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Spanische Atriden

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Textdaten
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Autor: Heinrich Heine
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Titel: Spanische Atriden
Untertitel:
aus: Romanzero. Zweites Buch. Lamentationen.
Seite 127–141
Herausgeber:
Auflage: 1. Auflage
Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1851
Verlag: Hoffmann und Campe
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Erscheinungsort: Hamburg
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Quelle: Google und Scans auf Commons
Kurzbeschreibung:
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[127]

 Spanische Atriden.

Am Hubertustag des Jahres
Dreizehnhundert drei und achtzig,
Gab der König uns ein Gastmahl
Zu Segovia im[WS 1] Schlosse.

5
Hofgastmähler sind dieselben

Ueberall, es gähnt dieselbe
Souveraine Langeweile
An der Tafel aller Fürsten.

Prunkgeschirr von Gold und Silber,

10
Leckerbissen aller Zonen,

Und derselbe Bleigeschmack,
Mahnend an Lokustes Küche.

Auch derselbe seidne Pöbel,
Buntgeputzt und vornehm nickend,

15
Wie ein Beet von Tulipanen;

Nur die Saucen sind verschieden.

[128]
Und das ist ein Wispern, Sumsen,

Das wie Mohn den Sinn einschläfert,
Bis Trompetenstöße wecken

20
Aus der kauenden Betäubniß.


Neben mir, zum Glücke, saß
Don Diego Albuquerque,
Dem die Rede unterhaltsam
Von den klugen Lippen floß.

25
Ganz vorzüglich gut erzählte

Er die blut’gen Hofgeschichten
Aus den Tagen des Don Pedro,
Den man „König Grausam“ nannte.

Als ich frug, warum Don Pedro

30
Seinen Bruder Don Fredrego

Ins Geheim enthaupten ließ,
Sprach mein Tischgenosse seufzend:

Sennor! glaubt nicht was sie klimpern
Auf den schlottrigen Guitarren,

35
Bänkelsänger, Maulthiertreiber,

In Posaden, Kneiben, Schenken.

[129]
Glaubet nimmer, was sie faseln

Von der Liebe Don Fredrego’s
Und Don Pedro’s schöner Gattin,

40
Donna Blanka von Bourbon.


Nicht der Eifersucht des Gatten,
Nur der Mißgunst eines Neidhardts,
Fiel als Opfer Don Fredrego,
Calatrava’s Ordensmeister.

45
Das Verbrechen, das Don Pedro

Nicht verzieh, das war sein Ruhm,
Jener Ruhm, den Donna Fama
Mit Entzücken ausposaunte.

Auch verzieh ihm nicht Don Pedro

50
Seiner Seele Hochgefühle

Und die Wohlgestalt des Leibes,
Die ein Abbild solcher Seele.

Blühend blieb mir im Gedächtniß
Diese schlanke Heldenblume;

55
Nie vergeß ich dieses schöne

Träumerische Jünglingsantlitz.

[130]
Das war eben jene Sorte,

Die geliebt wird von den Feen,
Und ein märchenhaft Geheimniß

60
Sprach aus allen diesen Zügen.


Blaue Augen, deren Schmelz
Blendend wie ein Edelstein, –
Aber auch der stieren Härte
Eines Edelsteins theilhaftig.

65
Seine Haare waren schwarz,

Bläulich schwarz, von seltnem Glanze,
Und in üppig schönen Locken
Auf die Schulter niederfallend.

In der schönen Stadt Coimbra,

70
Die er abgewann den Mohren,

Sah ich ihn zum letzten Male
Lebend – unglücksel’ger Prinz!

Eben kam er vom Alkanzor,
Durch die engen Straßen reitend;

75
Manche junge Mohrin lauschte

Hinter’m Gitter ihres Fensters.

[131]
Seines Hauptes Helmbusch weh’te

Frei galant, jedoch des Mantels
Strenges Calatrava-Kreuz

80
Scheuchte jeden Buhlgedanken.


Ihm zur Seite, freudewedelnd,
Sprang sein Liebling, Allan hieß er,
Eine Bestie stolzer Race,
Deren Heimath die Sierra.

85
Trotz der ungeheuern Größe

War er wie ein Reh gelenkig,
Nobel war des Kopfes Bildung,
Ob sie gleich dem Fuchse ähnlich.

