Thüringens Gewerbfleiß
Thüringens Gewerbfleiß.
Den Reisenden, der in diesem Sommer auf den Flügeln des Dampfes durch Thüringen eilt und die Gartenstadt Erfurt berührt, grüßen, wenn er zum Wagenfenster hinausschaut, von der alten „Daberstedter Schanze“ die vielfarbigen Fahnen der Thüringer Staaten. Stolz flattern sie im Winde von Türmen und Kuppeln luftiger Gebäude, der großen Hallen und der schmucken Pavillons, die inmitten reizender Gartenanlagen die „Thüringer Gewerbe- und Industrie-Ausstellung“ beherbergen. Einladend winken sie dem Fremden entgegen und mahnend scheinen sie zu rufen: „Hemme deinen Lauf, eiliger Wanderer! Steige zu uns herauf durch das altertümliche Portal: schenke uns einen Tag, um Thüringens Schätze aus alter und neuer Zeit, des Waldlandes Gewerbfleiß zu schauen. Du wirst dieses ‚Opfer‘ sicher nicht bereuen, reich beschenkt wirst du heimwärts ziehen!“
Thüringens Gewerbfleiß! Welch eine Flut menschlichen Sinnens und Trachtens, welch eine ungeheure Summe rastlosen Arbeitens und Ringens umfassen diese zwei kurzen Worte! Wohin wandern nicht die Werke, die des Thüringers feste Hand geschaffen hat? Man kennt sie in Nord und Süd, vom Fels zum Meer, in allen Gauen des deutschen Vaterlandes, das Dampfroß trägt sie hinaus in alle Länder Europas und auf Schiffen ziehen sie über die Oceane nach den vier anderen Weltteilen. Millionen Kinder jauchzen alljährlich einem Teil dieser Erzeugnisse entgegen, denn Thüringen ist das echte und rechte Spielwarenland, in dem das Christkind seine schönsten Gaben sammelt. Vor zwei Jahrhunderten war es, da Sonneberg in Thüringen die Erbschaft Nürnbergs antrat und in der Erzeugung der Spielwaren die Führung übernahm, und trotz aller Wandlungen der Zeiten behauptet es noch heute den hohen Rang.
Für die Sonneberger Ausfuhrfirmen, deren es etwa 60 giebt, ist die ganze Umgebung mit über 30 Ortschaften thätig, und kaum wird in Deutschland ein zweiter Raum von etwa 5 Quadratmeilen Ausdehnung gefunden werden, welcher die Zweige der Spielwarenfabrikation in derartiger Ausdehnung und Mannigfaltigkeit pflegt, von der größten Schieferplatte bis zum einfachsten Griffel, von der leichten Holzschachtel bis zu den feinsten Werken der Modellierkunst. Treffend ist gesagt worden: „Mit den Sonneberger Waren spielen unsere Kinder, mit ihnen schmückt sich der indianische Häuptling, der Malaie des Stillen Meeres, der Neger des sonnenverbrannten Afrika. Kein Palast und keine Hütte ist ihnen verschlossen.“
Berühmt sind die Sonneberger Puppen. Manche Firmen erzeugen jährlich je 20000 bis 30000 Dutzend Puppen oder Puppenköpfe. Und welche Fortschritte hat hier das uralte Mädchenspielzeug gemacht! Auf der Londoner Weltausstellung 1851 erregten die „Schreipuppen“ zum erstenmal Aufsehen, bald darauf hatten die Puppen „Papa“ und „Mama“ rufen gelernt, jetzt sprechen sie und singen Lieder. Wie wurde in Sonneberg der „Teint“ der Puppenköpfe verbessert, bis die zarten Gesichtchen waschbar und wetterfest wurden, in der Tropenhitze nicht erweichten und in der frostigen Kälte des Nordens keine Sprünge bekamen! Die Thüringer Fabrikanten wetteiferten auch erfolgreich mit den Ausländern in dem Bestreben, Leben in den starren Puppenleib hineinzubringen, bis unter ihren sorgsamen Händen die Gelenke beweglich wurden und die Puppen sogar gehen lernten.
Außerdem entstand in Waltershausen ein zweiter bedeutender Mittelpunkt der Puppen- und Spielwarenfabrikation, und an vielen anderen Orten regen sich zahlreiche fleißige Hände, um Spielzeug zu schaffen. Berühmt ist Ruhla auf diesem Gebiete durch eine Besonderheit: erzeugt doch hier eine einzige Firma in jedem Jahre gegen 15 Millionen Stück Kinderuhren, darunter auch Stand- und Wanduhren für Puppenstuben, welche, wenn sie in der Regel auch nicht gehen, doch an Naturtreue nichts zu wünschen übrig lassen!
