Zum Inhalt springen

Siegfried auf dem Drachenfelsen

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Textdaten
<<< >>>
Autor: Heinrich Pröhle
Illustrator: {{{ILLUSTRATOR}}}
Titel: Siegfried auf dem Drachenfelsen
Untertitel:
aus: Rheinlands schönste Sagen und Geschichten, S. 192–198
Herausgeber:
Auflage: 1. Auflage
Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1886
Verlag: Tonger & Greven
Drucker: {{{DRUCKER}}}
Erscheinungsort: Berlin
Übersetzer:
Originaltitel:
Originalsubtitel:
Originalherkunft:
Quelle: Scans eines Exemplares der Bibliothek für Bildungsgeschichtliche Forschung Berlin, Signatur 19 H 104 auf Commons; E-Text nach Deutsche Märchen und Sagen
Kurzbeschreibung:
Eintrag in der GND: {{{GND}}}
Bild
Bearbeitungsstand
fertig
Fertig! Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle Korrektur gelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Um eine Seite zu bearbeiten, brauchst du nur auf die entsprechende [Seitenzahl] zu klicken. Weitere Informationen findest du hier: Hilfe
Indexseite
[192]
Siegfried auf dem Drachenfelsen.

Bei dem Heldengedichte von den Nibelungen kann nicht gut an den Drachenfelsen gedacht werden; es müßte denn sein, daß man den Kampf mit dem Drachen, durch dessen Blut Siegfried die Hornhaut erhält, nach dem Drachenfelsen verlegen wollte, was nicht recht passend ist. Von dem Heldengedichte: die Nibelungen, dessen Inhalt zu Anfang dieses Buches erzählt ist, weicht jedoch das Volksbuch „der gehörnte Siegfried“ wesentlich ab. Die Haupthandlung in diesem Volksbuche nach dem Drachenfelsen zu verlegen, liegt ziemlich nahe, und so möge für diejenigen, welche gewohnt sind, bei dem Drachenfelsen auch an Siegfried zu denken, der Inhalt des Volksbuches, wenn auch kürzer, hier gleichfalls erzählt werden. Jedenfalls geht auch der gehörnte Siegfried wohl vom Rheine aus. Die Art aber, wie er seine Florigunde gewinnt, ist eine ganz andere als diejenige, wie der Siegfried des Heldengedichtes seine Kriemhilde heimführt.

Siegfried, auch im Volksbuche bereits mit der Hornhaut versehen, aber hier noch zu jung für den Ritterschlag, begibt sich an den Hof des weltberühmten Königs Gilbald, welcher zu Worms am Rheine Hof hält. Dieser hatte eine wunderschöne Tochter mit Namen Florigunde. Als sie einst an einem heißen Mittage am Fenster stand, nahte sich ihr ein ungeheurer Drache. Er verbreitete einen solchen Feuerschein, daß die ganze [193] Königsburg wie in Flammen dastand. Er nahm die Jungfrau in die Luft mit sich, wobei er auf den Bergen einen Schatten warf, der eine halbe Stunde lang war. Er trug die Jungfrau auf den Drachenfels oder, wie es in dem Volksbuche heißt, auf den Drachenstein.

Der König und die Königin zu Worms sandten Boten aus, um Nachrichten einzuziehen, wohin der Drache die Prinzessin Florigunde getragen habe. Diese kehrten endlich mit der Nachricht zurück, daß sie sich auf dem Drachenstein befinde. Auch brachten sie einen Spruch von frommen Leuten heim, welche der Zukunft kundig waren. Es ging daraus hervor, daß nur ein einziger Held und auch dieser nur unter ganz außerordentlichen Gefahren die Jungfrau auf dem Drachensteine erlösen könne. Dies wurde sogleich auf Siegfried bezogen, der freilich noch immer etwas jung war, aber aus königlichem Geschlechte stammte.

Nachdem die Jungfrau drei bis vier Jahre auf dem Drachensteine geschmachtet hatte, versammelten sich gar viele Könige am Königshofe zu Worms, um Florigundens Vater zu trösten, zugleich aber ihm ihre Hülfe zu ihrer Befreiung anzubieten. Da wurde ein großes Turnier angestellt, um die Kraft und die Gewandtheit der Helden zu prüfen; aber Siegfried trug den ersten Preis davon. Er wurde nun zum Ritter geschlagen und von allen mit der Befreiung der Jungfrau beauftragt. Doch konnte er nicht sogleich ausziehen zum Kampf mit dem Drachen, denn noch immer war die Lage des Drachensteins nicht bekannt, und Siegfried überlegte hin und her mit Florigundens Eltern, wie er wohl dahin gelangen könne. Da, als er einst auf der Jagd sich befand, lief plötzlich sein Spürhund in ein Dickicht. Siegfried bemerkte sogleich, daß er eine ganz ungeheuerliche Spur aufgefunden haben müsse, und folgte ihm mit Begier. Vier Tage lang ritt er immer hinter dem Hunde her, ohne zu essen und zu trinken. Da mußte er sein Pferd ein wenig grasen lassen, aber schlafen konnte er nicht während der Zeit, denn es kam ein Löwe, den er nach kurzem Kampfe erschlug.

