Noch war sie sich darüber nicht ganz klar; sie fürchtete sich aber schon vor diesem Gedanken, wie vor einem Vampyr, der ihr das Herz aus der Brust reißen solle.
So stand sie auf dem Hofe traurig und frierend. Denn der Schnee drang ihr durch die schadhaften Schuhe. Ihr Gesicht trug die Spuren schlafloser Nächte und höchster Abspannung. Die dunkelumränderten Augen zeigten den Ausdruck tiefen Leids und banger Sehnsucht. Die Wangen waren etwas eingefallen und die Gesichtsfarbe hatte einen ungesunden, gelblichen Anflug und Mund und Nase hoben sich schärfer ab.
Solch eine Veränderung war eingetreten bei ihr, die vorher von Gesundheit strotzte. Verschwunden waren die runden Linien des Kinns und darin das Grübchen. Um so voller aber erschien der Busen, der fast das abgetragene Mieder sprengte.
Nur der Wuchs blieb derselbe, wenn auch die prächtigen Schultern etwas gebeugt und die runden Hüften noch breiter wurden.
Unwillkürlich drehte sie sich plötzlich um, als fühle sie Johann. Und wirklich, dort stand er an der Haustür, plauderte aber mit irgend einem Mädchen.
Dies war jedoch weder Mary, noch irgend eine andere aus dem Hause.
Bald erkannte sie diesen Kopf und diesen Rücken, der so steif wie ein Brett und mit dem hellen Perkaljäckchen bekleidet war, welches sich deutlich vom dunklen Hausflur abhob.
Gabriela Zapolska: Käthe. Berlin o. J., Seite 286. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Zapolska_K%C3%A4the.djvu/286&oldid=- (Version vom 1.8.2018)