Stadtrecht von Winterthur (deutsche Übersetzung, 1864)
Rudolf, Graf von Habsburg, entbeut allen Christgläubigen, zu welchen diese Schrift gelangen wird, seinen Gruß mit der Verkündigung des hier unten Verzeichneten: Die Taten der Edeln und Großen würden mit der Länge der Zeit in den Brunnen der Vergessenheit geraten, wenn nicht durch das Mittel der Schrift, wie von weisen Männern zu geschehen pflegt, diese Gefahr beseitigt wird.
Darum sei allen und jeden hiemit kund und zu wissen, daß wir den Bürgern unserer Stadt Winterthur aus besonderer Gnade folgende Rechte gewähren, welche wir auch stets gehalten und gewahrt wissen wollen.
Es ist demnach unser Wille, daß Alles, was von dem äußern Walle der obern Stadt oder des ihr zunächst gelegenen Teils, welcher gewöhnlich die Vorstadt genannt wird, bis zu dem Schlosse, welches vordem auf dem Berge nahe bei derselben Stadt lag, und von dem Schlosse in gerader Richtung bis zur Kirche des heiligen Berges, und von dieser Kirche bis zu dem Brunnen, der da heißt Widebrunnen, und von demselben Brunnen weiter hinab bis zu dem Übergang über das Wasser, der da heißt „Dietsteg“, und von da der Grenze der Wiesen und Gärten folgend bis zurück zur Grenze des oben bezeichneten Walles eingeschlossen ist, inbegriffen[1][2] die Höfe der Keller und einiger Anderer, welche die Huber genannt werden, von nun an fürderhin das Marktrecht besitzen sollen mit allem Rechte, welches der genannten Stadt Winterthur zusteht. Ebenso soll unter dem gleichen Rechte gänzlich verbleiben, was von unserm Eigengute um bestimmten Zins im Besitze der Leute ist, welche innerhalb der bezeichneten Grenzen seßhaft sind.[3]
[28] Auch verordnen wir in Hinsicht auf alle jene Güter und Besitzungen, denen das jus forense, gemeiniglich das Marktrecht genannt, angehört, daß, wenn etwa ein Streit irgend welcher Art über dieselben angeregt würde oder sonst entstehen sollte, daß Niemand anderswo zu Recht stehen soll, als vor Uns oder Unsern Nachfolgern, welche die vorgenannte Stadt besitzen werden, und vor dem Schultheißen oder Ammann derselben Stadt, welcher dannzumal sein wird, in Gegenwart der andern Bürger. Auch soll zum Schultheißen oder Ammann derselben Stadt Niemand gewählt oder zugelassen werden, es sei denn, daß mit allgemeiner Zustimmung[4] der Bürger einer aus ihnen gewählt würde, der weder Ritter ist, noch zur Würde eines Ritters befördert werden soll.
Ebenso haben wir verordnet, daß, wenn der Herr genannter Stadt einen Bürger wegen einer Gewalttat beschuldigt, um welche dieser etwa bei ihm verklagt oder verleumdet wird, der Herr in der genannten Stadt Winterthur in Gegenwart der Bürger und des offenen Gerichtes nach Inhalt der Anschuldigung die Schuld oder Unschuld des angeklagten Bürgers allda unverkürzt untersuchen lassen und sich damit begnügen soll, was von denselben Bürgern darüber in offenem Spruche beschlossen worden ist.
Ebenso soll kein Herr nach Vorschrift eines gewissen Rechtes, welches gewöhnlich der Fall genannt wird, nach dem Tode irgend eines, der innerhalb der oben genannten Grenzen seßhaft ist, die Güter des Verstorbenen ansprechen; es wäre denn, daß er einen Eigenmann hatte, der keinen Nachkommen oder Erben hinterläßt; dann soll er sein Recht üben nach dem Rate der Bürger[5].
Ebenso überläßt er genannter Stadt fürderhin zum Nießbrauch den Wald, Eschenberg genannt, nach dem allgemeinen Rechte, so gewöhnlich Gemeinmerche heißt, gleichwie dies anerkanntermaßen von altersher gewesen ist.