Nun zäumte er wieder sein Roß auf und folgte dem Spürhunde. Da erschien alsbald ein gewappneter Ritter, der rannte ihn freventlich an, und Siegfried tötete ihn. Sterbend fragte der Ritter ihn nach seinem Namen. Nachdem er ihn erfahren, sprach er: „Dann bin ich ja von eines [194] berühmten Recken Hand gefallen. Darum vermache ich Dir meinen Harnisch und meinen Schild. Beide wirst Du hier gebrauchen können. In diesem Walde wohnt nämlich der Riese Wolfgrambär. Der hat auch mich besiegt, einen kühnen Ritter, welcher aus Sizilien auszog, um Abenteuer zu suchen. Ihm sollte ich fünf Ritter unterwerfen, um frei zu werden, und zu denen solltest Du gehören, darum fiel ich Dich an.“

Siegfried verfolgte dann weiter die Spur im Walde. Da kam der Zwergkönig Egwaldus in köstlichen Kleidern auf einem kohlschwarzen Pferde dahergeritten. Er hatte tausend wohlgeputzte und wohlbewaffnete Zwerge bei sich. Siegfrieden rief er sogleich bei Namen und nannte auch dessen Vater und Mutter. Da dachte Siegfried, der muß auch wissen, wo der Drachenstein liegt und fragte nach dem Wege. Darüber erschrak aber der Zwergkönig Egwaldus und verweigerte die Antwort, weil auf dem Drachensteine ein so entsetzlicher Drache wohne, daß niemand die Jungfrau Florigunde von ihm erlösen könne. Allein Siegfried teilte die Furcht nicht, die der Zwergkönig vor dem Abenteuer mit dem Drachen hatte. Dieser wollte sogar von Siegfrieds Seite entfliehen. Da ergriff Siegfried den Kleinen bei den Haaren. Er schleuderte ihn gegen eine Felswand, daß die Krone auf seinem Haupte in Stücken zerbrach. Nun sagte der Zwergkönig: „Der Riese Wolfgrambär wohnt hier ganz nahe. Ihm gehört die ganze Gegend und tausend Mannen müssen ihm dienen. Derselbige hat den Schlüssel zum Drachenstein.“

Da bedrohte Siegfried den Zwergkönig Egwaldus von neuem mit dem Tode, wenn er ihm nicht den Weg zum Riesen Wolfgrambär zeigen wolle. Zitternd wies der Zwergkönig auf einen Berg, wo der Riese wohnte. Hier klopfte Siegfried an das Felsenschloß und begehrte, daß der Riese die schöne Jungfrau Florigunde herausgebe, die er nun schon vier Jahre lang auf dem Drachensteine eingeschlossen habe.

Da schlug der Riese mit einer großen eisernen Stange nach Siegfried. Aber dieser sprang behende zur Seite und wurde nicht von der Eisenstange getroffen; nur die Äste der Bäume knisterten, die von dem ungeschlachten Riesen aus Versehen abgeschlagen waren. Plötzlich brachte Siegfried dem Riesen eine tiefe Wunde bei. Allein dieser floh in eine steinerne Wand, wo er seine Wunden so gut als möglich zu verbinden suchte. Dann [195] sprang er wieder hervor, und sie kämpften weiter. Endlich kam der Zwergkönig Egwaldus und setzte Siegfried seine Nebelkappe auf. Dadurch rettete er ihn in einem gefährlichen Augenblicke. Aber als Siegfried sich erholt hatte, wurde der Kampf doch fortgesetzt. Zuletzt mußte der Riese das Felsenloch aufschließen, worinnen sich Florigunde befand, und Siegfried steckte den Schlüssel zu sich.

Darauf schenkte der Riese Wolfgrambär Siegfried noch eine überaus schöne Klinge. Mit dieser allein, sagte er, könne der Drache überwunden werden. Da nun aber Siegfried schnell nach diesem Schwerte griff, so versetzte der Riese Siegfried eine tiefe Wunde. Doch Siegfried riß dem Riesen seine Wunden auf. Dadurch wurde derselbe so schwach, daß Siegfried ihn in die Felsenkluft hinabwerfen und dadurch zerschmettern konnte, worüber Florigunde in ein lautes Freudengeschrei ausbrach.

