„Um was soll ich beten?“
„Um was?“ wiederholte er tonlos; er hatte Angst, daß sie seinen Wunsch erraten könne, einen grausamen Wunsch, der wie eine fressende Gier sein ganzes Sein durchbrannte.
Plötzlich wendete sie den Kopf, ein eigentümlicher Laut hatte ihr Ohr berührt, etwas wie das leise Rauschen und Knistern eines lang hinschleppenden seidenen Gewandes.
„Was ist das?“ fragte sie.
„Irgend ein Fenster ist offen geblieben, und der Wind weht einen Vorhang hin und her.“
„Nein, nein, dreh doch das Licht auf, es ist ganz dunkel geworden, ganz.“
„Annie, nur ein Wort, gibt mir die Hand, beide Hände, Annie, ich will sie nur einmal küssen, nur ein einziges Mal!“ Er zog die Hände an seine Lippen.
Da, wieder das Knistern und Rauschen, und über das alles hintönend ein leises, höhnisches Kichern; dann plötzlich war das Zimmer voll Licht, und vor den zweien stand Gina Ginori, in weißem Brautgewand, den Myrtenkranz auf dem Kopf.
Sie legte Zdenko beide Hände auf die Schultern, lachte ihn an. „Mein!“ flüstere sie hastig, „mein!“ Dann drückte sie ihm ihre vollen Lippen auf den Mund, streifte Annie mit einem grausamen,
Ossip Schubin: Vollmondzauber. Stuttgart: J. Engelhorn, 1899, Band 2, Seite 115. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Vollmondzauber.djvu/273&oldid=- (Version vom 1.8.2018)