Zum Inhalt springen

Seite:Wilhelm Löhe - Evangelien-Postille Aufl 3.pdf/37

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Wilhelm Löhe: Evangelien-Postille für die Sonn- und Festtage des Kirchenjahres

zu erkennen geben, bald, unaufgefordert; er wird öffentlich auftreten, sein Amt und Werk selbst übernehmen. „Ich taufe mit Waßer“ − aber „Er kommt nach mir!“ spricht der Täufer ahnungsvoll und Herrliches verheißend. Ich taufe mit Waßer, − aber harret: Er kommt und wird euch Größeres erweisen. Auch meine Taufe ist nicht von dannen, aber Er wird taufen mit dem heiligen Geiste, nicht in meiner Weise und in meinem Maße, − und am Ende wird Er auch kommen und mit Feuer taufen, wenn Er den Weizen von der Spreu wird geschieden haben. Segnen − strafen wird Er, erlösen und richten, sammeln und zerstreuen, selig machen und verfluchen. „Er kommt“! – Sieh da, einen hellen Blick in JEsu Aemter und die Zeit Seiner Verherrlichung öffnet Johannes den Juden, die ihn fragten, und dem horchenden Volke. Von ihm aus, von seinen Lippen aus gieng Ahnung, Schauer, Ehrfurcht vor dem großen, noch unbekannten Gegenwärtigen, der Johannem überstrahlen wird, − und den Johannes anbetet.

 „Er ist mitten unter euch“ − „Er kommt“ − „welcher vor mir gewesen ist“, − „des ich nicht werth bin, daß ich Seine Schuhriemen auflöse.“ „Er ist mitten unter euch“ − also lebt Er in der Gegenwart. „Er kommt“ − also Sein ist die Zukunft. „Er ist vor mir gewesen“ − Ihm gehört die Vergangenheit. JEsus ist ein halb Jahr jünger als Johannes, und ist doch vor Johannes gewesen. Johannes weiß ganz genau, daß JEsus später geboren ist, als er selbst, und sagt doch, Er sei vor ihm gewesen. So muß er Ihm ja ein Dasein vor der Menschwerdung zuschreiben! So muß er ja in Ihm erkennen den Mann, den HErrn, der da ist wahrhaftiger Gott, vom Vater in Ewigkeit geboren, und auch wahrhaftiger Mensch, von der Jungfrau geboren. So ist also der Täufer Johannes bekannt mit der Lehre des h. Apostels Johannes, des Theologen, welcher anbetend predigt: „Das Wort ward Fleisch und wohnete unter uns und wir sahen Seine Herrlichkeit, eine Herrlichkeit als des eingeborenen Sohnes vom Vater, voller Gnade und Wahrheit“! − Ja, das ists, und daher bei dem Täufer das Gefühl des tiefen Unwerths, Christo gegenüber. Es ist keine süßelnde Empfindelei und empfindelnde Verehrung eines Menschen, nein, es ist Anbetung, es ist Kniebeugung, es ist Händefalten, es ist Lob- und Preisgesang, was Johannes in dieser Adventszeit mit den Worten zu erkennen gibt: „Ich bin nicht werth, daß ich Seine Schuhriemen auflöse!“ Völlige, gründliche Wahrhaftigkeit, demüthige Gerechtigkeit ist es, was er sagt! Es ist auch nicht anders: Erzengel und Engel, alle seligen Seelen und alle Heiligen auf Erden reden gleich also, gleich wahr. Denn wer ist werth, dem, der war und ist und kommt, auch nur den geringsten Dienst zu erweisen?

 Das ist das Zeugnis, welches Johannes zeugete von JEsu, dem Sohne Gottes und Marien. Das gab er den Priestern und Leviten mit heim, daß sies dem hohen Rathe hinterbrächten. Das gieng freilich über alle Begriffe der Zeitgenoßen. Gott, Mensch, Gott und Mensch, von Seinem Vorläufer verehrt, ja angebetet, − und dem Volke, den Leviten, den Priestern, den Hohenpriestern nicht bekannt, − in der Welt, ohne sie zu beachten; in Israel, ohne nach den Aeltesten zu fragen! So hatten sies nicht gemeint, ganz anders hatten sie gehofft. Bekannt, hervorragend, wenn auch nicht Gott, nicht Immanuel, wenn nur ihnen gnädig, ihnen ergeben, ihnen mit Ehren entgegenkommend, das hätten sie eher zugelaßen! Aber Gott Lob, daß es nicht nach der Juden Sinn gieng! Das ist das Zeugnis Johannis und kein anderes. So spricht er von Christo, und so spricht die ganze heilige Kirche ihm nach. Gegenwärtig, mitten unter uns, nach Seiner Allgegenwart, − von Ewigkeit her, nach Seinem Wesen, − immer im Kommen, nach Seiner Gnade − das ists, was Johannes, was die Kirche erkennt. So sehen wir im Glauben unsern HErrn und fallen mit Johanne vor Ihm nieder in dieser Zeit des Advents, da unsre Augen, unsre Herzen gen Osten gerichtet sind und Seiner harren.


 Liebe Brüder! In die Versuchung Johannis kommen wir nicht. Wer wird, wer sollte zu unser einem kommen und ihn fragen: „Bist du Christus?“ Christus ist da, das weiß man, so weit es eine Kirche gibt; wir aber sind einander allzumal so weit bekannt, daß uns solche Gedanken niemals auch nur im Fiebertraume kämen. Das ist richtig. Aber auch etwas anders ist richtig, daß manchen unter uns der vorhandene, uns gepredigte, unter uns bekannte Christus nicht ist, was er Johanni war. Nicht da, nicht von Ewigkeit, nicht kommend, nicht kommend im Worte, nicht im

Empfohlene Zitierweise:
Wilhelm Löhe: Evangelien-Postille für die Sonn- und Festtage des Kirchenjahres. Samuel Gottlieb Liesching, Stuttgart 1859, Seite 026. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Wilhelm_L%C3%B6he_-_Evangelien-Postille_Aufl_3.pdf/37&oldid=- (Version vom 14.8.2016)