Schneeweiß und so weich wie Seide

90
Flockten lang herab die Haare;

Mit Rubinen inkrustiret
War das breite goldne Halsband.

Dieses Halsband, sagt man, barg
Einen Talisman der Treue;

95
Niemals wich er von der Seite

Seines Herrn, der treue Hund.

[132]
O, der schauerlichen Treue!

Mir erbebet das Gemüthe,
Denk ich dran, wie sie sich hier

100
Offenbart vor unsern Augen.


O, des schreckenvollen Tages!
Hier in diesem Saale war es,
Und wie heute saß ich hier
An der königlichen Tafel.

105
An dem obern Tafelende,

Dort, wo heute Don Henrico
Fröhlich bechert mit der Blume
Castilian’scher Ritterschaft –

Jenes Tag’s saß dort Don Pedro

110
Finster stumm, und neben ihm,

Strahlend stolz wie eine Göttin,
Saß Maria de Padilla.

Hier am untern End der Tafel,
Wo wir heut’ die Dame sehen,

115
Deren große Linnen-Krause

Wie ein weißer Teller aussieht –

[133]
Während ihr vergilbt Gesichtchen

Mit dem säuerlichen Lächeln
Der Citrone gleichet, welche

120
Auf besagtem Teller ruht:


Hier am untern End der Tafel
War ein leerer Platz geblieben;
Eines Gast’s von hohem Range
Schien der goldne Stuhl zu harren.

125
Don Fredrego war der Gast,

Dem der goldne Stuhl bestimmt war –
Doch er kam nicht – ach, wir wissen
Jetzt den Grund der Zögerung.

Ach, zur selben Stunde wurde

130
Sie vollbracht, die dunkle Unthat,

Und der arglos junge Held
Wurde von Don Pedro’s Schergen

Hinterlistig überfallen
Und gebunden fortgeschleppt

135
In ein ödes Schloßgewölbe,

Nur von Fackelschein beleuchtet.

[134]
Dorten standen Henkersknechte,

Dorten stand der rothe Meister,
Der gestützt auf seinem Richtbeil,

140
Mit schwermüth’ger Miene sprach:


Jetzt, Großmeister von San Jago,
Müßt Ihr Euch zum Tod bereiten,
Eine Viertelstunde sei
Euch bewilligt zum Gebete.

145
Don Fredrego kniete nieder,

Betete mit frommer Ruhe,
Sprach sodann: ich hab’ vollendet,
Und empfing den Todesstreich.

In demselben Augenblicke,

150
Als der Kopf zu Boden rollte,

Sprang drauf zu der treue Allan,
Welcher unbemerkt gefolgt war.

Er erfaßte, mit den Zähnen,
Bei dem Lockenhaar das Haupt,

155
Und mit dieser theuern Beute

Schoß er zauberschnell von dannen.

[135]
Jammer und Geschrei erscholl

Ueberall auf seinem Wege,
Durch die Gänge und Gemächer,

160
Treppen auf und Treppen ab.


Seit dem Gastmahl des Belsazar
Gab es keine Tischgesellschaft,
Welche so verstöret aussah
Wie die unsre in dem Saale,

165
Als das Ungethüm hereinsprang

Mit dem Haupte Don Fredrego’s,
Das er mit den Zähnen schleppte
An den träufend blut’gen Haaren.

Auf den leer gebliebnen Stuhl,

170
Welcher seinem Herrn bestimmt war,

Sprang der Hund und, wie ein Kläger,
Hielt er uns das Haupt entgegen.

Ach, es war das wohlbekannte
Helden-Antlitz, aber blässer,

175
Aber ernster, durch den Tod,

Und umringelt gar entsetzlich

[136]
Von der Fülle schwarzer Locken,

Die sich bäumten wie der wilde
Schlangen-Kopfputz der Meduse,

180
Auch wie dieser schreckversteinernd.


Ja, wir waren wie versteinert,
Sahn uns an mit starrer Miene
Und gelähmt war jede Zunge
Von der Angst und Etiquette.

