit einer mäßigen Züchtigung zu belegen, wenn sie es verdient haben. Thut er ihnen aber unrecht, straft er sie zu hart oder ungerecht, so können sie ihn verklagen, und der Richter wird zwischen ihnen das Recht erkennen, und selbst den Hausherrn mit einer Strafe belegen, wenn er wirklich ungerecht gewesen ist. Dagegen wird auch der Richter eben so wie jetzt den vorsätzlich ungehorsamen Diener, den boshaften Kläger, durch Strafen in Ordnung halten, – ganz wie die Bibel sagt: „Es soll allen geholfen werden.“ Der Richter wird also eben so gut den Herrn gegen den schlechten Diener schützen, als den Diener gegen ungerechte Strafen.

[21]
Wann und wie werden die Leibeigenen frei?

Wenn alle Bauern zu gleicher Zeit, und plötzlich ohne darauf vorbereitet zu sein, die Freiheit erhielten, würden sie wohl wissen, was sie anfangen sollten? Ich zweifle, daß sie es wüßten. Der kluge Mensch wird freilich immer wissen, was er anfangen soll, um sich seinen Unterhalt zu erwerben; allein wie wenige der wirklich klugen Leute giebt es? Und sollen wir denn nicht mit christlicher Bruderliebe auch für den Unwissenden sorgen, und jeden Schaden zu verhüten suchen, der ihn durch unsere menschlichen Unordnungen und Gesetze treffen kann? Wenn der Unwissende, der von dem Zustande, in welchen er als freier Mensch treten wird, noch nichts weiß, und sich auf denselben also auch noch nicht hat vorbereiten können, plötzlich die gewünschte Freiheit erhielt, und durch Irrthum bethört, seinen Herrn oder Wirthen so schnell als möglich verlassen zu müssen glaubte, um in der Ferne unbekanntes Glück und unbekannten Erwerb zu suchen, und dann ohne Paß, ohne [22] Vermögen in fremde Gegenden wanderte, wo ihn der Hunger bald zwingen würde, zu stehlen oder zu rauben; – würde er dann ein Gewinn für die armen verblendeten Leute sein, ein paar Jahre früher die Freiheit erhalten zu haben, und dabei ins Verderben gestürzt worden zu sein? Würden nicht durch solches Herumirren des Volkes in vielen Gegenden alle Arbeiten liegen bleiben, und dadurch Elend, Mangel und Hungersnoth entstehen? Würden sich nicht vielfältig übelgesinnte Menschen finden, die die allgemeine Unwissenheit benutzen würden, um die gutmüthigen Leuten zu hintergehen, und um Unordnungen zu veranlassen, bei denen die bösartigen Menschen freilich gewinnen, der Unschuldige aber leiden würde? Deswegen hat unser gütiger Kaiser befohlen, daß die hiesigen Bauern erst nach und nach frei gelassen werden, damit sie das Gute der neuen Freiheit genießen können, ohne sich vorher durch Mißverständnisse selbst großen Schaden zugezogen zu haben.

Kann doch kein Bauer in einem und demselben Tage seine alte gewohnte Wirthschaft [23] verlassen, und eine neue Wirthschaft antreten, die er noch gar nicht kennt, in welcher ihm noch alles fremd ist; wie sollte also eine ganze Nation ihren bisherigen gewohnten Stand verlassen, und, ohne sich großen Nachtheil zuzuziehen, plötzlich in einen ganz neuen Stand treten können, der ihr ganz fremd ist, wo die bisherigen bekannten Gesetze zum Theil aufhören, und neue nie gekannte Gesetze nothwendig werden?

Aus liebreicher Vorsorge ist eine Zeit von wenigen Jahren bestimmt worden, während welcher die Ehsten und Letten, nachdem sie mit dem Zustande, der ihnen bestimmt ist, sind bekannt gemacht worden, sich für die Freiheit vorbereiten können. Jeder Bauerwirth kann dann überlegen, und mit seinem Grundherrn sich besprechen, auf welche Art und für welchen Preis er künftig das bisher bewirthschaftete Gesinde wird behalten können, oder ob er sich eine andere Pachtung bei einem andern Grundherrn wird suchen müssen? Jeder Knecht und Dienstbothe wird es bedenken können, und durch [24] Erkundigung erfahren; ob es in der Fremde, umgeben von fremden Menschen, die noch keine Liebe, keine Sorgfalt für ihn haben können, denn wirklich besser sei, als in der Heimath, wo ihn vielleicht Manches drückt, wo er aber alles kennt, wo Menschen sind, die ihn haben aufwachsen und groß werden sehen, Menschen die ihm verwandt sind, die ihn kennen und lieben, die ihm geholfen haben, und denen er geholfen hat.

