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Seite:Von der Macht der Toene.djvu/024

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der billigen Handhabung der Routine steht; zugleich kehrt er den Bescheidenen hervor, indem er schmerzlich eingesteht, eine allgemein geschätzte und dem Handwerk zugehörige Könnerschaft nicht sich angeeignet zu haben.

Der Satz ist ein Meisterstück der instinktiven Schlauheit des Erhaltungstriebes - beweist uns aber (und das ist unser Ziel) die Geringheit der Routine im Schaffen.


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So eng geworden ist unser Tonkreis, so stereotyp seine Ausdrucksform, daß es zurzeit nicht ein bekanntes Motiv gibt, auf das nicht ein anderes bekanntes Motiv paßte, so daß es zu gleicher Zeit mit dem ersten gespielt werden könnte. Um nicht mich hier in Spielereien zu verlieren,[1] enthalte ich mich jedes Beispiels.

Plötzlich eines Tages, schien es mir klar geworden: daß die Entfaltung der Tonkunst an unseren Musikinstrumenten scheitert. Die Entfaltung des Komponisten an dem Studium der Partituren. Wenn „Schaffen“, wie ich es definierte, ein „Formen aus dem Nichts“ bedeuten soll (und es kann nichts anderes bedeuten); wenn Musik (dieses habe ich jedenfalls ausgesprochen) zur „Originalität“ nämlich zu ihrem eigenen reinen Wesen zurückstreben soll (ein „Zurück“, das das eigentliche „Vorwärts“ sein muß), wenn sie Konventionen und Formeln wie ein verbrauchtes Gewand ablegen und in schöner Nacktheit prangen soll: diesem Drange stehen die musikalischen Werkzeuge zunächst im Wege. Die Instrumente sind an ihren Umfang, ihre Klangart und ihre Ausführungsmöglichkeiten festgekettet, und ihre hundert Ketten müssen den Schaffenwollenden mitfesseln.


  1. Eine solche Spielerei unternahm ich einmal mit einem Freunde, um scherzeshalber festzustellen, wie viele von den verbreiteten Musikstücken nach dem Schema des zweiten Themas im Adagio der Neunten Symphonie[WS 1] gebildet waren. In wenigen Augenblicken hatten wir an fünfzehn Analogien der verschiedensten Gattung beisammen, darunter welche niederster Kunst. Und Beethoven selbst. Ist das Thema des Finale der „fünften“ [WS 2] ein anderes als jenes, womit die „zweite“[WS 3] ihr Allegro ansagt? Und als das Hauptmotiv des dritten Klavierkonzerts,[WS 4] diesmal in Moll?

Anmerkungen (Wikisource)

  1. Sinfonie Nr.9 op.125 d-moll (1824), 3. Satz Adagio molto e cantabile.
  2. Sinfonie Nr.5 op.67 c-moll (1807-1808), 4. Satz Finale. Allegro.
  3. Sinfonie Nr.2 op.36 D-Dur (1801-1802), 4. Satz Allegro molto.
  4. Klavierkonzert Nr.3 op.37 c-moll (1800)
Empfohlene Zitierweise:
Ferruccio Busoni: Entwurf einer neuen Ästhetik der Tonkunst. Leipzig: Philipp Reclam jun., 1983, Seite 70. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Von_der_Macht_der_Toene.djvu/024&oldid=- (Version vom 1.8.2018)