Doch verlassen wir die Stätten, in welchen allerlei Tand für arme und reiche Kinder bereitet wird! Seit Jahrhunderten standen die Thüringer Schmiede in hohem Ansehen: es waren naturgemäß kleine Meister, die in der Neuzeit durch die in anderen, günstiger gelegenen Gebieten erwachsenen Fabriken überflügelt wurden. Trotzdem wirken in Thüringen noch heute Tausende von Kleinfeuerarbeitern und fertigen allerlei Kurzwaren, die sich durch geschmackvolle und zierliche Arbeit, durch schöne Politur und Reinheit auszeichnen. In Schmalkalden, Zella, Mehlis und Suhl giebt es Großhändler, welche illustrierte Kataloge über 2000 und mehr verschiedene Gegenstände aus den Werkstätten dieser Schmiede dem Handel zur Verfügung stellen und Musterlager nicht nur in [457] den bedeutendsten Städten Europas, sondern auch in Amerika, China, Japan und Aegypten unterhalten. Dieser Zweig der Hausindustrie wird wohl freilich mit der Zeit verschwinden und dem Großbetriebe den Platz einräumen, wie es zum Teil schon geschehen ist.
In der Nähe von Arnstadt liegt der Marktflecken Ichtershausen. In ihm hat die deutsche Industrie einen hervorragenden Sieg errungen. Die Deutschen waren es, die einst die Fabrikation der Nähnadel ins Leben riefen, und die Nürnberger und Schwabacher Ware erfreute sich eines Weltrufes. In unserer Zeit wurde jedoch Deutschland von England überflügelt; wohl suchte man seit 60 Jahren in Aachen, Altona und Iserlohn es den Engländern gleichzuthun, aber die englische Ware beherrschte dennoch den Weltmarkt. Da wurde im Jahre 1862 in Ichtershausen von Wilhelm Wolff und August Knippenberg eine Nadelfabrik gegründet. Bald überholte diese dank der Vervollkommnung der Anfertigungsweise unsere Nebenbuhler jenseits des Kanals und eroberte der deutschen Ware den verlorenen Boden. Gegen 50 verschiedene mechanische Arbeiten werden verrichtet, um Nähnadeln aus dem Rohmaterial herzustellen; gegen 5000 Sorten verschiedener Nadeln können hier erzeugt werden und die Fabrik vermag täglich über 2 Millionen Nähnadeln zu liefern – sie ist vermutlich die größte und leistungsfähigste Nadelfabrik der Erde. Mit Thüringer Nadeln nähen heute Millionen fleißiger Frauenhände, und Thüringer Nadeln schwingen in zahllosen Nähmaschinen.
Aber nicht nur für Kinder und Frauen sorgt der Thüringer Gewerbfleiß. Die Thüringer waren auch Waffenschmiede, berühmte Panzerer, Plattner und Harnischschmiede. Namentlich das Suhler Eisen eignete sich ausgezeichnet für Harnische und Schwerter, in den Thüringer Thälern blühte das Waffenhandwerk und Suhl hieß das „deutsche Damaskus“. Da kam die Zeit, wo der Panzer vor den Feuerwaffen verschwand, und die Suhler wurden berühmte Büchsenmacher. Beim Ausbruch des Dreißigjährigen Krieges sandte Thüringen seine Musketen in alle Weltgegenden und es hieß „Deutschlands Zeughaus“, bis es in barbarischer Weise durch den kaiserlichen „Brandmeister“ Isolani im Jahre 1634 zerstört wurde. Erst in neuerer Zeit kam dieser Zweig der Industrie in Thüringen von neuem empor: im Jahre 1827 erfand der Sohn eines Thüringer Schlossermeisters, J. N. Dreyse, das Zündnadelgewehr, das anfangs noch von vorn geladen wurde. 1836 wandelte er es in einen Hinterlader um. 1840 wurde dasselbe in Preußen angenommen; nun fertigte wieder Thüringen die hervorragendsten deutschen Waffen; bis zum Jahre 1874 wurde der größte Teil der preußischen Militärgewehre in Thüringen hergestellt, und man kann wohl sagen, daß die Kriege von 1864, 1866 und 1870 zum großen Teil mit Sömmerdaer Waffen ausgefochten wurden. In der letzten Zeit sind Staatsaufträge in Thüringen seltener geworden, aber das Waffengewerbe blüht noch im Lande fort und liefert ausgezeichnete Jagd- und Luxuswaffen, wie die „Gartenlaube“ dies im Jahrgang 1892, Nr. 17 beschrieben hat.
