Barbara gar keine Augen hatte. - Ja, ja, es ist achtzig Jahre her; aber die alte Großmutter denkt es noch wohl, wie die kleine Barbara damals recht sehr ungeduldig wurde und auf ihren guten Vater gar nicht zum Besten zu sprechen war. Die Uhr schlug zehn, und nun mußte sie gute Nacht sagen. Als sie zu deinem Großvater kam, fragte er sie: Schaukeln wir morgen? und die kleine Barbara wurde wieder ganz vergnügt. - Er ist ja ein alter Kindernarr, er! sagte der Urgroßvater; aber eigentlich war er selbst recht unvernünftig in sein kleines Mädchen verliebt.
Am andern Tage gegen Abend reiste dein Großvater fort.
Dann gingen acht Jahre hin. Die kleine Barbara stand oft zur Winterzeit an der Glasthür und hauchte die gefrornen Scheiben an; dann sah sie durch das Guckloch in den beschneiten Garten hinab, und dachte an den schönen Sommer, an die glänzenden Blätter und an den warmen Sonnenschein, an den Iritsch, der immer in den Spalieren nistete, und wie einmal die reifen Aprikosen zur Erde gerollt waren, und dann dachte sie an einen Sommertag, und zuletzt immer nur an diesen einen Sommertag, wenn sie an den Sommer dachte. - So gingen die Jahre hin; die kleine Barbara war nun doppelt so alt, und eigentlich gar nicht
Theodor Storm: Sommergeschichten und Lieder. Duncker, Berlin 1851, Seite 9. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Theodor_Storm_Sommergeschichten_und_Lieder.djvu/17&oldid=- (Version vom 1.8.2018)