Rings lächelte der Frühling mit frischem Grün und goldenem Sonnenglanz. Hinter dem Zaune, der den Hofraum von dem etwas abschüssigen Platze trennte, sproßte der junge Rasen, nur leicht mit Straßenstaub bedeckt. In der Ferne exerzierten die Soldaten in schnurgraden Linien oder seltsamen Zickzackwendungen.
Mary sah zuerst die früher ihr so Verhaßte. Im hellen Sonnenschein erschien deren Gesicht noch fahler und eingefallener.
Seit dem Auftritt auf dem Boden hatten die beiden nicht mehr mit einander gesprochen.
Auch Käthe bemerkte nicht minder die Veränderung in Marys Gesicht und in beider Herzen erwachte daher gegenseitiges, weibliches Mitgefühl.
Nur mühsam ergriff Mary den Schwengel, um etwas Wasser zu pumpen, bis ein heftiger Hustenanfall sie daran verhinderte. Ein Weilchen lehnte sie am Brunnenrohr, gesenkten Hauptes, und der krankhafte Husten verzerrte ihr Gesicht.
Unwillkürlich näherte Käthe sich ihr, um sie sanft beiseite zu schieben und ihr das Wasser einzupumpen. Schweigend nahm Mary diese Hilfe an und dies erleichterte ihr wesentlich die Annäherung, die sie so sehnlichst wünschte.
Nachdem Käthe den Eimer gefüllt, stellte sie ihn fort und schob an seine Stelle den ihrigen, um auch ihn zu füllen. Dazu fehlte ihr aber schon die Kraft und das Herz schlug ihr so gewaltig, daß sie, um ein wenig auszuruhen, sich niedersetzen mußte.
Gabriela Zapolska: Käthe. Berlin o. J., Seite 333. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Zapolska_K%C3%A4the.djvu/333&oldid=- (Version vom 1.8.2018)