Max Horkheimer (Hrsg.): Zeitschrift für Sozialforschung, 3. Jg 1933, Heft 1 | |
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es entspricht nicht nur dem frühen Stadium politischer Schulung, in dem die literarische Intelligenz des Westens sich befindet, sondern der Situation von Westeuropa, dass die Stimmungen und Fragen des Bürgerkriegs ihr näher liegen als die gewichtigen Tatsachen des gesellschaftlichen Aufbaus in Sowjet-Russland. Das Werk Malraux' ist dafür kennzeichnend. Schauplatz des letzten Buches — wie auch seines früheren Romanes "Les Conquérants" — ist das China der Bürgerkriege. Malraux greift in der "Condition humaine" weder dem Historiker noch auch nur dem Chronisten vor. Die Episode des revolutionären Aufstandes in Schanghai, den Tschang-Kai-Chek erfolgreich liquidiert, ist weder ökonomisch noch politisch transparent. Sie dient als Folie, von der sich eine Gruppe Menschen abhebt, die handelnd an den Ereignissen Anteil haben. So unterschiedlich dieser Anteil ist, so grundverschieden diese Menschen nach Natur und Herkunft sind, so gegensätzlich ihr Verhältnis zu der Herrseherklasse ist — gemeinsam haben sie: ihr zu entstammen. Sie arbeiten für diese Klasse oder gegen sie; sie haben diese Klasse hinter sich gelassen oder sind von ihr ausgestossen worden; sie repräsentieren oder durchschauen sie — jedem von ihnen sitzt sie in den Knochen. Auch den Revolutionären von Beruf, welche im Vordergrund des Buches stehen.
Malraux spricht das nicht aus. Weiss er es? Er beweist es jedenfalls. Denn nur aus dieser geheimen Homogeneität seiner Figuren speist sich das Werk, das mit der dialektischen Spannung geladen ist, aus der das revolutionäre Handeln der Intelligenz hervorgeht. Dass diese Intelligenz ihre Klasse verlassen hat, um die Sache der proletarischen zu ihrer eigenen zu machen, das will nicht heissen, diese letztere habe sie in sich aufgenommen. Sie hat das nicht. Daher die Dialektik, in der die Helden Malraux' sich bewegen. Sie leben für das Proletariat; sie handeln aber nicht als Proletarier. Zumindest handeln sie viel weniger aus dem Bewusstsein einer Klasse als aus dem Bewusstsein ihrer Einsamkeit. Das ist die Qual, der keiner dieser Menschen sich entwindet. Sie macht auch ihre Würde. "Es gibt keine Würde, die nicht im Leiden fusst." Leiden vereinsamt, lind es nährt sich an der Einsamkeit, die es erzeugt. Ihr zu entgehen ist das fanatische Bestreben derer, die in diesem Buche das Wort führen. Das Pathos dieses Buches hängt inniger, als man wohl meint, an seinem Nihilismus.
Welchem Bedürfnis des Menschen die revolutionäre Aktion entspricht? — diese Frage lässt sich erheben einzig aus der ganz besonderen Situation des Intellektuellen. Seiner Einsamkeit allerdings entspricht sie. Indem er aber diese, mit Malraux, zum Wesen der "Condition humaine", des "Menschenstandes" erhebt, verbaut er sich den Blick auf die ganz anderen, im höchsten Grad
Max Horkheimer (Hrsg.): Zeitschrift für Sozialforschung, 3. Jg 1933, Heft 1. Librairie Felix Alcan, Paris 1934, Seite 75. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Zeitschrift_f%C3%BCr_Sozialforschung_-_Jahrgang_3_-_Heft_1.pdf/77&oldid=- (Version vom 20.8.2022)