Die Pfeife ist seit dem Dreißigjährigen Kriege zur Genossin und Freundin des Soldaten geworden. Auch die Pfeifenfabrikation blüht im Thüringer Lande und Ruhla ist weit und breit als die Pfeifenstadt, die Metropole der Pfeifenerzeugung berühmt (vgl. Seite 211 dieses Jahrgangs). Außer den Pfeifen werden hier noch alle anderen „Rauchinstrumente” hergestellt und außerdem spielt die Verarbeitung des Bernsteins gegenwärtig eine so große Rolle, daß sie an Bedeutung wohl bald die Meerschaumfabrikation überflügeln wird.
Um das Jahr 1500 kam aus China das Porzellan zum erstenmal nach Europa. Ein Thüringer von Geburt, der Alchimist Joh. Friedrich Böttger, hat das Geheimnis seiner Herstellung im Jahre 1709 in Meißen entdeckt. 1711 kam das erste Meißener Porzellan auf die Leipziger Messe und 1759 wurde die erste Thüringer Porzellanfabrik in Katzhütte eröffnet. Seit jener Zeit blüht die keramische Industrie in Thüringen und bildet die eigentliche Lebensader vieler Waldorte. Namentlich die Thüringischen Porzellanpuppenköpfe und Nippfiguren sind weltbeliebte Modeartikel geworden, die jährlich zu vielen Tausenden von Centnern in die weite Welt wandern.
Thüringen besitzt gegenwärtig an keramischen Fabriken, die außer Porzellan noch Steingut, Fayence, Majoliken, Terrakotten und ähnliches erzeugen, die stattliche Zahl von 115. Und ein Drittel von ihnen beschäftigt je über 200 Arbeiter!
Im nächsten Jahre wird die Glasindustrie in Thüringen ihr dreihundertjähriges Jubiläum feiern können, denn 1595 gelangte sie dorthin, nachdem sie in Venedig und Böhmen schon früher aufgeblüht war. Ihres Glaubens wegen verfolgte Protestanten, der „Schwabenhans“, Hans Greiner, und Christoph Müller aus Böhmen, gründeten damals in Lauscha die erste Glashütte Thüringens. Lauscha ist noch heute der Hauptsitz dieses Zweiges des Thüringer Gewerbfleißes. Hier wird leuchtender Christbaumschmuck und gefälliges Trinkgerät hergestellt. Trefflich sind seine mattweißen Fischperlen, denen der Glanz der echten Perlen durch eine aus den Schuppen des Uklei gewonnene Essenz verliehen wird, ferner die künstlichen Tier- und Menschenaugen, die hier gefertigt werden.
Ja, berühmt, weltberühmt ist das Thüringer Glas! Nunmehr ist es auch zu einer der schneidigsten Waffen der Wissenschaft geworden in den Mikroskopen. Frankreich hatte einst in der Herstellung von diesem wunderbaren Werkzeug der Forscher die Führung innegehabt. Da gründete im Jahre 1846 Karl Zeiß in Jena ein optisches Institut und setzte Mikroskope zusammen, die schon im Jahre 1857 selbst die berühmten Pariser übertrafen. Er ruhte aber nicht auf diesen Lorbeeren aus; in den 1860er Jahren trat er mit einem Thüringer, dem 1840 in Eisenach geborenen Dr. Ernst Abbe, [458] in Verbindung, um für den Bau der Mikroskope die sichere wissenschaftliche Grundlage zu gewinnen. Dieses Ziel wurde in mühevollen, jahrelangen Arbeiten erreicht und das „glastechnische Laboratorium in Jena“ von Schott und Genossen ins Leben gerufen, auch eine staatliche Unterstützung dafür erwirkt. (Vergl. „Gartenlaube 1888, Nr. 8.) Nunmehr steht Deutschland in der Herstellung wissenschaftlicher Instrumente vom Auslande völlig unabhängig da; die Anstalt von Karl Zeiß aber ist das größte, den Bau rein wissenschaftlicher Mikroskope betreibende Unternehmen der Welt.
