Zum Inhalt springen

Seite:WienPoincaré.djvu/2

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.

statistische Mechanik ist ein Satz Poincaré’s bedeutungsvoll geworden, der ursprünglich für die Frage nach der Stabilität des Planetensystems aufgestellt war, dass nämlich eine bestimmte Configuration von materiellen Punkten nach endlicher Zeit wieder erreicht werden muss, wenn nur conservative Kräfte wirken. Durch diesen Satz ist nachgewiesen, dass die Irreversibilität, die wir in der Natur beobachten, nicht durch rein mechanische Vorgänge erklärt werden kann.

Eine wichtige Anregung ist von Poincaré ausgegangen, indem er nach der Entdeckung der Röntgen-Strahlen auf die Möglichkeit hinwies, dass dieses Phänomen mit der Fluorescenz in Zusammenhang stehen könnte. Wenn diese Auffassung auch nicht richtig war, so hat sie doch die erste Veranlassung zu den Versuchen von Becquerel gegeben, die dann später zur Entdeckung des Radiums geführt haben.

Von sehr grosser Bedeutung für die theoretische Physik ist eine Arbeit, die er im Jahre 1900 in dem Jubiläumsbande für Lorentz veröffentlicht hat. Er hat dort die elektromagnetische Bewegungsgrösse eingeführt, durch welche der Widerspruch gegen das Prinzip von Aktion und Reaktion aufgehoben wird, eine Theorie, die für die weitere Entwickelung der Elektrodynamik sehr wichtig geworden ist.

Ganz besonders bedeutungsvoll sind auch die Untersuchungen Poincaré’s über die innere Kraft eines Elektrons geworden, wo er zum ersten Male den Ausdruck ableitete für eine auf das Elektron wirksame Druckkraft, welche das Gleichgewicht der Kräfte aufrecht erhält.

Sein grosses mathematisches Talent ermöglichte es ihm dann, die Schwierigkeiten zu überwinden, welche der theoretischen Behandlung der drahtlosen Telegraphie entgegenstehen. Er hat die Ausdrücke abgeleitet, durch welche die Ausbreitung der elektrischen Wellen auf der Erde dargestellt wird. Er hat diese Ausdrücke zunächst noch etwas korrigiert, aber das Resultat ist im wesentlichen schliesslich ein richtiges gewesen und führte zu Folgerungen, die in ihrem Verhältnis zu den tatsächlichen Beobachtungen noch nicht aufgeklärt sind.

Auch seine Untersuchungen über die Beugung enthalten sehr wichtige Entwickelungen der mathematischen Physik im Anschluss an die grundlegende Theorie von Sommerfeld.

Für die moderne Relativitätstheorie hat er wichtige Ergebnisse beigetragen, indem er schon die in dieser Theorie auftretenden allgemeinen mathematischen Beziehungen vorausgesehen hat, so die Einführung der Lorentztransformation und des Vierervektors. Ferner hat er der modernen Theorie der Strahlung grosses Interesse entgegengebracht und eine tiefgehende Untersuchung veröffentlicht, in welcher er den Nachweis führt, dass die von der Erfahrung verlangte

Empfohlene Zitierweise:
Wilhelm Wien: Die Bedeutung Henri Poincaré’s für die Physik. Acta mathematica, 38, Stockholm 1921, Seite 290. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:WienPoincar%C3%A9.djvu/2&oldid=- (Version vom 1.8.2018)