Ebenso soll kein Herr aus Grund der Eigenschaft, welche er gegen seine Eigenleute hat, erbfähig sein für die Güter derselben, welche in den zuvor beschriebenen Grenzen liegen und auf welche das Marktrecht sich erstreckt[6].
Ebenso haben Alle, welche sich an genanntem Ort niedergelassen haben, volle und freie Gewalt, sich ehelich zu verbinden, Männer mit Weibern und umgekehrt, wo es ihnen nur immer gefällt, und auch ihre Söhne und Töchter, wohin sie nur wollen, in rechtmäßiger Ehe zu verheiraten, ohne daß die Ungleichheit des Standes oder der Herrschaft ein Hindernis wäre.
Ebenso, weil wir wissen, daß die genannte Stadt in Folge einer Erbteilung einiger Güter, die von unsern Vorfahren gemacht worden ist, hundert Pfund zu bezahlen schuldig sind, so haben wir für alle Zeiten festgesetzt, daß die Leute, welche innerhalb der Grenzen derselben Stadt wohnen, uns und unsern Nachfolgern einmal im Jahre, nämlich am Feste des heiligen Martin, als Steuer zu geben verpflichtet sind Ein hundert Pfund Züricher Münze und nicht mehr. Überdies sollen die Ämter, sowie auch die Gerichte derselben Stadt uns und unsern Nachfolgern zustehen.
[29] Ebenso ist Jeder, welcher am vorgenannten Ort Bürger ist oder sein wird, wenn er von seinem Herrn in der Heimat, dem er als Eigenmann angehört, binnen einem Jahre und einem Tag um keinerlei Dienstleistung angesprochen wird, von diesem Zeitpunkt an in Zukunft nicht mehr gehalten, einem Herrn zu dienen, außer dem, der die vorgenannte Stadt in stetem Besitze hat[7], mit dem Beifügen jedoch, daß wir keinen als Bürger aufnehmen sollen ohne die Einwilligung dessen, der über die schon genannte Stadt die Landeshoheit im Besitz hat.
Ebenso soll Keiner der schon genannten Stadt von dem Wohlwollen seines Herrn ausgeschlossen sein[8], als der, welcher einen Betrug und bedeutenden Wortbruch oder einen Todschlag begangen hat, welcher einen andern geblendet oder an andern Gliedern verstümmelt hat, oder welcher das schreckliche Verbrechen verübt hat, das man gemeinilich Mord nennt, oder ein anderes von irgend welcher Benennung, das diesem gleichkommt.
Ebenso, wer einen Andern mit bewaffneter Hand verwundet, der bezahlt entweder fünf Pfund, oder er verliert die Hand zur Sühne[9]; wer aber andere Ungesetzlichkeiten oder Frevel tut, die durch das Gericht gebessert werden müssen, der soll entweder eine Buße von drei Pfund bezahlen, oder ein ganzes Jahr lang die Stadt meiden[10].
Ebenso ist unser Wille, daß das bei besagter Stadt liegende Schloß auf dem Berge niemals wieder hergestellt werden soll.
Dafür sind Zeugen: Konrad von Tengen, Kuno von Teufen, Heinrich von Humlikon, Edle. Johannes von Blumenberg, Ulrich von Hettlingen und sein Bruder, Herr Truchseß von Dießenhofen, Ba. von Wyden, R. ehemals Vogt von Frauenfeld, Nikolaus von Girsperg, Ritter; und noch viele Andere, deren Namen weggelassen sind, um nicht Überdruß zu erregen.
Damit aber das, was wir der vorgenannten Stadt oder ihren Bürgern, die daselbst wohnen, in Gnaden verwilliget haben, nicht nur bei Uns, sondern auch bei Unsern Nachfolgern ewiglich und stät verbleibe, und in alle Zukunft weder verletzt werden kann, noch soll, haben wir ihnen diese Urkunde übergeben, welche mit unserm Siegel bekräftigt ist.