185
Nur Maria de Padilla

Brach das allgemeine Schweigen;
Händeringend, laut aufschluchzend,
Jammerte sie ahndungsvoll:

„Heißen wird es jetzt, ich hätte

190
Angestiftet solche Mordthat,

Und der Groll trifft meine Kinder,
Meine schuldlos armen Kinder!“

Don Diego unterbrach hier
Seine Rede, denn wir sahen,

195
Daß die Tafel aufgehoben

Und der Hof den Saal verlassen.

[137]
Höfisch fein von Sitten, gab

Mir der Ritter das Geleite,
Und wir wandelten selbander

200
Durch das alte Gothenschloß.


In dem Kreuzgang, welcher leitet
Nach des Königs Hundeställen,
Die durch Knurren und Gekläffe
Schon von fernher sich verkünd’gen,

205
Dorten sah ich, in der Wand

Eingemauert und nach außen
Fest mit Eisenwerk vergattert,
Eine Zelle wie ein Käfig.

Menschliche Gestalten zwo

210
Saßen drin, zwei junge Knaben;

Angefesselt bei den Beinen,
Hockten sie auf fauler Streu.

Kaum zwölfjährig schien der Eine,
Wenig älter war der Andre;

215
Die Gesichter schön und edel,

Aber fahl und welk von Siechthum.

[138]
Waren ganz zerlumpt, fast nackend

Und die magern Leibchen trugen
Wunde Spuren der Mißhandlung;

220
Beide schüttelte das Fieber.


Aus der Tiefe ihres Elends
Schauten sie zu mir empor,
Wie mit weißen Geisteraugen,
Daß ich schier darob erschrocken.

225
Wer sind diese Jammerbilder?

Rief ich aus, indem ich hastig
Don Diego’s Hand ergriff,
Die gezittert, wie ich fühlte.

Don Diego schien verlegen,

230
Sah sich um, ob Niemand lausche,

Seufzte tief und sprach am Ende,
Heitern Weltmannston erkünstelnd:

Dieses sind zwei Königskinder,
Früh verwaiset, König Pedro

235
Hieß der Vater, und die Mutter

War Maria de Padilla.

[139]
Nach der großen Schlacht bei Narvas,

Wo Henrico Transtamare
Seinen Bruder, König Pedro,

240
Von der großen Last der Krone


Und zugleich von jener größern
Last, die Leben heißt, befreite:
Da traf auch die Bruders-Kinder
Don Henrico’s Siegergroßmuth.

245
Hat sich ihrer angenommen,

Wie es einem Oheim ziemet,
Und im eigenen Schlosse gab er
Ihnen freie Kost und Wohnung.

Enge freilich ist das Stübchen,

250
Das er ihnen angewiesen,

Doch im Sommer ist es kühlig,
Und nicht gar zu kalt im Winter.

Ihre Speis’ ist Roggenbrod,
Das so schmackhaft ist, als hätt’ es

255
Göttin Ceres selbst gebacken

Für ihr liebes Proserpinchen.

[140]
Manchmal schickt er ihnen auch

Eine Kumpe mit Garbanzos,
Und die Jungen merken dann,

260
Daß es Sonntag ist in Spanien.


Doch nicht immer ist es Sonntag,
Und nicht immer giebt’s Garbanzos,
Und der Oberkoppelmeister
Regalirt sie mit der Peitsche.

265
Denn der Oberkoppelmeister,

Der die Ställe mit der Meute,
Sowie auch den Neffenkäfig
Unter seiner Aufsicht hat,

Ist der unglücksel’ge Gatte

270
Jener sauren Citronella

Mit der weißen Tellerkrause,
Die wir heut’ bei Tisch bewundert,

Und sie keift so frech, daß oft
Ihr Gemahl zur Peitsche greift –

275
Und hierher eilt und die Hunde

Und die armen Knaben züchtigt.

[141]
Doch der König hat mißbilligt

Solch Verfahren und befahl,
Daß man künftig seine Neffen

280
Nicht behandle wie die Hunde.


Keiner fremden Mithlingsfaust
Wird er ferner anvertrauen
Ihre Zucht, die er hinführo
Eigenhändig leiten will.

285
Don Diego stockte plötzlich,

Denn der Seneschall des Schlosses
Kam zu uns und frug uns
Höflich: ob wir wohlgespeist? – –

Anmerkungen (Wikisource)

  1. Vorlage: in