Max Horkheimer (Hrsg.): Zeitschrift für Sozialforschung, 3. Jg 1933, Heft 1 | |
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des Studiums würdigen Bedingungen, aus denen die revolutionäre Massenaktion hervorgeht. Die Masse hat andere Bedürfnisse, und andere Reaktionen entsprechen ihr, die primitiv nur primitiven Psychologen zu scheinen pflegen. An den Aktionen der Proletariermassen, deren geschichtliche Versuchsanordnung die Revolutionen sind, hat Malraux' Analyse ihre Grenze. Aber — so mag man einwenden — auch seine Fabel. Gewiss. Nur ist es zweifelhaft, wie weit in diesem Stoffgebiet dem Autor die Konstruktion der Fabel freisteht. Darf er sich wirklich bescheiden, dem Historiker nicht vorzugreifen? Gibt es ein wirklich revolutionäres Schrifttum ohne didaktischen Charakter?
Die Klärung dieser Fragen, die die Krisis der Belletristik erst in volles Licht rückt, blieb dem Surrealismus vorbehalten. Die Bedingungen für die Lösung dieser Aufgabe — so wenige sie auch bisher erreichten — waren herangereift. Sie lagen im Entstehen des neuen Nationalismus, der die wahren Züge im Bilde, das Barrès vom "Geistigen" gezeichnet hatte, in Erscheinung treten liess. Sie lagen in der Krise des Parlamentarismus, die den Zugang der jungen Intellektuellen zu den cadres, deren Geist Alain vertritt, immer prekärer machte. Sie lagen ferner in dem Umstand, dass der Internationalismus als kulturelle Angelegenheit, wie Benda ihn versteht, im Begriff war, eine Reihe der schwersten Belastungsproben durchzumachen. Sie lagen in der Schnelligkeit, mit der das Bild Péguys in die Legende einging; in der Unmöglichkeit, in seinen Schriften Handhaben für die Situation zu finden, vor die die Intellektuellen heute gestellt sind. Sie lagen in der Einsicht, die allmählich für die Gewissenhaften zwingend wurde: dass sie zu lernen hatten, auf ein Publikum Verzicht zu leisten, dessen Bedürfnisse zu befriedigen sich mit ihrer besseren Einsicht nicht mehr vereinbaren liess. Einen indirekten Hinweis auf diese Bedingungen aber bot ein bedeutender Dichter wie Valéry, der eine problematische Figur nur darum machte, weil er die Kraft nicht hatte, den Widerspruch sich klar zu machen, welcher zwischen seiner Technik und der Gesellschaft, der er sie zur Verfügung hält, besteht. Sie lagen endlich — jene Vorbedingungen — im Beispiel von André Gide.
Es ist bei alledem entscheidend, dass die Surrealisten auf einem Wege an die Lösung des Problems herangegangen sind, der ihnen erlaubte, jene Vorbedingungen erschöpfend auszunutzen. So haben sie die spielerische Tat Lafcadios vielfach nachgeahmt, bevor sie an ernstere gingen. So haben sie dem, was bei Valéry als "reine Dichtung" auftritt, Bestimmtheit durch gewisse Unternehmungen verliehen, in welchen sie die Dichtung als einen Schlüssel für Psychosen gehandhabt haben. So haben sie den Intellektuellen
Max Horkheimer (Hrsg.): Zeitschrift für Sozialforschung, 3. Jg 1933, Heft 1. Librairie Felix Alcan, Paris 1934, Seite 76. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Zeitschrift_f%C3%BCr_Sozialforschung_-_Jahrgang_3_-_Heft_1.pdf/78&oldid=- (Version vom 20.8.2022)