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Seite:Von der Macht der Toene.djvu/025

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Vergeblich wird jeder freie Flugversuch des Komponisten sein; in den allerneuesten Partituren und noch in solchen der nächsten Zukunft werden wir immer wieder auf die Eigentümlichkeiten der Klarinetten, Posaunen und Geigen stoßen, die eben nicht anders sich gebärden können, als es in ihrer Beschränkung liegt;[1] dazu gesellt sich die Manieriertheit der Instrumentalisten in der Behandlung ihres Instrumentes; der vibrierende Überschwang des Violoncells, der zögernde Ansatz des Hornes, die befangene Kurzatmigkeit der Oboe, die prahlhafte Geläufigkeit der Klarinette; derart, daß in einem neuen und selbständigeren Werke notgedrungen immer wieder dasselbe Klangbild sich zusammenformt und daß der unabhängigste Komponist in all dieses Unabänderliche hinein- und hinabgezogen wird.

Vielleicht, daß noch nicht alle Möglichkeiten innerhalb dieser Grenzen ausgebeutet wurden - die polyphone Harmonik dürfte noch manches Klangphänomen erzeugen können -, aber die Erschöpftheit wartet sicher am Ende einer Bahn, deren längste Strecke bereits zurückgelegt ist. Wohin wenden wir dann unseren Blick, nach welcher Richtung führt der nächste Schritt?

Ich meine, zum abstrakten Klange, zur hindernislosen Technik, zur tonlichen Unabgegrenztheit. Dahin müßen alle Bemühungen zielen, daß ein neuer Anfang jungfräulich erstehe.

Der zum Schaffen Geborene wird zuerst die negative, die verantwortlich-große Aufgabe haben, von allem Gelernten, Gehörten und Scheinbar-Musikalischen sich zu befreien, um, nach der vollendeten Räumung, eine inbrünstig-asketische Gesammeltheit in sich zu beschwören, die ihn befähigt, den inneren Klang zu erlauschen und zur weiteren Stufe zu gelangen, diesen auch den Menschen mitzuteilen. Diesen Giotto eines musikalischen Rinascimento wird die Weihe der legendarischen Persönlichkeit krönen. Der ersten Offenbarung wird sodann eine Epoche religiöser Musikgeschäftigkeit folgen,


  1. Und das ist das Siegreiche in Beethoven, daß er von allen „modernen“ Tondichtern am wenigsten den Forderungen der Instrumente nachgab. Hingegen ist es nicht zu leugnen, daß Wagner einen „Posaunensatz“ geprägt hat, der - seit ihm - in den Partituren ständige Wohnung nahm.
Empfohlene Zitierweise:
Ferruccio Busoni: Entwurf einer neuen Ästhetik der Tonkunst. Leipzig: Philipp Reclam jun., 1983, Seite 71. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Von_der_Macht_der_Toene.djvu/025&oldid=- (Version vom 1.8.2018)