Siemering’s Luther-Denkmal zu Eisleben
[724] Siemering’s Luther-Denkmal zu Eisleben. (Mit Abbildung S. 713.) Am 10. November wird die Hülle von dem Luther-Denkmal fallen, welches in seiner ehernen Macht den alterthümlichen Eislebener Marktplatz überragt. In der Linken die Bibel, seine Burg „voll guter Wehr und Waffen“, in der Rechten die päpstliche Bannbulle, welche dem treuesten Sohne der Kirche die Thür des Heiligthums verschließen will und welche darum ein Raub der Flammen werden muß, so schaut er vom Eislebener Marktplatz in die vielbewegte Gegenwart hinein, eine geistesgewaltige Illustration des kühnen Wortes: „Und wenn die Welt voll Teufel wär’!“
Woher Luther den Muth nahm, gegen eine mehr als tausendjährige Macht anzukämpfen, das zeigt uns Meister Siemering in den herrlichen Reliefs, welche den Sockel des Denkmals einschließen. Da finden wir zunächst Luther’s Wappen an der Vorderfront. Es ist ja allgemein bekannt, dieses Wappen, von welchem der volksthümliche Vers singt:
„Des Christen Herz auf Rosen geht,
Selbst wenn es unter’m Kreuze steht, –“
aber neu ist die packende Allegorie, zu welcher Siemering dieses Luther-Wappen umgedichtet hat. Das Wappenschild wird von einem Engel gehalten. Zu seinen Füßen liegt überwältigt zähneknirschend, noch einmal sich machtlos aufbäumend „der alt’ böse Feind“, dessen „groß Macht und viel List“ an der Wahrhaftigkeit zu Schanden geworden ist. Hier haben wir ein Bild von Luther’s Kämpfen und Ringen, welches mit ursprünglicher Gewalt auf den Beschauer wirkt.
Sein Rüstzeug hat Luther aus der Waffenkammer genommen, die er seinem Volke auf der waldumwobenen Wartburg erschlossen hat. Das Relief auf der Südseite zeigt ihn uns bei der Bibelübersetzung. Abweichend von den Darstellungen, welche den bibelforschenden Luther erhobenen Hauptes und weit hinausleuchtenden Blickes darstellen, giebt uns Siemering einen still sinnenden, innerlich vertieften Luther, welcher sich in Gottes Wort förmlich begraben fühlt, um als eine vom Geiste Gottes durchheiligte Persönlichkeit aus der Tiefe auszuerstehen. Luther’s Charakteristicum, seine demüthige Treue, tritt auf diesem Relief besonders schön in die Erscheinung.
Die Nordseite des Denkmals bringt ein Bild aus den Tagen des Kampfes. Luther und Eck – neue und alte Zeit im Geisteskampfe! Hier der wortreiche, an sophistischer Weisheit genährte Vertheidiger mittelalterlicher Ideen; dort der körnige, an Gottes Wort stark gewordene Augustiner. Diese beiden Profile – Luther und Eck – verkörpern zwei von Grund auf verschiedene Welt- und Lebensanschauungen, wie sie auch in Eck’s Decretalen und in Luther’s Bibel zum Ausdruck kommen. Beides gewaltige Mächte, und doch zeigt uns dieses Relief in seiner plastischen Ruhe, „wer hier seinen Feind niederreiten wird“.
Bedarf das letzte Bild noch einer Erklärung? „Luther im Kreise seiner Familie“ lebt ja durch alle Zeiten im Herzen des deutschen Volkes. Wie der heldenhafte Mann so kindlich in die Saiten greift, wie sein „Herr Käthe“ dem süßen Sange lauscht, wie Hans, Martin und Lenchen sich kindlich fromm an die Eltern schmiegen und wie dieses stille Familienglück für unzählige deutsche Häuser vorbildlich geworden ist – davon weiß ja jedes evangelische Herz zu singen und zu sagen. An Luther ist es doch wahr geworden, was auf die Nachricht von seinem Tode ein Freund schrieb: „Dieser Luther ist gar nicht todt, er lebt und wird leben.“
Jahre lang hat Professor R. Siemering an dem Denkmale gearbeitet, Jahre lang hat die Stadt Eisleben an den Geldern gesammelt, um die bedeutenden Kosten des Denkmals decken zu können – für alle Zeiten aber soll der protestirende Luther in seiner Geburtsstadt stehen, eine Mahnung für das deutsche Volk, seine besten und heiligsten Güter festzuhalten und vom Kampfe zum Siege durchzudringen.