Um allen hiesigen Bauern und Dienern die Zeit zu geben, sich mit allem bekannt zu machen, was ihnen dann, wenn sie frei seyn werden, zu wissen nützlich oder notwendig seyn wird, und damit soviel möglich sie durch Beispiele Anderer die Freiheit kennen und gehörig benutzen lernen, das heißt: damit sie durch Erfahrung Anderer klug werden, dazu hat Seine Kaiserliche Majestät befohlen, daß erst zu St. George 1823 die ersten Ehsten und Letten frei werden sollen. Diese sind nämlich die eine Hälfte aller Wirthe mit Weib und Kindern. Die andere Hälfte derselben wird ein Jahr [25] später, nämlich zu St. George 1824 frei. Am Georgen-Tage 1825 wird die eine Hälfte aller Gebietsknechte und Hofsleute, und zu George 1826 die andere Hälfte derselben frei, und dann giebt es keine Leibeigene mehr in diesem Lande.

Wem haben die Letten und Ehsten die Freiheit zu verdanken, wer giebt sie ihnen?

Diese Frage ist leicht beantwortet. Sind die leibeigenen Letten und Ehsten nicht Eigenthum ihrer Herren? Dieses Eigenthum wird verschenkt, kann aber natürlich nur von denjenigen verschenkt werden, denen es gehört, nämlich den Gutsherren. Dieses Eigenthum, welches größtentheils vom Herrn theuer erkauft ist, und oft sein ganzes Vermögen kostet, dieses ist es, welches er hingiebt: also haben die Ehsten und Letten ihre Freiheit ihren bisherigen Erbherren zu danken.

Aus Menschenliebe und christlicher [26] Nächstenliebe faßten die Gutsherren den Entschluß, ihre Leibeigenen frei zu lassen. Unser Herr General-Gouverneur, der gern das Gute und das Glück des Volkes befördert, stellte den Entschluß unserm väterlichen Landesherrn vor, der mit Freuden die Erlaubniß gab, einen so guten Vorsatz auszuführen.

Alle die Sorge, welche die Gutsherrschaft bisher gern übernahm, indem sie die Kranken heilte, die Leidenden tröstete und die Schmerzen linderte, den Hülfsbedürftigen unterstützte, den Unwissenden durch Anlegung guter Schulen zu belehren suchte, durch Strafen und Ermahnungen den Bösen und Fehlenden auf den Weg des Guten zurück zu führen, und durch zweckmäßige gesetzliche Anordnungen ihr Glück zu befördern suchte; alles dieses kann auch in Zukunft statt finden, wenn Alle bereits frei sind, wenn nur der bisherige Leibeigene nicht den unglücklichen Wahn hat, er sey nun von seinem Herrn, und überhaupt von allen Gutsherren gänzlich losgerissen, und daß keiner den andern mehr etwas angehe. Der [27] Herr bedarf natürlich des Bauern, um seine Felder zu bearbeiten, und dadurch die Mittel herbeizuschaffen, daß der Landesherr die geforderten Abgaben erhalten könne; allein noch weit mehr bedarf der Bauer des Herrn. Der Grund und Boden gehört dem Herrn, es hängt also von seinem freien Willen ab, ob er ihn verpachten und den Bauern zu ihrer nothwendigen Nahrung hingeben wolle, oder ob er ihn anderweitig benutzen will? Und was würde der Bauer ohne Landpacht und Dienst wohl anfangen, müßte er nicht zu Grunde gehn? Wer kann es dem Herrn verwehren, dem störrischen Bauer, der widerspenstig und ungehorsam ist, jedes Gesinde oder Pachthof zu verweigern, ihn aus seinem Gebiete zu verweisen, und nur guten, dienstfertigen, gehorsamen Bauern seine Ländereien zu verpachten? Was er mit dem Einzelnen zu thun berechtigt ist, das kann er auch mit allen thun, und alle verweisen, wenn sie die neue Freiheit mißverstehen, und sich gegen ihn ungebührlich betragen. Ist es nicht natürlich, daß der Herr sich am Ende lieber aus fremden Ländern Bauerpächter und [28] Diener kommen läßt, als daß er sich immerwährendem Aerger mit hiesigen unverträglichen und widerspenstigen Leuten aussetzt? Und der Länder giebt es viele, in denen die Menschenmenge so groß ist, daß sie sich kaum zu ernähren wissen, und es für ein großes Glück halten, wenn man ihnen in einem andern Reiche Land giebt, wovon sie hohe Pacht zahlen, und sich nebenher ernähren können.

