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Die Glasschmelzerei in Jena

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Textdaten
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Autor: Otto Kleinstück
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Titel: Die Glasschmelzerei zu Jena
Untertitel:
aus: Die Gartenlaube, Heft 8, S. 124
Herausgeber: Adolf Kröner
Auflage:
Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1888
Verlag: Ernst Keil’s Nachfolger in Leipzig
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Erscheinungsort: Leipzig
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Originalherkunft:
Quelle: Scans bei Commons
Kurzbeschreibung:
Aus der Artikel-Reihe
Fortschritte und Erfindungen der Neuzeit
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Fortschritte und Erfindungen der Neuzeit.

Die Glasschmelzerei zu Jena.


Am südwestlichen Ende von Jena erhebt sich auf einem kleinen Hügel eine in Gestalt eines Rechtecks aufgeführte Gruppe langer, von einer hohen Fabrikesse überragter Gebäude. Es ist eine Glasfabrik. Aber nicht eine Glasfabrik, wie es deren so viele bei uns giebt, sondern eine Glasschmelzerei, die einzig in ihrer Art dasteht und ausschließlich wissenschaftlichen Zwecken dient. Es gilt hier in erster Linie, Glas für optische Instrumente darzustellen; sodann andere Glassorten für Thermometer zu bereiten und solche Glasflüsse zusammenzustellen, die für irgend einen wissenschaftlichen Zweck am geeignetsten sind.

Aus diesen wenigen Andeutungen wird ersichtlich sein, daß das, was man im gewöhnlichen Leben als Glas bezeichnet, recht verschieden sein kann.

Der Laie könnte geneigt sein zu glauben, daß ein Glas den Anforderungen der Optik – und solches wollen wir zunächst ins Auge fassen – genüge, wenn es nur vollkommen klar und blasenfrei sei. Gewiß sind dies unerläßliche Bedingungen, aber die Wissenschaft stellt noch ganz andere Anforderungen an jenes durchsichtige Schmelzprodukt, welches seit seiner Erfindung zahlreiche Stufen der Verbesserung durchlaufen und in den letzten Jahren eine so wesentliche Vervollkommnung erfahren hat, daß wir den heutigen Stand der Glastechnik und ihre zielbewußte Methode bewundern müssen, und daß es der Mühe lohnt, sich mit den wichtigsten Aufgaben dieser Kunst bekannt zu machen. Diese Betrachtung fällt aber zum Theil mit der Vorgeschichte des „glastechnischen Laboratoriums zu Jena“ zusammen.

Wer einmal durch ein älteres Fernrohr gesehen hat, wird gewiß sogleich bemerkt haben, daß die Gegenstände von farbigen Rändern umgrenzt erscheinen. Schon für den Gebrauch im gewöhnlichen Leben sind diese farbigen Zonen äußerst störend; für eine wissenschaftliche Benutzung der Instrumente sind sie aber geradezu eine Quelle von Ungenauigkeiten, welche die Zuverlässigkeit der Beobachtungen in enge und äußerst bescheidene Grenzen einschließen. Die Gelehrten und die Künstler waren daher eifrigst bemüht, bald nach Erfindung der Fernrohre und Mikroskope diesen Hauptmangel der an und für sich so großartigen Erfindung zu beseitigen. Aber vergebens. Manche hielten sogar den „Achromatismus“, das heißt die Beseitigung der farbigen Ränder, für unmöglich. Durch den berühmten Mathematiker Euler und den Optiker Dolland wurde jedoch dieses Problem gelöst, im Jahre 1757 stellte Dolland das erste achromatische Fernrohr her. Die Erzeugung achromatischer Bilder besteht im wesentlichen darin, daß man Linsen von verschiedenen Glassorten und von verschiedener Krümmung mit einander vereinigt.

Man darf aber keineswegs glauben, daß nun der Achromatismus vollständig erreicht war. Es blieben immer noch farbige Zonen, wenn auch kleinere. Diese gewannen um so mehr an nachtheiligem Einfluß, als man von den optischen Instrumenten immer stärkere Vergrößerungen verlangte. Gleichzeitig war mit zunehmender Vergrößerung auch ein anderer Uebelstand unzertrennlich verbunden, nämlich der, daß die verschiedenen Farben nicht gleichzeitig zu scharfer Vereinigung in dem Bilde zu bringen waren. Beide Mängel setzten der Vergrößerung ein Ziel, über welches hinaus nur auf Kosten der Schärfe und Naturwahrheit des Bildes gegangen werden konnte.

