Strahlungsformel notwendigerweise durch unstetige Vorgänge veranlasst sein muss, wie es von Planck in der Quantenhypothese angenommen ist.
Auch auf kritischem Gebiete hat Poincaré der Physik sehr nützliche Dienste geleistet. So hat er nachgewiesen, dass die Jaumann’sche Theorie der Kathodenstrahlen nicht richtig sein kann, die auf einer Differentialgleichung erster Ordnung beruht. Eingehend hat Poincaré sich mit den Grundlagen der Wärmetheorie und dem Problem der Irreversibilität beschäftigt und nachgewiesen, dass die Theorie der monocyklischen Systeme den Tatsachen nicht ganz gerecht werden kann ebensowenig wie die gewöhnliche Begründung der Gastheorie.
Auch eine Kritik der Theorie des Zeemanphänomens hat Poincaré gegeben und eine Theorie aufgestellt, die von der Lorentz’schen abweicht.
Überblickt man diese Leistungen allein auf dem physikalischen Gebiet, so muss man ebenso erstaunt sein über die Fülle der Probleme, die er bearbeitet, wie über die Tiefe seines Verständnisses für physikalische Theorien. Er zeigt dabei einen besonders scharfen Blick für die Berechtigung der Fragestellung, wie er sich z. B. klar darüber ist, dass die Kontroversen über unipolare Induktion oder über die Entscheidung über die Schwingungsrichtung des polarisirten Lichts aus den Beobachtungen an stehenden Lichtwellen der physikalischen Bedeutung entbehren. Allerdings hat er selten den Versuch gemacht, eigene Hypothesen aufzustellen und hat im ganzen mehr zu einer phänomenologischen Darstellung der physikalischen Erscheinungen geneigt, wie er ja die Meinung ausgesprochen hat, dass, sobald eine mechanische Theorie einer Erscheinung vorliege, auch unendlich viele andere möglich sein müssten. Andererseits hat er auch viele Anregungen auf experimentellem Gebiet gegeben. Ausser der bereits erwähnten, die schliesslich zur Entdeckung des Radiums führte, hat er auch die Versuche von Crémieu veranlasst, bei denen untersucht wurde, ob stark convergente Kraftlinien des Gravitationsfeldes eine andere Wirkung hervorrufen, als ein Feld paralleler Kraftlinien.
So haben wir Physiker besondere Veranlassung, das frühe Hinscheiden des grossen Mathematikers schmerzlich zu empfinden. Möge sein Beispiel seine Fachgenossen veranlassen, den Problemen der Physik erhöhtes Interesse zuzuwenden zum Nutzen beider Wissenschaften, da die Physik die mathematischen Hilfsmittel, die Mathematik die aus den physikalischen Problemen geschöpften Anregungen nicht entbehren kann.
Wilhelm Wien: Die Bedeutung Henri Poincaré’s für die Physik. Acta mathematica, 38, Stockholm 1921, Seite 291. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:WienPoincar%C3%A9.djvu/3&oldid=- (Version vom 1.8.2018)