Wie oft bedarf nicht auch in einzelnen Fällen der Ehste und Lette seines Herrn? Wer pflegt und heilt ihn in seinen Krankheiten besser als der Herr, der oft mit sehr großen Kosten einen Arzt für seine Leute hält, und die theuerste Medizin anschafft? Wer konnte, wer mogte ihm lieber in jeder Noth helfen, als der Herr, und forderte nie eine eigennützige Vergütung der Mühe, die er dabei hatte? Die Hülfe, die der livländische Bauer bei Fremden findet, und sie oft mit großen Kosten, mit Bezahlungen, die ihn in große Schulden stürzen, erkaufen muß; erhält er sie nicht immer umsonst und [29] gern von seinem Herrn? Weil der Bauer des Grundherren weit mehr bedarf, als der Gutsherr seiner, so ist es für ihn besonders nothwendig, sich das Wohlwollen seines Herrn zu erwerben, und sorgfältig zu erhalten.

Wie aber der Ehste sowohl, als der Lette, seine Heimath nur sehr ungern verläßt, um unter fremden Herren fremden Dienst zu suchen, eben so wie er das bekannte und gewohnte gern beibehält, so wird es auch der Gutsherr jederzeit ungern thun, den alten bekannten Bauerpächter, den alten bekannten Diener fortzuschicken, und neu ungewohnte Pächter für sein Land, um fremde Knechte für seinen Dienst anzunehmen. Es dürfen also die Letten und Ehsten nicht fürchten, durch Fremde aus ihrer Nahrung und ihrem Dienst vertrieben zu werden, wenn sie nicht durch ihr Betragen die Herren dazu zwingen. Das ungebührliche Betragen der Bauern oder der Diener gegen ihren Gutsherrn wird freilich der Richter zu bestrafen wissen; allein das Betragen, [30] das aus Zutrauen, Liebe, Ergebenheit und Achtung entspringt, und nicht vom Richter kann gelehrt und anbefohlen werden, ist es, was die Liebe und emsige Sorgfalt der Herren erwecken muß, um dem Bauer und Diener ein glückliches Loos und sorgloses Alter zu sichern. Nie wird der Mensch, der halsstarrig und ungehorsam gewesen, auf eine Versorgung rechnen dürfen, wenn das Alter ihm die Kräfte geraubt hat, sich seinen Unterhalt zu erwerben, oder wenn Unglücksfälle ihn an den Rand des Verderbens gebracht haben; wohl aber wird jeder fromme, gerechte und gute Bauer und Diener darauf rechnen können, und Hülfe und Unterstützung finden.

Weder der Ehste noch der Lette ist bis jetzt unglücklich gewesen, allein er soll durch die neue Verfassung, die ihn zum freien Menschen macht, noch glücklicher werden; und sein Glück wird deswegen unerschütterlich seyn, weil er es sich durch seinen Fleiß, durch seine Arbeit feststellt. Arbeit wird es für ihn auch in der Freiheit geben, denn sie [31] nur giebt Zufriedenheit und frohen Muth; sie nur sichert ihm seine Existenz. Der faule Mensch ist nie zufrieden, nie heiter, der fleißige ist es fast immer. Daß unser Leben dazu da ist, in der Arbeit immer vollkommener und besser zu werden, erkennen wir nicht, nur in unserm Herzen, sondern wir finden es auch als Gottes Gebot in seinem heiligen Worte. Ein jeder Mensch muß arbeiten, der Reiche wie der Arme, der Hohe wie der Niedrige, nur daß nach jedes Menschen Stand und Umstände auch seine Arbeit verschieden ist. Die Arbeit ist keine Last, sie ist Pflicht des Menschen, und aus ihr entspringt alles Gute, das der Mensch bewirken kann, daher sind die fleißigen Menschen auch gewöhnlich die bessern. Wenn es auch scheint, daß der Stand der Bauern mehr als alle andern Stände zur Arbeit geschaffen ist, so ist es doch nur ein falscher Schein. Jeder Stand hat seine besondern, und oft sehr schweren Arbeiten, und wohl schwerer als der Landmann. Wenn jeder andere Stand nach beendigter Arbeit, von Sorgen gedrängt, von Nachdenken erfüllt, die Ruhe umsonst sucht, findet [32] der fleißige Bauer nach seiner vollbrachten Arbeit immer Ruhe und Heiterkeit, und immer stärkt ihn ein ungestörter Schlummer zu neuer Arbeit, deren Früchte seine Mühe belohnen. Dem Bauer entspringt aus seiner fleißigen Arbeit vieles Gute und mannigfaltiges Glück, das andere Leute nicht kennen, die wegen ihres glänzenden Standes, wegen ihrer glänzenden Umgebung beneidet werden. Wie vielen Nachtheilen und Gefahren ist nicht jeder andere Stand ausgesetzt, die der ruhige Bauernstand gar nicht kennt? Der Bauer bringt durch seine Arbeit das Brod hervor, das alle Menschen ernährt, er giebt den größten Theil der Soldaten her, die das Vaterland beschützen, und die Ehre, den Ruhm der Nation erhöhen; es ist also der Bauernstand auch ein sehr achtungswerther, verdienstvoller Stand, wenn er nur die übrigen Pflichten als guter Unterthan des Staates und als Mensch erfüllt, wenn er ein guter Christ ist, ein folgsamer fleißiger Mann. Da es nur gerade der Fleiß ist, der den Bauern nicht allein zum wohlhabenden und glücklichen Menschen macht, sondern auch zum geachteten, dem Höflichkeit [33] und Freundlichkeit auch Liebe erwirbt, so darf man wohl hoffen, daß in den neuen Verhältnissen, in welche der Bauer nun bald wird eingeführt werden, um glücklicher und vollkommener zu werden, er sich auch bestreben werde, durch Fleiß und gutes Betragen das Glück zu verdienen, das ihm zugedacht ist.