Diese Unvollkommenheiten nun beseitigt oder wenigstens auf ein äußerst geringes Minimum herabgesetzt zu haben – das ist das Verdienst zweier Männer – Professor Dr. Abbe und Dr. Schott in Jena; und dieses Verdienst bethätigt sich in den Erzeugnissen des „glastechnischen Laboratoriums“ daselbst.

Die eben erörterten Mängel des Glases liegen bei der gegenwärtigen hohen Vollkommenheit der optischen Werkstätten weniger an der Behandlung, als vielmehr an der chemischen Zusammensetzung des Glases. Die Glasarten des Handels bestehen hauptsächlich aus Kieselsäure, Kalk, Kali, Natron und Bleioxyd, also aus einer verhältnißmäßig geringen Anzahl von chemischen Elementen. Aeußerst umfangreiche Untersuchungen von Professor Abbe haben nun gezeigt, daß alle diese Gläser eine gewisse Einförmigkeit in ihrem optischen Verhalten zeigen, und daß die daraus geschliffenen Linsen überhaupt nicht in einem den heutigen Anforderungen entsprechenden Grade achromatisch sein können. Gleichzeitig hat sich aber die interessante Thatsache herausgestellt, daß der Grad der „Achromasie“, das heißt der Farbenfreiheit, ganz wesentlich erhöht werden kann, wenn in den Glasflüssen eine größere Mannigfaltigkeit durch Einführung verschiedener anderer chemischer Elemente herbeigeführt und besonders die Kieselsäure durch Phosphor- oder Borsäure ersetzt wird. Zur Feststellung dieser Thatsachen wurden von Dr. Schott zahlreiche Schmelzversuche im Kleinen ausgeführt und die Produkte von Professor Abbe auf ihre optischen Eigenschaften geprüft. Welche Arbeit diese Versuche machten, mag daraus hervorgehen, daß alle chemischen Elemente, die in irgend einer Verbindungsform ein durchsichtiges, glasartiges Schmelzprodukt liefern können, in den Bereich der Untersuchung gezogen wurden, einer Untersuchung, die bis jetzt über tausend einzelne Schmelzproben als wissenschaftliche Grundlage für die praktische Darstellung des optischen Glases geliefert hat.

Trotzdem im Laufe der Zeit unter der Mithilfe der Firma Zeiß in Jena viele Versuche in größerem Maßstabe ausgeführt wurden, trug doch immer noch die Untersuchung den Charakter einer großen wissenschaftlichen Vorarbeit. Da erfolgte von Seiten hervorragender Gelehrten die Anregung, daß die betheiligten Forscher die fabrikationsmäßige Herstellung des Glases in die Hand nehmen möchten. So groß auch diese Anerkennung war, so unübersteiglich schienen andererseits die Hindernisse, welche sich dem Unternehmen entgegenstellten.

Es ist deshalb ein hohes Verdienst der königl. preußischen Staatsregierung, daß dieselbe durch wiederholte sehr namhafte Subventionen ein Unternehmen ermöglichte, welches für Private allein kaum ausführbar gewesen sein würde. Dieses thatkräftige Eingreifen des preußischen Staates zeigte aber auch, ein wie reges Interesse die höchsten Kreise an dem Zustandekommen eines Instituts nahmen, welches in seiner Branche Deutschland unabhängig vom Auslande machte; denn optisches Glas war bisher fast Monopolartikel zweier ausländischen Glasschmelzereien.

Im Herbst 1884 wurde mit dem fabrikationsmäßigen Betriebe begonnen, und bereits im Sommer 1886 konnte das erste Produktionsverzeichniß ausgegeben werden, welches die verschiedensten Glassorten aufweist. Diese zeigen schon bei ganz oberflächlicher Prüfung große Unterschiede. Während z. B. gewöhnliches Glas 2½ Mal so schwer ist wie Wasser, trifft man hier Gläser an, deren specifisches Gewicht 4 bis 5, ja mehr als 6 beträgt. Daß mit diesen Gläsern eine bisher noch nicht erreichte Vollkommenheit der optischen Instrumente erzielt werden kann, haben zuerst die aus den optischen Werkstätten von Zeiß hervorgegangenen Erzeugnisse bewiesen.