Außer dieser Musteranstalt, die zu den jüngsten Fortschritten der Wissenschaft so ungemein viel beigetragen hat, besitzt Thüringen noch viele Geschäfte, die meteorologische und andere Instrumente für den gewöhnlichen praktischen Gebrauch liefern. Von Thüringen aus wird z. B. die halbe Welt mit Thermometern versorgt; den Mittelpunkt dieser Industrie bilden namentlich Ilmenau, Stützerbach und die benachbarten Orte.
Das sind die hervorragendsten Beispiele des so verschiedendartige Zweige umfassenden emsigen Fleißes der Thüringer. Wir könnten noch viele andere anführen, die berühmten Paraffinfabriken des Thüringer Vorlandes, die Gerbereien von Weißenfels, unmöglich aber ist es, die Thüringer Blumengärtnerei und den Gartenbau mit Stillschweigen zu übergehen. Erfurt gebührt in dieser Hinsicht die führende Stelle, Erfurt, das durch seinen eigenartigen Feldbau schon in längst vergangenen Zeiten berühmt war; verdankt doch die Stadt ihre einstige Macht und Blüte dem Anbau der nordischen, den Indigofarbstoff spendenden Pflanze, des Färberwaids! Im 15. Jahrhundert war Erfurt der Mittelpunkt des deutschen Waidbaus und Waidhandels. Der Waid baute den Erfurtern ihre Paläste, und so oft die „Waidjunker“ eine Raubburg erobert und zerstört hatten, pflegten sie dort Waidsamen auszustreuen, um der Nachwelt zu zeigen, daß die streitbaren Erfurter diese Zerstörung vollbracht.
Die Einfuhr des Indigo aus Ostindien, die um die Mitte des 17. Jahrhunderts erfolgte, legte diesen Zweig des Feldbaus völlig lahm. Inzwischen entwickelte sich aber am Dreienbrunnen vor den Thoren Erfurts ein schwunghafter Gemüsebau. Man zog hier Brunnenkresse, den schwarzen Winterrettig, von dem 5 bis 6 Stück bisweilen einen Centner wogen, Kohlrabi und Blumenkohl, der um das Jahr 1660 von der Insel Cypern eingeführt wurde. Seit dem vorigen Jahrhundert kam die Zucht der Blumen in Erfurt in Aufnahme, und namentlich sind es die Levkojen, welche den Erfurter Blumensamenhandel berühmt gemacht haben. Im Anfang unseres Jahrhunderts hatte Erfurt seinen „Levkojenkönig“, Christoph Lorenz. Vor fünfzig Jahren wurde die Georginenkultur durch Erfurt gehoben; heute ist es in Bezug auf Blumenzucht und Handel mit Blumensämereien einer der wichtigsten Mittelpunkte des Weltverkehrs. Ein einziges Haus hat ein Preisverzeichnis von 8000 Nummern und setzt jährlich gegen 20000 Centner Blumen- und Gemüsesamen ab, ein anderes beschäftigt 1000 Arbeiter. Von Erfurt breitete sich der Gartenbau über viele andere Orte Thüringens aus.
Schließlich hat Thüringen seine herzlichen schattigen Laubforste und duftenden Nadelwälder; alljährlich öffnet es dieselben zahllosen Fremden, die aus dem Lärm der Städte, aus der eintönigen Tiefebene ins Gebirge eilen, um dort ihren Leib und ihre Seele zu erfrischen. Tausende und Abertausende dieser Sommergäste reisen gegenwärtig über Erfurt, an der Ausstellung vorbei. Ob diese Ausstellung des Besuches wert ist? Ist sie nicht lediglich eine provinziale Ausstellung? Sicher, sie umfaßt nur ein kleines Gebiet, aber wir haben angedeutet, wie groß und mannigfaltig Thüringens Gewerbfleiß ist und welche Früchte er gezeitigt hat!
