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Thüringer Sagenbuch. Zweiter Band/Der Hain beim Oberschlosse

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Das Zwerg-Weiblein aus dem Frau Hollenloche Thüringer Sagenbuch. Zweiter Band
von Ludwig Bechstein
Die Judenstadt
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[280]
407.
Der Hain beim Oberschlosse.

Fast von allen Seiten wird das Oberschloß Krannichfeld von einem freundlichen Wäldchen umgeben, das mancherlei Spaziergänge durchkreuzen und das den Namen der Hain führt, einen Namen, den es mit vielen andern Gehölzen um alte Burgen und Schlösser in Thüringen gemein hat. Solcher Burgen sind: Tonndorf, Blankenburg, Camburg, Rudelsburg, Gleisburg, Osterfeld, Freiburg, Kevernburg, Liebenstein und unzählige andere. Viele wollen behaupten, daß der Hain um Oberkrannichfeld ein ehemaliger heiliger Hain gewesen sei, in welchem die Vorfahren geopfert hätten. Davon findet sich jedoch keine Spur mehr, mit Eichen und Buchen aber ist der Hain reichlich bestanden. In dem westlichen Theile desselben durchkreuzen sich zwei Wege, und man sagt, daß auf diesem Kreuzwege in der Nacht oft vermummte Personen mit brennenden Kerzen in den Händen erscheinen, die einen Kreis bilden und, nachdem sie mancherlei Ceremonien vollbracht haben, nach verschiedenen Richtungen einzeln, langsam schreitend, wieder auseinander gehen. Auch wurde der Teufel auf diesem Kreuzwege schon manchmal citirt.

Am nordwestlichen Ende des Hains steht ein kleines Häuschen nebst einer Kegelbahn, von seinem ehemaligen [281] Erbauer und Bewohner Klauershäuschen genannt, von wo aus man die herrlichste Aussicht auf die Stadt, in das Ilmthal und die ganze Umgegend genießt. Dieser alte Klauer war ein Kaufmann (in seinem am Anger in der Stadt stehenden Hause wohnte der russische Kaiser wenige Tage nach der Schlacht von Jena), und Herr Klauer starb in dem von ihm erbauten Häuschen ganz unerwartet, und in der ganzen Stadt war man – besonders aber die Armen – über seinen Tod bestürzt, da er die Bedürftigen immer gar reichlich unterstützt hatte. Viele wollen ihm auf seinem gewöhnlichen Spaziergange im Hain nach seinem Tode begegnet sein, ja von ihm Geschenke erhalten haben. Auch sagt man, daß am hellenlichten Tage oft ein Soldat im östlichen Theile des Haines umhergehe, der sich, ein Deserteur, an einer Eiche im Walde erhängt habe.

In dem letzten Franzosenkriege wurden viele Soldaten in den Hain begraben, man sagt über 150. Das Oberschloß nämlich war wie das Niederschloß zum größten Theile in ein Lazareth verwandelt worden, und da der Toden zu viele waren, so schaffte man sie nicht erst den Berg hinab auf den Friedhof bei der Stadt, sondern man begrub sie meistens ohne Särge in den nahegelegenen Hain. Ebenso wurden auf dem Niederschlosse, wo ebenfalls ein Lazareth errichtet worden war, über 200 Soldaten auf dem Platze der alten Judenstadt begraben.