Also geschehen im Jahre des Herrn 1264; an den 10. Kalenden des Juli; in der 7. Indiktion.[11]
- ↑ In einer im Stadtarchiv liegenden und im Geschichtsfreund XIII. p. 247. (dat. 11. Hornung 1381) abgedruckten Urkunde wird ein Acker beschrieben, der gelegen bi der Strasse die da gat in den Eschaberg, flösset… und ze der | dritten Siten an den Düppweg" (noch heutzutage Dietweg).
- ↑ Kopp übersetzt „praeter“ mit „ausgenommen“, und folgt dabei der ältesten Uebersetzung, die wir in einem Vidimus Herzog Albrechts I. von 1297 noch besitzen. [Später findet sich in einem andern (vide Tom. VII. der Statuten) das Wort „one“. Kammerer Füssli von Veltheim, „ein in der Sprache des mittlern Zeitalters sehr erfahrener Mann“, hat in seiner Uebersetzung dieses Briefes „praeter curias“ übersetzt „nebst den Höfen“. „So muß es auch nothwendig übersetzt sein, weil die bemelten Höfe zum Voraus Marktrecht hatten." (Urkundensammlung des Schultheißen Joh. Sulzer v. W. 1759).] Ich folge dieser von Troll adoptirten Interpretation.
- ↑ Aehnlich im Aarauer Stadtrecht.
- ↑ So Übersetze ich de communi consilio civium und berufe mich auf die Analogie im Stadtrechte von Dießenhofen, aus welchem beim lateinischen Texte die einschlägige Stelle angeführt ist. S. u.
- ↑ Im Freiburger Stadtrechte bei Schöpflin: Burgensis habens dominum cujus fatetur esse proprius . cum moritur . uxor ejus predicto domino nihil dabit.
- ↑ Dem Inhalte nach gleich im Aarauer Stadtrecht.
- ↑ Aus dem alten Grafschaftsrechte von Kyburg; vergl. Zürcherische Staats- und Rechtsgeschichte von Bluntschli I. p. 199. Gleich wie im Stadtrechte von Aarau, mit Ausnahme des letzten Passus, der im Aarauer Stadtrechte lautet: „doch sun sie enhein zu burger entfahen, der kriech in die statt brengit mit Ime".
- ↑ D. h. aus der Stadt verbannt werden. Der Aarauer Brief sagt: „Ouch hau wir ihnen gesezzet und zu rechte gegeben, wer ihres Herrn Huld verlieret, der soll bessserun nach den besserunge deren die zu Rhufelden, zu Kolmar und alder in andern frien Stetten stat“
- ↑ Im Aarauer Stadtrecht ganz gleich.
- ↑ Die Aarauer Urkunde fügt hier hinzu: „und soll man ihn in die statt nit nehmen, er habe alre erst drü pfund gegeben zu besserunge".
- ↑ Diese Angabe ist nach dem altrömischen Kalender; auf unsere Zeitrechnung reducirt, liefert sie den 22. Juni. Eine alte deutsche Uebersetzung des Briefes findet sich in einem sogenannten Vidimus Herzog Albrechts I. von 1297, der im hiesigen Archiv liegt und bei Herrgott Geneal. Habsburg. II. p. 385, wo das Datum auf den 10. Juli angegeben ist, weil der römische Kalender nicht berücksichtigt wurde. Beide lieber Uebersetzungen geben den Text mehr dem Inhalte, als dem Wortlaute nach. In die gleiche Categorie gehört auch die deutsche Version, welche Schultheiß und Rath von Winterthur denen von Mellingen geben, als diese, welche die gleichen Rechte wie Winterthur von Oesterreich erhalten, um Mittheilung des Stadtrechtes bitten (1297). Letztere findet sich bei Bluntschli Staats- und Rechtsgeschichte von Zürich I. 488 ff.
Anmerkungen von Wikisource:
Im Original sind nur die Referenzzahlen 1 und 3 vermerkt, die Referenz 2 fehlt jedoch. Aufgrund des beschriebenen Begriffes gehört die Referenz 2 jedoch mit Sicherheit an die oben eingefügte Stelle.