Und wenn auch dieser und jener hervorragende Fabrikant und Meister mit seinen Werken zu Hause geblieben ist, es versäumt hat, die an der Heerstraße des Touristenverkehrs liegende Ausstellung zu beschicken, so bietet doch das, was auf der Daberstedter Stanze zusammengetragen worden ist, ein erschöpfendes, fesselndes und höchst lehrreiches Gesamtbild der hohen Blüte der Thüringer Industrie. Dabei ist der Aufenthalt in der Ausstellung selbst durchaus angenehm und erquickend. Der Raum ist weit, und inmitten schöner anmutiger Gartenanlagen, an Springbrunnen und Teichen vorbei wandert man von Halle zu Halle. Gegenüber dem schmucken Hauptausstellungsgebäude erhebt sich der Kunstpavillon, in dem namentlich wertvolle Kunstaltertümer die Bewunderung der Besucher erregen. Hinter ihm steht ein „Thüringer Bauernhaus“ aus dem Ende des siebzehnten Jahrhunderts, mit der breiten Thoreinfahrt, mit Stall und Scheune. Die goldenen Gaben der Ceres finden wir in der letzteren nicht, oft aber eine fröhliche Schar, die König Gambrinus huldigt. In dem Wohnhause selbst sind die Wohnstube und der Alkoven mit echtem alten Hausrat ausgestattet, während die oberen Räume in ein kleines Museum für Thüringer Trachten, Tiere und Pflanzen und alte Kräuterbücher verwandelt sind. Ein Gegenstück zu diesem Bauernhaus bildet in der Nähe der Pavillon für Frauenarbeit und Hausfleiß; hier ist die neuzeitliche Kunstfertigkeit der Thüringer Frauen und Jungfrauen vertreten; hier bietet sich jedem, der Sinn für Schönes und Geschmackvolles besitzt, Gelegenheit, reizende und auch teure, aber wirklich wertvolle Andenken an die Ausstellung zu erwerben. Durch schöne Gartenanlagen führt der Weg zur Gartenbauhalle, in welcher die seltensten Blumen das Auge des Beschauers erfreuen und die bunten Blattpflanzen mit diesen Blüten aus allen Weltteilen in der Farbenpracht wetteifern.
Von hohem Interesse ist die Abteilung für Forstwirtschaft. Da fallen zunächst die mächtigen Scheiben von starken Stämmen ins Auge, an deren Jahresringen man das Wachstum des Holzes in verschiedenen Waldbeständen zu erkennen vermag. Da sehen wir verschiedene Mißbildungen der Nutzbäume, Verwachsungen von Fichten infolge von Verletzungen der jüngeren Pflanzen, sowie Stamm- und Wurzelverwachsungen von Buchen und Tannen mit Buchen. Auf Tischen stehen kleine Modelle von Thüringer Pechhütten und Teeröfen; die Gewinnung von Pech- und Kienruß blüht ja noch immer in Thüringen und „Meiningen hat das meiste Pech“, wie der Volkswitz sagt. Dicht daneben befindet sich eine künstliche Brutanstalt, welche den Brutprozeß von Forellen veranschaulicht. Der Anblick der kleinen Fischlein erfüllt den Touristen gewiß mit Freuden; ist er doch eine Verheißung kulinarischer Genüsse, die seiner in irgend einem Thüringer Mühlengrunde harren. Aber auch an Ort und Stelle, auf dem Ausstellungsplatze selbst ist in liebenswürdiger Weise für die leiblichen Bedürfnisse des Wanderers gesorgt. Vielerorts kann man dort in schmucken Bauten den Durst löschen, und wer Lust hat, zu steigen, dem winkt der hohe Aussichtsturm entgegen, von dessen Höhen man über die Ausstellung und das thurmreiche Erfurt weit in die Thüringer Lande hinausschauen kann. Aber – wir wollen keinen „Führer“ durch die Ausstellung schreiben, sie verfügt bereits über einen ausgezeichneten, äußerst lehrreichen Wegweiser. Es ist der offizielle Katalog. Einer der trefflichsten Kenner Thüringens, Dr. Fritz Regel, Professor der Geographie an der Universität Jena, hat als Einleitung zu dem Katalog eine zwölf Druckbogen umfassende Abhandlung über „Die wirtschaftlichen und industriellen Verhältnisse Thüringens“ geschrieben. Er war dazu berufen wie kaum ein anderer und wird dafür gewiß den Dank vieler Tausende ernten. Diese Schrift bietet bei weitem mehr als den Schlüssel zu dem sonst für den Laien so schwierigen Verstehen einer Ausstellung; sie führt uns in das herrliche grüne Thüringer Land ein, sie ist ein kundiger Wegweiser für jeden, der nicht nur Berge und Thäler schauen, sondern auch die Menschen in ihrem nützlichen Wirken, in ihrer rastlosen Arbeit kennenlernen will; sie enthüllt uns die schönsten Seiten des genügsamen und fleißigen Thüringers, und indem wir uns in diese Schilderungen vertiefen, lernen wir Thüringens Gewerbfleiß hochschätzen.