Ich habe bis jetzt zu den guten Ehsten und Letten gesprochen; denjenigen aber, welche bösen Willen haben, welche Unordnungen, Ungehorsam, Hartnäckigkeit zu veranlassen, und ihre frommen Mitbrüder zu verführen bereit sind, habe ich nur wenige Worte zu sagen.

Die Ordnung und Ruhe wird hier im Lande, wie überall im ganzen russischen Reiche, durch die Regierung immerdar aufrecht erhalten. Die bisherigen Gesetze schreiben vor, wie es jetzt ist, und sein soll; wie es künftig werden soll, das machen die neuen Gesetze bekannt. Bis daß aber die Zeit [34] kommt, da nach den den neuen Gesetzen das Neue anfangen wird, soll alles ruhig und still bleiben, nach den alten Gesetzen leben, und seine Pflichten beobachten. Ein jeder Mensch soll ruhig warten, bis daß ihm von den Gerichten angedeutet wird, daß sein Zustand verändert, und auf welche Art er verändert werden wird. Wer dagegen sündigt, wer selbst nicht ruhig ist, oder gar andere Leute zu Unruhe verführt, indem er ihnen die wohlthätigen Gesetze falsch erklärt, oder etwas Falsches für ein Gesetz ausgiebt, wird mit aller Strenge von den Gerichten bestraft und unschädlich gemacht werden, sei es durch Forttransportiren in entfernte Gegenden, oder durch Gefängniß auf mehrere Jahre, oder selbst durch Todesstrafe. Weil die vorhabende neue Einrichtung nur den Zweck hat, den leibeigene Ehsten und Letten eine bedeutende Wohlthat zu erzeigen, und sie zu höherer Kultur und Vollkommenheit zu bringen, so wird jeder Mensch, der durch veranlaßte Mißverständnisse und Betrug, diese gute Absicht der Gutsherren zu vereiteln sucht, von der Regierung zu einer desto härtern Strafe verurtheilt werden.

[35] Dergleichen Straffällige wird es aber hoffentlich nicht geben. Der wohlthätige Zweck aller Gutsherren, das väterliche Wohlwollen unsers allergnädigsten Kaisers, welches so deutlich aus der neuen Freiheits-Anordnung spricht, wird gewiß jedes Herz mit Dank erfüllen, und jede Aufforderung zum Bösen vernichten. Mit christlicher Nächstenliebe sind die Gesetze abgefaßt, mit aller Vorsicht menschlicher Klugheit sind sie beurtheilt und bestätigt worden; wie sollen wir also nicht hoffen dürfen, daß der himmlische Geber alles Guten auch dieses gut beabsichtigte Werk mit seinem Seegen beglücken werde. Wenn jetzt schon manches Herz dem ewigen Vater seinen Dank bringt, für die Aussicht, welche den bisherigen Leibeigenen geöfnet wird, mit wie viel heißerm Danke werden nicht dereinst entfernte Nachkommen die Asche ihrer entschlummerten Wohlthäter segnen, wenn sie Söhne von jetzt noch ackernden Bauern, unter dem Schutz der Verfassung für freie Ehsten und Letten, die von ihren Vätern erworbene Wohlhabenheit dazu haben benutzen können, durch besondern Fleiß, Verstand, und sorgfältige [36] Ausbildung aller Geisteskräfte, nicht nur Handwerker oder Kaufleute zu werden, sondern selbst Künstler, Prediger, Beamte hoher Behörden, oder gar hohe Offiziere, die mit dem Adel gleichen Rang und gleiche Rechte haben, also auch Besitzer von Rittergütern werden können. Kann es wohl irgend einen Bauer in Livland geben, der bei genauer Betrachtung des Guten, das ihm zugedacht ist, nicht suchen sollte, durch fleißigen Schulunterricht sein Kind klüger und kenntnißreicher werden zu lassen, und sich selbst durch ein gutes Betragen, die Liebe seines Herrn zu versichern, und der Wohlthat seines Kaisers würdig zu werden?