Erst jetzt erinnerte sich Siegfried, daß er seit vier Tagen und vier Nächten weder gegessen noch getrunken hatte. Darüber erschrak die Jungfrau nicht wenig. Der Zwergkönig Egwaldus bot sogleich seine Zwerge auf, um ihm und auch Florigunden mit Speise und Trank aufzuwarten. Aber kaum saßen sie bei Tische, da kam der ungeheure Drache mit neun jungen Drachen über die Berge hergeflogen. Ihr Flug erschütterte das Gebirge, als ob es zusammenbrechen wollte. Der Jungfrau rann der kalte Angstschweiß über das Gesicht, und die Zwerge, welche bei Tische bedienen sollten, liefen davon.

Dem Drachen flog das Feuer voraus, so weit als drei brennende Riesenspieße lang sind. Der Drache war aber ein schmucker Jüngling gewesen, den eine Hexe verwünscht hatte. Mit Leib und Seele diente er nun dem Teufel. Nach fünf Jahren hatte er wieder ein Mensch werden sollen, und diese Zeit war jetzt bald um. Dann hätte er Florigunde heiraten können. Sie hatte ihn schon am Osterfeste, an welchem er sich verwandeln durfte, in seiner menschlichen Gestalt gesehen, aber dennoch graute ihr vor ihm.

Siegfried nahm das Schwert, welches ihm der Riese auf dem Drachensteine geschenkt hatte und stieg damit den Felsen hinan. Die Zwerge liefen vor Angst in die Wälder und versteckten den Schatz des Königs Egwaldus in Felsen. Der Zwergkönig selbst aber war schon längst davon gelaufen. [196] Der Schatz desselben wurde von Siegfried gefunden, welcher glaubte, daß er dem Drachen oder dem Riesen gehöre und ihn später aufzunehmen beschloß.

Inzwischen meldete Florigunde dem geliebten Siegfried, daß Egwaldus wieder zu ihr gekommen war, um ihr die Schreckensbotschaft zu bringen, der Drache habe noch sechzig junge Drachen an sich gezogen. Als nun Siegfried wieder an dem Drachenstein emporgeklommen war und mit jenem Schwerte den Angriff machte, da flogen die jungen Drachen davon. Der alte Drache blieb allein zurück. Er spie blaue und rote Flammen auf Siegfried hinab, von welchen dieser mehrmals zu Boden gerissen wurde. Auch umzingelte er den Ritter mehrmals mit seinem Schweife und versuchte ihn vom Drachenstein hinabzuschleudern. Siegfried aber sprang aus dieser Schlinge wieder heraus und dachte darauf, wie er dem Drachen seinen Schwanz abhauen könne. Dies gelang auch. Der Drache geriet dadurch in fürchterlichen Zorn und hauchte eine Glut aus, als ob ein ganzes Fuder Kohlen auf dem ohnehin schon heißen Steine abgeladen würde.

Jedoch wußte Siegfried jetzt, daß das Schwert, welches ihm Wolfgrambär gewiesen hatte, wirklich im Stande sei in dem Leibe des Drachen zu haften. Darum faßte er sich ein Herz und führte einen so gewaltigen Streich, daß er den Drachen mitten von einander in zwei Stücke teilte. In demselben Augenblicke fiel die eine Hälfte vom Steine hinab. Die andere Hälfte ergriff Siegfried und warf sie mit Händen und Füßen gleichfalls hinunter.

Siegfried war nun aber aufs höchste erschöpft. So fand ihn Florigunde, seine Braut, welche in der Drachenhöhle geweilt und aus dem fürchterlichen Getöse beim Falle des Drachen geschlossen hatte, daß Siegfried gesiegt haben müsse. Als sie ihn beinahe leblos daliegen sah und den Zwerg Egwaldus rufen wollte, sank sie gleichfalls in Ohnmacht.

Siegfried erholte sich zuerst wieder. Während er noch um Florigunde klagte, kam zum Glücke der Zwerg Egwaldus gelaufen. Er brachte eine Wurzel mit, die gab er Siegfrieden, auf daß er sie der Jungfrau in den Mund steckte. Dieser that wie ihm geheißen, und sogleich erholte sich Florigunde, schlug die Augen auf, richtete sich empor und umarmte mit bräutlichen Geberden ihren Erretter. Der Zwergkönig Egwaldus erzählte nun, daß der böse Riese Wolfgrambär die Zwerge, deren in diesem Berge [197] über tausend gewesen waren, bezwungen hatte. Sie mußten ihm ihr eigenes Land verzinsen. Aus Dankbarkeit, weil Siegfried außer Florigunde auch die Zwerge befreit hatte, wollten sie das Brautpaar bis nach Worms begleiten, zumal sie der Wege sehr kundig waren.