Es darf nicht unterlassen werden zu erwähnen, daß bereits früher, in der ersten Hälfte dieses Jahrhunderts, von zwei hervorragenden Männern ernstliche Versuche zur Verbesserung des Glases – auch nach seiner chemischen Zusammensetzung – gemacht und von beiden die wesentlichen Punkte, auf die es ankommt, zum Theil richtig erkannt worden waren. Der eine war der berühmte Physiker und Optiker Fraunhofer in München, der überhaupt zuerst brauchbares optisches Glas für größere Linsen dargestellt hat; der andere Harcourt, ein englischer Geistlicher. Wie verdienstvoll auch die Arbeiten dieser Männer waren, so sind doch beide zu keinem Abschluß gelangt, zumal als Fraunhofer von seiner schöpferischen und vielseitigen Thätigkeit durch einen frühzeitigen Tod abberufen ward.

Schon Eingangs unserer Betrachtung war darauf hingewiesen worden, daß das „glastechnische Laboratorium“ unter Anderem auch Glas für Thermometer herstellt. Man könnte meinen, daß ein so häufig gebrauchtes und an und für sich so einfaches Instrument, wie das Thermometer, längst auf einer Höhe stehen müsse, auf der es kaum noch einer Verbesserung fähig sei. Aber dem ist nicht so. Die Physiker wissen schon längst, daß das Thermometer – wenn von demselben einigermaßen genaue Angaben verlangt werden – ein unzuverlässiges Instrument ist. Diese Unzuverlässigkeit besteht darin, daß der Eispunkt bald nach der Verfertigung des Thermometers ansteigt, nach Einwirkung hoher Temperaturen aber wieder sinkt, um dann innerhalb längerer oder kürzerer Zeit wieder auf die frühere Höhe anzusteigen. Diese Schwankungen, welche bis zu einem ganzen Grad betragen können, bezeichnet man als „thermische Nachwirkung“. Es ist klar, daß genaue Temperaturmessungen keineswegs leicht sind und häufige Kontrole des Thermometers verlangen.

Die Erfahrung hat nun gezeigt, daß die Größe der thermischen Nachwirkung von der chemischen Zusammensetzung des Glases abhängt. Bei reinem Kali- oder reinem Natronglas ist die thermische Nachwirkung viel geringer als bei einem Glase, in welchem Kali und Natron zugleich enthalten sind. Dies erklärt die auffallende Erscheinung, daß ältere Thermometer oft zuverlässiger sind als die in neuerer Zeit angefertigten. Früher bediente man sich nämlich zur Herstellung der Thermometer des schwer schmelzbaren Kaliglases. Da aber dieses vor der Lampe schwierig zu bearbeiten ist, so ging man später zu dem leicht flüssigen Kalinatronglas über. Ohne es zu ahnen, verschlechterte man damit die Qualität der Thermometer.

Das „glastechnische Laboratorium zu Jena“ stellt nun Glasflüsse zusammen, deren thermische Nachwirkung zwar nicht Null ist, aber doch ein bisher nur ausnahmsweise erreichtes Minimum beträgt. Die kaiserliche Normal-Aichungskommission in Berlin hat eingehende Untersuchungen mit Thermometern aus sogenanntem „Jenaer Normal-Thermometerglas“ vorgenommen und laut den Sitzungsberichten der Akademie der Wissenschaften zu Berlin die günstigsten Resultate erhalten.

Es würde uns zu weit führen, die einzelnen anderen wissenschaftlichen Zwecke zu erörtern, für welche das „glastechnische Laboratorium“ thätig ist. So viel ist aber wohl schon aus den hier angedeuteten wichtigsten Zielen dieser Anstalt ersichtlich, daß das „glastechnische Laboratorium zu Jena“ ein Institut von hoher Bedeutung ist. Es ist hervorgegangen im friedlichen Wettstreit der Völker als ein Preis deutscher Gelehrsamkeit und deutschen Fleißes. Möge es unter dem Schutze eines großen Staates eine wissenschaftliche Großmacht werden! Dr. O. Kleinstück.