Zunächst bat der Zwergkönig den Helden, sich mit Florigunde in dem Palaste der Zwerge innerhalb des Berges nun endlich an Speise und Trank zu laben. Die Zwerge trugen das köstlichste auf, was sie so schnell herbeischaffen konnten. Recht lustig war auch die Tafelmusik, die Egwaldus von Zwergen machen ließ. Zuletzt wurde Backwerk in vergoldeten Schüsseln aufgetragen. Die Zwerge tranken nippend die Gesundheit des Brautpaares und führten einen Tanz auf. Florigunde zog einen schönen Ring mit köstlichen Diamanten von der Hand und steckte ihn an den Goldfinger des Ritters. Siegfried nahm eine goldene Kette, welche er als ersten Preis bei dem Turnier zu Worms erhalten hatte, und hängte sie Florigunden als Brautgeschenk um.

Am andern Morgen bat der Zwergkönig seine Gäste freundlich, doch noch länger bei ihm zu verweilen. Aber Siegfried begehrte Urlaub und hatte keine Ruhe mehr. Da ließ der Zwergkönig das Frühstück auftragen. Nachdem es genossen war, nahm das Brautpaar Abschied von dem Zwergkönig Egwaldus und seinen Brüdern. Die ihm schon vorher angetragene Begleitung der Zwerge nahm Siegfried nicht an, außer daß Egwaldus allein ihn begleiten durfte. Der Zwergkönig setzte sich auf ein prächtiges Pferd und ritt dem Brautpaare voran. Nach kurzer Zeit indessen nötigte Siegfried auch ihn zur Rückkehr in seinen Berg.

Erst jetzt erinnerte sich Siegfried seines Schatzes, den er für seine Beute nach den Kämpfen am Drachensteine hielt, und kehrte mit Florigunde um, ihn zu holen. Er legte diesen Schatz vor sich hin auf sein Pferd. Alsdann führte er Florigunde gen Worms auf dem Wege, auf welchem er am Tage vorher gekommen war.

Als sie wieder an die Stelle kamen, wo Siegfried mit dem sizilianischen Ritter zusammengetroffen war, sahen sie das Pferd desselben dort auf der Weide umhergehen. Siegfried band das seinige an einen Baum, damit es ebenfalls grasen konnte. Währenddessen fing er das andere Pferd ein und belud es mit dem Schatze aus dem Berge.

[198] Als sie dann bei Fortsetzung ihrer Reise aus einem mehr gelichteten Walde in ein Dickicht gekommen waren, wurden sie plötzlich durch eine Rotte von Räubern und Mördern umringt. Es waren ihrer nicht weniger als dreizehn, doch sprach Siegfried: „Die werden uns auch nicht beißen.“ „Wir wollen ihnen den Schatz geben,“ sagte Florigunde.

„Ich achte des Schatzes nur wenig,“ antwortete Siegfried, „aber für Räuber und Mörder ist er mir doch zu gut.“

Jedoch schon hatten sechs Räuber Siegfried und sechs andere Florigunde umringt. Der dreizehnte ergriff das Roß des Sizilianers, welches den Reisenden als beladenes Saumtier diente und wollte sich mit dem Schatze davon machen.

Als Siegfried dies sah, tötete er teils die Räuber, teils schlug er sie in die Flucht. Jetzt verfolgte er den Räuber, welcher das Pferd mit dem Schatze entführt hatte. Mit seinem guten Pferde holte er ihn bald wieder ein, hieb ihn nieder und wollte mit dem Schatze zu Florigunden zurückkehren. Allein diese hatten diejenigen Räuber, welche zuletzt flüchtig geworden waren, mit sich genommen.

Um nun schneller wieder zu Florigunde zu kommen, ließ Siegfried das Handpferd mit dem Schatze laufen, wohin es wollte, und erjagte dann die Räuber, von denen Florigunde gefangen war. Er machte sie alle nieder bis auf einen einzigen, welcher in einen Sumpf gelaufen war. Diesem schenkte er das Leben. „Siehst Du einen Wanderer,“ sagte er dabei, „so kannst Du ihm sagen, daß Du den gehörnten Siegfried gesehen hast“.

So setzten sie dann ihre Reise fort und gelangten nach Worms, wo der König und die Königin eine große Hochzeit für sie anstellten. Weil aber Siegfried von allen der tapferste war und so große Dinge vollbracht hatte, so wurde die Hochzeit desto lustiger gefeiert.

Auch nach dem Volksbuche kommt Siegfried endlich durch seinen Schwager um, und wie das Heldengedicht, so endet auch dieses mit einem großen Kriege.